The Project Gutenberg eBook of Grundzüge der Geschichte der Pädagogik

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Title: Grundzüge der Geschichte der Pädagogik

Author: Klemens August Funke

Release date: November 8, 2025 [eBook #77194]

Language: German

Original publication: Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1907

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GRUNDZÜGE DER GESCHICHTE DER PÄDAGOGIK ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1907 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

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Grundzüge
der
Geschichte der Pädagogik.

Von

Schulrat Dr. A. Funke,
Seminar-Direktor in Warendorf.

Siebte Auflage.

Paderborn.

Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh.

1907.

„Die edelste Stellung, der schönste Beruf ist der eines Menschen, der seine Nebenmenschen die Wahrheit lehrt und sie Gott näher bringt, indem er sie erhebt.“

Thomas v. Aquin.

Vorwort zur siebten Auflage.

Die vorliegende 7. Auflage der „Grundzüge“ hat wiederum an einzelnen Stellen Erweiterungen, an anderen Verkürzungen erfahren, die notwendig erschienen, damit das Büchlein den neuen ministeriellen Bestimmungen vom 1. Juli 1891 mehr entspreche. Insbesondere ist die Entwicklung des preußischen Volksschulwesens schärfer hervorgehoben und bis zur Gegenwart fortgeführt.

Allen denen, die mir für diese neue Auflage wiederum Mitteilungen und Winke zukommen ließen und der bescheidenen Arbeit ihr freundliches Interesse gewidmet haben, insbesondere meinem Bruder in Dortmund, spreche ich an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank aus.

Warendorf, den 15. Oktober 1906.

A. Funke.

Inhalt.

 
Seite.
1.
Die Spartaner
2.
Die Athener
3.
Pythagoras
4.
Sokrates
   
1.
Erziehung und Unterricht im allgemeinen
2.
Pädagogische Aussprüche berühmter Römer
I.
Christus und die Apostel
II.
Das Katechumenat
III.
Die Katechetenschulen
IV.
Die Kirchenväter: 1. Basilius d. Gr. 2. Chrysostomus. 3. Hieronymus. 4. Augustinus
V.
Die Pfarrschulen
VI.
Die Schulen der Benediktiner
VII.
Die Domschulen
I.
Verdienste Karls d. Gr. um Erziehung und Unterricht
II.
Rhabanus Maurus
III.
Schulen des nachkarolingischen Mittelalters
IV.
Pädagogische Schriftsteller: 1. Vincenz von Beauvais. 2. Johannes Gerson. 3. Mapheus Vegius. 4. Viktorin von Feltre
I.
Das Konzil von Trient
II.
Einzelne katholische Schulmänner: 1. Ludwig Vives. 2. Petrus Canisius. 3. Karl Borromäus. 4. Fénelon
III.
 
 
A. Männliche: 1. Die Jesuiten. 2. Die Piaristen. 3. Die Schulbrüder
 
IV.
Die Reformatoren: 1. Luther. 2. Melanchthon
V.
Einzelne protestantische Schulmänner: 1. Trotzendorf. 2. Ratich. 3. Comenius. 4. Francke
VI.
I.
Locke
II.
Rousseau
III.
Basedow
IV.
 
   
 
   
 
V.
Förderung des Schulwesens unter den Königen: Friedrich II. und Friedrich Wilhelm II.
I.
Pestalozzi
II.
   
 
 
IV.
V.

[S. 5]

Die vorchristliche Zeit.

I. Das Heidentum.

Vorbemerkung.

Hindernisse einer ersprießlichen Erziehung bei den heidnischen Völkern:

  1. Die Vielgötterei. Mit der Einheit hatten sie auch die Reinheit der Gottesidee verloren;
  2. die Vielweiberei. Diese zerteilte den wichtigen Erziehungsfaktor der Familie in Bruchstücke;
  3. die niedrige Stellung des Weibes. Das heidnische Weib war fast nur Sklavin des Mannes; daraus erklärt sich die Vernachlässigung der Mädchenerziehung und die geringe Bedeutung des mütterlichen Einflusses;
  4. die Sklaverei. Der Sklave hatte auf Erziehung keinen Anspruch.

A. Die Griechen.

1. Die Spartaner.

1. Einteilung des Volkes. Der dorische Staat enthielt 3 Klassen: a) die Spartiaten (vollberechtigte Bürger, spartan. Adel), b) die Lacedämonier (persönlich, aber nicht politisch frei), c) die Heloten (Sklaven).

Nur die Spartiaten genossen eine öffentliche Erziehung.

2. Erziehungsgrundsätze des Lykurg (880 v. Chr.). a) Die Erziehung der Kinder ist Sache des Staates, b) Zweck derselben ist, tüchtige Staatsmänner heranzubilden.

3. Ausführung dieser Grundsätze. a) Körperliche Erziehung.

  1. Die neugeborenen Kinder der Spartiaten wurden von Staats wegen untersucht.
  2. Unter Staatsaufsicht wurden die gesunden Kinder bis zum 7. Jahre im Elternhause erzogen.
  3. Vom 7. Jahre an begann die gemeinschaftliche Staatserziehung unter Leitung eines Pädonōmen.
  4. [S. 6]Die Abhärtung des Körpers wurde erstrebt durch höchst einfache Nahrung (Pflanzenkost), durch nur notdürftige Kleidung (Füße und Kopf stets unbekleidet, Haar kurz geschoren) und durch hartes Nachtlager (Schilfstreu auf dem Fußboden). Jahresprüfung am Feste der Artĕmis durch Geißelhiebe.
  5. Die Übung des Körpers wurde vermittelt durch tägliche Übungen im Laufen und Springen, im Reiten und Ringen, im Werfen und Schwimmen; öfteren Reigentanz mit vielen Beugungen und Wendungen; endlich durch Kriegsspiele für heranwachsende Jünglinge.
  6. Mit dem 18. Lebensjahre begann die Kasernen-Erziehung und dauerte bis zum 30. Jahre. In den Kasernen wurden die Leibesübungen fortgesetzt und die Zöglinge in das Waffen- und Kriegshandwerk eingeführt.

b) Geistige Erziehung. Die Jugend wurde angeleitet zur Stärkung des Willens, zum strengsten Gehorsam, zu großer Ehrfurcht vor dem Alter. („Nur in Sparta ist es angenehm, alt zu werden.“) Unterrichtsgegenstände waren:

  1. Die Musik (Gesang, Saiten- und Flötenspiel).
  2. Die Rede (in kerniger und körniger, sog. „lakonischer“ Kürze).
  3. Lesen, Schreiben und Rechnen. (Nur fakultativ, notdürftiges Maß.) Die Schön-Rede (Rhetorik) und Schauspielerkunst (Dramatik) waren ganz verboten.

Die Religion bildete keinen Unterrichtsgegenstand. Der religiöse Sinn wurde durch Festgesang und religiösen Tanz gepflegt.

4. Beurteilung. Lichtseiten der spartanischen Erziehung: a) Körperliche Gewandtheit und Ausdauer. b) Gewaltige Charakterstärke und persönlicher Mut. c) Begeisterte Vaterlandsliebe und Ehrerbietung gegen das Alter.

Schattenseiten: a) Die einseitige Beziehung des ganzen Lebens auf den Staatszweck bei Vernachlässigung der Familienpflege. b) Die ausschließliche Ausbildung zum Soldaten. c) Die Hintansetzung der geistigen Erziehung. d) Die Beschränkung der Erziehung auf einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung.

2. Die Athener.

1. Unterschied von der spartanischen Erziehung. Die durch Solon (594 v. Chr.) geordnete öffentliche Erziehung der Athener unterschied sich von der spartanischen in mehreren Punkten.

[S. 7]

  1. In Athen wurden Körper und Geist harmonisch ausgebildet.
  2. Die Ausbildung erstreckte sich auf die Kinder aller freien Bürger.
  3. Der Vater selbst besaß das Recht, das neugeborene Kind anzunehmen oder zurückzuweisen, und leitete dessen Erziehung.
  4. Die athenische Erziehung war mehr eine humanistische und nicht so sehr auf den Staatszweck bezogen.

Hiermit sind zugleich die Lichtseiten der athenischen Erziehung gegeben.

2. Der Pädagog. Das Kind wurde bis zum 7. Jahre im Elternhause durch eine Amme, später durch eine Wärterin erzogen. Mit dem 7. Jahre ging der Knabe in männliche Leitung und Beaufsichtigung über. Diese übte aus der Knabenführer oder Pädagog, ein Sklave, der seinem Pflegebefohlenen äußeren Anstand beizubringen und denselben zur Schule zu begleiten hatte, ihn aber nicht selbst unterrichtete.

3. Der Schulunterricht. Derselbe umfaßte folgende Fächer:

  1. Gymnastik. Die Übungen im Klettern, Faustkampf, Ballspiel, Bogenschießen, Schleudern, Wagenfahren wurden geleitet vom Pädotriben (Turnlehrer) und bezweckten Anmut in der Haltung und Gewandtheit in den Bewegungen des Körpers. Sie fanden statt in den Gymnasien und Palästren. Neben diesen Unterrichtslokalen befanden sich Bäder, in denen die Jugend das Schwimmen erlernte.
  2. Musik beim Kitharisten: Gesang, Zitherspiel, auch Lyra und Flöte. — Außer diesen obligatorischen Fächern erlernte der athenische Knabe noch
  3. Lesen beim Grammatisten (nach der Buchstabiermethode), Schreiben (mit Griffel auf Wachstäfelchen) und Rechnen (Kopf- und Fingerrechnen für den gewöhnlichen Verkehr). Als Lesebuch dienten die Gedichte Homers, die Fabeln des Äsop, die Werke Hesiods u. a. Beim Lesen wurde vorzüglich auf richtige Aussprache, gute Betonung und Beachtung des vorgeschriebenen Rhythmus gesehen. Da es aber nur geschriebene Bücher gab, mußte viel memoriert werden.

4. Eintritt ins öffentliche Leben. Nach mehrjährigem Schulbesuche gingen die armen Schüler zum Landbau, Handel oder Handwerk (auch Kunstgewerbe) über. Söhne vornehmer Eltern verließen mit dem 18. Jahre als Epheben die Schule und bildeten sich jetzt noch in der Redekunst, Philosophie, Mathematik und im Waffendienste aus. Feste, feierliche Spiele und Wettkämpfe gaben die Vollendung. Mit [S. 8]dem 20. Jahre traten sie in die Zahl der vollberechtigten Bürger. Doch konnte keiner Archont werden, der seine Eltern verunehrt hatte; wer Vater oder Mutter geschlagen hatte, mußte in der Volksversammlung schweigen.

Berühmte griechische Lehrer waren besonders Pythagoras und Sokrates.

3. Pythagoras.

1. Sein Leben. Geboren auf der jonischen Insel Samos gegen 580 v. Chr., wurde er von Thales unterrichtet. Er kam später nach Kroton (Unteritalien) und wurde der Wohltäter dieser Stadt. Er soll in Metapont gegen 500 v. Chr. gestorben sein. Seine würdevolle äußerliche Erscheinung, sein hoher sittlicher Ernst in Lehre und Leben gewannen ihm die Herzen der Krotoniaten, der Griechen und Nichtgriechen. Männer und Frauen verbündeten sich mit ihm zur Förderung des religiös-sittlichen Lebens und zur Pflege dorischen Sinnes und dorischer Sitte.

2. Seine Schule. Die pythagoreische Schule in Kroton hielt auf Ehrerbietung gegen die Eltern, Achtung gegen Erwachsene, Liebe gegen alle Mitbürger. Die körperliche Bildung, welche wie der Körper vergänglich ist, war der geistigen Bildung, welche dauernden Wert hat, entschieden untergeordnet. Pythagoras unterrichtete nach der vortragenden Methode und wirkte in sittlicher und wissenschaftlicher Hinsicht sehr segensreich für Großgriechenland.

Der Aufnahme in die Schule oder den Bund gingen 3 Jahre der Prüfung und des Schweigens voraus. Die Prüflinge hießen Exoteriker. Nur die Mitglieder des engeren Bundes, Esoteriker genannt, traten in näheren Verkehr mit dem Meister und wurden in dessen Lehre eingeweiht.

3. Seine Lehre. Dieselbe ist in folgenden Sätzen enthalten:

  1. Ein Gott ist der Urgrund des Seienden, die Welt sein Leib, die erste Schöpfung das Feuer.
  2. Die Weltkörper sind in steter Bewegung und bewirken eine erhabene Harmonie, die „Harmonie der Sphären“.
  3. Die menschliche Seele ist göttlicher Natur und unsterblich, wird hier auf der Welt geläutert und veredelt, geht beim Tode zur weiteren Läuterung erst in Tierkörper (Seelenwanderung) und kehrt dann in ihre Heimat (den Himmel) zurück.
  4. Alle Weisheit hat keinen anderen Zweck, als den menschlichen Geist zur Vereinigung mit Gott zurückzuführen.
  5. [S. 9]Die Übung der Tugend ist wichtiger als die wissenschaftliche Ausbildung.
  6. Die sittlich-veredelnde Erziehung wird erreicht durch die Religion, die Musik und die Mathematik. (Vgl. Pythagor. Lehrsatz.)

4. Beurteilung. Zu rühmen ist:

  1. Die außerordentliche Mäßigkeit der Pythagoreer. Des Fleisches und Weines enthielten sie sich gänzlich.
  2. Das unausgesetzte Streben nach Vervollkommnung. Als Hauptmittel der letzteren war vorgeschrieben die tägliche strenge Selbstprüfung vor dem Schlafengehen. (In den „Goldenen Regeln“ des Pythagoras heißt es: „Niemals möge der Schlaf auf die Augenlider dir sinken, Ehe die Werke des Tags du zuvor noch dreimal gemustert.“)
  3. Ihre enge Verbrüderung und unerschütterliche Freundestreue, schön verherrlicht in Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“.
  4. Die hohe Achtung gegen ihren Meister. Aller Streit der Meinungen verstummte bei dem Worte: „Er hat es gesagt.“
4. Sokrates. (469–399 v. Chr.)

1. Sein Leben. Sokrates, in Athen geboren, wurde Bildhauer wie sein Vater. Er lebte in bedürfnisloser Einfachheit, verließ nie seine Vaterstadt außer im peloponnesischen Kriege und nützte seinem Vaterlande durch Lehre und Beispiel. Seine Lehrtätigkeit erreichte entgegengesetzte Erfolge. Die große Menge verachtete ihn. Wenige Auserwählte aber schenkten ihm das größte Maß menschlicher Liebe und Bewunderung. Platon und Xenophon gehörten zu seinen Schülern. Als 70jähriger Greis traf ihn die dreifache Anklage, daß er 1. an die Götter des Staates nicht glaube; 2. neue Götter einführe; 3. die Jugend verderbe. Er wurde zum Giftbecher unschuldig verurteilt und betonte trotzdem noch die Pflicht des Gehorsams gegen die Staatsgesetze. Seine letzte Unterredung betraf die Unsterblichkeit der Seele. Sokrates war „im Tode der Edelste, im Leben der Verständigste und Gerechteste von allen“.

2. Seine Lehre. Wegen der Reinheit seiner Lehre wird Sokrates der Prophet des Heidentums genannt. Seine Grundsätze waren:

  1. Es gibt nur einen wahren Gott, welcher der Urheber und Erhalter der Weltordnung ist.
  2. Die Seele ist ein unkörperliches Wesen und dauert nach ihrer Trennung vom Leibe fort.
  3. [S. 10]Der Mensch ist offenbarungsbedürftig und hat eine innere göttliche Stimme, die ihm Rat und Warnung erteilt.
  4. Die Tugend besteht im Wissen. Der Endzweck unserer Bestrebungen ist Erkenntnis der Tugend, sittliches Wissen. Wohlverhalten führt zur Glückseligkeit.
  5. Die Selbsterkenntnis ist die erste Bedingung alles Wissens.

3. Seine Methode. Sokrates hatte kein besonderes Unterrichtslokal, keine bestimmte Lehrzeit. Er suchte Männer und Jünglinge auf, um sich mit ihnen über Lebenszweck und Beruf zu unterhalten und sie des Nichtwissens zu überführen. Die Lehrform des Sokrates war also die des Zwiegesprächs oder Dialogs. An der sokratischen Methode ist eine negative und eine positive Seite zu unterscheiden. Die negative Seite (sokratische Ironie) bestand in dem (vielfach durch feinen Spott und Hohn) hervorgelockten Geständnis des Nichtwissens und dem so geweckten Verlangen nach wahrer Erkenntnis. Die positive Seite der Sokratik bestand darin, daß durch geschickte Fragen der Schüler die zu vermittelnde Wahrheit selbst fand. Durch die beiden Mittel: Induktion (Herleitung eines Begriffs oder einer allgemeinen Wahrheit aus einer Anzahl gleichartiger Einzeldinge oder Einzelfälle) und Analogie (Vergleichung mit ähnlichen oder verwandten Fällen und Dingen) erreichte Sokrates den Zweck: die Definition (klare und bestimmte Erkenntnis des Wesentlichen und Wahren an den Dingen).

Sokrates ist der Vater der entwickelnden oder findenden (heuristischen) Methode.

B. Die Römer.

1. Erziehung und Unterricht im allgemeinen.

1. Charakter und Gang der Erziehung. Bei den Römern war die Erziehung Privatsache; sie bezweckten durch dieselbe nicht wissenschaftliche Ausbildung, sondern praktische Tüchtigkeit und räumten hierbei den Frauen einen bedeutenden Einfluß ein. Daher erfreuten sich die römischen Frauen einer gehobeneren Stellung. Vor einer römischen Matrone mußte jedermann aufstehen und jeder ihr mit Ehrerbietung begegnen, von allen Familiengenossen wurde sie als Gattin des Mannes und Mutter der Kinder geehrt.

Das neugeborene Kind wurde dem Vater vor die Füße gelegt, der es unter Gebeten zur Göttin Levana aufhob und als das seine [S. 11]anerkannte. Die erste Erziehung fiel der Mutter zu, die ihre Kinder selbst nährte und ihren vorzüglichen Ruhm darin suchte, dem Hauswesen selbst vorzustehen und sich dem Dienste der Kleinen zu widmen. Wohlgeratene Kinder galten als höchstes Kleinod einer Frau. Mit vollendetem 15. Jahre war die häusliche Erziehung abgeschlossen, das Knabenkleid wurde alsdann auf dem Forum mit der Männertoga vertauscht. In das Heer trat der Jüngling nach vollendetem 17. Lebensjahre.

2. Unterricht. Den Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen erteilten eigene Lehrer, wenngleich einige vornehme Väter (wie Marcus Porcius Cato) ihre Söhne selbst unterrichteten. Gelesen wurden die Gesetze der 12 Tafeln; man schrieb, wie bei den Griechen, auf Wachstäfelchen mit dem Griffel (stilus). Das Rechnen bestand aus Ab- und Zuzählen und wurde an Fingern und Rechensteinen geübt. Die vaterländische Geschichte lernte der junge Römer durch Erzählungen der Eltern, öffentliche Feste und patriotische Gesänge kennen. Gemeinschaftliche Schulen bestanden schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Sie wurden auf freien Plätzen, öffentlichen Straßen und besonders auf den Kreuzwegen (in triviis) abgehalten, daher der Name Trivialschulen. Der Unterricht in demselben begann schon früh am Morgen. Peitsche, Rute und Gerte waren herrschende Zuchtmittel. Die Lehrer hießen ludimagistri.

Die höhere Bildung erfolgte in den Schulen der Grammatiker (grammatici oder literati). Hier wurden insbesondere die Werke der griechischen und lateinischen Klassiker gelesen und erklärt. In den Schulen der Rhetoren erhielten die öffentlichen Redner eine besondere Ausbildung. Die Beredsamkeit stand bei den Römern in höchster Achtung. Die glänzenden Redner der Römer sind nicht minder berühmt als die tiefen Denker und unsterblichen Philosophen der Griechen. Unter den Künsten pflegten sie die Baukunst wegen ihres praktischen Nutzens, die Musik war bei ihnen weniger beliebt.

3. Verfall. Durch die Eroberung von Tarent (272 v. Chr.) und von Korinth (146 v. Chr.) drang griechische Sitte und Bildung mehr und mehr in Italien ein. Dieses wirkte auf die Erziehung der römischen Jugend durchaus nicht förderlich. Eine Menge griechischer Lehrer fand sich ein, welche den Unterricht junger Römer als Geschäft betrieben. Diesen wurde Unterricht und Erziehung gänzlich überlassen. Die römische Jugend wurde nun von griechischen Pädagogen in griechischer Sprache und griechischer Sitte unterrichtet, Muttersprache und Volkstum wurden vernachlässigt. Die altbewährte römische Familienerziehung hörte [S. 12]auf, statt dessen brachten der freien römischen Jugend griechische Sklaven ihre Laster und ihre Verkommenheit bei. Üppigkeit und Übermut waren die weiteren Folgen solcher Erziehungsverhältnisse, und wo diese die Gesellschaft durchsetzen, ist der Ruin unausbleiblich. Nicht mit Unrecht hat man daher behauptet: die Pädagogen haben den römischen Staat zugrunde gerichtet.

2. Pädagogische Aussprüche berühmter Römer.

1. Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.):

„Die Lehrer und Erzieher sollen die geistigen Anlagen, die individuellen Eigentümlichkeiten eines jeden Zöglings genau zu erforschen suchen und danach denselben behandeln.“

2. Lucius Annäus Seneca (1–65 n. Chr.):

„Durch Lehren lernen wir.“

„Lang ist der Weg durch Vorschriften, kurz und wirksam durch Beispiele.“

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben soll man lernen. (Non scholae, sed vitae.)“

„Die Ehrfurcht vor der Gottheit muß uns durchs Leben geleiten. Gott ist nahe bei uns, er ist in uns. Ohne Gottheit kann niemand ein tugendhafter Mensch sein.“

„Kein lebendes Wesen ist störriger, keines will mit mehr Kunst behandelt sein als der Mensch.“

„Konsequenz ist in der Erziehung durchaus notwendig; in ihr kommt sehr viel daraus an, daß alles zur rechten Zeit geschehe. Die besten Erzieher sind diejenigen, welche dem Landmann in der Baumschule und auf dem Acker nachahmen.“

„Wie in der Zucht, so muß auch beim Unterricht Maß gehalten werden.“

3. Marcus Fabius Quintilianus (38–120 n. Chr.):

„Der Jüngling soll der öffentlichen Schule übergeben werden.“

„Das Gedächtnis muß früh durch Auswendiglernen geübt werden.“

„Überall wirken Lehren weniger als Übungen.“

Spiele sind geschickt, den Verstand der jungen Leute zu schärfen, so wie sich auch der Charakter der Kinder beim Spielen in seiner wahren Gestalt offenbart.“

„Der Erzieher selbst habe keine Fehler und dulde keine.“

[S. 13]

„Gerade für die unteren Stufen soll man die geschicktesten Lehrer zu gewinnen suchen.“

„In der Regel ist das am verständlichsten, was von dem Gebildetsten gelehrt wird.“

4. Decimus Junius Juvenalis (100 n. Chr.):

„Ein gesunder Geist sei in einem gesunden Körper. (Mens sana in corpore sano.)“

„Die größte Ehrfurcht schulden wir dem Knaben. (Maxima debetur puero reverentia.)“

II. Das Judentum.

1. Einfluß der Religion. Der Glaube an den einen und wahren Gott zeigte das einzig richtige Ziel und Ende der Erziehung. Die Erziehung im Judentum ist wesentlich eine Erziehung zum Gehorsam gegen Gott, den Schöpfer und Herrn. Die Bürger des israelitischen Gottesstaates waren noch in besonderer Weise ihrem Oberhaupte (Jehova) hörig und verpflichtet. Die Kinder galten den jüdischen Eltern als Geschenke Gottes. Die Erstgeborenen mußten durch ein besonderes Opfer von Jehova erkauft werden. Die Eltern hatten durch göttliches Gesetz (4. Gebot) Anspruch auf die Verehrung, Liebe und den Gehorsam ihrer Kinder. Schande und Tod traf diejenigen, welche ihre Eltern nicht ehrten. Der Hausvater war das Haupt und der Priester der Familie. Die Mutter stand dem Vater stets ebenbürtig zur Seite.

2. Unterrichtsgegenstände. Erziehung und Unterricht war Sache der Familie. Strenge Kinderzucht wurde in den hl. Büchern zur Pflicht gemacht. „Wer die Rute spart, hasset seinen Sohn.“ (Spr. 13, 24.) Die Kinder erhielten zu Hause besonders Unterricht in der Religion. Auch im Lesen und Schreiben dürfte schon früh Unterweisung gegeben sein. Lesebücher hatten die Israeliten an den fünf Büchern Moses’, den Psalmen usw. Die Kunst zu schreiben war ihnen in Ägypten bekannt geworden. Körperliche Übungen wurden bei den Juden nicht besonders gepflegt. Gesang und Musik dagegen fanden vorzügliche Pflege und reiche Verwendung beim Gottesdienste. Mädchen ebensogut als Knaben erhielten eine musikalische Ausbildung.

3. Schulen. Öffentliche Unterrichtsanstalten waren:

  1. Die Prophetenschulen. Sie unterrichteten im Gesetz, in der Musik und Schreibkunst. Sie bildeten begeisterte Lehrer des Volkes und hl. Schriftsteller.
  2. [S. 14]Die Musikschule unter David.
  3. Die Pharisäerschule. Diese war eine höhere theologische Schule in Jerusalem (200 v. Chr.). Unter Hillel hatte sie 1000 Zöglinge. Gamaliel (Enkel Hillels) war Lehrer an derselben, und der Apostel Paulus ist ihr berühmtester Schüler.

4. Der Alte Bund selbst Erziehungsanstalt. Jehova ist der eigentliche Erzieher des israelitischen Volkes. Er gab Gesetze, Lehre und Belehrung. Er belohnte den Gehorsam und bestrafte die Übertretung. Das lehrhafte Gepräge zeichnet die jüdische Religion vor allen Religionen des Altertums aus. Vom 12. Jahre an hieß jeder Israelit „Sohn des Gesetzes“, weil er zur Haltung des Gesetzes und zur Teilnahme an den drei großen Jahresfesten verpflichtet war. Der Apostel Paulus nennt den Alten Bund einen Pädagogen, der für Christus erziehen sollte.

Die christliche Zeit.

Erster Abschnitt.
Von Christus bis auf Karl den Großen.

I. Christus und die Apostel.

1. Die christliche Erziehung ist nicht für ein einzelnes Volk, sondern für die ganze Menschheit bestimmt. („Machet alle Völker zu meinen Schülern.“ Matth. 28, 19.) Auch die bisherigen Unterschiede des Standes oder des Geschlechtes hörten in der christlichen Erziehung auf. („Ihr seid alle Kinder Gottes durch den Glauben an Jesum Christum.“ Gal. 3, 26.) So ist erst aus dem Christentum die Allgemeinheit der Erziehung, die Volksschule, hervorgewachsen.

2. Der Neue Bund hat die Frage nach Ziel und Zweck der Erziehung des Menschen endgültig gelöst. Die christliche [S. 15]Pädagogik hat die erhabene Aufgabe, allen Unmündigen Handbietung zu leisten, damit sie später als Mündige aus freiem Willen und mit freudigem Geiste nach Ähnlichkeit und Gemeinschaft mit Christus streben.

3. Das Christentum bietet uns Lehre, Gesetz und Gnadenmittel. Es belehrt uns über die Natur des Kindes und seine Berechtigung für das Gottesreich. („Lasset die Kleinen zu mir kommen“ usw.) Das Gesetz des Neuen Bundes ist das vollkommenste Sittengesetz der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Durch die Gnadenmittel wird dem Bösen ein übernatürliches Gegengewicht geboten.

4. Der Heiland selbst ist das höchste Muster für Schüler und Lehrer. Er war ein folgsames Kind, ein aufmerksamer Schüler. Seine unvergleichliche Lehrweise, seine unerschöpfliche Geduld und Gelassenheit zeigen das höchste Lehrgeschick. („Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig.“) In heiliger Entrüstung sehen wir den göttlichen Pädagogen mit einer Geißel aus Stricken die Käufer und Verkäufer zum Tempel hinauspeitschen. Er warnt insbesondere vor dem Ärgernisgeben. („Wer eines von den Kleinen ... ärgert“ usw.) Die Apostel hatten durch ihre Unterrichts- und Erziehungsarbeit das Antlitz der Erde zu erneuern. Sie lehrten mündlich (auf den Straßen, in dem Tempel, den Synagogen und Häusern), tatsächlich (durch ihr Beispiel) und brieflich (durch Schriften). Der größte Lehrer unter ihnen war der hl. Paulus, der „Weltapostel“.

Den Eltern legt das Christentum die Erziehung der Kinder als heilige Pflicht auf. („Ihr Väter, erziehet eure Kinder in der Lehre und Zucht des Herrn.“) Als Beispiel eines treuen christlichen Vaters und Erziehers ist Leonidas, der Vater des Origenes, zu nennen.

[S. 16]

II. Das Katechumenat.

Das Katechumenat ist das Institut des christlichen Altertums, in welchem die angehenden Christen (Glaubens-Lehrlinge) durch Unterricht und Erziehung zum Empfang der hl. Taufe befähigt wurden. Die Zöglinge waren Erwachsene und hießen Katechuménen. Sie wurden durch zusammenhangende Vorträge (Katechesen) und strenge Zucht auf ein christliches Leben vorbereitet. Die Katechumenen waren in mindestens zwei Klassen eingeteilt. Die untere Klasse bildeten die Hörenden (audientes, catechumeni). Sie besuchten die Katechumenen-Messe. Die obere Klasse war die der Verlangenden oder Bewerber (competentes). Diese hatten die Prüfungszeit überstanden und konnten die hl. Taufe empfangen. Das Katechumenat hatte in der kirchlichen Erziehung dieselbe Stellung wie die Volksschule in dem Organismus des öffentlichen Unterrichtswesens. Bischöfe, Priester und hervorragende Laien (Katecheten) erteilten den Unterricht.

Bischof Cyrill von Jerusalem hat uns 23 Katechesen hinterlassen.

III. Die Katechetenschulen.

Die Katechetenschulen entstanden aus dem Bedürfnis, zur Einführung und Ausbreitung des Christentums tüchtige Religionslehrer (Katecheten) zu bekommen. Sie waren Bildungsanstalten für christliche Religionslehrer in der ersten christlichen Zeit.

Die erste Katechetenschule bestand in Alexandrien unter Pantänus (186 n. Chr.). Die Nachfolger des Pantänus sind: Clemens von Alexandrien, Origenes (der gelehrteste Mann seines Jahrhunderts, † 254), Bischof Heraklas und Didymus der Blinde.

Lehrgegenstände der Katechetenschulen waren Dialektik (Denklehre), Naturkunde, Geometrie und Astronomie; dann Sittenlehre, Lesung der Schriften der alten Philosophen und Dichter und Erklärung der Hl. Schrift. Die Lehrweise war eine sehr anregende, der Lehrer ein erfahrener, sicherer Führer. (Vgl. Lobrede Gregors des Wundertäters auf seinen Lehrer Origenes.)

Die Katechetenschulen bilden einen Glanzpunkt in der Geschichte der frühesten christl. Erziehung. Außer der berühmten Normal- oder Lehrerschule des christlichen Altertums in Alexandrien bestanden später [S. 17]noch Katechetenschulen in Antiochien, Edessa, Nisibis. Diese Lehrerbildungsanstalten erweiterten sich allmählich zu höheren christlichen Unterrichtsinstituten. Die meisten damaligen Kirchenlehrer sind aus ihnen hervorgegangen.

IV. Die Kirchenväter.

1. Der hl. Basilius d. Gr.

1. Jugend. Der hl. Basilius wurde 329 in Neocäsarea, der Hauptstadt der asiatischen Provinz Pontus, geboren, wo sein Vater Rhetor war. Die erste Erziehung erhielt er von seinen Eltern, insbesondere von seiner frommen Großmutter Makrina, die in der Nähe von Neocäsarea auf dem Lande wohnte. Nach dem Tode des Vaters zog Basilius, weitere Ausbildung suchend, nach Cäsarea in Kappadocien, wo er zuerst mit Gregor von Nazianz zusammentraf. Als die dortige Schule diesen so strebsamen Jünglingen nicht mehr genügte, entschlossen sie sich, die größten Lehrer der Wissenschaft aufzusuchen, die man zu jener Zeit kannte. Basilius ging zuerst nach Konstantinopel, wo er den berühmten heidnischen Rhetor Libanius hörte, und von dort nach Athen. Gregor reiste nach Alexandrien, um den großen Bischof Athanasius kennen zu lernen. Dann lenkte auch er seine Schritte nach Athen, der Hauptstätte griechischer Bildung. Hier wohnten die beiden Freunde in einem Hause, speisten an einem Tische und arbeiteten stets gemeinschaftlich. Von den Festen und Gelagen anderer Jünglinge hielten sie sich fern. Sie kannten in Athen nur zwei Wege, den zur Kirche und den zur Hochschule. Außer Rhetorik studierten sie noch Philosophie, Geschichte, Musik und Medizin. Aber nicht in der Wissenschaft, worin sie bald alle übertrafen, suchten sie die höchste Auszeichnung. Noch mehr war es ihr Streben, in der heidnischen Umgebung Christen genannt zu werden und als wahre Christen zu leben. Kein Wunder daher, daß während ihres vierjährigen Aufenthaltes daselbst ganz Athen, Heiden sowohl als Christen, von hoher Bewunderung zu den „Kappadociern“ erfüllt wurde. Bei ihrem Abzuge gaben Tausende ihnen das Geleit bis ans Meeresufer und sagten ihnen mit Wehmut Lebewohl (356).

2. Öffentliches Leben. Kaum war Basilius in seine Heimat zurückgekehrt, so trug man dem bewunderten Manne verschiedene weltliche [S. 18]Ämter an. Auf der anderen Seite aber sah er das Beispiel seiner Mutter Emmelia und seiner Schwester Makrina, die sich zu einem klösterlichen Leben in die Einsamkeit zurückgezogen hatten. Basilius schwankte nicht lange. Er empfing die hl. Taufe und begab sich dann nach Syrien, Palästina und Ägypten, um das Mönchsleben aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Nach seiner Rückkehr verkaufte er die väterlichen Güter und suchte eine einsame Gegend am Flusse Iris auf. Hier lebte er mit seinem Freunde Gregor und einigen anderen Gefährten still und verborgen, in Studium und Gebet, in strenger Abtötung und harter Arbeit. Doch ragte der hl. Basilius durch sein Wissen und seine Tugend zu sehr hervor, als daß die Kirche, noch immer von Heiden und Irrlehrern bedroht, seines Wirkens hätte leicht entbehren können. Im Jahre 364 berief ihn der Erzbischof Eusebius von Cäsarea in den Dienst der Kirche und weihte ihn zum Priester. Als Eusebius 370 starb, wurde Basilius zu dessen Nachfolger gewählt und an die Spitze der großen kappadocischen Kirchenprovinz berufen, die in ihm ihren größten Oberhirten erhielt. In dieser Stellung wirkte er 9 Jahre höchst segensreich als treuer Vorkämpfer der reinen Lehre (gegen die Arianer), als Wohltäter der Armen, besonders aber als Lehrer und Erzieher der Jugend. Seine Gegner wußte er durch Sanftmut zu gewinnen oder durch seine überlegene Einsicht und Gelehrsamkeit zum Schweigen zu bringen. Von seinen Einkünften baute er ein großes Armen- und Krankenhaus, das einen eigenen Stadtteil in Cäsarea ausmachte, und gab darin selbst das Beispiel der Krankenpflege. Er errichtete mehrere Klöster, schrieb ihnen eine besondere Regel vor (die jetzt noch in den orientalischen Klöstern befolgt wird) und befahl den Mönchen, sich besonders der armen und verwaisten Kinder anzunehmen. Für den Unterricht und die Erziehung gab er genaue Vorschriften. Vor allem drang er auf musterhafte Ordnung und andächtiges Verhalten beim Gottesdienste. Als Kaiser Valens einst die Provinz Kappadocien durchreiste, war er überrascht und erbaut von der Andacht der heranwachsenden Jugend bei der hl. Messe und der Geistessammlung, mit welcher der Erzbischof die hl. Geheimnisse feierte. Der hl. Basilius beschloß seine irdische Laufbahn am 1. Januar 379 und hinterließ nicht so viel, daß man ihm einen Grabstein setzen konnte. An seinem Grabe weinten Heiden und Juden mit den Christen. Die heißesten Tränen aber wurden geweint von den Zöglingen der Armen- und Waisenanstalten.

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3. Schriften. Von seinen Schriften, die in ihrer Form den klassischen Meisterwerken der Griechen gleichstehen, sind zu merken: 1. „Rede an die christlichen Jünglinge über den Gebrauch der heidnischen Klassiker“; 2. „Regeln für das Leben der Mönche.“ Beachtenswerte Stellen aus den letzteren sind:

„Die Waisenkinder sollen als gemeinsame, den Brüdern gehörende Kinder angesehen werden; sie sollen in besonderen Häusern unter Aufsicht eines erprobten Mannes wohnen.“

„Die Strafe soll dem Fehler entsprechend sein. Hat ein Knabe zur Unzeit zu essen sich erlaubt oder nimmt er die Speisen zu gierig, so muß er durch kleinere Fasten zur Selbstbeherrschung und zum Anstand geführt werden.“

Beten muß die Jugend vom Alter lernen, und das Alter wird seinerseits durch das Gebet der Jugend nicht wenig unterstützt.“

„Die Gewöhnung an schlechte Reden ist gewissermaßen der Weg zu schlechten Taten.“

2. Der hl. Johannes Chrysostomus (344–407).

Dieser berühmte Erzbischof und Patriarch von Konstantinopel (wegen seiner Beredsamkeit Chrysostomus, d. i. Goldmund, genannt) verdankt seine streng religiöse Erziehung seiner frommen Mutter Anthusa. In seinen Homilien und in der Schrift „Gegen die Feinde des Mönchtums“ tritt er mit großer Kraft der heidnischen Sittenlosigkeit entgegen. Den Eltern und Erziehern legt er insbesondere

1. die Pflicht des guten Beispiels warm ans Herz.

Er tadelt diejenigen Väter, „die den Kindern nur von irdischen Dingen reden“. „Wenn ein Vater sein Kind ermahnend sagt: hier hat sich einer durch seine Kunst großen Reichtum erworben, dort ist einer durch seine Kenntnisse zu den höchsten Staatsämtern gelangt, von himmlischen Dingen aber niemals redet, so lehrt er sie nichts anderes, als was die Quelle alles Bösen ist, denn er flößt ihnen die Habsucht ein und die noch verderblichere Begierde nach eitler Ehre.“ Er eifert ferner gegen solche Väter, die das Schlechte mit schönen Namen, die Tugenden mit verwerflichen Ausdrücken benennen. „Immer auf der Rennbahn und im Theater leben nennt ihr guten Weltton, das [S. 20]Trachten nach Reichtum ein unabhängiges Leben suchen, Ehrgeiz hohen Sinn, Übermut Freimütigkeit. Dagegen nennt ihr Bescheidenheit Feigheit, das Prunklose knechtisch, die Geduld eine Schwachheit.“ „Solche Väter halte ich für ärger als Kindermörder, denn diese können nur den Körper von der Seele trennen, jene aber stürzen die Seele in die Hölle.“

2. Er weist auf die wichtige Stellung der Mutter bei der Erziehung hin.

„Die Mütter sollen die Kinder nicht nur leiblich pflegen, sondern auch zur Gerechtigkeit und Gottesfurcht erziehen.“ „Sehet weniger darauf, daß eure Kinder gut reden, als daß sie gut leben lernen.“

3. Er ermahnt die Eltern, mit der Erziehung und dem Unterrichte frühzeitig zu beginnen, namentlich mit der Unterweisung in der Religion.

„Der Charakter des Kindes muß von Jugend auf gebildet werden, denn auf den Charakter kommt alles an.“ „Die Dornen müssen ausgerissen werden, solange man noch leicht im Acker arbeiten kann.“ „Das zarte Alter nimmt das, was es hört, leicht in sich auf, wie das weiche Wachs leicht die Spuren des Siegels festhält.“ „Halte es nicht für überflüssig,“ ruft er einem Vater zu, „daß dein Sohn früh die Hl. Schrift kennen lerne. Aus dieser wird er zunächst hören: ‚Ehre deinen Vater und deine Mutter‘; es geschieht also zu deinem Vorteil. Sage nicht, daß dieses für Mönche gehöre; freilich nicht zu einem Mönche, aber doch zu einem Christen sollst du ihn machen — denn groß ist die Gewalt der vernunftwidrigen Neigungen in diesem Alter.“

4. Den Beruf eines Jugenderziehers sieht er als den höchsten auf Erden an.

Höher als jeden Maler, höher als jeden Bildhauer und alle übrigen Künstler schätze ich den, der die Seelen der Kinder zu bilden versteht.“

3. Der hl. Hieronymus († 420).

Dieser berühmte Übersetzer der Bibel (Vulgata) war Vorsteher des Klosters zu Bethlehem. Er widmete sich mit großem Eifer der Erziehung und dem Unterrichte von Knaben, die ihm von den Eltern anvertraut waren, und [S. 21]verschmähte es nicht, denselben auch die ersten Anfänge des Lesens, Rechnens usw. beizubringen. Sein Ruf als tüchtiger Erzieher drang weit über die Grenzen Palästinas hinaus. Tausende von Eltern wandten sich an den Mönch zu Bethlehem, um von ihm Ratschläge für die Erziehung ihrer Kinder zu erhalten. Solchen Anlässen entsprang eine Reihe wichtiger Schriften, von denen uns zwei erhalten sind: 1. an die edle Römerin Läta über die Erziehung ihrer Tochter Paula, 2. an einen Freund (Gaudentius) über die Erziehung seiner Tochter Pacatula. Die pädagogischen Grundsätze, die er in diesen Erziehungsbriefen niedergelegt, sind durch Jahrhunderte auf Unterricht und Erziehung von großem Einfluß gewesen. Diejenigen, welche am eifrigsten seine methodischen und didaktischen Winke befolgten, waren die Fraterherren (die ersten „Elementarlehrer“ in Deutschland), die sich nach ihm „Hieronymianer“ nannten. (Vgl. S. 33.) Die bemerkenswertesten Gedanken aus diesen Briefen sind folgende.

1. „Lerne erst lange vorher, was du nachher lehren willst.“ „Zum Lehrer ist ein Mann von bewährtem Alter, von erprobten Sitten und Kenntnissen zu nehmen. Selbst der Ton der ersten Laute und die erste Beibringung der Regeln wird von einem gebildeten Manne anders sein als von einem ungebildeten. Ich glaube auch nicht, daß ein unterrichteter Mann sich schämen wird, bei einem Kinde ein Amt zu übernehmen, welches der große Aristoteles bei dem Sohne des Philippus übernahm. Man darf dasjenige Kleine nicht gering achten, ohne welches das Große und Wichtigste gar nicht möglich ist.“

2. „Samuel wird in einem Tempel auferzogen, Johannes bereitet sich in der Einsamkeit vor: wie Samuel und Johannes muß eine Seele unterwiesen werden, die Gottes Tempel und in den Wissenschaften tüchtig werden soll. Niemals soll das Kind an öffentlichen Gastmählern teilnehmen, auch nicht im elterlichen Hause. Ohne vorhergehendes Gebet soll es keine Speise nehmen; ohne dem Herrn gedankt zu haben, soll es sich nicht vom Tische entfernen.“

3. „Vor allem ist zu vermeiden, daß das Kind gegen das Lernen [S. 22]Widerwillen fasse. Was das Kind lernen muß, das soll ihm lieb werden, damit das Lernen nicht ein Frondienst, sondern eine Ergötzung, nicht ein Müssen, sondern ein Wollen sei.“

4. „Man gebe dem Kinde Genossen, mit denen es wetteifere und durch deren Belohnung es angestachelt werde. Will es lässig werden, so darf man es nicht gleich schelten; auch durch Lob muß manchmal der Geist zur Regsamkeit gebracht werden.“

5. „Dem Kinde gebe man Buchstaben von Buchsbaum, nenne dieselben mit Namen und setze aus ihnen Wörter zusammen. Bei Einprägung des Alphabets halte man nicht immer die Ordnung des Alphabets ein, sondern mische die Buchstaben untereinander, daß das Kind sie nicht durch die Ordnung des Hersagens, sondern durch den bloßen Anblick erkennt. Die Wörter, welche durch die Buchstaben gebildet werden, sollen nicht zufällig und inhaltlos, sondern bestimmt und mit Fleiß ausgewählt sein. Man gewöhne das Kind, die Wörter ohne Verstümmelung und deutlich auszusprechen.“

3. Der hl. Augustinus (354–430).

Augustinus wurde als Sohn des Heiden Patricius und der Christin Monika am 13. November 354 zu Tagaste in Numidien geboren. Die fromme Mutter ersetzte durch Gebete, Tränen und Ermahnungen bei ihrem Sohne reichlich, was der Vater vernachlässigte. Nach dem Wunsche des Vaters sollte Augustinus ein berühmter Gelehrter werden, und es wurden deshalb keine Kosten gescheut. Auf den hohen Schulen zu Madaura und Karthago machte er zwar in der Beredsamkeit große Fortschritte. Aber er blieb auch dem wilden zügellosen Leben nicht fremd, welches unter den Studierenden dort herrschte. Mit den Verirrungen ihres Sohnes wuchs indes die Liebe der Mutter. Als sich Augustinus i. J. 384 nach Mailand begab, um dort eine Stelle als Lehrer der Beredsamkeit anzunehmen, folgte ihm die Mutter mit ihrem zweiten Sohne nach. Hier wohnte Augustinus als Katechumén den Predigten des hl. Ambrosius bei. Dieselben machten auf sein Gemüt einen tiefen Eindruck. Der persönliche [S. 23]Verkehr mit dem gelehrten und heiligen Erzbischof vollendete seine Bekehrung. Am Ostersamstag d. J. 387 wurde er, 33 Jahre alt, getauft. Auf der Rückreise in die Heimat ereilte die Mutter in der Hafenstadt Ostia am 4. Mai 387 der Tod. „Begrabet diesen Leib,“ sprach sie sterbend zu den bekümmerten Söhnen, „wo immer ihr sein möget; die Sorge um ihn darf euch nicht beunruhigen. Aber um eines bitte ich euch, daß ihr, wo immer ihr sein möget, am Altare des Herrn meiner gedenket.“ Nachdem der Leib der Heiligen in Ostia zur Erde bestattet, begab sich Augustinus auf kurze Zeit nach Rom und kehrte dann nach Karthago und auf sein Landgütchen bei Tagaste zurück. Im Jahre 391 zum Priester geweiht, wurde er bereits 395 zum Bischof von Hippo erwählt und verwaltete sein Amt 35 Jahre lang mit beispiellosem Eifer und großartigem Erfolge. Doch mußte er es noch erleben, daß die Vandalen unter Geiserich Afrika verwüsteten und Hippo belagerten. Er starb im dritten Monat dieser Belagerung, am 28. August 430, im 77. Lebensjahre.

Von seinen zahlreichen Schriften, welche sich durch ungewöhnliche Tiefe und Gelehrsamkeit auszeichnen und ihm den Namen des größten Gottesgelehrten aller Zeiten verschafft haben, sind zwei für die Pädagogik besonders wichtig.

1. „Von der katechetischen Unterweisung der Unwissenden in der Religion.“ Durch dieses Buch, welches eine Anleitung für den Diakon Deogratias in Karthago zur Erteilung des ersten Katechumenen-Unterrichts enthält, ist Augustinus der Gründer der katholischen Pädagogik geworden. Die bemerkenswertesten Gedanken aus demselben sind folgende.

[S. 24]

„In der Erziehung muß Liebe mit Furcht und Furcht mit Liebe gepaart sein.“

„Der Erzieher soll sich eine heitere Stimmung zu bewahren suchen, nur ‚einen fröhlichen Geber hat Gott lieb‘.“

„Er soll die Eigenart der Schüler kennen lernen und darauf achten, ob dieselben aufrichtig und gut beanlagt sind.“

„Der Unterricht in der Religion soll sich auf der Bibl. Geschichte aufbauen. Er soll auch auf die Bedürfnisse der Zeit und des Ortes Rücksicht nehmen. Auf allen Stufen muß er ein zusammenhangendes Ganzes bilden.“

„Mit dem bloßen Auswendiglernen soll der Katechet sich nicht begnügen, sondern es soll fleißig erklärt, dann der Begriff gewonnen, die öftere Wiederholung nicht verabsäumt werden.“

Um sich „vom Verständnisse zu überzeugen und Gelegenheit zu gewinnen, das falsch Erfaßte zu berichtigen“, empfiehlt Augustinus nachdrücklich die Frage.

Endlich soll der Katechet alle zweckmäßigen Mittel anwenden, um den Lernenden den Unterricht ebensowohl angenehm als recht nützlich zu machen, damit sie denselben gern und fleißig besuchen.

2. Sehr belehrend und erbauend sind ferner seine „Bekenntnisse“, als Erbauungsbuch in fast sämtliche Sprachen Europas übersetzt. Er gibt darin einen Abriß seines Lebens von seiner Kindheit an bis um d. J. 400, gedenkt hierbei aber nicht bloß der äußeren Ereignisse, sondern schildert insbesondere den Zustand seines Innern, die Kämpfe und Anstrengungen, durch die er bemüht war, sich der Sünde zu entreißen und einem christlichen Leben zuzuwenden.

V. Die Pfarrschulen.

1. Eine für den Katechumenen-Unterricht einflußreiche Änderung war die allmähliche Durchführung der Kindertaufe (nach der Völkerwanderung). Der Religionsunterricht begann jetzt erst nach der Taufe, aber auch gleich nach dem Eintritte der Kinder in die Jahre der Vernunft. Die Seelsorger übernahmen den Unterricht. Das Katechumenat hörte auf, und die Pfarr- oder Parochialschulen traten an dessen Stelle.

[S. 25]

2. Die Form der christlichen Katechesen mußte für Kinder eingerichtet werden. An Stelle des Vortrages trat das Zwiegespräch (Fragen und Antworten). Bei der Auswahl des Stoffes war auf die Fassungskraft der Kleinen Rücksicht zu nehmen. So gestaltete sich die Katechese zu einer Unterweisung von Kindern in den Anfangsgründen der christlichen Lehre, welche in der Form des Zwiegesprächs durch Fragen und Antworten erteilt wird.

Katechismus heißt: Lehrbuch in Form von Frage und Antwort, besonders für den Unterricht in der christl. Religion. Mit katechetischer Methode bezeichnet man die Unterrichtsweise in der Form des Zwiegesprächs.

3. Hauptlehrgegenstände der Pfarrschulen waren: Religion und Biblische Geschichte; vielfach wurde auch Lese-, Gesang- und Rechen-Unterricht damit verbunden.

4. Die Errichtung von Parochialschulen wurde angeordnet durch die Synoden von Orange und Valence (529) und durch das 3. ökumen. Konzil (von Konstantinopel 681). Eine Synode in England bestimmte ausdrücklich: „Die Pfarrer sollen so viele Schüler in ihre Häuser nehmen, als sie können, und wie gute Väter ihren Geist nähren.“

VI. Die Schulen der Benediktiner.

1. Dem Benediktinerorden verdankt das Abendland vom 6.–13. Jahrhundert fast ausschließlich die Segnungen des öffentlichen Unterrichts. Die kleineren Stifte bildeten die Jugend der Umgegend in Elementarkenntnissen, die größeren Klöster waren Sammelplätze der Gelehrsamkeit.

2. Der Stifter des Benediktinerordens ist der heil. Benedikt von Nursia, zugleich Vater des Mönchswesens im Occident. Er gründete seinen weltberühmten Orden 520 zu Subiaco (südlich von Rom), siedelte 529 nach Monte Cassino (nördlich von Neapel) über und gründete hier das eigentliche Stammkloster des Ordens. Er starb daselbst 543.

3. In seiner Ordens-Regel nimmt er vorzugsweise auf die Pflege der Jugend Rücksicht.

Arme so gut als reiche Knaben dürfen vom frühen Alter an durch die Eltern dem Kloster übergeben werden. — Sie sollen im Kloster in strenger Ordnung und draußen unter Aufsicht gehalten [S. 26]werden. — Die Schwächen der Knaben sind zu berücksichtigen, dagegen die Vergehen derselben mit Fasten oder Rutenstreichen zu züchtigen.

4. Nach dem Muster des Stammklosters wurden mit allen Benediktinerklöstern Schulen verbunden. Bei den größeren Klöstern bestanden Doppelschulen, eine äußere und eine innere. Die äußeren Schulen wurden von Knaben besucht, welche sich zu einem weltlichen Berufe vorbereiteten; die innere Schule war für solche, die sich dem Ordensberufe widmen wollten. Beide Schulen aber waren Internate, da die Benediktinerklöster nach der Ordensregel außerhalb der Ortschaften aufgeführt werden mußten.

5. Der Vorsteher des Klosters (Abt) beauftragte einen geeigneten Mönch mit der besonderen Leitung der Schule. Dieser hieß magister scholae, war sehr angesehen und wählte sich aus den übrigen Mönchen seniores (Helfer).

6. Unterrichtsgegenstände waren:

  1. Lesen, Schreiben und Psalmengesang. (Die Unterrichts- und Umgangssprache war die lateinische. Nur die Kleinen durften sich der Muttersprache bedienen.)
  2. Grammatik (lat.), Rhetorik, Dialektik; — Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik.

Die unter b genannten Unterrichtsfächer nennt man zusammen die sieben freien Künste; davon bilden die drei ersten das Trivium und die vier letzten das Quadrivium.

7. Die Zucht wurde mit großer Strenge gehandhabt. Auf Unart, Unfleiß, Unachtsamkeit folgten Fasten und Rutenstreiche, auf schwerere Vergehen Geißelhiebe.

8. Berühmte Benediktinerschulen vor dem Jahre 800 waren:

Monte Cassino in Italien, St. Gallen in der Schweiz, Reichenau auf einer Bodensee-Insel, Fulda in Mitteldeutschland, York in England und Tours in Frankreich.

VII. Die Domschulen.

Die ältesten christlichen Schulen an den Wohnsitzen der Bischöfe sind die Schulen bei den bischöflichen Kirchen oder die Domschulen.

Der Vater der Dom- oder Kathedralschulen ist Chrodegang, von 742–766 Bischof von Metz. Er gab seinen Domgeistlichen eine bestimmte Regel zu einem gemeinschaftlichen Leben und gründete mit [S. 27]ihnen eine Schule, deren nächster Zweck war, junge Priester heranzubilden. Der Leiter der Domschulen hieß Scholasticus und war ein angesehenes Mitglied des Domkapitels. Seine Gehilfen fand er unter den übrigen Domherren. Nach Chrodegangs Vorgang in Metz entstanden Domschulen auch in anderen Bischofsstädten. Die Domschulen sind, wie die Klosterschulen, Lateinschulen gewesen, hatten dieselben Unterrichtsgegenstände, waren aber nicht Internate, sondern Externate.

Zweiter Abschnitt.
Von Karl dem Großen bis zur Reformation.

I. Verdienste Karls des Großen um Erziehung und Unterricht.

Kaiser Karl der Große (768–814) ist der erste weltliche Herrscher, welcher für Erziehung und Unterricht seiner Völker Sorge trug. Sein gewaltiger Geist erfaßte zum erstenmal den Plan einer allgemeinen Volksbildung. Schon durch seine pädagogischen Bestrebungen hat sich der große Kaiser einen unsterblichen Namen und den Dank der Nachwelt gesichert. Karls Verdienste sind:

1. Er sorgte für die Verbreitung des Christentums unter den noch heidnischen Völkerschaften und suchte so das Werk des hl. Bonifacius zu vollenden. Unterstützt wurde er in diesen Bestrebungen durch den Schüler des hl. Bonifacius, Sturmi, welcher den südwestlichen Teil des Sachsenlandes als Arbeitsfeld sich wählte und das Kloster Fulda gründete; sodann durch den hl. Ludgerus, Stifter der Abtei Werden a. d. Ruhr und ersten Bischof von Münster, der im nordwestlichen Teile des Landes segensreich wirkte.

Karl verschmähte bei der Ausbreitung des Christentums und der Kultur auch Gewaltmittel nicht, weshalb Weber in seinem Epos „Dreizehnlinden“ von ihm sagt:

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„Beides schaffte Karl der Franke,
Liebenswertes, Hassenswertes;
Hielt er fest am Kreuz der Kirche,
Fester doch am Kreuz des Schwertes.“
„Der die Leuchte holder Bildung
Trug in unsre finstren Wälder,
Segensreiche Körner streute,
Doch in blutgedüngte Felder.“

2. Die Verkündigung der Heilswahrheiten in den schon christlichen Teilen seines Reiches lag ihm sehr am Herzen.

Er ließ durch Paul Warnefried eine Homiliensammlung veranstalten, befahl, daß die Belehrungen des Volkes in der Muttersprache geschehen sollten, und ließ einen Katechismus in deutscher Sprache (den ersten dieser Art) verfassen. Sein weiteres Verdienst um die deutsche Sprache besteht darin, daß er auch die alten deutschen Volkslieder durch Eginhard aufschreiben und sammeln ließ.

3. Er war ein eifriger Förderer der bestehenden Schulen, namentlich der Klosterschulen der Benediktiner und der Pfarrschulen.

Den Priestern wurde in seinen Kapitularien (Gesetzesbestimmungen) die religiöse Unterweisung der Jugend zur besonderen Pflicht gemacht.

4. Er gründete mit unermüdlichem Eifer neue Schulen:

a) Die Domschulen wurden vermehrt, und die Domgeistlichkeit wurde zur Annahme der Regel Chrodegangs bewogen. So entstanden die Kathedralschulen zu Mainz, Trier, Köln, Münster, Paderborn, Minden u. a. (Vgl. Capitulare v. J. 789.)

b) Die Sängerschulen zu Metz und Soissons waren Neuschöpfungen Karls. Papst Hadrian sandte für diese Schulen zwei bewährte Meister des Gesanges, Petrus und Romanus.

c) Die Hofschule Karls ist als seine Lieblingsschöpfung zu bezeichnen und gestaltete sich zu einer Musterschule für das ganze Reich. Seine eigenen Kinder und die Kinder seiner Beamten erhielten hier Unterricht. Sie hatte den Charakter einer Wanderschule (Paris, Aachen, Ingelheim, Nymwegen); Alkuin war ihr berühmtester Lehrer.

d) Karl gründete auch viele eigentliche Elementarschulen. Er führte für diese schon eine Art Schulzwang ein: die Eltern sollten gehalten sein, ihre Kinder zur Schule zu schicken, säumige Eltern wurden mit Fasten und anderen Züchtigungen bestraft. (Vgl. Capitulare v. J. 806 und Konzil von Mainz v. J. 813.)

[S. 29]

5. Der große Kaiser ging auch selbst mit dem schönsten Beispiele voran. Neben der strengsten Erziehung seiner eigenen Kinder scheute er sich nicht, noch im Mannesalter ein lernbegieriger Schüler zu sein.

Erst spät lernte er das Rechnen und Schreiben; letzteres betrieb er mit solchem Eifer, daß er die Schreibtafel mit sich ins Bett nahm, um bei Schlaflosigkeit sich im Schreiben zu üben. Noch nach seinem 40. Jahre studierte er Grammatik, Rhetorik, Dialektik (das Trivium) und vor allem Astronomie. In der lateinischen Sprache war er so bewandert, daß ihm der Pfingsthymnus ‚Veni, creator‘ zugeschrieben wird. Er besuchte selbst die Schulen und hielt Prüfungen ab. (Vgl. das anmutige Gedicht von Karl v. Gerok „Wie Kaiser Karl Schulvisitation hielt“.)

Hindernisse, welche sich den edlen Bestrebungen Karls entgegensetzten, waren:

1. Seine Ideen kamen zu früh und konnten deshalb kaum dauernde Wurzeln schlagen.

2. Der Bauernstand war zum großen Teil unfrei und erkannte noch nicht den Wert der Geistesbildung.

3. Die Lehr- und Lernmittel waren zu spärlich und kostspielig; es gab nur geschriebene Bücher.

4. Es bestand noch kein eigentlicher Lehrerstand für die Volksschulen; der Unterricht war nur eine Nebenbeschäftigung der Geistlichen.

II. Rhabanus Maurus (775–856).

1. In Fulda, der Gründung des hl. Bonifacius, unterrichtete schon sein Schüler Sturmi junge sächsische Geiseln und bereitete sie zum Christentum vor. Die Schule erlebte aber ihre höchste Blüte unter Rhabanus Maurus, dem „ersten deutschen Schulmanne und Gelehrten“. Er war 775 in Mainz von angesehenen Eltern geboren. Der Vater (Ruothart) war Kriegsmann gewesen, die Mutter (Adelgunde) war eine fromme Frau, welche die Erziehung des vielversprechenden Knaben hauptsächlich leitete. Neun Jahre alt kam er als puer oblatus ins Kloster Fulda. Wie wohl sich Rhabanus im Kloster fühlte, beweisen seine Verse:

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„Zwar aus menschlicher Schwäche nicht stets den Gesetzen gehorsam,
Liebt’ ich mein Zellchen doch stets, freundlicher Raum war es mir.“

Seine wissenschaftlichen Bestrebungen fanden in der ansehnlichen Bibliothek des Klosters reiche Unterstützung. Nachdem er 801 Diakon geworden war, wurde er auf die berühmteste Schule des fränkischen Reichs, nach Tours geschickt. Er weilte nur ein Jahr bei dem großen Meister Alkuin, aber dies genügte, um zwischen beiden die innigste Freundschaft anzubahnen. Alkuin gab dem jungen Freunde den Beinamen Maurus, um anzudeuten, daß ihm Rhabanus das sei, was einst dem hl. Benediktus sein Lieblingsschüler Maurus gewesen.

2. Nach der Rückkehr von Tours (802) übernahm Rhabanus die Leitung der Fuldaer Klosterschule. Er meldete dies dem Freunde in Tours, und dieser schrieb ihm zurück:

„Ermahne die Kleinen, welche um dich sind, zur Keuschheit des Körpers, zum reuigen Bekenntnis ihrer Sünden, zur Ausdauer im Lernen und zum verständigen Umgange. Lehre sie die Unmäßigkeit und die Eitelkeit der Welt fliehen. In ihrer Jugend sollen sie lernen, damit sie im Alter lehren können. Trage Sorge, daß sie an dir ein Muster haben, und ermahne sie in heiligen Worten.“

Rhabanus galt als sehr gewissenhafter Lehrer, der sein unablässiges Streben den Fortschritten seiner Schüler widmete, und als ein vortrefflicher Erzieher, der in hohem Maße die Geschicklichkeit besaß, einen jeden nach seinem Alter und seiner Individualität zu behandeln. Darin aber zeigt sich des Rhabanus echt deutsche Natur, daß er auf die Pflege der Muttersprache besonders Gewicht legte und zu dem Ende ein lateinisch-deutsches Wörterbuch der Bibel verfaßte. Auch schmückte er als Abt durch Bauten und Kunstwerke das Kloster, um den Kunstsinn der Mönche und Schüler zu pflegen und jedem Talente Gelegenheit zur Ausbildung zu geben. Es muß [S. 31]etwas Schönes gewesen sein um das rege geistige Leben in Fulda, um die freudige Arbeitslast, die sich auf den Gesichtern der Lehrenden und Lernenden abspiegelte („Laeti tirones, laetiores magistri, laetissimus rector“). Der Ruf von der Blüte der Schule drang bald in die Ferne und zog viele Schüler herbei. Manche von letzteren, zu tüchtigen Lehrern vorbereitet, trugen Glauben und Wissen weiter an andere Schulen. Unter diesen sind zu nennen Walafried Strabo und Otfried von Weißenburg.

3. Im Jahre 822 zum Abt des Klosters erwählt, wandte Rhabanus sich nicht von der Jugendbildung ab, sondern nahm noch unmittelbar am Unterrichte Anteil und hielt auf gute Zucht und Ordnung. Daher blieb die Schule zu Fulda auch weiterhin die Leuchte für ganz Deutschland. Im Jahre 847 wurde Rhabanus Erzbischof von Mainz. Als solcher hat er 4 große Kirchenversammlungen abgehalten. Auf der ersten (zu Mainz 847) wurde der Beschluß erneuert, daß die deutsche Sprache eine größere Verwendung beim Gottesdienst erhalten solle. Mit besonderem Eifer widmete er sich der Verkündigung des göttlichen Wortes, wobei er das Volk über mancherlei Wissenswertes zu belehren suchte, so sehr war ihm das eigentliche Unterrichten zur zweiten Natur geworden. Er starb am 4. Februar 856 zu Winkel im Rheingau.

III. Schulen des nachkarolingischen Mittelalters.

1. Nach Kaiser Karls großartigem und unvergleichlichem Vorbilde nahm sich auch Herzog Thassilo II. von Bayern der Schulen an. Er bestimmte 774: „Jeder Bischof soll in seiner Vaterstadt eine Schule errichten.“

2. Papst Eugen II. empfahl 826 allen Bischöfen, „Lehrer zu bestellen, die im Lesen, in den freien Künsten und in den Heilslehren fleißig Unterricht erteilen sollen“.

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3. Das 11. ökumenische Konzil (im Lateran) unter Papst Alexander III. (1179) verordnete: „An jeder Domschule soll dem Lehrer ... ein hinreichendes Einkommen ausgeworfen werden.“ „Auch an anderen Kirchen soll das Erforderliche hierfür geschehen.“ „Die Erlaubnis zu lehren darf keinem Tüchtigen versagt werden.“

4. Die Hofschule Karls d. Gr. bestand weiter und blühte besonders zur Zeit Karls des Kahlen unter dem tüchtigen Lehrer Scotus Erigena. Im 10. Jahrhundert wirkten der Erzkaplan Bruno (Bruder des Kaisers Otto I.) und von 999–1003 der gelehrte Mönch Gerbert (der spätere Papst Silvester II.) ausgezeichnet als Leiter der Hofschule.

5. Einzelne Domschulen taten sich besonders hervor. Die Domschule von Hildesheim hatte die Ehre, den Kaiser Heinrich II. und den berühmten Bischof Meinwerk von Paderborn zu ihren Schülern zu zählen. Der berühmte hl. Anno (Erzbischof von Köln) und der Bischof Imad sind Schüler der Paderborner Domschule (unter Meinwerk). Neue Domschulen entstanden in Magdeburg, Merseburg, Meißen.

6. Die sog. regulierten Chorherren gründeten nach Chrodegangs Plane Stiftsschulen an ihren Kollegiatkirchen. Die Augustiner- und Norbertiner-Mönche machten sich den Jugendunterricht zur Hauptaufgabe. Den Augustinermönch Hugo von St. Viktor nannten seine Zeitgenossen wegen seiner eminenten Lehrtätigkeit den „zweiten Augustinus“.

7. Die Benediktinerschulen wirkten segensreich weiter und wurden durch neue Stiftungen vermehrt. Corvey an der Weser, Stiftung Ludwigs des Frommen (814–840), erhielt für Norddeutschland hohe Bedeutung. Kaiser- und Königssöhne wurden hier ausgebildet. Die Apostel des Nordens, Ansgar für Schweden und Adalbert für Rußland, gingen aus der Klosterschule von Corvey hervor. Die Genossenschaften der Cluniacenser und Cistercienser erwuchsen aus dem Stamme der Benediktiner und setzten das große Werk des hl. Benedikt fort.

8. Die Bettelorden der Franziskaner (gestiftet 1209) und der Dominikaner (1215) waren stiftungsmäßig zur religiösen Unterweisung der ärmeren Volksklassen verpflichtet. Sie errichteten bei ihren Klöstern Schulen, welche Externate waren.

Aus diesen Schulen entstanden später mehrfach Gymnasien, z. B. in Rheine, Warendorf, Recklinghausen, Brilon.

[S. 33]

Die Franziskaner wirkten außerdem noch als Lehrer in Stadt- und Landschulen und unterwiesen sogar in Privathäusern die Jugend im Katechismus, Lesen und Schreiben.

9. Die Genossenschaft der Brüder des gemeinsamen Lebens (auch Hieronymianer, Fraterherren oder Schulbrüder genannt) nahm sich in den letzten beiden Jahrhunderten des Mittelalters des Jugendunterrichts an und wirkte besonders in den Niederlanden und in Norddeutschland.

Sie erteilten nicht allein höheren, sondern auch niederen Unterricht, namentlich in der Religion, Muttersprache und im Rechnen. Ihre Schulen, die sehr zahlreich besucht wurden, gründeten sie neben ihren Fraterhäusern. Die Mitglieder dieser Genossenschaft, Geistliche und Laien, lebten als Brüder in freier Vereinigung, „nur durch guten Willen verpflichtet“, zusammen. Ihr Stifter war Geert Grote, dessen Gehilfe und Nachfolger Florentius Radewin. Der bekannteste Fraterherr ist der gottsel. Thomas von Kempen, † 1471, dessen „Nachfolge Christi“ nächst der Hl. Schrift das verbreitetste Buch ist. Sein berühmter Schüler war Alexander von Heek (Alexander Hegius) † 1498, der wiederum den gelehrten Erasmus von Rotterdam zu seinen Schülern zählte.

Die Fraterherren sind die ersten Elementarlehrer, und Geert Grote ist der Vater der Elementarschule.

Stadtschulen.

1. Infolge der Kreuzzüge entwickelte sich das Bürgertum. Von den Magistraten wohlhabender Städte wurden lateinische Stadtschulen (nach dem Muster der Domschulen) gegründet. Solche Schulen bestanden in Lübeck, Hamburg, Breslau, Leipzig, Nordhausen u. a. Städten.

2. Papst Alexander III. stand diesen Schulen freundlich gegenüber und erlaubte Mönchen und Weltgeistlichen, darin als Lehrer zu wirken. Die geistlichen Lehrer nahmen sich vielfach weltliche Gehilfen, welche die Lernanfänger im Lesen und Schreiben unterrichteten.

Der (meistens geistliche) Schulvorsteher oder Rektor hieß auch Oberschulmeister oder Magister, die Gehilfen wurden Kindermeister genannt.

3. Nur den Rektor stellte die städtische Behörde an, die Gehilfen oder Schulgesellen konnten dann von dem Schulvorsteher beliebig angeworben und entlassen werden.

[S. 34]

4. Die nicht fest angestellten Unterlehrer (Schulgesellen oder Kindermeister) veränderten sich gern und oft und suchten als sog. „fahrende Schulgesellen“ in den städtischen Schulen Arbeit.

5. Angesteckt von dem Wanderleben des Lehrpersonals zeigten sich auch bald „fahrende Schüler“ in Menge. Ganze Schwärme von Schülern zogen von Stadt zu Stadt, von Schule zu Schule und blieben dort längere Zeit, wo es ihnen gefiel. Die Führer (größere Schüler), welche „einem Trunke gar nicht abhold“ waren, nannte man „Bacchanten“, die kleineren — „Schützen“. Die Schützen mußten für ihre Bacchanten den Unterhalt erbetteln oder stehlen. Dieses Schülerunwesen erhielt sich bis ins 16. Jahrhundert.

Thomas Platter, geb. 1499, später Schulrektor in Basel, liefert in seiner Selbstbiographie eine anschauliche Schilderung des Lebens und Treibens der „fahrenden Schüler“.

„In Dresden war gar keine gute Schule und in unseren Schlafkammern alles voll von L..., daß wir sie nachts im Stroh unter uns knistern hörten; sie waren so groß wie reifer Hanfsamen. Im Sommer blieben wir nachts auf dem Kirchhof, trugen Gras zusammen und lagen darin wie Säue auf der Streu. Zuweilen gingen wir in die Bierhäuser; da gaben uns die trunkenen Polackenbauern so viel Bier, daß wir nicht wieder zur Schule kommen konnten.“ „Manchmal hetzte man die Hunde auf uns.“ „Die Stadt Breslau hatte sieben Pfarren und jegliche eine besondere Schule.“ „In Breslau sind etliche tausend Bacchanten und Schützen auf einmal gewesen, die sich alle von Almosen ernährten.“ „In der Schule zu St. Elisabeth (Breslau) hatte niemand gedruckte Bücher.“

Nach fünf Jahren kam Platter nach Hause; er konnte gut betteln, aber nicht lesen.

6. Auch deutsche Schulen gab es gegen Ende des Mittelalters in den Städten. Unterrichtsgegenstände: Religion, Deutsch (Lesen und Schreiben), Rechnen und Gesang. Die deutschen Schulen waren die städtischen Elementarschulen des Mittelalters. Während man die Lateinschulen schlechthin „Schule“ hieß, führten die Deutschschulen den Namen „Schreibschule“.

7. Mädchenschulen lassen sich in den Städten nur ganz vereinzelt nachweisen. Der Mädchenunterricht blieb mehr Privatsache und beschränkte sich auf die Unterweisung in der Religion. Dagegen gab es in Nonnenklöstern Frauen, welche Latein sprachen und schrieben.

[S. 35]

8. Der größte Teil der Einwohner deutscher Städte im Mittelalter lernte lesen, schreiben und rechnen. Der Handwerkerstand namentlich zeichnete sich durch gute Schulbildung aus, während manche adligen und fürstlichen Personen unwissend blieben.

Landschulen.

1. Auf dem Lande waren im Mittelalter und kurz nach demselben nur wenige Schulen zu finden. Tagelöhner, Handwerker oder ein Geistlicher erteilten hier und da Elementarunterricht, der aber sehr spärlich ausfiel. In der Religion besorgte der Pfarrgeistliche die Unterweisung.

2. An Orten, wo der Schuldienst mit dem Küsteramte dauernd verbunden wurde, kam es zur Einrichtung von Küsterschulen. Solche Schulen hatte Westfalen schon in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, z. B. in Bigge, Kreis Brilon.

Erzbischof Engelbert II. von Köln bestätigte 1270 die „Satzungen für den Küster und Schulmeister zu Bigge“.

Hiernach war der Küster gehalten, „die Kirchspielsjugend im Schreiben und Lesen des Sommers morgens von 7, des Winters von 8–10 Uhr, nachmittags des Sommers von 1–3 oder 4 Uhr, des Winters bis 3 Uhr zu unterrichten“.

„Die Kirchspielseingesessenen sollen bei Strafe von 15 Mark verbunden sein, die Kinder zur Schule zu schicken.“ (Schulzwang!)

Der „jedesmalige Schulmeister“ mußte „monatlich dem Pastor schriftlichen Bericht“ über das Betragen und die Leistungen der Schüler vorlegen. (Schulaufsicht!)

IV. Pädagogische Schriftsteller.

1. Vincenz von Beauvais († 1264).

1. Dieser große Gelehrte des 13. Jahrhunderts war Dominikanermönch zu Beauvais (nördlich von Paris). Er übernahm die Erziehung der Kinder des Königs Ludwig des Heiligen von Frankreich.

2. Auf Veranlassung der Königin Margarete verfaßte er eine pädagogische Schrift unter dem Titel: „Über die Unterweisung der Kinder aus königlichen Familien“. Diese Schrift ist keine systematische Abhandlung über Erziehung und Unterricht, sondern eine Zusammenstellung des Besten und Trefflichsten, das bis zu seiner Zeit [S. 36]über Erziehung und Unterricht von heidnischen und christlichen Schriftstellern gesagt worden war. 2000 ältere Schriften sind benutzt. Die 41 ersten Kapitel handeln von der Erziehung der Knaben, die 10 letzten von der Erziehung der Mädchen. Die Hauptgedanken der Schrift sind, daß der Erzieher selbst heilig sein müsse, um andere erziehen zu können, und daß Unterricht und Wissen ohne Erziehung und Bildung des Willens von zweifelhaftem Werte sind.

3. Stellen aus dem Buche:

„Zur guten Verwaltung des Lehramtes gehört klarer Verstand, Demut, Lehrgabe.“

„Bei aller Arbeit in der Wissenschaft darf auch die Sorge für den Leib nicht vergessen werden.“

„Zweck der Zucht ist Abgewöhnung vom Bösen und Gewöhnung zum Guten.“

„Die Strafe kann in Tadel, Drohung und körperlicher Züchtigung bestehen.“

„Überall aber muß die Strafe nur aus Liebe und mit Liebe angewendet werden.“

2. Johannes Gerson (1363–1429).

1. Der geistliche Professor und Kanzler der Universität Paris Johannes Gerson war Mitglied des 16. ökumen. Konzils (zu Konstanz, 1414) und unterrichtete später zu Lyon die Kinder und Kleinen in der Religion. Er starb dort in der Mitte seiner Zöglinge.

2. Gerson verfaßte eine Schrift „Über die Pflicht, die Kinder Christo zuzuführen“. Er schrieb außerdem noch für die Kinder über die zehn Gebote und das Beichten.

3. Von dem Eifer und der großen Seelenkenntnis Gersons zeugen folgende Stellen:

Christus verglich sich im Sammeln der Seelen mit einer Henne, welcher, wie Augustinus sagt, kein Tier in der bekümmerten Teilnahme für seine Jungen gleicht.“

„Die Kleinen werden zu Christus geführt durch Kanzelvortrag, private Belehrung, Schulunterricht und die Beichte.“

„Ich halte die Beichte für die wirksamste Leiterin zu Christus.“

[S. 37]

„Niemals werde ich nach Dingen forschen, die zu verschweigen sind.“

„Kommet mit Vertrauen! Ich werde euch lehren, und ihr werdet für mich beten.“

3. Mapheus Vegius (1407–1458).

1. Der Sekretär der päpstlichen Breven Mapheus Vegius war auf pädagogischem Gebiete nur theoretisch tätig. Er starb zu Rom.

2. Eine besondere Verehrung zu der hl. Monika, deren Gebeine er von Ostia nach Rom bringen und in der Augustinuskirche beisetzen ließ, veranlaßte ihn zur Abfassung der ausgezeichneten Schrift: „Über die Erziehung der Kinder und die Veredlung ihrer Sitten.“

3. Die Schrift zerfällt in 6 Bücher und ist eine vollständige Pädagogik. Dem Charakter des Mittelalters gemäß hat die erziehliche Seite mit Recht über die didaktische das Übergewicht. Vegius hebt (wie früher Quintilian) hervor, daß selbst für die Elemente des Wissens tüchtige Lehrer notwendig sind, weil nur solche es verstehen, leichtfaßlich und klar zu unterweisen und einen sicheren Grund zu legen. Die bemerkenswertesten Stellen aus dieser Schrift sind folgende:

„Die Kinder sollen vom 7. Jahre an, wie dies die Alten schon angeordnet, den Unterricht eines Lehrers genießen.“ „Wie das weiche Wachs die Spuren des Siegels festhält, so ist auch das zarte Alter für die Aufnahme äußerer Eindrücke geeigneter als jedes andere.“

„Die Knaben sollen in öffentlichen Unterrichtslokalen, nicht aber zu Hause ihren Unterricht erhalten, weil dann der eine durch den anderen angefeuert wird.“

„Vor dem häufigen Wechsel der Lehrer und des Unterrichts möge man sich hüten.“

„Die Lehrer sollen die Schüler als ihre eigenen Kinder behandeln.“

„Dieselbe Regel, welche man bei körperlicher Nahrung anwendet, ist auch bei Mitteilung von Kenntnissen zu beobachten.“

„Die Lehrer mögen ihr sorgfältiges Augenmerk auf das Wesen der einzelnen richten.“ (Individualität.)

„Die Lehrer müssen sich hüten, daß sie nicht übermäßig in Zorn geraten, denn dem Lehrer wird Grausamkeit als Verbrechen angerechnet.“

3. Viktorin von Feltre (1378–1446).

1. Ein praktischer Schulmann des Mittelalters war Viktorin von Feltre, der stets ein vollgültiges Muster für Lehrer bleiben wird. [S. 38]Als Sohn ganz armer Eltern hatte er mit Not und Entbehrungen zu kämpfen, studierte mit glänzendem Erfolge zu Padua und wurde Universitätsprofessor daselbst.

2. Er gründete zugleich in Padua ein Pädagogium für brave Schüler ohne Unterschied des Standes. Diese Erziehungsanstalt verlegte er später nach Venedig, dann nach Mantua (70 Zöglinge). Hier unterrichtete er auch die Kinder des Herzogs Joh. Franz Gonzaga. Befragt, welche Besoldung er wünsche, antwortete er: „Töricht fürwahr wäre es in diesem Augenblicke, an etwas zu denken, was ich von meinen Kinderjahren an gering geschätzt habe. Ich bin gekommen, Tugend zu begründen, nicht, um Geld zu markten.“

3. Viktorin war Laie und nie verheiratet, ein Muster der Frömmigkeit. Er bereitete sich auf jede Lehrstunde gewissenhaft vor und ruhte nicht eher, bis auch die schwächsten Schüler seinen Vortrag gefaßt hatten. Den Unterricht erteilte er stets anschaulich mit freundlicher Herablassung. Er gab den Kindern Buchstaben aus Pappe, damit sie dieselben spielend kennen lernten. Im Gegensatz zu der allgemeinen Praxis des Mittelalters verwarf Viktorin alle körperliche Züchtigung und das Strafknieen in der Schule. Bei der Erziehung legte er großen Wert auf körperliche Abhärtung, Gymnastik und Spiele. „Von körperlicher Behendigkeit,“ sagte er, „kann man meist auf einen durchdringenden Geist schließen. Die Wärme, die man der Bewegung verdankt, ist die angenehmste, gesundeste und dauerhafteste, weil sie gleichmäßig über alle Teile des Körpers sich verbreitet. Am Feuer werden nur einige derselben und diese dann zu stark erwärmt; daraus entstehen Augenübel, Husten, Schnupfen und vor allem wird die Trägheit, die große Feindin jedes edleren Beginnens, in hohem Grade genährt. Durch Leibesübungen hingegen wird der Geist erheitert, die Gesundheit befestigt, die Verdauung erleichtert.“ Als man ihm liebevolle Vorwürfe darüber machte, daß er seine Enthaltsamkeit zu weit treibe und sich das Leben verkürze, erwiderte er: „Glaubt mir, weniges wird zur Erhaltung des Lebens erfordert, alles übrige dient zur Befriedigung der Lüsternheit, und dann hat man einen Schlund zu füllen, dem auch das viele nur wenig ist.“ Bemerkenswert ist auch sein Ausspruch: „In der Liebe zu den Schülern allein liegt die Würde, die Freude und das Göttliche der Lehrerwirksamkeit.

[S. 39]

Dritter Abschnitt.
Von der Reformation bis auf Rousseau.

Vorbemerkung.

1. Die Reformation übte auf die Erziehung zunächst einen nachteiligen Einfluß.

a) Wo sie Eingang fand, gingen die bestehenden Schulen meistens zugrunde. Kloster-, Dom- und städtische Schulen lösten sich auf.

b) Es trat eine arge Verwilderung und Sittenlosigkeit ein. Krasser Unglaube und schamlose Frivolität erhoben ihr Haupt. Durch die Religionsstreitigkeiten waren Erbitterung und Gehässigkeit unvermeidlich geworden. Widerliches Gezänk entzweite vielfach Lehrer und Schüler. Luther selbst nahm diesen heillosen Zustand wahr, schrieb „an die Ratsherren“ und rief den obrigkeitlichen Zwang an (1530).

2. Dagegen liegen in der Reformation auch wirksame Förderungsmomente für Schule und Unterricht.

a) Die Bibelübersetzung Luthers trug nicht wenig zur Verbreitung des Hochdeutschen und zur Anbahnung einer einheitlichen Unterrichts- und Schriftsprache in Deutschland bei.

b) Die evangel. Kirchenordnungen berücksichtigen auch die Schule. Insbesondere wurden tüchtige Männer angeregt, ihre Kräfte ganz der Schule zu widmen.

I. Das Konzil von Trient.

1. Seit dem Ausbruche der Reformation wurde leider ein guter Teil geistiger Kraft dem Jugendunterrichte entzogen und in den heftigen Religionsstreitigkeiten verbraucht. Bauernkriege, Wiedertäuferunruhen und der Dreißigjährige Krieg verwüsteten Deutschland. Das große, weltberühmte Konzil von Trient (1545–1563) nahm sich warm der Erziehung und des Unterrichts an.

2. Das Konzil von Trient verordnete:

  1. Die Geistlichen sollen der Jugend und den Erwachsenen die Heilswahrheiten in der Muttersprache verkündigen;
  2. [S. 40]die Domkapitel sollen für die Domschulen sorgen und die Armen darin unentgeltlich unterrichtet werden;
  3. die Bischöfe sollen Seminarien und Seminarschulen einrichten zur Vorbereitung auf den geistlichen Stand (Ausbildung junger Geistlichen);
  4. zur Instruktion für die Pfarrer sollte ein Katechismus verfaßt werden. Es ist dieses der „Catechismus Romanus“, welcher auf Befehl des Papstes Pius V. (1566) herausgegeben wurde.

3. Diese Verordnungen des Konzils brachten reichliche Früchte. Neue Schulorden entstanden, und hervorragende Männer wandten ihre besondere Aufmerksamkeit der Hebung des Schulwesens zu.

II. Einzelne katholische Schulmänner.

1. Ludwig Vives (1492–1540).

1. Leben. Johann Ludwig Vives wurde am 6. März 1492 zu Valencia als Kind adeliger aber unbemittelter Eltern geboren und empfing seine gelehrte Bildung auf der hohen Schule seiner Vaterstadt und an der Universität zu Paris. Nachdem er vorübergehend in Brügge sich aufgehalten, wurde er 1516 Erzieher des späteren Kardinals Wilhelm de Croy zu Löwen. Hier hielt er Vorlesungen an der Universität und trat in freundschaftlichen Verkehr mit Erasmus von Rotterdam. Wie dieser verhielt er sich gegen die Reformation Luthers ablehnend, eiferte aber mit großem Freimut gegen alle vorhandenen Gebrechen und Mißstände innerhalb der katholischen Kirche. Von Erasmus veranlaßt gab er die Schrift des hl. Augustinus ‚de civitate dei‘ neu heraus und widmete diese Ausgabe dem Könige von England, Heinrich VIII. Infolgedessen wurde er nach England berufen und zum Professor der Universität Oxford ernannt, wo er zugleich der königlichen Prinzessin und [S. 41]Thronerbin Maria Unterricht erteilte. Als er aber in dem Ehestreite Heinrichs VIII. offen auf die Seite der Königin Katharina trat, mußte er England verlassen und kehrte nach Brügge zurück. Von hier rief ihn der Herzog von Nassau auf Veranlassung seiner Gemahlin Mencia da Mendoza an seinen Hof nach Breda. Nach dem Tode des Herzogs 1539 kehrte Vives nach Brügge zurück und starb daselbst schon im nächsten Jahre, 6. Mai 1540.

2. Schriften. Von seinen Schriften sind zu merken:

a) „Über die Unterstützung der Armen.“ Diese Schrift ist historisch merkwürdig als die erste durchdachte und mit völliger Klarheit hingestellte Theorie einer allgemeinen bürgerlichen Armenpflege. Zu den Aufgaben der letzteren rechnet er ganz besonders auch die Unterweisung der Kinder der Armen im Lesen und Schreiben wie in den Anfangsgründen des christlichen Glaubens.

b) „Über die Wissenschaften.“ Der zweite Teil dieser Schrift handelt von dem Unterrichte in den Wissenschaften oder vom christlichen Unterrichte.

c) „Über die Erziehung der christlichen Frau.“ Das Buch ist der Königin Katharina von England gewidmet.

3. Pädagogik. Vives gründete seine Pädagogik auf die empirische Psychologie, deren Vater er mit Recht genannt wird. Im einzelnen stellt er folgende Forderungen auf:

1. Von der Anschauung muß aller Unterricht ausgehen.

„Die ersten Lehrer der Menschen sind die Sinne.“ „Der Weg, den der menschliche Geist zur Gewinnung der Erkenntnis einschlägt, ist der der Induktion.“ Vives tritt damit in Gegensatz zu dem bloßen Spielen mit Worten und Begriffen, das im späteren Mittelalter eingerissen war.

2. Die Muttersprache muß sorgfältig gepflegt werden.

In der Muttersprache müssen die Knaben zunächst Gewandtheit erlangen, in ihr muß auch zuerst die Erklärung der Schriftsteller geschehen.[S. 42] Aufgabe des Gelehrten aber ist es, den gesamten Sprachschatz der Muttersprache zu verwalten, insbesondere auch die älteren, außer Gebrauch gekommenen Formen derselben zu kennen. Doch ist ohne Sachkenntnis auch die beste Sprachkenntnis ein eitel unnütz Ding.

3. Nachdrücklich betont er das Studium der Realien:

α) Die Geschichte ist die beste Lehrerin der Lebensklugheit. Kriege und Schlachten sind nicht genau durchzugehen, viel nützlicher ist es, mit den Werten des Friedens sich zu beschäftigen, zu erzählen, was er an herrlichen, weisen Handlungen gab, was für schändliche Verbrechen geübt sind, wie der Ausgang guter und schlechter Menschen gewesen ist, wie traurig die sind, die Schlechtes tun, wie fröhlich, die Gutes geleistet. (Kulturgeschichte.)

β) Mit dem Studium der Geschichte soll sich das der Geographie verbinden.

γ) Bei den Naturwissenschaften bedarf es vor allem der Beobachtung. Man muß die Dinge bei Regen und Sonnenschein, auf den Bergen, den Äckern, im Walde beobachten; man frage auch die Bewohner einer Gegend um Auskunft, z. B. Gärtner, Landbauer, Hirten, Jäger. Solche Forschungen werden großen Nutzen bringen für den Ackerbau, für den Anbau nützlicher Früchte und für die bei Krankheiten anzuwendenden Heilmittel. Wir lernen ja die Wissenschaften und Künste nicht ihrer selbst wegen, sondern für uns.

4. Die Religion ist aller anderen Lehren Richtschnur.

Alle anderen Wissenschaften sollen hauptsächlich aus dem Gesichtspunkte beurteilt werden, wie sie nach ihrem Stoffe und nach dem Erfolge des Lernens mit der Religion übereinstimmen.

5. Die Gesundheit darf nicht vernachlässigt werden.

Vives legt großen Wert auf körperliche Übungen der Schüler, auf hinreichende Erholungszeit und kräftige Ernährung. Für Leibesübungen und Spiele müssen gedeckte Hallen hergestellt werden.

6. Auf die Erziehung der Mädchen ist besonders Gewicht zu legen.

Den Mädchen ist eine Bildung und Erziehung zu geben, die ihrer Natur speziell angemessen ist. Dieselben sollen vor allem zur Sittlichkeit und zu wahrer Religiosität herangebildet werden. Dann sollen sie auch alles lernen, wodurch sie sich befähigen zu ihrem Berufe als Gattin, [S. 43]Mutter und Hausfrau, und deswegen die Kochkunst, die häuslichen und Handarbeiten sorgfältig erlernen.

Vives ist ein bahnbrechender Geist ersten Ranges und der Begründer der neueren Pädagogik. In ihm waren humanistische Bildung und glühende Frömmigkeit in harmonischer Weise vereinigt. Seine Schriften haben auf Baco, Ratke und Comenius den größten Einfluß ausgeübt und sind in allen folgenden pädagogischen Systemen ausgenutzt worden. Wir finden bei ihm fast sämtliche, später geltend gewordene Prinzipien der neueren Pädagogik. Er fordert bei Erziehung und Unterricht ein Verfahren, das sich auf die Seelenlehre gründet; er betont die induktive Methode, die Berücksichtigung der natürlichen Anlagen des Schülers, die Pflege der Muttersprache, das Ausgehen von sinnlichen Wahrnehmungen, die Beobachtung und Erfahrung in den Naturwissenschaften, die Pflege der Leibesübungen und Spiele. Geradezu überraschend sind seine trefflichen Ansichten über den Geschichtsunterricht und über die Ausbildung des weiblichen Geschlechtes nach dessen Natur und Bestimmung. (Volkmer.)

2. Der sel. Petrus Canisius (1521–1597).

Canisius war geboren am 8. Mai 1521 zu Nymwegen und starb am 21. Dezember 1597 zu Freiburg in der Schweiz. Der angesehenen Familie de Hondt entstammend, erhielt er zu Hause eine sorgfältige humanistische Bildung, bezog mit 14 Jahren die Universität Cöln, wo er, 19 Jahre alt, zum Magister der Philosophie promovierte. Unter der Leitung des frommen Professors Nikolaus von Esche widmete er sich einem ernsten inneren Leben. Als Ostern 1543 der Jesuit Peter Faber nach Deutschland kam, suchte er diesen auf, machte unter seiner Leitung die geistlichen Übungen des hl. Ignatius und trat am 8. Mai 1543 in den Jesuitenorden [S. 44](als erstes deutsches Mitglied) ein. Er verblieb zunächst in Cöln als Professor der Exegese und erwarb sich durch seine Predigten den Ruf eines ausgezeichneten Kanzelredners. Bald darauf wurde er von dem Cölner Klerus an Kaiser Karl V. abgeschickt, um nachdrückliche Maßregeln gegen den apostasierten Erzbischof Hermann von Wied zu erwirken. Dann nahm er an den Verhandlungen des Konzils von Trient tätigen Anteil. Von Trient berief ihn der hl. Ignatius nach Rom. Nachdem er hier fünf Monate unter der aszetischen Leitung des Ordensstifters gestanden, wurde ihm von diesem Deutschland als künftiges Arbeitsfeld überwiesen.

Er gründete eine große Studienanstalt zu Wien, wo er 1552–1556 verweilte und als Hofprediger das kaum noch glimmende religiöse Leben zu neuer Kraft entfachte. Auf Wunsch des Königs Ferdinand verfaßte er dort seinen berühmten Katechismus, der unter dem Titel erschien: „Summa doctrinae christianae“ (ohne Jahr). (Eine vermehrte und verbesserte Ausgabe desselben veröffentlichte Canisius 1567.) Einen Auszug aus diesem Katechismus verfaßte Canisius selbst i. J. 1561 unter dem Titel: Parvus catechismus catholicorum. Von beiden Ausgaben erschienen bald Übersetzungen ins Deutsche, Italienische, Französische, Spanische, Englische, sodann ins Polnische, Griechische, Äthiopische, Indische und Japanische. Zwei Jahrhunderte hindurch hat der Katechismus des Canisius dem Unterrichte in Schulen und Kirchen gedient und allen folgenden Katechismusbearbeitungen zugrunde gelegen.

Außer dem großen Kollegium in Wien errichtete Canisius noch Studienanstalten in Ingolstadt, Innsbruck, Augsburg, Dillingen und Würzburg und war eine Zeitlang Provinzial der oberdeutschen Ordensprovinz, zu [S. 45]der diese Anstalten gehörten. 1580 begab er sich nach Freiburg (Schweiz), gründete auch hier ein Kollegium und übernahm die Kanzel der Hauptkirche daselbst. Vom Alter gebrochen mußte er 1588 seine öffentliche Tätigkeit einstellen. Schwere Leiden fesselten ihn bald an seine Klosterzelle, wo er 1597 am Feste des hl. Thomas sein tatenreiches Leben beschloß. Sein Grab befindet sich in einer Seitenkapelle der Kollegiatkirche in Freiburg.

Als man seinen Tod im Kollegium zu Luzern bei Tisch mitteilte, wurde sein Bruder Theodorich, der auch Jesuit war und sich zur Erholung gerade in Luzern aufhielt, vom Schlage getroffen, der ihn der Sprache und des Gedächtnisses beraubte. Mehr als 7 Jahre verlebte er in diesem traurigen Zustande, bis ihn der Tod i. J. 1605 von seinem Leiden erlöste.

Canisius verfolgte in seinem Leben wie in seinen Schriften vorwiegend praktische Zwecke: religiöse Belehrung des Volkes, Hebung des Unterrichts überhaupt, Belebung und Betätigung des religiösen Lebens im weitesten Umfange. Weit wichtiger als die Polemik gegen die protestantische Lehre erschien ihm die positive Belehrung und Stärkung des religiösen Lebens bei den Katholiken selbst. Dieses Moment zieht sich durch alle seine Schriften hindurch. In letzteren zeigt er nicht bloß die innigste Vertrautheit mit der Hl. Schrift und eine ausgebreitete Kenntnis der Werke der Kirchenväter, sondern auch eine große Belesenheit in den Werken der protestantischen Theologen und durchweg die Frömmigkeit, Entschiedenheit und Milde eines echt apostolischen Mannes. Er wird in der Geschichte mit Recht als der „zweite Apostel Deutschlands“ gefeiert.

Nicht unerwähnt darf bleiben, daß er die Erziehungsbriefe des hl. Hieronymus neu herausgegeben und so zu ihrer Verbreitung sehr viel beigetragen hat.

[S. 46]

3. Der hl. Karl Borromäus (1538–1584).

1. Der Kardinal und Erzbischof von Mailand, Karl Borromäus, war eine Heldengröße als Bischof und Schulmann. Schon seine heroischen Taten während der Pest zu Mailand haben seinen Namen unsterblich gemacht. Vorzügliches wirkte und erstrebte er auch auf dem Gebiete des niederen und höheren Unterrichts.

2. Ein Sprosse des berühmten Geschlechts der Borromäer in Oberitalien, reich begabt und ausgezeichnet durch Fleiß und Frömmigkeit, wandte er sich anfangs der juristischen Laufbahn, später aber dem geistlichen Stande zu. Mit 22 Jahren wurde er Erzbischof. Nach 24jähriger, ungemein emsiger und erfolgreicher Wirksamkeit raffte ihn, mit 46 Jahren, leider der Tod hinweg.

3. Gleich auf der ersten Provinzialsynode befahl der Erzbischof allen Pfarrern, den Kindern ihrer Pfarreien Religionsunterricht zu erteilen. Er selbst ging in die Kirchen und hörte dem Unterrichte zu. Besonders tüchtige Katecheten schickte er in kleinere Städte und aufs Land.

4. Nach der zweiten Provinzialsynode veröffentlichte er die „Satzungen und Regeln der Gesellschaft der Schulen christlicher Lehre“. Er hatte nämlich den großartigen Plan gefaßt, das gesamte Schulwesen durch die Verwendung aller tauglichen Lehrkräfte (Kleriker und Laien, Ledige und Verheiratete) unter geistlicher Leitung handhaben zu lassen. Diese Lehrkörperschaft nannte er „Genossenschaft der Schulen der christlichen Lehre“.

5. Zweckmäßig und genau wurde der ganze Organismus geregelt. In den „Satzungen“ werden General- und Unterschulmeister, Prüfungskommissionen und Visitatoren eingesetzt, Konferenzen und Schulstrafen vorgeschrieben, untere Schulen, Stadtschulen, Bürgerschulen, Mittelschulen, Volksbibliotheken⁠[1] usw. angeordnet. Der Unterhalt der Lehrer wurde sichergestellt. Karl gab einen großen Teil seines Einkommens als Beisteuer.

4. Fénelon (1651–1715).

1. Bischof Fénelon wurde auf dem Schlosse Lamothe Fénelon (Dordogne) geboren und widmete sich dem geistlichen Stande. Als Almosenier eines Damenvereins in Paris erteilte er zehn Jahre lang Mädchenunterricht. [S. 47]Sein eminentes pädagogisches Geschick führte zu seiner Berufung an den königlichen Hof. Hier wirkte er acht Jahre als Erzieher der königlichen Prinzen. Seine besondere Aufmerksamkeit wandte er dem begabten, aber leidenschaftlichen Enkel Ludwigs XIV., dem Herzoge von Burgund zu, der die Königswürde erben sollte. Es gelang ihm, diesen Prinzen vollständig umzuwandeln. Fénelon fiel jedoch in Ungnade und mußte sich nach Cambray (spr. Kañbräh) zurückziehen. Er wurde dort Erzbischof und lebte treu seinen Hirtenpflichten. Sein Zögling, der Herzog von Burgund, wurde seitens Ludwigs XIV. zum Mitregenten angenommen, fand aber schon früh einen jähen Tod. Damit war Fénelons schönste Lebenshoffnung vernichtet. Der Herr rief ihn bald in eine bessere Welt.

2. Fénelon war ein musterhafter Erzieher. Hatte der Prinz z. B. sich durch Leidenschaftlichkeit hinreißen lassen, so überschüttete er ihn nicht sofort mit Vorwürfen, sondern beobachtete anfangs ein trauriges Schweigen. Erst später traten ernste Vorstellungen hinzu. Fénelon befestigte in seinem Zöglinge die Überzeugung, daß auch der Regent ein Untertan Gottes sei und strenge Rechenschaft zu geben habe.

3. Als pädagogischer Schriftsteller trat Fénelon auf in den beiden Schriften: „Die Erlebnisse des Telemach“ und „Über die Erziehung der Mädchen“.

a. Der „Telemach“, eine der frühesten Jugendschriften und noch gegenwärtig ein beliebtes Lesebuch für Anfänger im Französischen, ist ein unübertroffener Fürstenspiegel und enthält die Pflichten der Könige und die Rechte der Völker.

b. Das zweite Werk ist klein, aber wichtig und wird noch heute gern gelesen. Bemerkenswerte Gedanken aus demselben sind:

„Die Neugierde der Kinder ist ein Naturtrieb, der dem Unterrichte gleichsam den Weg bahnt.“

„Glaubet nicht, daß eure Fehler vor den Augen der Kinder verborgen bleiben.“

„Was auch eine Mutter ihrer Tochter sagen mag, es wird durch das wieder ausgelöscht, was die Tochter sie im Widerspruch damit tun sieht.“

[S. 48]

Leere Drohungen, ohne daß man die Strafe darauf folgen läßt, werden verächtlich. Dagegen soll man immer weniger hart strafen als drohen.“

„Die Beschäftigungen der Frauen sind für den Staat ebenso wichtig als die der Männer.“

[1] Der Borromäusverein sorgt noch heute für Verbreitung guter Bücher.

III. Neue Schulorden.

A. Männliche Orden.
1. Der Jesuitenorden.

1. Der Stifter des Jesuitenordens ist der hl. Ignatius von Loyola. Bereits 33 Jahre alt, begann er seine Studien mit den Knaben der lateinischen Schule zu Barcelona. 1540 erfolgte mit sechs Gesinnungsgenossen in Paris die Gründung des Ordens. Die päpstliche Bestätigung betont ausdrücklich, daß der Jesuitenorden ein Erziehungs- und Unterrichtsorden sein solle. Der hl. Ignatius starb 1556.

2. Die Jesuiten gründeten Kollegien (Erziehungsanstalten) als Internate und übernahmen Gymnasien, welche von externen Schülern besucht wurden. Ihre Studienordnung wurde 1599 veröffentlicht. 1600 bestanden schon 300 Kollegien!

3. Die Jesuitenschulen sind Gelehrtenschulen und umfassen zwei Abteilungen. Die niedere Abteilung war eine Lateinschule oder Gymnasium, die höhere Abteilung eine Akademie mit Philosophie und Theologie. Ein Jesuitengymnasium hatte 5 Klassen, welche nach den lateinischen Jahrespensen benannt wurden: Infima, Grammatica, Syntaxis, Poëtica, Rhetorica. Der Unterricht war Klassen-, nicht Fachunterricht, jeder Lehrer mußte seine Schüler mindestens 3 Jahre behalten, um ihre Eigenart genau kennen zu lernen. (Vgl. Comenius.) Die Unterrichts- und Umgangssprache war die lateinische. Für den Religionsunterricht war nur ½ Stunde in der Woche angesetzt, da der gesamte Unterricht von der Religion getragen sein sollte. Die Realien behandelte man in sog. Eruditionsstunden. Die formale Bildung, Entwicklung der seelischen Anlagen und Kräfte, stand obenan.

4. Das Hauptaugenmerk blieb mit Recht auf die Erziehung gerichtet. Hierbei wurden folgende Grundsätze beachtet:

[S. 49]

a) Auf das Beispiel des Lehrers wurde das höchste Gewicht gelegt, denn „die Sitten der Lehrer prägen sich in den Schülern ab wie die Züge der Eltern in den Gesichtern der Kinder“.

b) Durch Anregung des Wetteifers wurde auf das Ehrgefühl gewirkt. Jeder Schüler erhielt seinen ‚aemulus‘ oder Nebenbuhler.

c) Es ist besser, „den Zögling vor dem Bösen zu bewahren, als wegen des begangenen Bösen zu bestrafen“. Zur Beaufsichtigung nahm man wie bei Trotzendorf Schüler zu Hilfe, welche als Censoren, Dekurionen, Prätoren ihres Amtes walteten.

d) Die Schüler mußten in derselben Art und Weise büßen, in welcher sie gefehlt hatten.

e) Es herrschte strenge Zucht. Das einzige Mittel der körperlichen Züchtigung war die Rute, welche durch einen eigenen Korrektor (Strafvollzieher oder Zuchtmeister), der nicht Jesuit war, gehandhabt wurde.

5. Die Jesuitenschulen sind sehr gelobt worden, aber auch von herbem Tadel nicht verschont geblieben.

a) „Nimm an den Schulen der Jesuiten ein Beispiel, denn bessere gibt’s nicht,“ sagt Baco von Verulam. Der protestantische Rektor Körner nennt das Schulwesen der Jesuiten das bestorganisierte seiner Zeit und rühmt von ihnen: „Sie sind die ersten Pädagogen, die mit psychologischem Takte verfuhren, die nicht nach der Schablone bildeten, sondern individuell entwickelten, für das praktische Leben erzogen und dadurch dem ganzen Schulwesen im bürgerlichen und staatlichen Leben eine einflußreiche Stelle sicherten. Sie wußten eine Sittenreinheit zu erzielen, wie sie auf keiner Schule des 16. oder 17. Jahrhunderts sich fand.“

b) Anderseits hat man ihnen nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß die Volksschule sich der Fürsorge der Jesuiten nicht zu erfreuen hatte, die Muttersprache vom Studium ausgeschlossen war und die Mathematik gänzlich vernachlässigt wurde. Auch konnte durch die peinliche gegenseitige Überwachung leicht Heuchelei und Spionage erzeugt werden und die Überreizung des Ehrgefühls zu Neid und Eifersucht führen.

Von 1773 an war der Orden 41 Jahre lang aufgehoben. Papst Pius VII. stellte ihn 1814 wieder her.

2. Der Piaristenorden.

1. Der Stifter dieses Ordens ist ein spanischer Priester, der hl. Joseph von Calasanz († 1648). Bei seinem Aufenthalte in [S. 50]Rom sah er das Elend und die gänzliche Verwilderung der Kinder armer Leute. Er faßte den Entschluß, Lehrer der Armen zu werden.

2. 1597 gründete Calasanz in der Wohnung eines befreundeten Pfarrers zu Rom eine Schule für arme Kinder. Unterrichtsgegenstände waren: Religion, Muttersprache, Rechnen und die Anfangsgründe des Latein. Weil die armen Kinder zu frommen Christen herangebildet werden sollten, so nannte er seine Schulen „fromme Schulen“ und sich und seine Lehrpersonen „Brüder der frommen Schulen“ (fratres scholarum piarum) oder Piaristen.

3. 1612 hatten die frommen Schulen bereits 1200 Schüler. Es erfolgte die päpstliche Bestätigung der Piaristen als kirchliche Genossenschaft. Zu den drei evang. Räten kam als vierte Verpflichtung: der Unterricht der armen Kinder in der Religion und den nützlichen Wissenschaften.

Gegend die Intention des Stifters erweiterten die Piaristen allmählich ihr Ziel. Sie übernahmen nicht nur Armenschulen, sondern auch Bürger- und Realschulen, Gymnasien, Seminarien und Pensionate. Gegenwärtig zählt der Orden ungefähr 200 Niederlassungen mit 2000 Mitgliedern.

4. Grundsätze der Piaristen:

„Die Schüler müssen nach Schluß des Unterrichts von den Lehrern nach Hause begleitet werden.“

„Es soll dem Gedächtnis junger Leute nichts eingeprägt werden, was nicht vorher ihr Verstand erfaßt hat.“

„Über drei Tage nacheinander soll nie Unterricht gehalten werden; jeder Donnerstag ist ganz unterrichtsfrei.“

„Es muß eine alles umfassende Liebe herrschen, vermöge deren man allen Parteien im Herrn liebreich begegnet und für ihre Wiedervereinigung betet.“

3. Die Schulbrüder.

1. Der hl. Johann Baptist de la Salle (geb. 1651 in Reims, Champagne) stiftete die Genossenschaft der Brüder der christlichen Freischulen (gnt. Schulbrüder).

La Salle eröffnete kurz nach seiner Priesterweihe zwei Freischulen für Knaben. 1681 vereinigte er die Lehrer [S. 51]dieser Schulen zu einem gemeinsamen Leben, nahm sie in sein eigenes Haus auf und gab ihnen eine Regel.

Um sich ganz dem Lehramte widmen zu können, legte la Salle sein Kanonikat in Reims nieder, verteilte sein Vermögen unter die Armen und stellte sich arm an die Spitze der armen Lehrbrüder. Diese widmeten sich ausschließlich den Elementar-Knabenschulen und lieferten namentlich tüchtige Landschullehrer. La Salle starb i. J. 1719. Er wurde 1888 selig und 1900 heilig gesprochen.

2. Die Schulbrüder erteilten wie die Piaristen den Unterricht unentgeltlich. Ihre Methode ist die des Massenunterrichts mit sparsamer Anwendung des Helfersystems. Das Latein ist ausdrücklich ausgeschlossen, kein Ordensmitglied darf Latein lernen. Diese Vorschrift hat den Schulbrüdern den Beinamen „Ignoranten“ verschafft, bewirkte aber, daß sie der ursprünglichen Bestimmung treu blieben, nämlich eine Genossenschaft von Laienlehrern zu sein und ausschließlich den Bedürfnissen der Volksschule zu dienen. Gegenwärtig hat der Orden der Schulbrüder in allen Erdteilen Niederlassungen, ungefähr 7000 Klassen mit 400000 Schülern.

3. La Salle war auch pädagogischer Schriftsteller. Außer dem Regelbuche für die Ordensmitglieder verfaßte er die sehr verdienstliche Schrift: „Leitung der christlichen Schulen“.

Folgende Stellen sind aus derselben bemerkenswert:

„Die Autorität des Lehrers wird viel mehr durch die Energie des Charakters, Ernst und Stillschweigen, als durch Schläge und Härte erworben.“

„Die Strafen müssen in der Schule selten sein.“

„Körperliche Züchtigungen dürfen nur am Standorte des Lehrers erteilt werden.“

„Die höchsten Belohnungen gebühren dem guten Betragen.“

[S. 52]

„Der Lehrer soll die Individualität der Kinder genau kennen und danach sein Verhalten gegen sie einrichten.“ (Vgl. Cicero und Jesuitenschulen!)

Aufmerksamkeit auf sich selbst ist den Lehrern um so notwendiger, da sie ebensoviele Aufseher als Schüler haben.“

B. Weibliche Orden.
1. Die Ursulinerinnen.

1. Die hl. Angela v. Merici vom dritten Orden des hl. Franziskus stiftete 1535 zu Brescia die Genossenschaft der Ursulinerinnen. Sie war gerade von einer Pilgerreise nach Jerusalem zurückgekehrt, stand schon im vorgeschrittenen Alter und stellte sich und ihre Genossinnen unter den Schutz der hl. Ursula. Zweck der Verbindung war: Krankenpflege und Unterricht armer Mädchen.

2. Ursprünglich war die Genossenschaft der Ursulinerinnen nur ein Verein von Jungfrauen, welche bei den Eltern zu Hause wohnten. Mit der Zeit aber bildete sich der Verein zu einer eigentlichen Ordenskongregation aus. Der hl. Karl Borromäus nahm dieselbe unter seinen besonderen Schutz und gewann ihre Tätigkeit ausschließlich für die Mädchenerziehung. Cäsar v. Buß führte die Gesellschaft in Frankreich ein. Von dort verpflanzte sie sich nach Deutschland. Die erste deutsche Niederlassung erhielt Cöln (1639). Gegenwärtig befinden sich mehrere hundert Ursulinenhäuser in allen Teilen Europas.

3. Die Ordensregel bestimmt als Zweck der Genossenschaft: Erziehung der Kinder, sowohl in ihren Häusern (Pensionaten), als auch in Schulen für Externe.

Geist und Herz der weiblichen Jugend ist zu bilden durch eine christliche Erziehung in der Absicht, Gott zu gefallen. Die Zöglinge müssen als künftige Gattinnen und Familienmütter wahrhaft tugendhaft und gottesfürchtig werden. Darum sollen die unterrichtenden Schwestern namentlich die Unschuld der Schülerinnen schützen und hegen und alles anwenden, um die Fehlenden wiederzugewinnen. Vor öfterem und vielem Loben, wie auch zu großer Vertraulichkeit mit den Kindern wird gewarnt und ein würdiger Ernst empfohlen.

4. Strafen in der Erregtheit, beschimpfende Worte und verächtliche Gebärden werden verboten. Die Strafen sollen angemessen sein, nur im Notfalle geschehen und die übertriebene Empfindlichkeit und Eigenliebe[S. 53] abtöten. Außergewöhnliche Strafen verhängt die erste Klassenlehrerin oder die Präfektin. Die Schwestern sollen peinlich genau die Regel befolgen, nichts hinzufügen noch weglassen und bei allen Unterrichtszweigen das Seelenheil der Zöglinge im Auge haben.

5. Die Religion ist der Grund aller Erziehung. Der Diözesankatechismus ist das Religionsbuch. Beicht- und Kommunionunterricht erfahren vorzügliche Aufmerksamkeit. Weitere Unterrichtsfächer sind: die Muttersprache, Rechnen, Geschichte, Geographie und weibliche Handarbeiten, wozu nach Bedarf noch eine fremde Sprache kommt. Zu Ostern und bei der feierlichen Prüfung (Mariä Himmelfahrt) werden Preise verteilt. Das Pensionsgeld soll möglichst niedrig sein (um auch den Schein des materiellen Gewinnes zu vermeiden) und die Pflege der Kranken mit der größten Liebe geschehen.

6. Allmonatlich zweimal sind Konferenzen der Lehrerinnen zur Belebung des Eifers und einheitlichen Zusammenwirkens. Darin werden Berichte über das Betragen der Kinder, über die Fehler gegen die Ordnung usw. erstattet, auch die Verhältnisse des Hauses und der Klassen besprochen. —

Die Ursulinerinnen haben glänzende Erfolge aufzuweisen und wirken bis auf den heutigen Tag segensreich fort in der Pflege der weiblichen Erziehung.

2. Die Schulschwestern.

1. Der erste Begründer des Instituts der Schulschwestern ist ein französischer Priester, der hl. Petrus Fourier. Nach einer unschuldig verlebten Jugend, mit tüchtigen Kenntnissen ausgerüstet, wurde der junge Geistliche (1597) als Pfarrer nach Mattaincourt geschickt. Mattaincourt war ein in sittlicher Beziehung sehr heruntergekommenes und im übelsten Rufe stehendes Dorf. Dem unermüdlichen Eifer des gottbegeisterten Mannes gelang es, die Gemeinde derart umzugestalten, daß sie als ein Muster der Sittenreinheit bekannt wurde.

2. Der klare Blick des seeleneifrigen Priesters erkannte bald, daß zur dauernden Befestigung der guten Sitten in der Gemeinde eine sorgfältige Erziehung des weiblichen Geschlechts von unberechenbarem Einflusse sei. Er faßte den Plan, einen religiösen Orden für die Mädchenerziehung zu stiften. Einige junge Personen aus seiner Pfarrei verzichteten auf die Eitelkeiten der Welt, und am Weihnachtstage 1597 [S. 54]trat das Institut unter dem Namen „Congrégation de Notre Dame“ ins Leben.

3. Die Regel des hl. Augustinus wurde der Kongregation zugrunde gelegt.

Von Gott sichtbar gesegnet, entwickelte sich das neue Institut in auffallend kurzer Zeit. Von allen Seiten wurden „Notre-Dame-Schwestern“ verlangt. Nachdem der fromme Pfarrer zum General-Obern seines Ordens ernannt war, besuchte er die Niederlassungen der Schwestern und zog 1636 nach Gray (Franche Comté), wo er, 77 Jahre alt, im Rufe der Heiligkeit 1640 starb.

4. Die Schulschwestern von ‚Notre Dame‘ haben außer den drei gewöhnlichen Gelübden noch die Unterweisung der Mädchen zur Lebensaufgabe. Wie bei den Ursulinerinnen, sind auch hier Pensionate in den Ordenshäusern und Klassen für externe, namentlich arme Kinder. Außerdem führen die Schulschwestern noch Waiseninstitute. Der Unterricht wird praktisch erteilt und stets nach den Bedürfnissen und Anforderungen der Zeit eingerichtet.

3. Die englischen Fräulein.

1. Stifterin dieser Kongregation ist die Engländerin Maria Ward (1585–1615). Sie stammte von vornehmen Eltern und erhielt eine sorgfältige Erziehung. Mit Einwilligung ihres Vaters begab sie sich 1606 in die spanischen Niederlande und gründete hier in der Stadt St. Omer eine Zufluchtsstätte für englische adelige Mädchen, die damals ihrer Religion wegen aus der Heimat flüchten mußten.

2. Mit Hilfe der spanischen Infantin (Prinzessin) Eugenie wurde zu Gravelingen eine Niederlassung eröffnet. Englische und spanische Jungfrauen führten hier ein sehr strenges Leben und besorgten außer Gebet und Betrachtung den Unterricht armer Kinder. Der Bischof von St. Omer nahm sich des Instituts an.

So entstand in St. Omer unter Oberleitung des Bischofs der erste Verein der englischen Fräulein mit der Bestimmung des Unterrichts und der Erziehung der weiblichen Jugend.

3. Die englischen Fräulein hatten anfangs keine bestimmte Ordensregel und waren vom Hl. Stuhle auch nicht bestätigt. Dennoch verbreiteten sie sich bald auch in verschiedene Städte Deutschlands. Papst Gregor XV. gab der Stifterin die Erlaubnis, in Rom und anderen Städten Italiens Niederlassungen zu errichten.

[S. 55]

4. Mit der Zahl der Freunde mehrte sich indes auch die Zahl der Gegner der Wardschen Institute. Es kam so weit, daß man Maria Ward sogar der Häresie beschuldigte. Urban VIII. ordnete eine Untersuchung an. Der Umstand, daß die englischen Fräulein keine Klausur hatten und von einer einzigen weiblichen Oberin geleitet wurden, veranlaßte die Aufhebung der Institute im Jahre 1630 durch eine eigene päpstliche Bulle.

5. Kurfürst Maximilian von Bayern brachte es beim Papste dahin, daß den englischen Fräulein das Zusammenleben zunächst in ihrem Hause zu München wieder gestattet wurde. Darauf erwirkte Miß Ward selbst in Rom die stillschweigende Zurücknahme des päpstlichen Erlasses. 1703 wurde endlich von Clemens XI. das Institut der englischen Fräulein und dessen Regel bestätigt und den Häusern desselben die Vorrechte der „geistlichen Häuser“ verliehen.

Die Mitglieder legen einfache Gelübde ab und sind zur Klausur nicht verpflichtet.

6. Die englischen Fräulein besorgen Schulen und halten Pensionate, in welchen vorzugsweise Kinder höherer Stände erzogen werden.

Unterrichtsgegenstände sind außer der Religion: deutsche und französische Sprache, Rechnen, Geschichte, Geographie, Naturkunde, Schönschreiben, Zeichnen und weibliche Handarbeiten.

Zur Erlernung der englischen Sprache, der Musik, des Gesanges und Tanzes ist Gelegenheit geboten.

Für Mädchen, welche nach zurückgelegtem 14. Lebensjahre eintreten, besteht ein eigener 2jähriger Lehrkursus, worin auch Anweisung im Kochen, Bügeln usw. gegeben wird.

4. Die Schwestern von Unserer lieben Frau.

Julie Billiart, Stifterin der Kongregation von unserer lieben Frau (Institut des Soeurs de Notre Dame), wurde geboren zu Cuvilly (Picardie) am 12. Juli 1751 und starb am 7. April 1816 zu Namur im Rufe der Heiligkeit. Von Jugend auf zeigte Julie Billiart eine zarte Frömmigkeit und glühenden Seeleneifer. Als siebenjähriges Kind unterrichtete sie schon andere Kinder im Katechismus. Im 14. Jahre legte sie das Gelübde ewiger Keuschheit ab. Mit heldenmütiger Geduld ertrug sie eine schmerzliche, langwierige Krankheit und [S. 56]die Verfolgungen der Revolutionäre, die ihr mehrfach nach dem Leben trachteten, weil sie dem Wirken eines abgefallenen Priesters in ihrer Pfarre mit Erfolg entgegentrat. Im Jahre 1794 wurde sie durch eine Freundin nach Amiens berufen, wo sie 1803 das Institut der Schwestern von Unserer lieben Frau gründete mit dem Zwecke, den Kindern aller Stände, besonders den armen, eine gründliche, standesgemäße, christliche Erziehung zu sichern. Die Schwestern legen einfache Gelübde ab und unterstehen dem Diözesanbischof. Durch ernste Selbstverleugnung sollen sie Muster, durch gründliche Arbeit tüchtige Lehrerinnen ihrer Zöglinge sein. „Keine Frömmlerinnen, sondern verständige und gebildete Christinnen“ sollen sie erziehen. 1809 siedelte die Stifterin nach Namur über, von wo aus ihr Werk sich rasch ausbreitete. Bis zu ihrem Tode gründete sie 15 neue Häuser. 1813 hatte sie eine längere Unterhaltung mit Pius VII. in Fontainebleau. Sie starb in Namur, heilig, wie sie gelebt. Ihr Kanonisationsprozeß ist eingeleitet. Im Jahre 1883 gab es bereits in Belgien, Holland, Deutschland, Amerika 106 Häuser.

IV. Die Reformatoren.

1. Luther (1483–1546).

1. Martin Luther, geboren zu Eisleben, studierte zu Eisenach und Erfurt und wurde in Erfurt Augustinermönch. Nach dem Empfange der Priesterweihe wirkte er als Professor der Theologie an der Universität zu Wittenberg und schlug hier am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablaß öffentlich an. Damit begann die Reformation. Luther starb in seiner Geburtsstadt Eisleben und liegt in der Schloßkirche zu Wittenberg begraben.

2. Amt und Wirksamkeit eines Jugendlehrers schätzt er hoch und betont mit kräftigen Worten die Wichtigkeit der Kindererziehung. Er sagt:

„Einen fleißigen frommen Schulmeister oder Magister, der Knaben treulich lehret, kann man nimmermehr genug lohnen und mit keinem Gelde bezahlen, wie auch der Heide Aristoteles sagt.“

„Es ist in einer Stadt so viel am Schulmeister gelegen als am Pfarrherrn.“

„Ich wollte, daß keiner zu einem Prediger erwählt würde, er wäre denn zuvor ein Schulmeister gewesen.“

[S. 57]

„Es ist kein größerer Schaden der Christenheit, als die Kinder versäumen.“

„Fleißig gebetet ist über die Hälfte studiert.“

3. Luther fordert mit großem Nachdruck zur Gründung von Schulen auf in der 1524 erschienenen Schrift: „An die Ratsherren aller Städte Deutschlands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen.“ Er verlangt mit gleicher Entschiedenheit den Schulzwang in der 1530 verfaßten Schrift: „Sermon an die Prediger, daß sie die Leute vermahnen, ihre Kinder zur Schule zu halten.“

Es ist indes zu bemerken, daß Luther bei seinen pädagogischen Wünschen und Forderungen nicht Volks- oder Elementarschulen, sondern nur Lateinschulen im Auge hatte.

4. Von Luther verfaßte Volksbücher sind folgende:

a) seine deutsche Bibelübersetzung; b) der kleine Katechismus; c) der große Katechismus (für die Pfarrer); d) seine deutsche Liedersammlung; e) sein „buchlein für die leyen und Kinder“ (Fibel).

2. Melanchthon (1497–1560).

1. Philipp Melanchthon, geboren zu Bretten in der Rheinpfalz, besuchte mit 12 Jahren schon die Hochschule, und zwar zuerst in Heidelberg, dann in Tübingen. 22 Jahre alt, wurde er Professor an der Universität Wittenberg, ein Amts- und Gesinnungsgenosse Luthers. Er starb in Wittenberg und liegt dort in der Schloßkirche neben Luther begraben.

2. Wegen seiner Wirksamkeit als akademischer Lehrer und als Schriftsteller für den höheren Unterricht bekam Melanchthon den Namen „praeceptor Germaniae“ (Lehrer Deutschlands). Wie sein Freund Luther, so kannte auch Melanchthon nur die gelehrte Schule.

3. Die Schrift Melanchthons: „Unterweisung der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum zu Sachsen“ (1529) handelt in 17 Abschnitten von Kirchensachen und im 18. von Schulen. Der 18. Abschnitt dieser Schrift heißt: „Der sächsische Schulplan.“ In demselben heißt es u. a.:

„Wer andere lehren will, muß eine große Übung und sonderliche Geschicklichkeit haben; die zu erlangen, muß man lange und von Jugend auf lernen.“

[S. 58]

V. Einzelne protestantische Schulmänner.

1. Trotzendorf (1490–1546).

1. Leben. Valentin Trotzendorf (eigentlich Friedland) wurde 1490 zu Trotzendorf (jetzt Troitschendorf) bei Görlitz als Sohn schlichter Bauersleute geboren. Da sein Vater ihn für ländliche Arbeiten sehr in Anspruch nahm, so konnte er sich nur eine kümmerliche Jugendbildung aneignen, obschon er treffliche Geistesgaben und große Lernbegierde besaß. Die Zeit zum Lernen mußte er sich mühsam heraussuchen; so übte er sich im Schreiben beim Hüten der Kühe, indem er Birkenrinde als Papier benutzte, Schreibfedern aus Rohr sich schnitzte und Tinte aus Ofenruß bereitete. Gern hätte ihn der Vater beim Pfluge behalten, aber es war der dringende Wunsch des Sohnes, eine lateinische Schule besuchen zu dürfen. Diesen Wunsch unterstützte mit ihren Bitten die Mutter und der würdige Pfarrer des Ortes. Nach langem Zögern gab der Vater endlich nach, und so bezog Valentin, bereits 18 Jahre alt und mangelhaft vorgebildet, die lateinische Schule der Franziskaner zu Görlitz, wo er sich bald vor allen anderen Schülern auszeichnete. Vater und Mutter starben bald darauf an der Pest. Valentin verkaufte sein kleines Erbe und begab sich nach Leipzig, um weiter zu studieren. Das Auftreten Luthers veranlaßte ihn, nach Wittenberg zu gehen, wo er zur neuen Lehre übertrat und sich eng an Melanchthon anschloß, der über ihn urteilte, er sei zum Schulmanne geboren wie Scipio zum Feldherrn.

Nach Beendigung seiner Studien wurde er Lehrer, dann Rektor der lateinischen Schule zu Goldberg, der er 25 Jahre vorstand. Die Anstalt gelangte unter seiner Leitung zu hoher Blüte, denn Trotzendorf war ein ganzer Schulmann. Mit gründlichem Wissen und rastlosem Eifer verband er hervorragende Lehrgaben und ein seltenes Geschick in der Handhabung der Disziplin; sein lauterer Wandel und sein freundlich ernstes Wesen erwarb ihm die unbedingte Achtung und Liebe seiner Schüler. Die Anstalt zählte zuzeiten 1200 Schüler, und bald galt in Schlesien und weit darüber hinaus niemand mehr für einen gelehrten Mann, der nicht wenigstens eine Zeitlang zu Trotzendorfs Füßen gesessen hatte. Die letzten Jahre seines Lebens wurden durch mancherlei schmerzliche Erfahrungen und Unglücksfälle getrübt: zunächst herrschte eine große Hungersnot in Goldberg, dann raffte die Pest viele Menschen dahin, und endlich (1554) brannte die ganze Stadt ab, wobei auch [S. 59]sein Schulgebäude in Flammen aufging. Trotzendorf wanderte nun mit seinen Zöglingen nach Liegnitz, richtete sich dort notdürftig ein und betrieb von hier aus den Wiederaufbau seiner Schule. Aber noch ehe sie fertig war, ereilte ihn der Tod, i. J. 1556. Mitten in seiner Lehrtätigkeit wurde er vom Schlage getroffen, gerade als er den 22. Psalm („Der Herr ist mein Hirt“) erklärte und an dem schönen Verse stand: „Ob ich schon wanderte im finstern Tal, so fürchte ich doch keinen Unfall; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab tröstet mich.“ Er sank zurück mit den Worten: „Jetzt, meine Zuhörer, werde ich in eine andere Schule abgerufen“; dann verlor er Bewußtsein und Sprache und entschlief nach einigen Tagen sanft in den Armen eines seiner Schüler. Sein Leichnam wurde in der Johanneskirche in Liegnitz beigesetzt. Trotzendorf ist nie verheiratet gewesen, sein Leben war ganz und völlig der Schule gewidmet. Er hätte, sagt ein Biograph, zur Zeit der Blüte seiner Schule sich irdische Schätze erwerben können, aber er tat Besseres: er gab reichlich den Armen und sammelte himmlische Schätze.

2. Schriften. Er verfaßte für die Schule in Goldberg a) eine Christenlehre, „Katechesis“, enthaltend die 10 Gebote, Sakramente, Gebet und gute Werke; b) das „Rosarium“, eine Sammlung von Bibelsprüchen mit Erklärungen, die jeder Zögling sicher wissen mußte. Im Auftrage des Herzogs (Friedrich II.) entwarf er die „Goldberger Schulordnung“, und sieben Jahre nach seinem Tode erschienen „Die Gesetze der Goldberger Schule“.

3. Seine Anstalt.

a) Äußere Einrichtung und Schulzucht. Die Lateinschule Trotzendorfs war sechsstufig, alle Zöglinge wohnten im Internate, nur junge Leute lutherischen Bekenntnisses wurden aufgenommen. Ziel der Schule war, die Knaben zum Studium der Theologie und Medizin, der Philosophie und Jurisprudenz vorzubereiten. Anfangs war Trotzendorf der einzige Lehrer in seiner Schule; in den oberen Klassen gab er den Unterricht allein, für die jüngeren Schüler [S. 60]bildete er sich aus den älteren Helfer heran. Auf diese Weise bereitete er manchen jungen Mann zum Schulamte vor und versorgte viele Anstalten Schlesiens mit tüchtigen Lehrern. Später wurde er durch mehrere Lehrer in der Schularbeit unterstützt, aber das Helfersystem behielt er dennoch bei.

Auch für die Aufrechthaltung von Zucht und Ordnung in seiner Anstalt zog er die ältesten und würdigsten Schüler heran. Die „Ökonomen“ sorgten für rechtzeitiges Aufstehen und Zubettegehen sowie für Reinhaltung der Stuben und Kleider; die „Ephoren“ für Ordnung bei Tische; die „Quästoren“ für pünktlichen Besuch der Unterrichtsstunden und das häusliche Studium. Der „Senat“, der aus 12 Senatoren und 1 Konsul bestand, stellte die Gerichtsbehörde dar und hatte bei vorkommenden Vergehungen Recht zu sprechen. Trotzendorf war bei den Gerichtsverhandlungen zugegen und wußte ihnen einen ernsten, feierlichen Charakter zu geben. Der angeklagte Schüler mußte sich in lateinischer Rede verteidigen; sprach er gut Latein, so konnte er wohl auf Milderung der Strafe rechnen. Die üblichen Strafen waren: Rute, Fidel, Karzer und Entlassung. Alle Schüler, vom Fürstensohne bis zum Bauernkinde, wurden gleichmäßig bestraft. In den ‚Gesetzen der Goldberger Schule‘ heißt es: „Wer Schüler wird, spielt nicht mehr den Adligen. Die, welche sich solcher Strafen schämen, weil sie adliger Herkunft oder schon älter, mögen darauf bedacht sein, recht zu tun, um nicht in eine solche Strafe zu verfallen, oder mögen unsere Schule verlassen und eine solche Freiheit anderwärts suchen.“ Das vom Schülersenat verhängte Strafurteil wurde von Trotzendorf, dem beständigen Diktator, unnachsichtlich ausgeführt. Trotzendorf verfolgte mit dieser eigenartigen Einrichtung („Schulrepublik“) den Zweck, die Schüler frühzeitig an Ordnung, Gehorsam und Achtung vor Gesetz [S. 61]und Obrigkeit zu gewöhnen. „Diejenigen,“ sagt er, „werden den Gesetzen gemäß regieren, die als Knaben gelernt haben, den Gesetzen zu gehorchen.“

b) Unterricht. Unter den verschiedenen Unterrichtsgegenständen stellte Trotzendorf die Religion am höchsten. „Der reißt,“ sagt er, „die Sonne vom Himmel, der nimmt dem Jahre den Frühling, welcher die Katechese aus der Schule verbannt;“ und an einer anderen Stelle: „Nehmt mir die Katechese, und ich habe meine allerhöchste Entlassung.“ Nächstdem legte er das größte Gewicht auf den Unterricht in der lateinischen Sprache. Latein war die Sprache des Unterrichts und des Umgangs; nie durften die Schüler, weder unter sich noch mit ihren Lehrern, in deutscher Sprache reden.⁠[2] Neben dem Latein fanden auch Griechisch und Hebräisch als Sprachen des Neuen und Alten Testaments aufmerksame Pflege. Auch in der Mathematik, Musik und in den Anfangsgründen der Philosophie wurde unterrichtet. Dagegen waren Natur- und Weltkunde, deutsche Sprache und Literatur in dem Lehrplan der Goldberger Schule nicht enthalten, gymnastische Übungen wurden nur nebenher betrieben, Baden und Eislaufen waren direkt verboten.

Trotzendorf unterrichtete mit Vorliebe in der Form des Zwiegesprächs, während die meisten Lehrer damals nur vortrugen und diktierten. Durch fleißigen Gebrauch der Frage sowie durch häufige Verwendung treffender Beispiele wußte er seinen Unterricht so fesselnd zu gestalten, daß seine Schüler mit wirklicher Lust in die Schule gingen und sich [S. 62]seines anregenden Unterrichts noch im Alter mit großer Freude erinnerten. Für den grammatischen Unterricht lautete sein oberster Grundsatz: „Regeln wenig und kurz, Beispiele klar und praktisch, Übung lange und oft.“ Von jedem Schüler forderte er deutliches und fertiges Lesen, eine gleichförmige und gefällige Handschrift, eine laute und reine Sprache.

2. Ratichius (1571–1635).

1. Wolfgang Ratke, gnt. Ratichius, geboren zu Wilster im Holsteinschen, studierte in Hamburg und Rostock und erteilte später aus Dürftigkeit Unterricht, wodurch er auf eine eigentümliche Lehrweise kam.

Bei der Krönung des Kaisers Matthias legte er dem Reichstage zu Frankfurt a. M. 1612 eine Denkschrift vor über a) leichte Erlernung fremder Sprachen, b) Einrichtung einer Schule für alle Künste und Wissenschaften, c) Einführung einer einheitlichen Sprache, Regierung und Religion. In dieser Denkschrift bezeichnet Ratichius als naturwidrig die bisherige Praxis der Lateinschulen, welche mit Latein begannen, und als allein naturgemäß die voraufgehende Aneignung der Muttersprache.

Später (1616) gewann Ratichius den Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen für seine Pläne und wurde Direktor einer neuen sechsklassigen Probeschule, in welcher die drei unteren Klassen nur Deutsch lernten, und erst die drei oberen Latein und Griechisch betrieben.

Wegen ungenügender Erfolge wurde Ratich indes bald abgesetzt und zur Strafe für seine Großtuerei sogar eingesperrt. Später hatte er auf Empfehlung seiner Schülerin Anna Sophia von Rudolstadt eine Audienz bei dem berühmten schwedischen Kanzler Oxenstjerna, der über ihn das richtige Urteil fällte, „daß er die Gebrechen der Schule nicht übel aufdecke, aber seine Heilmittel seien nicht hinreichend“. 1635 starb Ratich zu Erfurt am Schlage.

Ratichius, „der Charlatan unter den Pädagogen“, ist doch nicht ohne Verdienste. Das größte Verdienst hat er sich unstreitig um unsere deutsche Sprache erworben. Er erhob sie zur Unterrichtssprache und zum Unterrichtsgegenstande der deutschen Schule, während bis dahin Lehrer und Schüler sich nur der lateinischen Sprache beim Unterrichte bedienten und nur das Latein als Unterrichtsgegenstand kannten. Hiermit war ein dreifacher Vorteil gewonnen: 1. der Schüler [S. 63]konnte nun ganz auf die Sache achten, er wurde nicht mehr durch die fremde Sprache an dem Verständnis der Sache gehindert; 2. jedermann konnte sich nunmehr Kenntnisse erwerben, auch dem Bürger und Landmann war der Weg zur Bildung gebahnt; 3. die deutsche Sprachlehre trat in die Reihe der Wissenschaften ein.

2. Hauptgrundsätze Ratichs und seiner Anhänger:

1. Alles mit vorhergehendem Gebet.

2. Alles nach Ordnung und Lauf der Natur. Vom Bekannten zum Unbekannten, vom Nahen zum Entfernten, vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten.

3. Immer nur eins zu einer Zeit. Zurzeit nur ein Lehrfach, nur eine Sprache, nur ein Schriftsteller. Kein neuer Lehrstoff soll vorgelegt werden, ehe der vorhergehende vollkommen angeeignet ist.

4. Eins oft wiederholen. Was der Schüler sich dauernd aneignen soll, das werde durch gründliche Bearbeitung und häufige Wiederholung, nicht durch wörtliches Memorieren eingeprägt. Am allerwenigsten darf das memoriert werden, was noch nicht völlig begriffen ist.

5. Gleichförmigkeit in allen Dingen. Nicht nur in der Sache, sondern auch in den Worten muß der Unterricht sich gleich bleiben. Die Unterrichtsweise muß für alle Unterrichtsgegenstände ein und dieselbe sein, die verschiedenen Lehrbücher müssen gleichmäßig angelegt und gedruckt sein, in der Schule muß stets die gleiche Ordnung herrschen.

6. Alles Überflüssige ist zu vermeiden. Nichts werde gelehrt, was wieder verlernt werden muß, was nicht entweder für den Unterricht oder für das Leben von irgend welchem Nutzen ist. Alles ohne Weitläufigkeit, so kurz und knapp wie möglich!

[S. 64]

7. Alles zuerst in der Muttersprache. Dem fremdsprachlichen Unterricht muß der Unterricht in der deutschen Sprache (auch in der deutschen Grammatik) voraufgehen.

8. Alles ohne Zwang. Wenn auch in der Zucht die Rute nicht zu entbehren ist, so soll doch beim Lehren um des Lernens willen nicht gezüchtigt werden. Der Unterricht ist so anziehend wie möglich zu machen. Nach jeder Lektion ist ausreichende Zeit zur Erholung (Spiel) zu gewähren.

9. Erst ein Ding an ihm selbst, hernach die Weise von dem Dinge. Der fremdsprachliche Unterricht soll nicht sofort mit der Grammatik, sondern mit der Lektüre eines Schriftstellers beginnen, an die dann erst nachträglich die grammatischen Belehrungen anzulehnen sind.

10. Alles durch Erfahrung und stückliche Untersuchung („per inductionem et experimentum omnia“). Alle Lehren, Regeln usw. sind durch Beispiele zu veranschaulichen und zu erhärten. (Eine Entwicklung der Regel aus dem Beispiele forderte Ratke nicht. Zwar sollte der grammatische Unterricht an die Lektüre angelehnt werden, aber hierbei sollten die Regeln erst gelesen und eingeprägt und dann erst Beispiele aus dem Schriftsteller dazu gesucht werden.)

3. Comenius (1592–1670).

1. Sein Leben. Der große Pädagoge Johann Amos Comenius, der Schul-Patriarch und Mitbegründer einer neuen Unterrichtsepoche, wurde als Sohn eines Müllers zu Niwnic (spr. Niwnitz) in Mähren geboren. Sein gottergebenes Gemüt, sein edles, ganz für die Bildung der Jugend eingesetztes Streben, sein durch tragischen „Lebensgang geläutertes Herz“ erregen hohes Interesse. Schon früh verlor Comenius seine Eltern, wurde von Vormündern erzogen und konnte erst im 16. Jahre die lateinische Schule besuchen. Nach dem religiösen Bekenntnis [S. 65]seiner Eltern gehörte Comenius zu den böhmischen Brüdern (starren Anhängern von Hus), auch Brüderunität genannt. Seine höheren Studien machte Comenius in Herborn (Nassau) unter Alstedius und in Heidelberg. Auf seinen Studienreisen besuchte er Holland und England. Angeregt durch die Denkschrift des Ratichius, faßte er den Plan, den Unterricht aus den herkömmlichen, verknöcherten Formen zu befreien. Von seinen Reisen zurückgekehrt, übernahm Comenius die Leitung der Schule in Prerau (Mähren), wurde geistlich und pastorierte von 1618 an drei glückliche Jahre lang die Gemeinde Fulneck, der er Lehrer, Prediger und Ratgeber war. Nach der Schlacht am Weißen Berge (1620) wurde Fulneck geplündert, Comenius seiner ganzen Habe beraubt und auf der Flucht zuerst in das nordöstliche Böhmen (zu Karl von Zierotin), dann nach Polen verschlagen. In Polnisch-Lissa widmete er sich dem Unterricht der Gymnasialjugend, ging nach England, kehrte auf der Rückreise im Haag (Holland) bei Ludwig van Geer ein, besuchte Schweden und ließ sich endlich in Elbing (damals schwedisch) nieder. Hier wollte er auf Wunsch des Kanzlers Oxenstjerna Schulbücher für Schweden verfassen. 1648 wurde Comenius Bischof der Brüderunität und nahm seinen Wohnsitz zum zweitenmal in Polnisch-Lissa. Nach zweijährigem Aufenthalte zog er nach Patak (Ungarn), von seinem Freunde, dem Fürsten Rakoczi, berufen. Hier entwarf er den Plan für eine Musterschule mit sieben einjährigen Klassen. Nur die unteren 3 Klassen konnten wirklich eröffnet werden. 1654 kam Comenius zum drittenmal nach Polnisch-Lissa. Zwei Jahre später wurde die Stadt in dem Kriege zwischen Schweden und Polen gänzlich zerstört. Comenius verlor abermals sein Vermögen, namentlich selbstverfaßte wertvolle Bücher und Handschriften, und mußte flüchten. Er klagte selbst, „daß die Frucht vierzigjährigen literarischen Fleißes“ dahin sei. Auf der Flucht kam Comenius nach Schlesien, Hamburg und zuletzt nach Amsterdam, wo er bei seinem Freunde Lorenz van Geer im Alter von fast 80 Jahren an der Pest starb. Er wurde in Naarden an der Zuider-See in einem Massengrabe bestattet.

2. Schriften. Die wichtigsten sind:

1. Die „Mutterschule“ (Informatorium maternum), eine Anweisung zur Erziehung des Kindes während seiner ersten 6 Lebensjahre. (1633 in Lissa erschienen.)

[S. 66]

2. „Die geöffnete Sprachentür“ (Janua linguarum reserata), ein lateinisches Lesebuch mit realistischem Inhalt. Das Wichtigste aus allen Wissensgebieten (Himmelskunde, Menschenkunde, Tierkunde, Pflanzenkunde usw.) ist in 1000 Sätzen zusammengefaßt. Comenius wollte mit diesem Buche a) eine naturgemäßere und leichtere Erlernung des Lateinischen ermöglichen (erst der Stoff, dann die Form; erst die Sprache, dann die Grammatik) und b) durch den Sprachunterricht nützliche Sachkenntnisse vermitteln. Das Buch erregte s. Z. unerhörtes Aufsehen, wurde in kurzer Zeit in 12 europäische und mehrere asiatische Sprachen übersetzt und war nächst der Bibel das am meisten verbreitete Buch. (1631 in Lissa erschienen.)

3. „Die große Unterrichtslehre“ (Didactica magna), bereits 1627 begonnen, zuerst in böhmischer Sprache abgefaßt, dann lateinisch umgearbeitet, in der uns vorliegenden Gestalt erst 1657 erschienen. Comenius hat in diesem Werke seine pädagogischen Gedanken in systematischer Anordnung entwickelt. Er selbst bezeichnet es als das Hauptwerk seines Lebens.

4. „Die gemalte Welt“ (Orbis pictus), auch ein lateinisches Lesebuch mit realistischem Inhalt wie die „Sprachentür“, aber mit deutscher Übersetzung und mit Bildern (150 Holzschnitten) versehen. Der Text jedes Lesestücks bildet eine Beschreibung des betreffenden Bildes, die sich genau an das Bild anlehnt. Auch der orbis pictus fand eine ungeheure Verbreitung. Lange nach Comenius war er ein beliebtes Schul- und Kinderbuch, Goethe und Herder haben sich als Kinder daran ergötzt. (1658 in Nürnberg erschienen.)

3. Die wichtigsten pädagogischen Gedanken des Comenius.

[S. 67]

1. Ziel und Aufgabe des Menschen. Der Mensch, allein von allen Wesen mit Vernunft begabt, steht höher als alle Dinge dieser Welt und hat deswegen auch ein höheres Ziel. Dies Ziel liegt außerhalb des gegenwärtigen Lebens und ist die ewige Seligkeit in der Gemeinschaft mit Gott. Das gegenwärtige Leben ist deshalb nur eine Vorbereitung auf das ewige Leben. Diese Vorbereitung hat, wie sich aus dem Schöpferworte 1. Moses ergibt, insbesondere drei Aufgaben zu erfüllen. Der Mensch soll sein: 1. ein vernünftiges Geschöpf, 2. ein die anderen Geschöpfe und sich selbst beherrschendes Geschöpf, 3. das Ebenbild und die Freude seines Schöpfers. Danach hat der Mensch zu erstreben: 1. die wissenschaftliche Bildung, 2. Tugend oder Sittlichkeit, 3. Religiosität oder Frömmigkeit. Alles übrige (Gesundheit, Stärke, Schönheit, Reichtum u. dgl.) ist nur „ein Zusatz und eine äußere Zier des Lebens“ und kann dem Menschen sogar zum Schaden und Verderben gereichen, wenn er nach solchen Dingen begieriger trachtet als nach jenen drei vorzüglichsten Gütern, die allein die wahre Vollkommenheit des Menschen ausmachen.

2. Möglichkeit und Notwendigkeit der Erziehung. Wissenschaftliche Bildung, Tugend und Frömmigkeit sind zwar als Anlage jedem Menschen angeboren, aber zu ihrer normalen Entwicklung bedarf es der Erziehung. Deshalb „muß der Mensch, wenn er zum Menschen werden soll, erzogen und gebildet werden“.

3. Zeit der Bildung. Die geeignetste Zeit für die Bildung des Menschen ist die Jugend, denn 1. in der Jugend ist der Mensch am bildsamsten, wie jedes Ding am leichtesten zu formen ist, solange es noch zart ist (das Wachs, das Bäumchen). 2. Was der Mensch in der Jugend lernt, haftet am besten. 3. In der Jugend ist der Mensch zu [S. 68]allem anderen (zur Verwaltung des Hauswesens, des Staates usw.) ungeschickt und nur für die Bildung geeignet, woraus erhellt, daß Gott die Zeit der Jugend zur Bildung bestimmt hat. 4. Der Mensch muß frühzeitig zu Gott geführt werden, damit er nicht etwa unvorbereitet aus diesem Leben abberufen werde und somit der ewigen Seligkeit verlustig gehe. 5. Wenn aber auch der Mensch des längsten Lebens sicher wäre, so müßte die Bildung dennoch frühzeitig beginnen, weil das Leben nicht mit Lernen, sondern mit Handeln hingehen soll.

4. Faktoren der Bildung. Die Sorge für die Erziehung der Kinder ist eigentlich Sache der Eltern. In diesem Sinne redet Comenius von einer Mutterschule (1.–6. Lebensjahr). Auch weiterhin bleibt zwar das Elternhaus die wichtigste Erziehungsstätte; da aber zu einem ausreichenden Unterricht die Eltern in den seltensten Fällen Zeit und Fähigkeit besitzen, müssen die Kinder vom 6. Lebensjahre ab besonderen Schulen übergeben werden, zunächst der Volksschule (‚Schule der Muttersprache‘). Eine solche ist für alle Kinder vom 6.–12. Lebensjahre in jeder Gemeinde, jedem Flecken und Dorfe einzurichten. An diese schließt sich dann für die Kinder, die sich eine höhere Bildung aneignen sollen, die Lateinschule (12.–18. Lebensjahr; in jeder Stadt) und an diese die Universität (18.–24. Lebensjahr; in jedem Staate bezw. jeder größeren Provinz).

5. Bildung der gesamten Jugend. Alle Kinder, ohne Unterschied des Standes und Geschlechts, sollen, ehe sie höheren Studien (auf dem Gymnasium und der Universität) oder einem praktischen Lebensberufe sich widmen, ein und dieselbe grundlegende Bildung in der Volksschule erhalten; denn 1. setzt jedes höhere Studium und jede Fachbildung eine allgemein menschliche Bildung voraus, wie sie eben in der Volksschule gegeben werden soll; 2. läßt sich bei dem [S. 69]sechsjährigen Kinde noch nicht bestimmen, für welchen Beruf es geeignet ist; 3. ist ein erfolgreiches Studium fremder Sprachen (auf Gymnasium und Universität) an die Bedingung einer vorhergehenden Ausbildung in der Muttersprache geknüpft, und 4. wird der Selbstüberhebung (vornehmer Kinder) in heilsamer Weise vorgebeugt, wenn alle Kinder ohne Unterschied des Standes und des künftigen Berufes gemeinsam unterrichtet werden.

6. Maß der Bildung. Der Unterricht in den Volksschulen (wie in allen Schulen) soll ein möglichst umfassender und allseitiger sein. „In den Schulen soll allen alles gelehrt werden. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob von allen die Kenntnis aller Wissenschaften und Künste verlangt werde. Aber daß alle den Grund und den Zweck von allem Hauptsächlichen zu merken gelehrt werden, und daß in dieser Welt nichts ist, über das sie nicht ein bescheidenes Urteil abgeben und das sie nicht vorteilhaft gebrauchen könnten, dafür muß man sorgen und das muß auch geleistet werden. Nicht aus jedem Holze läßt sich ein Merkur schnitzen, aber aus jedem Menschen ein Mensch.“ Die Volksschule ist in sechs Klassen einzuteilen und der Lehrstoff in konzentrischer Anordnung auf sechs Jahreskurse zu verteilen. Dem Unterricht werden täglich vier Stunden gewidmet, zwei des Vormittags und zwei des Nachmittags.

7. Lehrziele der Volksschule. Im einzelnen sind die Lehrziele der Volksschule folgende. Die Kinder sollen 1. alles in der Muttersprache Gedruckte oder Geschriebene geläufig lesen können; 2. zunächst schön, sodann schnell, endlich sprachrichtig schreiben, den Gesetzen der Grammatik der Muttersprache gemäß; 3. Tafel- und Kopfrechnen für den Bedarf des Lebens lernen; 4. kunstgemäß, auf welche Weise es auch sei, Längen, Breiten, Entfernungen usw. messen; 5. alle [S. 70]gebräuchlichen Melodien singen können und die geschickteren auch mit dem Singen nach Noten bekannt gemacht werden; 6. die Psalmen und geistlichen Lieder, welche in der Kirche eines jeden Orts in Gebrauch sind, meistenteils sämtlich auswendig wissen; 7. außer dem Katechismus die Geschichten und vorzüglichsten Aussprüche der Hl. Schrift aufs genaueste wissen und hersagen können; 8. die in Regeln gefaßte und mit Beispielen nach der Fassungskraft des Lebensalters erläuterte Sittenlehre innehaben, verstehen und in der Tat zu üben beginnen; 9. von den Zuständen im Hause und Staate so viel kennen lernen, als zum Verständnisse desjenigen, was sie täglich im Hause und im Staate vorgehen sehen, ausreichend ist; 10. eine ganz allgemein gehaltene Geschichte der Gründung, Verderbnis, Wiederherstellung der bisher durch die Weisheit Gottes verwalteten Welt sich zu eigen machen; 11. dazu die Hauptpunkte aus der Weltkunde lernen, von der kugelförmigen Gestalt der in der Mitte des Himmels hängenden Erde, von den mannigfachen Krümmungen der Meere und Flüsse, den größeren Erdteilen, den vorzüglichsten Reichen Europas; insbesondere aber die Städte, Berge, Flüsse und sonstigen Merkwürdigkeiten ihres Vaterlandes; 12. endlich sollen sie so ziemlich mit allen allgemeineren Handfertigkeitskunstgriffen bekannt werden.

8. Erziehung zur Tugend und Frömmigkeit. In den Schulen sollen die Kinder aber nicht bloß in den Wissenschaften unterwiesen, sondern auch zur Tugend und Frömmigkeit geführt werden. „Unselig ist die Bildung, welche nicht in die Sitten und Frömmigkeit übergeht! denn was ist wissenschaftliche Bildung ohne gute Sitten? Wer fortschreitet in den Wissenschaften und rückschreitet in den Sitten, der schreitet mehr rückwärts als vorwärts. Wie Edelsteine nicht in Blei, sondern in Gold gefaßt werden und [S. 71]beides glänzender strahlt, so muß die Wissenschaft nicht mit Zügellosigkeit, sondern mit der Tugend gepaart werden, und so vermehrt die eine der anderen Zier. Wo aber zu beiden die wahre Frömmigkeit hinzukommt, da wird die Vollkommenheit erfüllt. Die Furcht des Herrn, wie sie der Anfang der Weisheit ist, so ist sie auch der Gipfel und die Krone der Weisheit, weil die Fülle der Weisheit ist, den Herrn fürchten.“

9. Lehrverfahren. Soll der Unterricht den ihm gestellten Aufgaben gerecht werden, so muß das planlose und mechanische Lehrverfahren aufgegeben und muß der Unterricht zu einer Kunst erhoben werden, welche wie jede andere Kunst nach einer bestimmten Methode verfährt. „Die rechte Methode aber besteht hier wie in jeder Kunst in nichts anderem als in der Nachahmung der Natur, wie auch Cicero sagt: ‚Wenn wir der Leitung der Natur folgen wollen, werden wir niemals irre gehen.‘“ Comenius versucht nun in seiner ‚Großen Unterrichtslehre‘ eine naturgemäße Unterrichtsmethode aufzustellen. Zu dem Zwecke sucht er zunächst die Gesetze auf, nach welchen die uns umgebende Natur in ihrem Schaffen und Bilden verfährt; dann weist er nach, wie diese Naturgesetze in anderen Künsten (z. B. Malerei, Baukunst, Gärtnerkunst) bereits mannigfache Nachahmung und Anwendung gefunden haben; schließlich zeigt er, wie jene Gesetze nun auch in dem Unterrichte zur Geltung zu bringen sind. Die hauptsächlichsten Grundsätze, zu denen Comenius auf dem bezeichneten Wege gelangt, sind folgende:

a. Die Natur achtet auf die passende Zeit.

So soll auch für den Unterricht stets die geeignete Zeit gewählt werden. Deshalb soll 1. in der Kindheit als dem Frühlinge des Lebens die Bildung beginnen; 2. hauptsächlich die Morgenzeit für die Studien benutzt und 3. der Unterrichtsstoff in einer Reihenfolge angeordnet werden, die der allmählich fortschreitenden Entwicklung des Kindes entspricht.

[S. 72]

b. Die Natur schafft erst den Stoff herbei, ehe sie sich anschickt, ihm eine Form zu geben.

So soll auch im Unterricht dem ‚Wie‘ allemal das ‚Was‘, dem Formalen das Sachliche voraufgeschickt werden. Erst Dinge, dann Worte; erst Sachkenntnisse, dann Sprachstudien; erst Beispiele, dann Regeln. Alle für den unterrichtlichen Gebrauch erforderlichen Gegenstände (Bücher, Bilder, Tafel, Schreibzeug u. dgl.) sind vor Beginn des Unterrichts herbeizuschaffen und in Bereitschaft zu halten, damit während desselben keine Störungen eintreten.

c. Die Natur richtet den Stoff im voraus so ein, daß er für die Form empfänglich wird.

Ebenso soll auch der Schüler auf den Unterricht angemessen vorbereitet und für ihn empfänglich gemacht werden. Zunächst ist durch eine gute Schulordnung die äußere und innere Haltung des Schülers derart zu regeln, daß alles fern gehalten wird, was die Aufmerksamkeit ablenken könnte. Dann aber muß vor allem in dem Schüler Lerneifer und Interesse an der Schularbeit erregt werden. Dies kann geschehen 1. durch eine liebevolle Behandlung des Schülers von seiten des Lehrers, sowie durch einen fröhlichen Lehrton; 2. durch eine freundliche und anziehende Ausstattung des Schullokals; 3. durch ein interessantes, der kindlichen Natur entsprechendes Lehrverfahren (häufige Anwendung von Bildern und passenden Beispielen, Form des Wechselgesprächs).

d. Die Natur übereilt sich nicht und macht keine Sprünge;

sie schreitet langsam, lückenlos und stufenweis vom Leichten zum Schweren vorwärts. Ebenso soll es auch im Unterrichte sein.

e. Die Natur schafft alles in beständiger Verknüpfung (Konzentration).

Daher soll auch der Unterricht alles, was seiner Natur nach zusammengehört, im Zusammenhang behandeln und beständig aufeinander beziehen. „Die Worte sollen nur in Verbindung mit den Sachen gelehrt und gelernt werden, ebenso wie der Wein mit dem Gefäß, das Holz mit der Rinde, die Frucht mit der Schale verkauft und von einem Orte zum anderen geschafft wird.“ „Die Lese- und Schreibübungen müssen immer in geeigneter Verknüpfung miteinander verbunden werden; die A-B-C-Schützen sollen die Buchstaben schreibend lernen.“ [S. 73]Die Stilübungen sollen an den nebenlaufenden Unterricht angeknüpft werden. Es soll womöglich alles, was die Kinder im Unterrichte aufnehmen, von ihnen schriftlich wiedergegeben werden, „so daß der Griffel alles, was die Lektüre angesammelt hat, in Fleisch und Blut umsetzt“. Endlich sollen überall, wo es angeht, die Gründe und Ursachen für das, was gelehrt wird, angegeben werden.

f. Die Natur stärkt und fördert sich selbst durch häufige Bewegung.

So sollen auch im Unterricht die Schüler soviel wie möglich selbsttätig sein, um dadurch die Kräfte ihres Geistes zu stärken. Zu dem Zwecke ist namentlich die Lehrform des Dialogs zu empfehlen. Sie veranlaßt die Schüler zu eigenem Nachdenken und Sprechen, steigert somit ihre Denk- und Sprechfähigkeit. Außerdem gewährt diese Lehrform folgende Vorteile: 1. Der Lehrer erfährt leichter, ob alles Auseinandergesetzte richtig von allen aufgefaßt ist. 2. Das, was man in Gesprächsform von dem Lehrer erlernt, haftet besser, als was man im nackten Vortrag erzählen hört. 3. Sie regt zur Aufmerksamkeit an.⁠[3] — Auch in zusammenhangender Wiedergabe des im Unterricht Behandelten sollen die Schüler fleißig geübt werden.

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g. Die Natur bringt alles aus der Wurzel hervor, anderswoher nichts.

„Aus diesem Satze folgt, daß die Jugend recht unterrichten nicht heißt, ein Gemengsel von Worten und Ansichten den Geistern einpferchen, sondern ihnen das Verständnis der Dinge eröffnen.

Die Menschen müssen soviel als möglich nicht aus Büchern unterwiesen werden, sondern aus dem Himmel, der Erde, den Eichen und Buchen, d. h. die Dinge selbst kennen lernen und durchforschen, nicht nur fremde Beobachtungen und Zeugnisse über die Dinge. Alles muß soviel als möglich den Sinnen vergegenwärtigt werden: das Sichtbare dem Gesicht, das Hörbare dem Gehör, das Schmackhafte dem Geschmack, das Riechbare dem Geruch, das Berührbare dem Tastsinn.

Für die Notwendigkeit der sinnlichen Anschauung gilt ein dreifacher Grund: a. Der Anfang der Erkenntnis muß immer von den Sinnen aus geschehen. b. Die Wahrheit und Sicherheit des Wissens hängt ebenso nur von dem Zeugnis der Sinne ab. c. Der Sinn ist der treueste Haushofmeister des Gedächtnisses. Wenn ich nur einmal Zucker selbst gekostet, nur einmal ein Kamel selbst gesehen habe usw., so haftet alles das fest im Gedächtnis und kann nicht wieder entfallen. Daher sagt Plautus treffend: ‚Mehr gilt stets ein Augenzeuge als zehn, die nur vom Hören wissen.‘“

10. Schulzucht. „Das Sprichwort der Böhmen: ‚Eine Schule ohne Zucht ist eine Mühle ohne Wasser‘ ist ein wahres Wort. Wenn du nämlich einer Mühle das Wasser nimmst, so muß sie stille stehen; ebenso wenn du aus der Schule die Zucht entfernst, muß alles erschlaffen. Die beste Weise der Zucht lehrt die Himmelssonne, welche den wachsenden Dingen a. immer Luft und Wärme, b. oft Regen und Wind, c. selten Blitz und Donner spendet, und auch dieses nur zu ihrem Nutzen. In Nachahmung der himmlischen Sonne wird sich der Leiter einer Schule bemühen, die Jugend in der Bahn der Pflicht zu erhalten: a. Durch das beständige [S. 75]Beispiel, indem er von allem, wozu er die Schüler anleitet, sich selbst als das lebendige Vorbild zeigt. Ist dem nicht so, so ist alles übrige umsonst. b. Durch belehrende, ermahnende, scheltende Worte; jedoch so, daß man deutlich sieht, es geschehe alles aus väterlicher Zuneigung und der Absicht, allen zu nützen, niemand zu schaden. c. Wo diese gelinderen Mittel nicht ausreichen, muß man zu gewaltsameren Heilmitteln übergehen. Jedoch erteile der Erzieher die Strafe nicht deshalb, weil einer gefehlt hat (denn Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen), sondern damit er in Zukunft nicht fehle. Ferner strafe er ohne Zorn und Haß, mit solcher Redlichkeit und Aufrichtigkeit, daß der Gezüchtigte selbst inne wird, die Strafe gehe aus der väterlichen Zuneigung des Lehrers hervor, und sie mit derselben Gesinnung aufnimmt wie der Kranke die bittere Arznei aus der Hand des Arztes. Endlich strafe er nicht wegen des Lernens, sondern wegen schlechter Sitten (namentlich, wenn der Zögling sich durch Unkeuschheit, Trotz und Bosheit verfehlt hat). Schläge und Streiche haben nicht die Kraft, in die Köpfe Liebe zu den Wissenschaften zu bringen. Die Studien, recht betrieben, locken durch sich selbst die Geister an. Wenn es nicht so ist, so tragen nicht die Schüler, sondern die Lehrer die Schuld daran, die es nicht verstehen, durch einen verständigen Unterricht die Geister zu fesseln. Durch die Gewaltmaßregeln, die sie nun anwenden, erzeugen sie nicht Liebe, sondern Widerwillen gegen das Lernen.“

4. Die pädagogische Bedeutung des Comenius.

Comenius hat zwar manchen Gedanken von seinen Vorläufern (Vives, Baco, Ratke) übernommen, aber er hat diese Gedanken weiterentwickelt, geklärt, vertieft und viele neue [S. 76]Gedanken hinzugetan. Seine wesentlichsten Verdienste um die Entwicklung des Schulwesens sind folgende.

1. Er hat den Begriff der Volksschule in der noch heute maßgebenden Weise bestimmt und damals schon ihre allgemeine Einführung als notwendig bezeichnet.

2. Er hat die sinnliche Anschauung und die Konzentration in ihrer Bedeutung für den Schulunterricht richtig erkannt und das Bild als Mittel der Veranschaulichung gefordert.

3. Er hat den Lehrplan der Volksschule durch die Gegenstände, die wir heute unter dem Namen ‚Realien‘ begreifen, erweitert.

Leider waren die Zeitverhältnisse, unter denen Comenius wirkte, so überaus traurig, daß von einer praktischen Durchführung seiner pädagogischen Ideen zunächst nicht die Rede sein konnte. Erst später haben seine Gedanken ihren Weg in die Praxis des Schulunterrichts gefunden.

4. Francke (1663–1663).

1. August Hermann Francke wurde in Lübeck geboren und in Gotha erzogen. Schon im vollendeten 14. Lebensjahre bestand er die Abiturientenprüfung am Gymnasium in Gotha. Nach zweijähriger Erholungspause bezog er die Universität und studierte in Erfurt und Kiel evangelische Theologie.

Mit 21 Jahren wurde er in Leipzig Hofmeister und ließ sich zugleich als Privatdozent an der dortigen Hochschule nieder. Er erklärte den Grundtext der Hl. Schrift und knüpfte daran erbauliche Betrachtungen. Später trieb er praktische Exegese, war Prediger in Lüneburg und darauf ein Jahr Lehrer in Hamburg an einer Privatschule für Kinder.

Nach kurzem Aufenthalte bei Spener in Dresden nahm er in Leipzig seine biblischen Vorlesungen wieder auf. Als Pietist (Frömmler) verschrieen, verließ er Leipzig und wurde Diakon in Erfurt. Mit 29 Jahren wurde er Universitätsprofessor (für orientalische Sprachen) in [S. 77]Halle und zugleich Pfarrer in der Vorstadt Glaucha. Hier wirkte er 35 Jahre lang mit vielem Segen.

2. Francke war ein edler Mann und besaß in hohem Grade den Geist christlicher Nächstenliebe. Er suchte alle Schüler Christus zuzuführen. Doch ein großer Fehler klebt dem Franckeschen Erziehungssystem an. Er behandelt nämlich die Kinder wie reife Männer. Deshalb kannte man kein Spiel. Jugendlicher Frohsinn und harmlose Freude fehlten. Man kannte nur schwerere und leichtere Pflichten. Die letzteren sollten als einzige Erholung dienen. Durch die Unnatur dieses Verfahrens wurde statt echter Frömmigkeit vielfach Frömmelei erzielt.

Das größte Gewicht legte Francke auf die Person des Lehrers. Von den Schülern verlangt er vor allem Wahrheitsliebe, Gehorsam und Fleiß. Für die Lehrerbildung strebte er die Gründung pädagogischer Seminarien an und sorgte für passende Schulbücher.

3. Die berühmten Franckeschen Stiftungen in Halle sind außer der Waisenhaus-Buchhandlung und der Waisenhaus-Apotheke:

  1. das Pädagogium (Erziehungsanstalt für Söhne aus höheren Ständen);
  2. die lateinische Schule (Gymnasium);
  3. die deutschen Bürgerschulen (für die Bürgerkinder der Stadt);
  4. das Waisenhaus (Armenschule und Pflegeanstalt für verwaiste Kinder);
  5. das Seminarium selectum (Bildungsanstalt der Lehrer für das Pädagogium und die Lateinschule);
  6. das Seminarium praeceptorum (Bildungsanstalt der Lehrer für die deutschen Bürgerschulen und das Waisenhaus).

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4. Wie Comenius der Reformator des Unterrichts, so ist Francke der Reformator der Disziplin. In seiner Schrift „Instruktion für die Praeceptores, was sie bei der Disziplin wohl zu beachten“ tritt er für eine vernünftige, möglichst angemessene und väterliche Schulzucht ein. Die bemerkenswertesten Stellen aus dieser Schrift sind folgende:

1. „Ehe bei einem Kinde die gradus admonitionum (Ermahnungsstufen) gebraucht worden sind, ist es nicht zu schlagen.“

2. „Es ist auch kein Kind zu schlagen, man habe ihm denn sein Verbrechen erst vorgehalten und es dessen auch überzeugt.“

3. „Um des Lernens willen und wenn ein Kind etwas nicht alsbald begreifen kann, sei es im Lateinischen, Griechischen, Rechnen, Singen oder im Catechismo, soll kein Kind geschlagen werden, wohl aber um der Bosheit und sonderlich um der Lüge und Dieberei willen.“

4. „Ein Präzeptor soll nicht ungeduldig, noch zornig werden, wenn ein Kind wegen seines langsamen Geistes etwas nicht bald fassen kann.“

5. „Wenn neue Kinder in die Schule kommen, so sind sie nicht alsbald mit Schlägen zu traktieren, sondern man soll ihrer 3 bis 4 Wochen schonen.“

6. „Die Bestrafung soll man nicht ein oder zwei Tage aufschieben, sondern die Sache bald abtun.“

7. „Nach der Strafe soll der Lehrer sich für die väterliche Züchtigung von dem Kinde die Hände geben und Besserung angeloben lassen.“

8. „Ein Lehrer, zu dem die Kinder Vertrauen haben, kann mit einer guten Vermahnung mehr ausrichten als andere mit vielen Schlägen.“

9. „Man soll kein Kind in der Schule zur Strafe knieen lassen.“

10. „Ein Präzeptor soll sich auch bemühen, die Gemüter der Kinder kennen und prüfen zu lernen.“

11. „Wenn ein Präzeptor unter der Lektion gewahr wird, daß ein Kind nicht achtgibt, so soll er es nicht alsbald mit Namen nennen, sondern lieber im allgemeinen etwa sagen: .... ‚ich sehe ein Kind, das nicht gerade sitzet oder schwätzt ...,‘ so wird er gewahr werden, daß das Kind sich getroffen findet.“

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12. „Schimpfliche Namen sind den Kindern durchaus nicht zu geben, weil sie dadurch mehr erbittert als gebessert werden.“

13. „Die Schulen sollen sein officinae Spiritus Sancti — Werkstätten des Hl. Geistes.“

[2] „Die Muttersprache verstummte unter den Knaben; deutsch zu sprechen wurde für schimpflich angesehen; Knechte und Mägde hörte man lateinisch reden, und man konnte meinen, Goldberg sei in Latium gelegen.“ (Inschrift auf einem Denkmale Trotzendorfs in der Johanneskirche zu Liegnitz.)

[3] Dennoch empfiehlt Comenius für die Praxis des Volksschulunterrichts die mehr mechanische Lehrform des Vorlesens, Nachlesens, Nachsprechens und Abschreibens. So heißt es in Kap. 29 der Didact. magna: „In den Morgenstunden soll der Lehrer die Aufgabe für die betreffende Stunde, während alle zuhören, vorlesen und wieder lesen, und wenn etwas einer Erklärung bedarf, möglichst deutlich und klar erklären, so daß alle es fassen müssen. Dann wird er die Schüler selbst der Reihe nach zum Lesen aufrufen: so daß, während einer laut und verständlich liest, die übrigen dabei in ihre Bücher sehen und schweigend folgen. Wenn das bis auf die Mitte der Stunde oder darüber hinaus fortgesetzt wird, so werden die Befähigteren ohne Buch dasselbe vorzutragen versuchen, und endlich auch die weniger Beanlagten. In den Nachmittagsstunden sollen die betreffenden Pensa durch Wiederholen und Abschreiben befestigt werden.“ Daß Com. hier im Widerspruche mit Kap. 19 der Didact. magna die dialogische Lehrform ausschließt und überhaupt die Persönlichkeit des Lehrers ganz zurücktreten läßt hinter dem Lehrbuch, erklärt sich 1. aus dem damaligen Mangel an methodisch vorgebildeten Lehrern, 2. aus einer übertriebenen Wertschätzung guter Lehrbücher. Die Lehrbücher sollen nach Com.’ Ansicht womöglich so eingerichtet sein, daß sie den Lehrer ganz ersetzen; sie sollen denn auch in dialogischer Form abgefaßt sein.

VI. Förderung des Schulwesens seitens einzelner Landesfürsten.

1. Herzog Ernst der Fromme von Gotha (1640–1675).

1. Leben. Comenius hatte in seiner ‚Großen Unterrichtslehre‘ den Plan zum Bau der Volksbildung in großen Zügen gezeichnet. Derjenige, der zuerst Hand anlegte, diesen Bau auszuführen, war der Fürst eines kleinen Staates im Herzen Deutschlands: Herzog Ernst I. von Gotha, genannt der Fromme. Kaum hatte er im Oktober 1640 seinen feierlichen Einzug in die Residenzstadt Gotha gehalten, so ließ er eine Generalvisitation aller Kirchen und Schulen abhalten, bei welcher eine große Unwissenheit und geistige Verwilderung des Volkes sich herausstellte. Daß die Besserung der Verhältnisse in seinem Lande mit der Verbesserung der Schulen beginnen müsse, erkannte Herzog Ernst recht klar, zumal er von seiner Mutter (Herzogin Dorothea von Weimar) ein warmes Interesse für Ratke und dessen Bestrebungen geerbt hatte. Um nun eine einheitliche Umgestaltung des gesamten Schulwesens in seinem Lande herbeizuführen, berief er den Rektor Andreas Reyher, einen Anhänger des Ratke und Comenius, an das Gymnasium zu Gotha. Er erteilte ihm den Auftrag, unter Benutzung der Visitationsberichte einen methodus docendi (Lehrplan, Schulordnung) für die unteren Klassen des Gymnasiums aufzusetzen, der auch in den Volksschulen des ganzen Landes gebraucht werden könne. Der erste Entwurf dieser Schulordnung erschien 1642, die Erweiterung und Verbesserung derselben 1648.

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2. Schulmethodus. Der Methodus ist die erste staatliche Volksschulordnung und enthält in seinen 13 Kapiteln folgende bedeutsame Gedanken und Vorschriften.

1. (Hauptaufgabe.) Die Hauptaufgabe der Schule ist die Erziehung. Den Kindern ist die Allgegenwart Gottes recht zum Bewußtsein zu bringen, es ist ihnen eindringlich vorzustellen, daß Gott an allen Orten und Enden ganz nahe um sie sei, all ihr Tun sehe, ihre Reden höre, alle ihre Gedanken wisse — so werden sie kindliche Scheu und Ehrfurcht vor Gott lernen. Der ganze Tageslauf des Kindes soll unter dem Gesetz der Gottesfurcht stehen; Fleiß und Reinlichkeit, Bescheidenheit und Höflichkeit sollen ihnen als Zierden des Kindeslebens gezeichnet werden. Des Sonntags sollen beim ersten Läuten zum Gottesdienste sich die Kinder in der Schule versammeln, dann wird das Evangelium gelesen, und darauf gehen sie paarweise zur Kirche. Die älteren Kinder sollen gewöhnt werden, etwas von der Predigt nachzuschreiben; die kleineren aber sollen den einen oder anderen Spruch behalten. Sittliche Fehler sollen zunächst durch väterliches Vorstellen des Unrechts, dann durch ernstlichen Verweis, endlich durch Bestrafung mit der Rute oder Niederknieen gerügt werden. Die körperliche Erziehung darf nicht vernachlässigt werden, aber Werfen und Schleudern mit Steinen, sowie das Baden und Schwimmen in fließendem Wasser und Teichen darf nicht geduldet werden, weil es der Gesundheit schädlich, auch oftmals lebensgefährlich ist.

2. (Allgemeine Schulpflicht.) Alle Kinder, sowohl Knaben als Mädchen, in Dörfern und Städten sollen vom 5. bis 14. Lebensjahre in die Schule geschickt werden, nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer. Täglich soll 3 Stunden am Vormittag und 3 Stunden am Nachmittag Unterricht gehalten werden, nur die Nachmittage am Mittwoch und Samstag sind frei. In der Erntezeit werden auf dem Lande 6 Wochen, in der Stadt 4 Wochen frei gegeben. Auch in den Ferien haben die Lehrer täglich 2 Stunden vormittags Schule zu halten mit denjenigen Kindern, welche nicht mit häuslichen Arbeiten beschäftigt sind. Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, sollen für jede versäumte Stunde zum erstenmal 1 Groschen, zum zweitenmal 2 Groschen, zum drittenmal 3 Groschen und so fort bis 6 Groschen als Strafe zahlen; und wenn noch ferner Halsstarrigkeit verspürt würde, soll diese Strafe von jeder Stunde fortgesetzt werden. Das Geld soll [S. 81]von den Gerichtspersonen eingezogen, zum Ankauf von Büchern, Federn und Tinte für die armen Kinder sowie zur Belohnung der fleißigen Schüler verwendet werden.

3. (Einteilung in Klassen.) Jede Schule muß in 3 Klassen eingeteilt werden. Der Lehrer soll wie auch jeder Schüler sein eigenes Buch haben, und zwar kein anderes als die vorgeschriebenen. Die Fibel und das Lesebüchlein werden einmal jedem Kinde von der fürstlichen Herrschaft umsonst gegeben. Der Stundenplan soll auf einem ganzen Bogen aufgeschrieben und sichtbar im Schulzimmer aufgehängt werden. In den einzelnen Stunden darf nichts anderes vorgenommen werden, als was vorgeschrieben ist. Der Vormittagsunterricht wird mit Gebet (Morgengebet, Glauben, Vaterunser) angefangen und mit Gebet oder Gesang geschlossen. Desgleichen der Nachmittagsunterricht. Jeden Freitag nach der Wochenpredigt findet eine allgemeine Repetition des Wochenpensums statt.

4. (Unterrichtsfächer.) Außer Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen soll auch der „Unterricht in den natürlichen Dingen“ betrieben werden. Reyher schrieb hierfür ein eigenes Buch. Dasselbe hat 4 Teile. Der erste handelt 1. von dem gestirnten Himmel nach dem Ptolemäischen System; 2. von den Erscheinungen zwischen Himmel und Erde (Kometen, Sternschnuppen, Irrlichtern); 3. vom Erdreich, von Mineralien und Bodenarten; 4. von Kräutern und Bäumen (Die Kräuter sollen in einem nahen Garten gezogen oder gedörrt auf Papier genäht werden); 5. von den Tieren; 6. vom Menschen; 7. von der Seele. Der zweite Teil umfaßt die Geometrie und enthält eine treffliche Anleitung zum Zeichnen und Messen mit 35 geometrischen Figuren. Anschauung und praktischer Versuch ist in den Vordergrund gestellt. Der dritte Teil gibt Belehrung über die Obrigkeit, Gesetze, Rechte, Steuern, Münzen usw. Alles, was man da zeigen kann, soll den Kindern gezeigt werden: Dorf, Stadt, Kreis, Grenzstein, Graben, Raine, Malbäume u. dgl. Der vierte Teil „von etlichen Hausregeln“ gibt gute Lehren für Hausherren, Hausfrauen und Hausgenossen. Dieses Buch ist das erste Realienbuch für deutsche Schulen und ist auf Anregung von Ratke und Comenius zurückzuführen, mit dessen orbis pictus es gleichzeitig erschien.

5. (Lehrer.) Die Lehrer sollen ihre Talente bei allen Schülern treulich anwenden, sich nicht durch den Undank der Welt oder andere äußere Beschwerlichkeiten von ihrer Treue abschrecken lassen, sondern [S. 82]nächst dem Schutze der Obrigkeit sich ihres guten Gewissens und des göttlichen Beistandes trösten. Wo mehrere Lehrer an einer Schule sind, sollen sie sich friedlich miteinander vertragen, gegen die Vorgesetzten den gebührenden Respekt und Gehorsam erweisen. Die Zucht soll so gehandhabt werden, daß die Kinder nicht durch allzu große Schärfe schüchtern, noch durch allzu große Lindigkeit ungehorsam gemacht werden. Der Schulkatalog, der den Namen, den Eintritt und die Fortschritte eines jeden Kindes enthält, soll allezeit richtig geführt werden. Auch sollen die Lehrer ein besonderes Register haben, in welchem sie täglich verzeichnen, wann ein Kind aus der Schule bleibt und aus welchem Grunde.

6. (Prüfung.) Jedes Jahr soll 8 Tage vor der Ernte eine allgemeine Prüfung gehalten werden. Drei Tage vorher soll der Lehrer dem Pfarrer eine Tabelle einschicken, in welcher die Namen, Anlagen, Kenntnisse und Versäumnisse der Kinder anzuführen sind, auch angegeben werden muß, wie weit sie im Katechismus und in den einzelnen Fächern gekommen sind. Bei der Prüfung selbst soll der Pfarrer die Schreib- und Rechenhefte nachsehen, ob die Arbeiten gut geschrieben, ob und wie sie korrigiert sind. Hieran schließt sich eine mündliche Prüfung, die sich auf Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen erstreckt. Die zur Entlassung reif befundenen Kinder werden dann vom Pfarrer ermahnt, sich der Gottesfurcht und der guten Sitten zu befleißigen, und geloben dies mit ihren Eltern durch Handschlag. Fleißige Kinder sollen hierbei durch kleine Geschenke, auch Geldspenden, ausgezeichnet werden.

Der Methodus zeitigte in Gotha die besten Früchte, so daß es in Deutschland allgemein hieß: „Des Herzogs Ernst Bauern sind gelehrter als anderswo die Städter und Edelleute.“ Andere Länder (wie Braunschweig, Lüneburg, Hessen) nahmen ihn für ihre Schulordnungen zum Vorbilde.

Das Verhalten der Jugend außerhalb der Schule regelte er durch die Verordnung v. J. 1654 „Kurze Anleitung, wie die Schuljugend in und außer den Schullektionen sich zu verhalten hat.“ Diese Anleitung enthielt Vorschriften über das Benehmen beim Aufstehen, Gehen zur Schule, Mittagessen, im Hause, in der Kirche, dann auch beim Spiele, Beten, [S. 83]Abendessen und Schlafengehen; sie mußte an jedem Orte angeschlagen und beim Schulexamen im Beisein der Ortsbehörde vorgelesen werden. Die aus der Schule entlassenen Kinder wurden gezwungen, an einem regelmäßigen Fortbildungsunterricht „in der Religion und in den natürlichen Dingen“ teilzunehmen; für die Fortbildung in der Religion war die sonntägliche Kinderlehre bestimmt, für den Unterricht in den Realien wurden wöchentlich 3 Stunden festgesetzt.

3. Sorge für den Lehrerstand. Hatte der „Schulmethodus“ und die „Anleitung“ für den inneren Ausbau der Volksbildung gesorgt, so sorgte der Herzog nicht minder auch äußerlich für die Volksschule.

a. Ein Kapital von 27000 Gulden stiftete er schon zu Anfang seiner Regierung zur Verbesserung der Lehrerbesoldungen und zur Anschaffung der nötigen Abc- und Lesebücher für die Schulkinder. Jeder Volksschullehrer seines Landes erhielt außer freier Wohnung, freiem Holz und Brotkorn wenigstens 600 Mark; eine Fibel und ein Lesebuch erhält noch heute jedes schulpflichtige Kind unentgeltlich.

b. Die jährliche Anmietung und Kündigung der Lehrer hob er auf, der von der Gemeinde gewählte Lehrer wurde nunmehr vom Staate ständig angestellt.

c. Für die Witwen der Lehrer gründete er eine staatliche Witwenkasse. Der Anlaß hierzu war ein Besuch des Herzogs in der Schule zu Reinhardsbrunn; der Herzog fand den Lehrer arm und krank im Bette, und doch unterrichtete der Kranke die um sein Bett stehende Kinderschar so eifrig, daß der Herzog zu Tränen gerührt wurde.

d. In seinem Testamente ermahnt er die Erben, die Schulen in gutem Zustande zu erhalten, besonders dadurch daß man solche Personen, die Lust zum Lehramte haben, [S. 84]unterstütze und zum Schulamte in einer Anstalt vorbereite. Aber erst 1780 konnte das Lehrerseminar in Gotha errichtet werden.

2. Kurfürst Joachim II. (1535–1571).

Joachim II. ist der erste Fürst aus dem Hause Hohenzollern, der in seinen Verordnungen auch der Schulen gedenkt. In seiner „Kirchenordnung“ v. J. 1540 sagt er: „Schulen sind zur Erhaltung der christlichen Religion und guter Zucht notwendig. Weil aber dieselben etliche Zeit in Verfall geraten sind, wollen wir, daß sie in allen Städten und Märkten wieder eingerichtet und verbessert werden.“ Diese Kirchenordnung setzt das Vorhandensein der Schulen voraus, versteht aber unter Schulen solche, die in Städten sich befinden und in denen neben den Elementarfächern Latein gelehrt wurde.

Auch ist von ihm die erste Schulaufsichtsbehörde eingesetzt, das „Konsistorium“ (1552), welches aus 5 geistlichen und weltlichen Räten bestand, die zugleich dem Berliner Kammergericht angehörten. Dieselben mußten die Provinzen bereisen, um Kirchen- und Schulvisitationen vorzunehmen; innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren mußten sämtliche Schulen des Landes besucht sein.

3. Kurfürst Johann Georg (1571–1598).

Johann Georg nahm ebenfalls auf das Schulwesen in den Städten Bedacht. In seiner „Visitations- und Konsistorialordnung“ v. J. 1573 bestimmt er folgendes. „Die Obrigkeiten jeden Ortes sollen Schulen ordentlich bauen. Die Pfarrer sollen öffentlich die Eltern ermahnen, daß sie die Kinder, sobald sie nur altershalber tauglich dazu sind, in die Schulen schicken, damit diese den gottlosen Müßiggang meiden und in Gottesfurcht und guter Zucht wohl erzogen [S. 85]werden. Die Schulmeister und ihre Gehilfen sollen nicht nach Gunst, sondern wegen ihrer Geschicklichkeit und ihres christlichen Wandels mit Bewilligung der Pfarrer und Räte in Städten angenommen werden. Dieselben sollen sich der Kinder aufs trefflichste annehmen, sie im Katechismus und sonst in guten Künsten mit Fleiß unterrichten, auch die Gesänge in der Kirche mit denselben rechtzeitig einüben und in der Kirche singen.“ Um den Fleiß anzuregen, sollen die Kinder in Klassen eingeteilt und die Schule allmonatlich vom Pfarrer besucht werden. Die Zucht soll gelinde sein, mit Vernunft und Maß geschehen. Kinder und Eltern sollen den Lehrer werthalten und ehren, die Bürger sollen ihm seinen Lohn jedes Quartal unverzüglich und treu entrichten.

Eine besondere Sorgfalt wandte er auch den Mädchenschulen zu, deren Errichtung er warm empfiehlt. „Die Jungfrauenschulen sind sehr nützlich und wohl erdacht. Darum sollen die Bürger ihre Töchter in denselben lesen, beten und geistliche Gesänge lernen lassen.“

Damit auch die Jugend in den Dörfern nicht ohne allen Unterricht bleibe, sollte der Küster alle Sonntage des Nachmittags den Kindern den Katechismus vorlesen, durch Fragen erklären und sie beten lehren. Desgleichen soll er ihnen gute deutsche Psalmen vorsingen und sie in das Verständnis derselben einführen. Diese Bestimmung darf als der Anfang der späteren Volksschule gelten.

4. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst(1640–1688).

Der Große Kurfürst hat zur Förderung des Schulwesens beigetragen, 1. durch Verordnungen und 2. durch Gründungen von Schulen.

1. Für die Mark Brandenburg erneuerte er i. J. 1641 die Verordnungen seines Ahnherrn Johann Georg, die durch [S. 86]die Wirren des 30jährigen Krieges in Vergessenheit geraten waren. Für das westliche Gebiet seines Landes erließ er 1662 die „Klevisch-Märkische Kirchen- und Schulordnung für die Reformierten“, nach welcher die Kirchen und Gemeinden in Dörfern, Flecken und Städten wohlbestellte Schulen einrichten sollten. Ein Jahr vor seinem Tode (1687) erließ er die „Lutherische Schulordnung für Kleve und die Mark“. In dieser bestimmt er ausdrücklich: „Die Schulen sollen mit frommen und fleißigen Schulmeistern bestellt, die Neben- und Winkelschulen aber nicht gestattet werden. Die Lehrer sollen die Kinder zur Gottesfurcht erziehen und ihnen selbst mit gutem Beispiele vorgehen. Die Schularbeit soll durchgehends sowohl in den lateinischen als in den deutschen Schulen mit dem ‚Veni, sancte spiritus‘, ‚Komm, heiliger Geist‘ angefangen und mit einem Gebet jederzeit geendigt werden.“

2. Er gründete trotz der herrschenden Geldnot viele neue Schulen und stellte die verfallenen wieder her. Auf Anregung seiner Gemahlin Luise Henriette baute er 1665 das große Waisenhaus in Bützow a. d. Havel, welcher Ort seitdem der Kurfürstin zu Ehren ‚Oranienburg‘ heißt; reichlich bedachte er das Haus mit Kapitalien, Ländereien und Einkünften. In Wesel wurde 1687 eine „Pflanzschule für (reformierte) Schulmeister“ als Zweiganstalt des dortigen Gymnasiums eingerichtet.⁠[4]

Große Sorge widmete er auch der Bibliothek in Berlin, [S. 87]zu der er den Grund legte. Dieselbe besaß schon i. J. 1687, also ein Jahr vor seinem Tode, gegen 2000 Handschriften und 20000 gedruckte Bücher. Außerdem stiftete er das Friedrich-Werdersche Gymnasium in Berlin, die Universität zu Duisburg (die 1802 wieder einging) und unterstützte die Universität in Frankfurt a. d. O. (1506 von Joachim I. Nestor errichtet, 1811 mit Breslau vereinigt).

5. Friedrich III. (I.) (1688–1713).

Derselbe ging vor allem darauf aus, dem neuen Königreiche den Schmuck der Wissenschaften und Künste zu geben. Er gründete die Akademie der Künste und unter Mitwirkung des Philosophen Leibniz die Akademie der Wissenschaften. Im J. 1694 stiftete er die Universität zu Halle a. d. S., an welche er den Pädagogen Francke als Professor berief, und bedachte die zu Frankfurt a. d. O. mit namhaften Schenkungen. Doch wandte er auch dem Volksschulwesen seine Sorgfalt zu. Er unterstützte die Bestrebungen Franckes in Halle, errichtete 1701 in Königsberg ein Waisenhaus, nahm sich der Verpflegung der Witwen und Waisen der Lehrer an und erließ 1710 das „Edikt, betreffend die Generalvisitation der Kirchen und Schulen“.

Der erste Teil dieses Edikts bezieht sich auf die Schulen in den Städten. Die Visitatoren sollen folgende Fragen beantworten: 1. Wieviel Schulen in jeder Stadt sind; 2. ob eine Schulordnung vorhanden; 3. wie die praeceptores und Schüler sich gegen die Mitbürger verhalten; 4. ob die praeceptores ihr hinreichendes Auskommen haben; 5. ob sie auch andere, ihrem Amte nicht anständige Nahrung (Beschäftigung) treiben; 6. wie ihnen zu besserem Unterhalte am besten verholfen werden könne; 7. ob auch Stipendien für die Schüler vorhanden seien.

[S. 88]

Der zweite Teil bezieht sich auf die Schulen in Dörfern. Hier mußte berichtet werden: 1. Ob ein Schulmeister vorhanden, der die Knaben im Lesen, Schreiben und Katechismus unterweise; 2. ob derselbe die zu seinem Amte nötige Fähigkeit und den erforderlichen Fleiß habe; 3. ob er einen guten, christlichen Wandel führe.

6. Friedrich Wilhelm I. (1713–1740).

König Friedrich Wilhelm I. ist nicht nur der Schöpfer der straffen Ordnung des Heeres und der Finanzen, sondern auch der Begründer der allgemeinen Volksschule, des dritten Faktors der Größe Preußens.

1. Er führte die allgemeine Schulpflicht ein.

Nachdem der König 1713 eine allgemeine Schulordnung für die reformierten Schulen erlassen, gab er 1715 eine Instruktion für die Visitation der lutherischen Schulen. Auf Grund der eingegangenen Berichte setzte er in der Verordnung vom J. 1717 folgendes fest: „Künftighin sollen an den Orten, wo Schulen sind, die Eltern bei nachdrücklicher Strafe gehalten sein, ihre Kinder vom 5.–12. Jahre gegen zwey Dreyer wöchentliches Schulgeld von einem jeden Kind im Winter täglich und im Sommer wenigstens ein- oder zweimal die Woche in die Schule zu schicken, damit sie dasjenige, was im Winter erlernt worden, nicht gänzlich vergessen mögen. Falls aber die Eltern arm sind, so wollen wir, daß solche zwey Dreyer aus jedes Ortes Almosen bezahlt werden sollen.“ In dem Reglement v. J. 1738 wird der Unterricht in der Religion besonders betont; doch sollte die Übung der religiösen Pflichten mit dem Erlernen der Religionswahrheiten verbunden sein. Dazu kamen als weitere Fächer: Deutsch, Rechnen und Gesang. Die Unterrichtsbücher sollen einheitlich sein. Jährlich mußte eine öffentliche Prüfung stattfinden. Kinder, die nicht lesen konnten, durften zur Konfirmation nicht zugelassen werden. Kinder, die in der Religion, im Deutschen, Rechnen und Singen nicht hinlänglich unterrichtet waren, durften nicht entlassen werden. Auf seinen Reisen besuchte er die Schulhäuser, wohnte dem Unterricht bei und hielt strenges Gericht über die unfleißigen Schüler, wie einst Kaiser Karl d. Gr. Als der König zum letztenmal in der Provinz Preußen war, sagte er [S. 89]dem Professor der Theologie Schulze in Königsberg, dem er die Einrichtung der Schulen in Klein-Litauen übertragen hatte, daß er es am jüngsten Tage zu verantworten haben werde, wenn er ihm nicht alles bekannt mache, was er zum Besten der Kirchen und Schulen tun könne. Mit der Methode des Elementarunterrichts war er so vertraut, daß er einst an der Hoftafel auseinandersetzen konnte, wie die Kinder nach neuer Erfindung das Lesen ohne Buchstabieren lernten.

2. Er sorgte für tüchtige Lehrer.

Die Lehrer waren damals meist Handwerker, die nebenher Unterricht erteilten und noch andere Beschäftigungen trieben, welche das Ansehen des Lehrers nicht fördern konnten. So machten sie bei Hochzeiten und Kindtaufen die nötige Musik, hatten das Privilegium für Hökerei und durften allein den Ausschank von Branntwein betreiben. Um bessere Lehrer zu erhalten, unterstützte er das Waisenhaus in Halle, aus welchem tüchtige Lehrer hervorgingen, und gründete selbst 1722 das Waisenhaus in Potsdam, zu dessen Leitung er 1735 den Pädagogen Hecker berief. Ferner begünstigte er die Stiftung des Predigers Schienmeyer in Stettin[5] (in der Vorstadt Lastadie) zur Bildung von Lehrern und beauftragte 1735 den Abt Steinmetz, „jederzeit ein Seminarium von jungen Leuten bei seiner Lehranstalt zu Kloster Bergen bei Magdeburg zu halten, aus welchen man geschickte Schulmeister nehmen könnte.“ Die Lehrer mußten sich vor ihrer Anstellung einer Prüfung bei dem Generalsuperintendenten unterziehen.

3. Er gründete viele neue Schulen.

Namentlich hatte sich die Provinz Ostpreußen der Fürsorge des Königs in dieser Hinsicht zu erfreuen. Es tat hier auch besonders not. Der schwedisch-polnische Krieg (1655–1660) hatte tiefe Wunden geschlagen, die Pest (1709) eine Viertelmillion Menschen hingerafft. In den sehr weitläufigen Kirchspielen gab es nur je eine Schule, die bei der Kirche sich befand und zu der die Kinder oft meilenweit zu wandern hatten. Um nun das Schulwesen dieser Provinz zu heben und einheitlich zu regeln, ließ er zunächst durch eine Kommission von Sachverständigen[S. 90] dieselbe bereisen und auf Grund des Berichtes dieser Kommission einen Plan zur Verbesserung der Schulen ausarbeiten und der preußischen Landesregierung vorlegen. Letztere erhob Widerspruch und erklärte, durch diesen Plan werde dem Lande eine unerträgliche Last aufgebürdet. Der König schrieb (1722) an den Rand der Eingabe der Regierung: „Dieses ist nichts. Die Regierung sieht nur auf den Ackerbau. Aber, wenn ich auch das Land baue und verbessere und mache keine Christen, so hilft mir alles nichts.“ Er sandte abermals einen Sachverständigen an Ort und Stelle, Staatsminister v. Grumbkow, um die Verhältnisse zu untersuchen, und scheute selbst nicht die Reise in die ferne Provinz, um aus eigener Anschauung die Not des Volkes kennen zu lernen. Nach seiner Rückkehr erklärte er sich ausdrücklich mit dem Gutachten der Kommission einverstanden und erließ 736 das Schulgründungsgesetz (principia regulativa[6]). Die wichtigsten Bestimmungen desselben sind folgende.

1. Das Schulgebäude errichten und unterhalten die assoziierten Gemeinden.

2. Seine Majestät geben das freie Bauholz; Türen, Fenster und Kachelofen werden von den Kollektengeldern verfertigt.

3. Seine Majestät geben auch das freie Brennholz, welches die Gemeinden anfahren.

4. Jede Kirche zahlt zum Unterhalt der Schulmeister jährlich 4 Taler. Dagegen soll der pastor loci die Schulmeister anhalten, daß sie den Kirchendienst, als z. B. die Kirchen zu reinigen, mit verrichten helfen.

6. Zur Subsistenz wird dem Schulmeister 1 Kuh und 1 Kalb, item ein paar Schweine und etwas Federvieh frei auf der Weide gehalten, und 2 Fuder Heu und 2 Fuder Stroh gereichet.

7. Hiernächst bekommt er von Sr. Maj. einen Morgen Land (welcher allemal hinter seinem Hause anzuweisen), solchen aufs beste zu nutzen. Die eingewidmeten (zu einer Schulgemeinde gehörigen) Dorfschaften bearbeiten solchen und halten ihn im Gehege.

8. Der Schulmeister bekommt von den gesamten Bauern seines Distrikts per Hufe ¼ Scheffel Roggen, ⅛ Scheffel Gerste. Geht der Roggen über 12 Scheffel, werden die Beiträge der Bauern kleiner, geht er darunter, legen sie zu.

9. Jedes Schulkind von 5 bis 12 Jahren gibt ihm jährlich, es [S. 91]gehe zur Schule oder nicht, 15 Groschen preußisch (1 Gr. pr. = 4 Pf.) oder 4 Gute Groschen (1 Ggr. = 15 Pf.).

10. Ist der Schulmeister ein Handwerker, kann er sich schon ernähren; ist er keiner, wird ihm erlaubt, in der Ernte 6 Wochen auf Tagelohn zu gehen.

11. Der Schulmeister ist frei von Kopf- und Hornschoß (von Personen- und Viehsteuer), desgleichen von Schutzgeld (Abgabe für des Staates Schutz, Staatssteuer).

12. Im Falle ein Bauer oder Instmann (Mieter) mehr als 2 Kinder hätte, die zur Schule gebracht werden könnten, wird der Überrest des Schulgeldes von den Interessen der 50000 Taler bezahlt.

13. Der zweite Klingelbeutel ist für die Schulmeister.

14. Wo Kölmer⁠[7] wohnen, dieselben geben den Bauern gleich. Weil aber sonst ihre Lage besser als der Bauern, bezahlen sie noch für jedes Kind jährlich 6 Gute Groschen Schulgeld.

16. Jedes Schulkind, wenn es konfirmiert wird, bezahlt dem Schulmeister 6 Gute Groschen.

18. Jedem Schulmeister muß ein Platz zum Küchengarten gleich hinter seinem Hause angewiesen werden.

Diese principia regulativa blieben aber nicht nur Gesetz, sondern der König sorgte auch für deren Ausführung. Er machte eine Stiftung von 50000 Talern, genannt mons pietatis (Kapital der Frömmigkeit), deren Zinsen in armen Gemeinden zur Aushilfe für die Besoldung der Lehrer und den Aufbau der Schulen verwendet werden sollten. In einem Zeitraum von drei Jahren (1737–1740) entstanden in der Provinz Ostpreußen nicht weniger als 1700 neue Landschulen mit 1900 Lehrern, die von 95000 Schülern besucht wurden. Mit Recht haben die dankbaren Nachkommen dem König vor dem Regierungsgebäude in Gumbinnen ein Denkmal errichtet mit der Inschrift: „Dem Vater Litauens“.

[4] Als Wesel 1806 von den Franzosen eingenommen wurde, siedelte der damalige Inspektor Ehrlich nach Soest über. Hier wurde das Seminar am 4. Oktober 1806 wiederum als Zweiganstalt des Gymnasiums, und zwar als paritätische Anstalt eröffnet. Mit der Gründung des katholischen Lehrerseminars in Büren (1825) erhielt das Seminar in Soest den Charakter einer rein evangelischen Anstalt.

[5] Die Schienmeyersche Stiftung wird wohl als die erste staatlich anerkannte Lehrerbildungsanstalt angesehen. Indessen bestand sie nur kurze Zeit, 1732–1737; zudem mußten die Schulamtsaspiranten nebenher auch das Schneiderhandwerk erlernen, eine Loslösung des Lehrerstandes vom Handwerke wurde also dort noch nicht versucht.

[6] D. i. Grundsätze zur Regelung (des Schulwesens).

[7] Kölmer sind Bauern, die ein Gut von mindestens 3 Kulmischen Hufen haben. (1 Hufe = 7½ Hektar.)

[S. 92]

Vierter Abschnitt.
Von Rousseau bis Pestalozzi.

Vorbemerkung.

1. Die bisher vorgeführten pädagogischen Bestrebungen aus der christlichen Zeit stehen auf positiv christlichem Boden. Dieser Boden wurde in der Folge vielfach verlassen und an die Stelle der übernatürlichen Offenbarung eine natürliche Religion gesetzt.

2. Die natürliche Religion stellt Erbsünde und Erlösung in Abrede, verwirft die positiven Erziehungsmittel und verlangt eine rein naturentsprechende Bildung.

3. Das Ringen nach dem Natürlichen hatte zwei gute Wirkungen. Es wurde gefördert a) die naturgemäße Methode des Unterrichts; b) die physische Erziehung. Hierin liegt ein unverkennbares Doppelverdienst. Doch führte die Übertreibung zur Unnatur des Hofmeistertums.

I. Locke (1632–1704).

Der Vorläufer Rousseaus war der Engländer John Locke. Derselbe war Mediziner, wandte sich aber seiner schwächlichen Gesundheit wegen der praktischen Pädagogik zu und wirkte als Erzieher in der Familie des Lords of Shaftesbury. Als pädagogischer Schriftsteller trat er auf in dem Werke: „Gedanken über Erziehung“.

In seinem Werke stellt er folgende Hauptforderungen auf:

a) Die Erziehung soll nicht durch die Schule, sondern durch einen Hofmeister geschehen, da die Schule für den feinen Umgang ungeschickt macht und vielfach die Kinder verdirbt.

b) Der Erzieher soll vor allem den Satz Juvenals beachten: „Ein gesunder Geist sei in einem gesunden Körper.“

Daher soll der Zögling „Tag und Nacht, bei Wind und Wetter in bloßem Kopfe gehen“. „Die Kleider seien weit und lose“. „Frühes Aufstehen und frühes Schlafengehen sei Regel; acht [S. 93]Stunden Schlaf reichen aus.“ „Das Lager sei hart; es bestehe aus Matratzen und wollenen Decken, nicht aus Federbetten.“

c) Die Erziehung soll früh beginnen.

„Das Gemüt muß der Zucht gehorsam und der Vernunft unterwürfig gemacht werden in der Zeit, da es noch zart und leicht zu biegen ist.“ „Die Spiele der Kinder sind so einzurichten, daß nützliche Gewohnheiten daraus entstehen.“

d) Das Kind soll besonders zur Selbstbeherrschung, Wahrheits- und Ehrliebe erzogen werden.

„Durch die Erziehung soll der Mensch fähig gemacht werden, sich selbst seine eigenen Begierden zu versagen, seinen eigenen Neigungen zu widerstreben und bloß demjenigen zu folgen, was die Vernunft als das Beste erweist. Dann hat die Erziehung den Grund zu aller Tugend gelegt.“ „Die Lüge muß man dem Kinde immer als die größte Abscheulichkeit von der Welt darstellen.“ „Das Streben nach dem Beifall der Leute sei eines der wichtigsten Motive des Handelns für junge Menschen.⁠[8] Die Gründe für Gebote und Verbote sind dem Schüler anzugeben, weil dies die Selbstachtung fördert.“

e) Das Lernen muß möglichst erleichtert und der Lehrstoff nach Rücksichten der Nützlichkeit ausgewählt werden.

Man verschone das Kind mit vielen Regeln; Beispiele sind besser als Regeln.“ „Muttersprache, Rechnen, Realien sind wohl zu pflegen. Poesie und Musik sind vom Unterricht auszuschließen: man findet auf dem Parnaß selten Gold- und Silberminen; die Luft dieses Berges ist lieblich, aber der Boden unfruchtbar.“

[8] Vgl. dagegen: „Gott wird die Gebeine derjenigen zerstreuen, die den Menschen zu gefallen suchen“ (Ps. 52) u. „Wenn ich den Menschen zu gefallen suchte, würde ich Christi Diener nicht sein.“ (Galater 1, 10.)

II. Rousseau (1712–1778).

1. Leben. Johann Jakob Rousseau wurde zu Genf geboren. Sein Vater, ein verarmter Uhrmacher, las mit ihm Romane ohne Vernunft und Maß und weckte so in dem Knaben eine krankhafte Lesesucht und Sinnlichkeit. Mit dem Sohne eines Oheims kam Rousseau zu einem evangelischen Pfarrer auf dem Lande in Pension, dann als Lehrling zu einem Kupferstecher. Letzterem entlief er aus [S. 94]Furcht vor Strafe und kam nach Annecy zu einer Frau v. Warens, die ihn veranlaßte, nach Turin zu reisen, wo er ohne innere Überzeugung zur katholischen Kirche übertrat und sich mehrere Jahre umhertrieb. 20 Jahre alt, kehrte er nach Annecy zurück und blieb hier fast 10 Jahre. Nachdem er kurze Zeit in Lyon Hauslehrer gewesen, siedelte er, 30 Jahre alt, nach Paris über, wo er einen höchst unsittlichen Lebenswandel führte. In Genf zum reformierten Bekenntnis zurückgetreten, kam er abermals nach Paris und veröffentlichte dort u. a. den Erziehungsroman „Emil“. Wegen seiner Schriften aus Frankreich verbannt, wohnte er einige Zeit im Kanton Neuenburg und wurde von Friedrich II. nach Potsdam eingeladen. Seine Freunde erwirkten ihm aber die Erlaubnis, nach Paris zurückzukehren. Er starb auf dem Landgute Ermenonville bei Paris eines plötzlichen Todes. Seine Gebeine liegen im Panthéon zu Paris, wo auch Voltaire und der Dichter Viktor Hugo begraben wurden.

2. Schriften. Die bemerkenswertesten sind:

a) Eine Abhandlung über die Ersetzung der Musiknoten durch Ziffern.

Die französische Akademie mußte ihm die Ehre der ersten Erfindung streitig machen, denn ein Mönch (Pater Suhaiti) hatte bereits diese Erfindung gemacht und veröffentlicht.

b) „Haben die Fortschritte der Wissenschaften und Künste zur Reinigung oder Verschlechterung der Sitten beigetragen?“

Die Akademie in Dijon hatte diese Frage gestellt und der besten Beantwortung derselben einen Preis verheißen. Rousseau beantwortete die Frage dahin, daß er ausführte, die Fortschritte in Kunst und Wissenschaft hätten die Verschlechterung der Sitten bewirkt. Er erhielt den Preis. (Doch nicht Kunst und Wissenschaft als solche, sondern nur deren Mißbrauch verdirbt die Sitten.)

c) „Über den Grund der Ungleichheit unter den Menschen.“

Rousseau ersinnt und schildert einen ursprünglichen Naturzustand der Menschen, ähnlich dem der Hottentotten und Karaiben, in welchem völlige Gleichheit und Glückseligkeit herrschten. Die fortschreitende Bildung und das Eigentumsrecht haben dieses Glück der Menschheit aufgehoben und sind darum zu verwerfen. Voltaire, dem er das [S. 95]Buch zuschickte, schrieb ihm: „Ihre neue Schrift gegen das Menschengeschlecht habe ich erhalten. Noch nie ist so viel Geist aufgewendet worden, um uns womöglich zu Bestien zu machen. Liest man Ihr Buch, so bekommt man Lust, auf allen vieren zu laufen. Da ich jedoch seit länger als 60 Jahren aus der Gewohnheit bin, so überlasse ich gern diesen Naturgang denen, welche dessen würdiger sind als ich.“

d) Der „Gesellschaftsvertrag“.

Rousseau erklärt in diesem berüchtigten Revolutionskatechismus die Einsetzung von Obrigkeiten für einen an der Menschheit begangenen Frevel. Der Gesamtwille des Volkes, welcher durch Gesellschaftsverträge zum Ausdruck kommt, soll der eigentliche Oberherr sein. Die Erbmonarchie sei die mißlichste aller Staatsformen, die beste Staatsverfassung die Republik. Mit Recht wird diese Schrift „die Vorschule der französischen Revolution“ genannt.

e) „Emil oder über die Erziehung.“ 1762.

Diese eigentliche pädagogische Schrift Rousseaus hat die Form eines Romans und enthält in fünf Büchern die Geschichte eines erdichteten Zöglings (Emil) von seiner Geburt an bis zu seiner Verheiratung. Goethe nennt diese Schrift das „Naturevangelium der Erziehung“. Das Parlament in Paris und der Magistrat von Genf ließen das Buch durch Henkershand öffentlich verbrennen. Der Erzbischof von Paris erließ zur Warnung einen eigenen trefflichen Hirtenbrief.

3. Erziehungssystem. Hauptgrundsatz der Rousseauschen Pädagogik ist: „Alles ist gut, wie es aus der Hand des Schöpfers hervorgeht, alles entartet unter den Händen der Menschen.“ Die Erziehung muß demnach den Zögling, der von Natur aus gut ist und nichts von Sünde und sündhafter Neigung in sich hat, sich frei entwickeln lassen und nur dafür sorgen, daß diese freie Entwicklung nicht von außen (durch Belehrung, Gebot, Beispiel usw.) gestört wird.

Anwendung dieses Grundsatzes auf die Erziehung.

a) Die physische Erziehung. Alles, was der freien Entwicklung und Kräftigung des Körpers hinderlich ist, muß vermieden, die Abhärtung aber aufs äußerste getrieben werden.

[S. 96]

Rousseau eifert besonders gegen die engen Jacken und Hosen, die dicken Halstücher und seidenen Strümpfe, die frisierten, mit Puder und Pomade eingeschmierten Haare. Auch darf der Knabe nicht zu früh lernen; Emil darf vor dem 12. Jahre nicht wissen, was ein Buch ist. Dagegen soll er immer mit bloßem Kopfe gehen, bei jeder Witterung ins Freie sich wagen, auch im Winter Sommerkleider tragen, selbst bei der Erhitzung kaltes Wasser trinken und auf feuchtem Boden liegen.

b) Die Verstandesbildung. Der gewöhnliche schulmäßige Unterricht schädigt die freie Entwicklung des Zöglings in intellektueller Hinsicht, weil er dem Verstande des Kindes etwas aufdrängt, was dieser nicht selbst gefunden hat. Der Hofmeister darf daher den Knaben nicht unterrichten; er gebe ihm nur Gelegenheit, Erfahrungen zu machen und Kenntnisse zu schöpfen; der Schüler muß selbst beobachten, selbst untersuchen, selbst nachdenken.

„Der Zögling wisse etwas nicht deswegen, weil man es ihm gesagt hat, sondern weil er es selbst begriffen hat. Er lerne die Wissenschaft nicht, sondern er finde sie. Meßt, zählt, wägt, vergleicht!“ „Lesen ist die unseligste Beschäftigung der Kinder. Das Kind, welches liest, denkt nicht, es liest nur; es unterrichtet sich nicht, es lernt nur Wörter.“

c) Die Willensbildung. Der Zögling soll nichts auf das Wort des Erziehers hin tun. Nur was er selbst als gut und notwendig erkennt, das soll er tun und so durch freie Selbstbestimmung sich zur Sittlichkeit heranbilden.

Ein positives Gebot, Gutes zu tun, darf der Erzieher überhaupt nicht geben; er soll nur dafür sorgen, daß von außen nichts Böses in den Zögling hineindringe, und daß er anderen nichts Böses zufüge. Auch darf der Erzieher nicht zu den positiven Strafmitteln (Tadel, Drohung, körperl. Züchtigung) greifen; eine Strafe soll nur als natürliche Folge des Fehlers eintreten (z. B. für böswillige Zertrümmerung der Fensterscheiben — Erkältung, für Unverträglichkeit — Gemiedenwerden von andern, für Lügen — Mißtrauen).

d) Auch für die religiöse Erziehung gilt das Gesetz [S. 97]der freien Entwicklung. Der Erzieher darf dem Kinde gar nicht davon reden, daß Gott sich den Menschen geoffenbart habe; der Zögling soll auf eine rein natürliche Religion von selbst kommen.

Emil weiß bis zu seinem 15. Lebensjahre noch nichts von Gott, von einer Seele; erst in seinem 18. Jahre kommt er durch Betrachtung der Natur zu der Erkenntnis, daß ein weiser, vernünftiger Wille die Welt regiert, und diesen Willen nennt er Gott.

4. Beurteilung.

a) Rousseaus Erziehungssystem widerspricht dem Christentum, da Erbsünde und Erlösung mit klaren Worten geleugnet werden. Die einzige Erbsünde ist Sitte und Bildung, der einzige Erlöser Rousseau selbst, der die Menschheit wieder auf die richtige Spur und Fährte gebracht, auf die Spur und Fährte der — Wilden.

b) Es widerspricht der Geschichte von Jahrtausenden und der täglichen Erfahrung, die eine ursprüngliche Verkehrtheit des menschlichen Herzens unleugbar feststellen.

c) Auch entspricht es nicht der Natur des Menschen; denn der Geistesart des Menschen ist nichts so eigen als das Autoritätsprinzip. Das Kind glaubt und gehorcht den Eltern, der Schüler glaubt und gehorcht dem Lehrer — auf dieser Basis fängt naturnotwendig der Bildungsprozeß jedes Menschen an.

d) Wie könnte ferner die menschliche Gesellschaft bestehen, wenn jeder nur seinem eigenen Willen folgte? Ohne Nächstenliebe, Selbstverleugnung, Aufopferung kann kein Verein, viel weniger die gesamte Menschheit Bestand haben.

e) Wie könnte endlich ein Erziehungssystem das rechte sein, bei welchem von 10000 Menschen nur einer in der verlangten Weise (durch einen Hofmeister) erzogen werden kann?

[S. 98]

III. Basedow (1723–1790).

1. Leben. Johann Bernhard Basedow war zu Hamburg geboren, wurde nach einer unstet verlebten Jugend Hofmeister und darauf Lehrer der Moral an der dänischen Ritter-Akademie Soroe. Wegen seiner unchristlichen Grundsätze entlassen, warf er sich auf die Pädagogik. Er gründete 1774 in Dessau eine Musterschule unter dem Namen Philanthropin, um seine Grundsätze praktisch durchzuführen. In diesem Philanthropin sollten Menschen gebildet werden. Aller positive religiöse Unterricht war ausgeschlossen. Die Unnatur einer solchen Erziehungs- und Unterrichtsweise zeigte sich bald, und die Anstalt sank in der Gunst des Publikums. Basedow legte schon nach 2 Jahren die Direktion nieder. Nachdem er einige Zeit in Dessau privatisiert, begab er sich nach Magdeburg, wo ihn der Tod plötzlich ereilte. Seine letzten Worte waren: „Ich will seziert sein zum Besten meiner Mitmenschen.“ 3 Jahre später endete auch seine Stiftung, welche nicht ganz 20 Jahre bestanden hat.

2. Schriften. Die beiden wichtigsten sind:

a) Das „Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker“. In dieser Schrift gibt er einen ausführlichen Plan zur Verbesserung des Schulwesens.

b) Das Elementarwerk. 1774. Das Werk besteht aus vier Bänden mit 100 Kupfertafeln von Chodowiecki. Basedow nimmt darin die Idee des Comenius („Orbis pictus“) wieder auf, den Schülern die Natur und die Verhältnisse des Lebens in Bildern zur Anschauung zu bringen. Nur liegen den einzelnen Tafeln Gesamtbegriffe zugrunde, während der Orbis pictus eine Darstellung von konkreten Gegenständen enthält.

Goethe fällt über das Werk folgendes harte Urteil: „Mir mißfiel, daß die Zeichnungen des Basedowschen Elementarwerkes noch mehr als die Gegenstände selbst zerstreuten, da in der wirklichen Welt nur das Mögliche beisammen steht und sie deshalb ungeachtet aller Mannigfaltigkeit und scheinbaren Verwirrung immer noch in allen ihren Teilen etwas Geregeltes hat. Jenes Elementarwerk zersplittert [S. 99]die wirkliche Welt ganz, indem das, was in der Weltanschauung keineswegs zusammentrifft, um der Verwandtschaft der Begriffe willen nebeneinandersteht, weswegen es auch jener sinnlich-methodischen Vorzüge ermangelt, die wir ähnlichen Arbeiten des Amos Comenius zuerkennen müssen.“

3. Seine Verdienste um Erziehung und Unterricht sind:

a) Er legte ein großes Gewicht auf die körperliche Bildung.

Wie Rousseau will er die Abhärtung des Körpers gefördert wissen von den ersten Tagen des Lebens an: er verwirft Wiege und Windel, schreibt hartes Lager, einfache Nahrung, weite Kleider und häufige Bewegung vor. Gymnastik, handwerkliche Arbeiten und andauernde Wanderungen sollen den Körper kräftigen. Auch dringt er auf Aneignung feiner Manieren und eines gesellschaftlichen Tones.

b) Das zweite wirkliche Verdienst Basedows besteht darin, die starre Schroffheit, herzlose Strenge und düstere Härte dem gesamten Schulwesen abgestreift und ihm einen freundlicheren Geist eingehaucht zu haben.

Die Behandlung der Kinder soll eine milde und liebevolle sein. Strafe soll selten vorkommen, körperliche Züchtigung will Basedow ganz ausgeschlossen wissen. Zur Anspornung des Ehrgeizes diente eine weiße Meritentafel mit den Namen der Zöglinge und goldenen Punkten für Verdienste des Fleißes. Doch soll der Zögling von früh an im blinden Gehorsam geübt werden.

c) Das dritte Verdienst Basedows ist sein Streben, den Unterricht interessant, das Lernen angenehm und leicht zu machen.

Bemerkenswert sind seine goldenen Regeln:

„Der Unterricht sei so angenehm, als er seiner Natur nach sein kann! Erst die Sache, dann das Wort! Nicht viel, aber mit Lust! Nicht viel, aber in elementarer Ordnung! Nicht viel, aber lauter nützliche Kenntnisse!“

4. Zu tadeln ist:

a) der konfessionslose Religionsunterricht;

[S. 100]

Die Erbauungsstunden wurden zu Dessau unter abgeschmackten Gesängen und seichten Moralreden abgehalten und waren für Christen, Juden und Mohammedaner berechnet.

b) der Mangel an nationaler Erziehung;

Wie Basedow keine Rücksicht nahm auf eine bestimmte Konfession, so auch nicht auf das Vaterland, dem der Zögling angehörte: von den Pflichten gegen Fürst und Vaterland sollte nie die Rede sein. Nicht zu Christen und Staatsbürgern, sondern zu Menschen und Weltbürgern wollte er die Schüler herangebildet wissen.

c) die spielende, oberflächliche Art des Lernens;

Die Buchstaben wurden von einem Zuckerbäcker hergestellt und zur Belohnung verzehrt. Keine Lektion dauerte länger als eine halbe Stunde. Zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden fanden Übungen im Fechten, Tanzen, in Papp- und Holzarbeit statt. Memoriert wurde nichts. So war das Lernen nicht ernste, charakterbildende Geistesarbeit, sondern führte zu Tändelei, Verzärtelung und Verweichlichung der geistigen Kräfte. Basedow vergaß, daß der Unterricht auch dadurch erziehlich wirken muß, daß er an ernste Beschäftigung, an angestrengtes Nachdenken, an Überwindung von Schwierigkeiten gewöhnt.

d) die große Menge der Unterrichtsgegenstände;

Während Rousseau die Unterrichtsstoffe möglichst beschränkt und Basedow selbst in seinen Schriften vor dem „zuviel“ warnt, sollten die Schüler in Dessau alles lernen, was im praktischen Leben nur irgendwie Nutzen bringen kann. Auf dem Lehrplan des Philanthropins standen außer den alten und neuen Sprachen und den Realien noch: Gesundheitslehre, Acker- und Wiesenbau, Wein- und Seidenbau, Bienenzucht und Waldkultur. Bei dieser Menge von Fächern konnten die Zöglinge keines gründlich lernen.

e) die vielfach laxe Disziplin.

Der Mangel an ersten Zuchtmitteln mußte eine lockere Disziplin hervorrufen. Herder sagt: „Mir kommt alles erschrecklich vor, wie ein Treibhaus oder wie ein Stall voll menschlicher Gänse, und ihm, den ich persönlich kenne, möchte ich keine Kälber zu erziehen geben, geschweige denn Menschen.“

[S. 101]

IV. Anhänger Basedows.

A. Nationalistische Richtung.
1. Campe (1746–1818).

1. Leben. Joachim Heinrich Campe, geboren zu Deensen in Braunschweig, war Feldprediger zu Potsdam, darauf Erzieher Wilhelms und Alexanders v. Humboldt und 1777–78 Leiter des Dessauer Philanthropins. Er ist der eigentliche Schriftsteller des Philanthropinismus.

2. Schriften. Von diesen sind bemerkenswert:

a) Das sogenannte „Revisionswerk“, 16 Bände, ein Sammelwerk für Erziehung und Unterricht.

b) Viele Jugendschriften und Reisebeschreibungen, wodurch er den Grund zu der Kinderliteratur und dem Jugendschriftenwesen gelegt hat. Unter diesen ist besonders hervorzuheben:

c) „Robinson der Jüngere“, Übersetzung und Bearbeitung einer Seemannsgeschichte des Engländers Defoe.

Campe hat das englische Vorbild leider verschlechtert und namentlich die poetische Seite des Robinson ganz unbeachtet gelassen. Daniel Defoe zeigt (ähnlich wie Chr. v. Schmid in seinem „Gottfried der junge Einsiedler“), in welcher Weise der Einsame Gott kennen und lieben, wie er beten und sich heiligen lernt. Campe stellt dar, wie der Mensch sich durch Nachdenken und eigene Kraft hilft und sich allmählich allerlei Bequemlichkeiten verschafft. Daher war auch Campes „Robinson“ das Lieblingsbuch Rousseaus, es ist das erste Buch, welches Emil lesen soll.

3. Beurteilung.

a) Campe predigt in allen seinen Schriften den flachsten Unglauben. Das große Werk der Erlösung ist ihm ein verschlossenes Buch. Jedes positive Glaubensbekenntnis haßt er aus Grund der Seele.

b) Er betont beständig das materiell Nützliche. Was ihm materiell nicht nützt, das soll der Mensch nicht [S. 102]treiben, der Schüler nicht lernen. Seine niedere Auffassung des Lebens bekundet er in dem Ausspruche: „Derjenige, der die Kartoffeln bei uns eingeführt, hat sich ein größeres Verdienst erworben als der Dichter der Ilias und Odyssee.“

2. Salzmann (1744–1811).

1. Leben. Christian Gotthilf Salzmann wurde zu Sömmerda bei Erfurt geboren. Nachdem er 3 Jahre Lehrer am Dessauer Philanthropin gewesen, errichtete er 1784 zu Schnepfenthal bei Gotha eine eigene Erziehungsanstalt. Er erstrebte Gesundheit des Körpers, Klarheit des Geistes und Frieden des Herzens — aber ohne positives Christentum. Da er die Abgeschmacktheiten Basedows vermied, auf eine vernünftige Körperpflege hielt und die Kräfte des Geistes am Realen zu entwickeln suchte, so erhielt sich seine Anstalt in der Gunst des Publikums. Sie besteht noch heute.

2. Schriften. Unter seinen Schriften sind zu nennen:

a) „Konrad Kiefer oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Kinder.“ (Der deutsche Emil.)

b) Das ironische „Krebsbüchlein oder Anweisung zu einer unvernünftigen Erziehung der Kinder“.

Dasselbe enthält 90 Geschichten, in denen gezeigt wird, wie man den Kindern allerlei Unarten angewöhnen könne. Auf dem Titel ist ein Teich abgebildet, in welchem ein alter und drei junge Krebse sich befinden; darunter stehen die Worte: „Ich werd’s tun, mein Väterchen, wenn ich zuvor sehen werde, daß du es tust.“

c) Das „Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher“.

Auf dem Titelblatt sind Ameisen abgebildet, welche sich um Ameisenlarven bemühen (Lehrer); darüber in der Luft unbesorgte Ameisen (Eltern). Stellen: „Was der Mensch will, das kann er; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht.“ „Von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge muß der Erzieher den Grund in sich selbst suchen.“ Salzmann nennt diesen Satz sein Symbolum und erklärt ihn in folgender Weise: „Dieses Symbolum ist nicht so zu verstehen, als ob die Unarten der Schüler nicht auch andere Ursachen hätten. Die Erzieher aber machen sich oft der Fehler [S. 103]ihrer Zöglinge schuldig, 1. weil ihnen die Geschicklichkeit abgeht, ihren Zöglingen dieselben abzugewöhnen; 2. weil sie denselben wirklich Anleitung dazu geben durch ihr Beispiel; 3. dadurch, daß sie willkürliche, unnatürliche Vorschriften und Regeln geben; 4. dadurch daß sie die Eigenheiten der Zöglinge für Untugenden ansehen und zu den Fehlern rechnen.“

3. Guts-Muts (1759–1839).

1. Leben. Guts-Muts wurde in Quedlinburg geboren. Nachdem er seine Studien in Halle vollendet, erhielt er eine Stelle als Hauslehrer in einer angesehenen Familie seines Geburtsorts. Als das Institut zu Schnepfenthal errichtet wurde, brachte er seinen Schüler (Karl Ritter, den späteren berühmten Geographen) dorthin, trat selbst als Lehrer in die Anstalt ein und wirkte an derselben bis zu seinem Ende.

2. Hauptverdienste.

a) Er war ein bedeutender Förderer des geographischen Unterrichts.

Für denselben schrieb er ein Lehrbuch und eine Methodik. Karl Ritter, der Schöpfer der vergleichenden Erdkunde, hat von ihm den ersten Anstoß zu seinen späteren hervorragenden Leistungen erhalten.

b) Er ist der Vater des Schulturnens.

Das deutsche Turnwesen als allgemeine Volkssache hat Friedr. Ludw. Jahn begründet, der 1811 auf der Hasenheide zu Berlin den ersten Turnplatz errichtete. Guts-Muts führte das Turnen in die deutsche Schule ein. Um die methodische Ausbildung des Turnens hat sich Adolf Spieß († 1858) verdient gemacht.

4. Rochow (1734–1805).

1. Leben. Der Freiherr Friedr. Eberhard von Rochow, geboren zu Berlin, widmete sich der militärischen Laufbahn und wurde Offizier. Bei Lowositz 1756 an der Hand verwundet, wurde er zur Heilung nach Leipzig gebracht, wo er zu dem Fabeldichter Gellert in innige Beziehungen trat. Auf dem Rückzuge aus Böhmen nach der verlorenen Schlacht bei Kolin 1757 abermals verwundet, mußte er seinen Abschied nehmen und widmete sich nun der Verwaltung seiner Güter Reckan, [S. 104]Gettin und Krane (bei Brandenburg). Betrübt über die Unwissenheit seiner Gutseingesessenen, die sich besonders in den Teuerungsjahren 1771 und 1772 zeigte, faßte er, angeregt durch Gellert und Basedow, den Plan, dem Volke durch gründlichen Schulunterricht zum Gebrauche seiner Vernunft zu verhelfen, ähnlich wie die Maus in der Äsopschen Fabel durch Zernagen des Netzes dem Löwen die Freiheit gab. Zu dem Zwecke berief er den tüchtigen Lehrer Bruns nach Reckan, der in dem herrschaftlichen Schlosse eine Musterschule errichtete und an 60 Lehrer vorbildete. Sodann gründete er aus eigenen Mitteln viele neue Schulen und veröffentlichte mehrere pädagogische Schriften.

2. Schriften.

a) „Unterricht für Lehrer in niederen Landschulen.“

„Ich denke doch nicht, daß man die Seele eines Bauernkindes für ein Ding anderer Gattung hält als die Seelen der Kinder höherer Stände.“

„Es ist dem Staate nicht nützlich, wenn der Bauer dumm bleibt, nicht schädlich, wenn er klug und verständig wird.“

b) „Instruktion für die Landschulmeister.“

Der Schulmeister muß fortstudieren; er darf nicht aufhören, selbst zu lernen. Er muß sich auf jede Katechisation ordentlich vorbereiten.“ Für diese Vorbereitung stellt Rochow folgende Regeln auf: „1. Man muß sich vor der Stunde genau fragen: Welches ist in diesem Stück die Hauptwahrheit? Denn über alle Wahrheiten kann man doch auf einmal nicht lehren. 2. Welchen Nutzen hat diese Wahrheit für Kinder? Wozu können meine Kinder die Wahrheit gebrauchen? 3. Wie frage ich am besten, um durch Fragen auch die rechten Antworten zu bekommen? Welche Nebenumstände, die mich von meinem Ziel abführen würden, lasse ich heute unerwähnt? Auf welche Hauptumstände, die zum Verständnisse der Wahrheit dienlich sind, gehe ich um so mehr ein? 4. Wie wende ich die Lehre auf das sittliche Leben an?“

c) „Der Kinderfreund“, 1775; das erste gute Schullesebuch, welches sehr beifällig aufgenommen wurde und auch in katholischen Schulen Eingang fand.

3. Verdienste. Rochow sorgte

[S. 105]

a) für gute Schulhäuser und eine angemessene Ausstattung der Schulzimmer;

b) für geschulte Lehrer mit ausreichendem Einkommen;

Mit Handwerkern und unwissenden Dienern („Bedienten“) sollte keine Schulstelle mehr besetzt werden.

c) für Einführung der Naturwissenschaften als „gemeinnützige Kenntnisse“ oder „Realien“ in die Volksschule;

Doch gab er ihnen keine besondere Lehrstunden, sondern zog beim Leseunterricht passende Lesestücke aus der Naturkunde heran. Rochow benutzte überhaupt die Leseübungen gern dazu, um die Kinder in mancherlei Sachen, selbst in der Religion, zu unterrichten oder zu befestigen.

d) für Verbesserung der Unterrichtsmethode.

α) Der Unterricht der neu eintretenden Kinder sei so sinnlich und angenehm wie möglich und nicht von vornherein Bücherunterricht.

β) Der Unterricht muß überhaupt anschaulich-entwickelnd sein und sich der katechetischen Lehrform bedienen, um das Verständnis zu fördern. Das Lernen ohne Verständnis nützt dem Menschen ebensowenig, als ihn das Essen ohne Verdauung körperlich stärkt.

γ) Zur Bildung des Verstandes und der Sprache soll der Lehrer Denk- und Sprechübungen an das Lesestück knüpfen.

δ) In der Oberklasse ist tuliche Konzentration der Lehrgegenstände anzustreben.

4. Zu tadeln ist:

a) die einseitige Bildung des Denkvermögens.

Rochow wollte kluge und verständige Landleute heranbilden und deshalb die Jugend vornehmlich zum Denken anleiten. Gemüt und Wille wurden wenig berücksichtigt.

b) der verkümmerte Religionsunterricht.

Zwar soll der Glaube an Gott eine Grundlage des Unterrichts bilden, allein dieser Glaube soll aus der Vernunft abgeleitet werden und die Sittenlehre sich nur auf den Verstand gründen. Die Bibel ist ihm nur ein Unterrichtsbuch wie andere und Christus ein weiser Lehrer wie andere; die Erlösung durch den Kreuzestod erkennt er nicht [S. 106]an. Rochow steht somit ganz außerhalb des Christentums, und die einseitige Bildung des Denkvermögens in seinen Schulen enthielt eine um so größere Gefahr, als das Gegengewicht positiv-christlicher Unterweisung und gemütbildender Religionsübung fehlte.

B. Die christlich-gläubige Richtung.
1. Hecker (1707–1768).

Julius Hecker, Sohn des Rektors Hecker zu Werden a. d. Ruhr, war zuerst Lehrer am Franckeschen Pädagogium zu Halle, dann Inspektor des Waisenhauses in Potsdam, zuletzt 30 Jahre Prediger an der Dreifaltigkeitskirche in Berlin.

Er gründete außer vielen Freischulen für die Armen 1739 in seiner Pfarrei eine Volksschule mit 6 Lehrern, welche sich allmählich zu einer „ökonomisch-mathematischen Realschule“ (ohne Latein) erweiterte. So wurde Hecker der Gründer der Gewerbe- und Realschulen. Im Jahre 1748 eröffnete er an seiner Realschule einen Kursus für auszubildende Elementarlehrer. Dieses Heckersche Seminar wurde 1753 zum Königlichen kurmärkischen Landesseminar erhoben und war die erste staatliche Lehrerbildungsanstalt Preußens. 1825 wurde es nach Potsdam, 1851 nach Köpenik verlegt. So ist Hecker auch der Vater der preußischen Lehrerseminarien geworden.

In seinen Bestrebungen wurde er nicht wenig unterstützt durch Friedrich den Großen. Die Mahnung Friedrich Wilhelms I.: „Er muß den Leuten auf der Friedrichsstadt Jesum predigen und sich der Jugend annehmen, denn daran ist das meiste gelegen“ — hat Hecker treulich befolgt.

2. Hähn (1710–1789).

Wie Rochow an Bruns, so hatte Hecker an Hähn einen tüchtigen Helfer. Hähn war Theologe und zuerst Lehrer am Halleschen Waisenhause, dann von 1753 an Inspektor der Heckerschen Realschule und starb als Konsistorialrat in Aurich.

Er wollte allen Unterricht in logisch geordneter Aufeinanderfolge behandelt wissen. Daher kam er auf den Gedanken, für die einzelnen Unterrichtsfächer tabellarische Übersichten zu entwerfen (Tabellarmethode). Diese Tabellen sollten während des Unterrichts mit den Anfangsbuchstaben der Wörter (daher auch Literalmethode genannt) angeschrieben, dann von den Schülern abgeschrieben und auswendig gelernt werden.

[S. 107]

Mit dieser Methode konnten nur Meister wie Hähn selbst und später Felbiger Erfolge gewinnen. Im allgemeinen verdient das Verfahren mechanisch, unnatürlich und geisttötend genannt zu werden. Trotzdem erlangte die Tabellarmethode, allerdings nur für kurze Zeit, zahlreiche Anhänger.

3. Felbiger (1724–1788).

1. Leben. Johann Ignaz von Felbiger, geboren zu Groß-Glogau als Sohn des Kaiserlichen Postmeisters von Felbiger, studierte in Breslau Theologie, trat in das Stift der Augustiner-Chorherren zu Sagan und ward 1758 Abt desselben. In dieser Eigenschaft hatte er die Aufsicht über das Schulwesen der Stadt und einer Anzahl dazu gehöriger Dörfer. Die Religiosität, Bildung und Gewerbetätigkeit des gemeinen Volkes durch Unterricht zu heben, war sein einziges Bemühen. Nachdem er die unter Hecker aufblühende Realschule in Berlin besucht, wurde er der erfolgreichste Vertreter der Tabellar- oder Literalmethode, die deshalb auch Sagansche Methode genannt wird.

Eine königliche Verordnung übertrug ihm 1763 die besondere Aufsicht über die katholischen Schulen Schlesiens. Felbiger verfaßte infolgedessen das „Landschul-Reglement für die Römisch-Katholischen des souveränen Herzogtums Schlesien und der Grafschaft Glatz“, welches von Friedrich dem Großen am 3. November 1865 unterzeichnet wurde. Auf Felbigers Vorschlag wurden ferner die Lehrerbildungsanstalten zu Leubus, Grüssau, Rauden und Breslau (1765) gegründet. Auch im Amte stehende Lehrer mußten diese Anstalten 6 Wochen lang besuchen.

Im Jahre 1774 wurde Felbiger von der Kaiserin Maria Theresia nach Wien berufen zur Einrichtung des deutschen Schulwesens in Österreich. Hier machte er [S. 108]sich verdient durch die Ausarbeitung der „Allgemeinen Schulordnung“.

In diesem Plane verlangt Felbiger:

1. die allgemeine Schulpflicht;

2. die Einrichtung von Normal-, Haupt- und Trivialschulen. Eine Normalschule (Musterschule) soll sein in jeder Provinz, eine Hauptschule (Mittelschule) in jedem größeren Distrikte, eine Trivialschule (einfache Volksschule) in jeder Gemeinde;

3. die strenge Verpflichtung der Geistlichen zum Katechisieren, d. h. zur Erteilung des Religionsunterrichts;

4. die Bildung des Verstandes gegenüber der des Gedächtnisses. — Das waren kräftige Keime zu fernerer Entwicklung.

Nach dem Tode der edlen Kaiserin (1780) wurde Felbiger von Joseph II. auf die Propstei Preßburg (Ungarn) verwiesen, woselbst er im Jahre 1788 starb.

2. Schriften. Felbiger verfaßte u. a.

a) „Eigenschaften, Wissenschaften und Bezeigen rechtschaffener Schulleute.“ (Die erste katholische Volksschulkunde.)

b) Den Saganer Katechismus in 3 Ausgaben (für Unter-, Mittel- und Oberstufe) und eine Bibl. Geschichte.

3. Pädagogik. In seinen Schriften betont Felbiger folgende fünf Stücke:

a) den Zusammenunterricht und das Zusammenlernen gegenüber dem bisher üblichen Einzelunterricht;

Die weiteren notwendigen Folgen dieser Forderung waren: gleiche Lesebücher und Einteilung in Klassen. Auf das Zusammenlesen oder Chorlesen legte er großes Gewicht. Ganz wie Rochow liebte er viele Leseübungen. Er sagt: „Es werden den Schülern zu eben der Zeit, da sie der Lehrer bloß im Lesen zu üben scheint, eine Menge nützlicher Kenntnisse auf die leichteste Art beigebracht.“

b) das Katechisieren, wobei der Katechet besonders die Religionswahrheiten erklären, erläutern, zergliedern, erweisen und auf den Willen einwirken lassen soll;

[S. 109]

c) die Anwendung der Tabellarmethode zur Einprägung des Erklärten;

d) mit dem Buchstabier- und Leseunterricht soll zugleich das Schreiben verbunden und beim Erlernen der Buchstaben die genetische Ordnung eingehalten werden;

e) für die Schulordnung führte Felbiger besondere Kommandowörter und Zeichen (z. B. das Emporstrecken der Finger) ein. Rücksichtlich der Schulzucht empfiehlt er nachdrücklich Humanität.

Er untersagte seinen Lehrern, die üblichen barbarischen und ehrverletzenden Strafen anzuwenden, z. B. Knieen auf dreieckigen Scheiten Holz oder auf Erbsen, Reiten auf einem Esel mit Wiegenläufen, Tragen von Eselsohren und Strohkränzen. Nur für grobe Vergehen sollte die Züchtigung mit der Rute beibehalten werden.

4. Verdienste. Felbiger ist der Reformator des kath. Schulwesens im Osten der preußischen Monarchie. Insbesondere ist ihm als Verdienst anzurechnen:

a) daß er die Fahne der christlichen Volksschule bei allen seinen Verbesserungen fest und hoch hielt, obschon er in einer Zeit seichter Aufklärung lebte;

b) daß er besseren Lehrmethoden und einer humanen Disziplin Eingang in die Schulen verschaffte;

c) daß er die dauernde Aufmerksamkeit der Staatsbehörden auf die Wichtigkeit des Volksschulwesens und die Notwendigkeit der Einrichtung von Seminarien lenkte.

4. Kindermann (1740–1801).

Wie Hecker an Hähn, so hatte Felbiger an Ferdinand Kindermann, Dechant zu Kaplitz in Böhmen, einen treuen Anhänger. Was dieser bei Felbiger in Sagan gesehen, verstand er in seiner Pfarrschule alsbald in sehr wirksamer Weise ins Werk zu setzen. Kindermann ging vor allem darauf aus, das Interesse der Eltern an der Schule zu [S. 110]gewinnen und zwar durch eine gefällige Handschrift und schönen Gesang der Kinder. Die Pfarrschule zu Kaplitz wurde bereits 1773 zu einer Normalschule erhoben und zog durch ihren Ruhm die Aufmerksamkeit vieler auswärtigen Schulbehörden auf sich. Von der Kaiserin Maria Theresia wurde er zum Landes-Oberschulinspektor in Böhmen ernannt und unter dem bedeutsamen Namen „Ritter von Schulstein“ in den Adelstand erhoben. Er starb 1801 als Bischof von Leitmeritz.

Zu den eigentümlichen Verdiensten Kindermanns gehört insbesondere der von ihm ausgeführte schöpferische Gedanke, mit den Volksschulen den Industrie-Unterricht planmäßig zu verbinden. Kindermann wollte dadurch a. den Eltern die Zahlung des Schulgeldes erleichtern; b. den Lehrern die Möglichkeit verschaffen, ihre Einkünfte zu vermehren und die freie Zeit nützlich auszufüllen; c. seinen Gegnern aber den Vorwurf abschneiden, er bilde gelehrte Bauern aus, welche später für die Arbeit nichts mehr taugten. Stricken, Nähen und Spinnen waren die Beschäftigungen für die Mädchen; Obstbaum-, Seiden-, Bienenzucht und Gemüsebau die Arbeiten für die Knaben.

V. Förderung des Schulwesens unter den Königen Friedrich II. und Friedrich Wilhelm II.

1. Friedrich II. (1740–1786.)

1. Kaum hatte Friedrich den Thron seines Vaters bestiegen, so gaben sich manche der Hoffnung hin, es werde nunmehr inbezug auf das Schulwesen alles wieder auf den alten unordentlichen Fuß kommen. Da erließ er die Edikte von 1740 und 1741, in welchen er erklärte, daß „alle von seines Vaters Majestät in Schulsachen erlassenen Befehle [S. 111]und Verordnungen in Kraft sein und bleiben sollten“, daß „keine Veränderung, unter welchem Vorwande es auch sein möchte, bei dem Schulregiment vorgenommen werden sollte“. Im Jahre 1742 erschien ein Edikt, in welchem der König die lässigen Lehrer zum Fleiße ermahnt.

In demselben heißt es: „Da die Schulmeister statt der Eltern sind, so sollen sie sich der Jugend aufs treulichste annehmen, sie im Katechismus und in anderen guten Künsten eifrig unterrichten, auch die Gesänge mit Fleiß einüben. Diejenigen handeln ganz verkehrt, welche meinen, die Jugend sei mit dem Auswendiglernen möglichst zu verschonen. Von demjenigen, was gelernt wird, muß der Sinn der Worte nach und nach erklärt werden.“

2. Im Jahre 1754 erließ der König eine wichtige Schulordnung für Minden und Ravensberg, aus welcher folgende Bestimmungen hervorzuheben sind.

1. Eltern und Vormünder sollen ihre Kinder vom 5. oder 6. Jahre zur Schule halten.

2. Wer sein Kind nicht zur Schule schickt, soll zuerst durch Ermahnungen, dann durch Polizeistrafen dazu veranlaßt werden.

3. Die Schulmeister sollen einen Schulkatalog haben, enthaltend: Namen, Eltern, Wohnung, Alter, Schulbesuch.

4. Nur geschickte Personen sollen Schulmeister sein und ihr Amt ohne Ärgernis verwalten, in der Nachfolge Christi leben, keine Wirtschaft halten, mäßig sein, weder Bier noch Branntwein verkaufen, noch Musik machen.

5. Auch die Lehrer der Winkelschulen sind zu prüfen.

6. Beim Katechismus ist Sicherheit des Textes und des Verständnisses unter Benutzung des Großen Katechismus und der Spenerschen Erklärung zu erstreben.

7. Die Kinder sind zur wahren Gottesfurcht anzuleiten und zum Gebete.

8. Die Strafe geschehe „ohne Eifer“ zum Zwecke der Besserung.

9. Am Sonntag nachmittag findet eine Katechisation über Predigt und Katechismus mit Erwachsenen und Kindern statt, unter Anwendung auf das Leben.

[S. 112]

3. Als der König im Jahre 1759 nach der Niederlage bei Kunersdorf mit seiner Armee in der Mittelmark stand und gewahr wurde, wie schlecht die Jugend auf dem Lande unterrichtet werde, faßte er den Entschluß, sobald der Krieg zu Ende sei, dem großen Verderbnis der Landschulen abzuhelfen. Schon vor Abschluß des Friedens, am 8. Februar 1763, gab er von Leipzig aus den Befehl, daß die so schlecht bestellten Schulen auf dem Lande verbessert und namentlich nicht mit so unerfahrenen Lehrern besetzt werden sollten. Im März 1763 schrieb er vor, daß in jedem Halbjahr eine Revision der evangelischen und katholischen Schulen Schlesiens stattfinden sollte. Die beiden wichtigsten gesetzgeberischen Akte des Königs auf dem Gebiete des Volksschulwesens sind indes A. das General-Landschulreglement, ausgearbeitet vom Konsistorialrat Hecker in Berlin, und B. das Schulreglement für Schlesien, verfaßt von Felbiger, Abt in Sagan.

A. Das General-Landschulreglement, 12. August 1763.

1. (Zweck.) Nach wiederhergestellter Ruhe wollen wir auf das wahre Wohlsein unserer Länder in allen Ständen Bedacht nehmen. Der Grund dazu muß gelegt werden durch eine vernünftige und christliche Unterweisung in den Schulen. In diesen soll der höchst schädlichen und dem Christentum unanständigen Unwissenheit abgeholfen und die Kinder zu geschickteren und besseren Untertanen erzogen werden.

2. (Schulpflicht.) Vom vollendeten 5. Jahre an sollen die Kinder in die Schule geschickt und so lange zur Schule gehalten werden, bis sie (etwa im 13. oder 14. Jahre) das Nötigste vom Christentum gefaßt haben, fertig lesen und schreiben und von demjenigen Rede und Antwort geben können, was ihnen in den Lehrbüchern beigebracht werden soll.

3. (Schulzeit.) Im Winter soll vormittags 3 Stunden (8–11 Uhr) und nachmittags 3 Stunden (1–4 Uhr) mit Ausnahme von Mittwoch und Samstag nachmittag Schule gehalten werden. Im [S. 113]Sommer soll täglich nur 3 Stunden Unterricht erteilt werden, entweder vormittags oder nachmittags. Ferien werden nicht gestattet. Des Sonntags soll für die noch unverheirateten Personen eine Wiederholungsstunde vom Geistlichen in der Kirche und eine vom Lehrer in der Schule gehalten werden. Damit die Kinder nicht durch Viehhüten des Sommers von der Schule abgehalten werden, soll in den geschlossenen Orten möglichst ein eigener Viehhirte bestellt werden. Wo aber, wie in den Westfälischen Landen und in dem Wischer Lande in der Altmark, die Häuser zerstreut liegen, sollen die Kinder mit dem Viehhüten täglich wechseln oder es soll eine solche Veranstaltung getroffen werden, daß jedes Kind im Sommer dreimal wöchentlich zur Schule komme. Letzteres könne „füglich so geschehen, daß 2 Haufen der Kinder gemacht werden, davon der eine Haufe die drei ersten Tage in der Woche, der andere Haufe die drei letzten Tage in die Schule kommen müsse“.

4. (Schulgeld.) Jedes Kind bezahlt, bis es zum Lesen gebracht wird, 6 Pfennig, bis zum Schreiben 9 Pf. und, wenn es schreibt und rechnet, 1 Groschen wöchentlich; im Sommer ⅔ davon. Für unbemittelte Kinder zahlen die Kirchen- und Armenkassen das Schulgeld. Alljährlich soll an dem Michaelissonntage eine Schulpredigt über christliche Erziehung gehalten werden; nach derselben sollen freiwillige Beiträge gesammelt werden zum Besten der Landschulen, insbesondere zur Beschaffung von Büchern für arme Kinder.

5. (Schulversäumnisse und Schulkatalog.) Bei der ersten Anzeige des Schulmeisters soll die Obrigkeit die säumigen Eltern durch Zwangsmittel anhalten, die Kinder zur Schule zu schicken. Sieht der Schulvisitator, daß die Eltern ihre Kinder in dem vergangenen Jahre nicht fleißig zur Schule gehalten, so soll er veranlassen, daß 16 Groschen Strafgelder zur Schulkasse gegeben werden. Um die Versäumnisse festzustellen, sollen in einer besonderen Liste, welche nur die Namen der Kinder enthält, diejenigen Kinder notiert werden, welche mit oder ohne Erlaubnis fehlen. Außer dieser Liste muß noch ein ordentlicher Schulkatalog geführt werden, welcher angibt: Vor- und Zunamen der Kinder, ihr Alter, ihre Eltern, ihre Wohnungen, Eintritt in die Schule, Fleiß, Fähigkeit, Führung und Abgang von der Schule.

6. (Lehrer.) Der Schulmeister muß nicht nur hinlängliche Geschicklichkeit zum Unterrichten haben, sondern in seinem ganzen Verhalten ein Vorbild sein, damit er durch seinen Wandel nicht niederreiße,[S. 114] was er durch seine Lehre aufgebaut hat. Daher sollen sich die Schulmeister mehr als andere der wahren Gottseligkeit befleißigen, ihr Amt vor Gott und in der Nachfolge des Heilandes führen und die Kinder nicht nur für das gegenwärtige Leben tüchtig und glücklich machen, sondern auch zur ewigen Seligkeit vorbereiten. Kein Pfarrer darf jemand als Schulmeister zulassen, der nicht von den Inspektoren (Superintendenten, Erzpriestern) geprüft und mit einem Zeugnis der Tüchtigkeit versehen ist. Die Königlichen Schulstellen in der Kurmark sollen mit solchen Lehrern besetzt werden, die eine Zeitlang in dem Kurmärkischen Seminar in Berlin gewesen und dort die Methode des Schulhaltens und den Seidenbau gründlich erlernt haben. Winkelschulen sind bei Strafe verboten. Während der Unterrichtsstunde darf der Lehrer nicht seine Handarbeit verrichten, auch nicht seinen Geschäften nachgehen und seine Frau unterdessen unterrichten lassen. Ebensowenig darf er während der Schulzeit die Schulkinder zu seiner Hausarbeit gebrauchen. Jedem Lehrer soll streng verboten sein, Wirtschaft zu halten, Bier und Branntwein zu verkaufen, Schenken und Krüge zu besuchen und bei Gastmählern und sonstigen Anlässen Musik zu machen, überhaupt mit Dingen sich zu beschäftigen, wodurch die Schularbeit gehindert oder der Jugend und Gemeinde Anlaß zur Ausschweifung gegeben wird.

7. (Schularbeit.) Auf den Unterricht soll sich der Lehrer durch herzliches Gebet vorbereiten, von dem Geber alles Guten insbesondere sich Weisheit und Geduld erbitten. In Gebetsstimmung soll er dann die Schule halten, eingedenk, daß er ohne den göttlichen Beistand nichts auszurichten vermöge, auch der Kinder Herzen nicht gewinnen könne. Am Schluß der Woche soll er die Kinder herzlich ermahnen, den Sonntag wohl anzuwenden, in der Kirche sich still und andächtig zu erweisen. An den Sonn- und Festtagen sollen die Kinder vom Lehrer in geordnetem Zuge von der Schule zur Kirche geführt und dort unter Aufsicht gehalten werden; auf die Predigt sollen sie wohl merken, damit sie Montags etwas daraus wissen. Auch sollen die Lehrer bei den Leichenbegängnissen auf das Verhalten der Knaben, mit welchen sie die Leichen besingen, wohl achtgeben und verhüten, daß selbige sich nicht mutwillig betragen.

8. (Schulbücher.) Die Schulbücher müssen von der Behörde genehmigt sein. Jedes Kind soll sein eigenes Buch haben. Ärmeren Kindern werden die Schulbücher aus der Kirchen- und Gemeindekasse angeschafft.

[S. 115]

9. (Schulzucht.) Die Disziplin muß mit Weisheit gehandhabt werden. Der Eigenwille als die Quelle aller Sünden muß mit Fleiß gebrochen werden. Die Strafe aber soll erst dann erfolgen, wenn das Kind von seinem Fehler überzeugt worden ist. Bei der Züchtigung soll sich der Lehrer aller ungeziemenden Heftigkeit, alles sündlichen Eiferns und Scheltens enthalten. Ist eine größere Bestrafung notwendig, so soll der Lehrer vorher dem Pfarrer Anzeige machen und dessen Rat einholen.

10. (Schulinspektion.) Die Pfarrer sollen zweimal in der Woche die Schule ihres Ortes besuchen und nicht nur dem Unterricht des Lehrers anwohnen, sondern auch selbst Fragen stellen; einmal im Monat sollen sie in der Pfarrwohnung mit den Lehrern eine Konferenz halten. Die Superintendenten und Erzpriester sollen einmal im Jahre die gesamten Schulen ihrer Inspektion bereisen und die Berichte an das Oberkonsistorium in Berlin zur weiteren Hinsicht und Verfügung einsenden.

Das Reglement von 1763, welches 26 Paragraphen enthält, ist im wesentlichen eine Zusammenfassung älterer Verordnungen, die, bisher nur für einzelne Provinzen erlassen, nun für alle Landesteile rechtsgültig gemacht wurden. Neu sind die Vorschriften über den Stundenplan, den Lehrstoff, die Unterrichtsweise und die Lehrmittel. Gegenüber dem Schulplan von 1736 bezeichnet dasselbe einen großen Fortschritt, indem es nicht nur die äußeren Verhältnisse der Schule, sondern den gesamten Schulbetrieb ins Auge faßte. Es ist die erste Schulordnung für die Gesamtmonarchie und bildet noch heute die Grundlage der preußischen Schulverfassung.

Um die Durchführung des Reglements hat sich besonders Hähn verdient gemacht, der als Abt des Klosters Bergen anordnete, daß an zwei Tagen der Woche die Schulmeister darin unterwiesen würden, was sie nach Vorschrift des Reglements von nun an in ihren Schulen zu treiben hätten. Der König selbst förderte die Durchführung dadurch, daß [S. 116]er der Kurmark zur Befolgung der neuen Verordnungen ein Kapital von 100000 Taler, den neu erworbenen Provinzen Westpreußen und Posen 200000 Taler überwies, aus deren Zinsen man unter anderem 20 neue Schulen erbaute.

B. Das katholische Schulreglement für Schlesien, 3. November 1765.

Die Einführung des Reglements von 1763 in den katholischen Schulen Schlesiens stieß auf Schwierigkeiten, da eine Reihe von Bestimmungen nur für evangelische Schulen berechnet war. Daher wurde der Abt Felbiger vom König veranlaßt, für die katholischen Schulen ein besonderes Reglement auszuarbeiten. Dasselbe erhielt am 3. November 1765 die Unterschrift des Königs. Es enthält 73 Paragraphen und behandelt dieselben Materien wie das Reglement von 1763. Ausführlicher nur beschäftigt es sich mit der Bildung der Lehrer in den zu gründenden Seminarien (Breslau, Grüssau, Habelschwerdt, Leubus, Ratibor, Raude und Sagan), mit der Visitation der Schulen durch die Pfarrer und Erzpriester, sowie mit der Hähnschen Literalmethode. Dem Lehrer wird gestattet, das Handwerk des Schneiders und Leinewebers zu betreiben; das Ausschenken von Bier und Branntwein, das Handeln und das Musikmachen in den Dorfschenken („Kretschamen“) wird ihm dagegen ausdrücklich untersagt. Die Schulpflicht dauert vom vollendeten 6. bis zum vollendeten 13. Jahre.

2. Friedrich Wilhelm II. (1786–1797.)

1. Im Jahre 1787 schuf der König eine Oberschulbehörde, das Oberschulkollegium in Berlin, welches das gesamte Schul- und Bildungswesen des Staates einheitlich leiten sollte. An die Spitze desselben berief er den [S. 117]Minister v. Zedlitz. Dieser hatte sich bereits unter Friedrich dem Großen reiche Erfahrung auf dem Gebiete der Schulverwaltung gesammelt und nach dem Vorbilde Rochows auf seinen Gütern Musterschulen errichtet. Aber schon 1788 mußte v. Zedlitz dem Minister v. Wöllner das Feld räumen, der eine streng kirchliche Richtung einschlug und durch scharfe Edikte dem von seiten der Aufklärung drohenden Verderben entgegenarbeitete.

2. Eine festere Grundlage erhielt das Schulwesen sodann durch das preußische Allgemeine Landrecht vom 5. Februar 1794. Dasselbe stellt auf dem Schulgebiete vier Grundprinzipien auf.

a) Die Schule ist eine Veranstaltung des Staates.

Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staates, welche den Unterricht der Jugend in nützlichen Kenntnissen und Wissenschaften zur Absicht haben. (§ 1.) Dergleichen Anstalten sollen nur mit Vorwissen und Genehmigung des Staates errichtet werden. (§ 2.) Alle öffentlichen Schul- und Erziehungsanstalten stehen unter der Aufsicht des Staates und müssen sich den Prüfungen und Visitationen desselben zu allen Zeiten unterwerfen. (§ 9.)

b) Die Unterhaltung der Schule ist eine gemeine Last.

Wo keine Stiftungen für die gemeinen Schulen vorhanden sind, liegt die Unterhaltung der Lehrer den sämtlichen Hausvätern jedes Ortes, ohne Unterschied, ob sie Kinder haben oder nicht, und ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses ob. (§ 29.) Auch die Unterhaltung der Schulgebäude und Schulmeisterwohnungen muß als gemeine Last von allen einer solchen Schule zugewiesenen Einwohnern ohne Unterschied getragen werden. (§ 34.)

c) Jedes Kind des Volkes muß die Schule besuchen.

Jeder Einwohner, welcher den nötigen Unterricht für seine Kinder in seinem Hause nicht besorgen kann oder will, ist schuldig, dieselben nach zurückgelegtem 5. Jahre zur Schule zu schicken. (§ 43.) Der Schulunterricht muß so lange fortgesetzt werden, bis ein Kind, nach dem Befunde seines Seelsorgers, die einem jeden vernünftigen Menschen seines Standes notwendigen Kenntnisse gefaßt hat. (§ 46.)

[S. 118]

d) Die Schulzucht muß weise gehandhabt werden.

Die Schulzucht darf niemals bis zu Mißhandlungen, welche der Gesundheit der Kinder auch nur auf entfernte Art schädlich werden können, ausgedehnt werden. (§ 50.) Glaubt der Schullehrer, daß durch geringere Züchtigungen der eingewurzelten Unart eines Kindes oder dem überwiegenden Hange desselben zu Lastern und Ausschweifungen nicht hinlänglich gesteuert werden könne: so muß er der Obrigkeit und dem geistlichen Schulvorsteher davon Anzeige machen. (§ 51.) Diese müssen alsdann mit Zuziehung der Eltern oder Vormünder die Sache näher prüfen und zweckmäßige Besserungsmittel verfügen. (§ 52.) Aber auch dabei dürfen die der elterlichen Zucht vorgeschriebenen Grenzen nicht überschritten werden. (§ 53.)

3. Im Jahre 1794 erließ der König eine allgemeine Schulordnung, in welcher das General-Landschulreglement vom Jahre 1763 zu strenger Befolgung in Erinnerung gebracht und weiter ausgelegt wurde. Insbesondere betonte der König angesichts der immer mehr um sich greifenden Aufklärung die streng religiöse Erziehung. Er sagt: „Ich hasse zwar allen Gewissenszwang und lasse einen jeden bei seiner Überzeugung; das aber werde ich nie leiden, daß man in meinen Landen die Religion Jesu untergrabe, dem Volke die hl. Schrift verächtlich mache und das Panier des Unglaubens, des Deismus und Naturalismus öffentlich aufpflanze.“ Der Minister v. Wöllner erklärte den Lehrern ausdrücklich, daß sie das Amt hätten, die Kinder zu Christen zu bilden.

4. Besondere Aufmerksamkeit schenkte der König dem Handfertigkeitsunterrichte. An mehreren Orten der Kurmark ließ er den Knaben Unterricht in der Bienen- und Baumzucht sowie im Korbflechten, den Mädchen Unterricht im Spinnen, Stricken und in anderen weiblichen Handarbeiten erteilen. 1793 entstand in Breslau die erste Industrieschule, in anderen Städten wurden alsbald ähnliche Schulen errichtet.

[S. 119]

Fünfter Abschnitt.
Von Pestalozzi bis auf unsere Zeit.

Vorbemerkung.

Die charakteristischen Unterschiede zwischen den pädagogischen Anschauungen des 18. und denen des 19. Jahrhunderts sind im allgemeinen folgende:

1. Die Pädagogik des 18. Jahrhunderts trat vielfach in feindlichen Gegensatz zum Christentum; das 19. Jahrhundert sucht der Volksschule den christlichen Boden mehr und mehr wiederzugewinnen.

2. Das 18. Jahrhundert pflegte in der Erziehung das Weltbürgertum; das 19. betont neben dem christlichen auch das nationale Prinzip.

3. Die einseitige Aufklärung des Verstandes war zumeist das Ziel der Pädagogik im 18. Jahrhundert; das 19. Jahrhundert dringt auch auf Gemüts- und Willensbildung.

4. Die Pädagogik des 18. Jahrhunderts löste sich von aller historischen Tradition los; die Erziehung des 19. Jahrhunderts sucht durch Erforschung der historischen Entwicklung die Erziehungsarbeit geschichtlich zu begründen.

I. Pestalozzi.

1. Leben. a) Jugend. Johann Heinrich Pestalozzi, geb. am 12. Januar 1746 als jüngstes Kind eines Augenarztes in Zürich, verlor seinen Vater schon im 6. Jahre und wurde von seiner Mutter und der treuen Magd Babeli erzogen. Infolge dieser weiblichen Erziehung und seiner körperlichen Schwäche wuchs der kleine Heinrich als sog. Mutterkind auf. Männliche Kraft und Denkart blieben ihm fern. Die Familienstube beeinflußte ganz seinen Charakter und seine Anschauungen. Vom 9. Jahre an verlebte Pestalozzi die Sommerferien bei seinem Großvater, einem würdigen Landpfarrer in der Nähe von Zürich. Da er mit diesem täglich die Dorfschule und öfters die Hütten der Armen besuchte, so lernte er früh die Eigenart und das Elend des Volkes kennen. Mit 17 Jahren hatte Pestalozzi das Gymnasium seiner Vaterstadt absolviert. Er entschloß sich, Geistlicher[S. 120] zu werden. Doch das Erscheinen von Rousseaus „Emil“ veranlaßte ihn, die Theologie aufzugeben und das Studium der Rechte zu ergreifen. Auf den Rat eines sterbenden Freundes entsagte er auch diesem Studium und entschied sich schließlich für die Landwirtschaft.

b) Neuhof, 1768–1798. Im Kanton Aargau (unfern der alten Habsburg) erwarb er 1768 100 Morgen dürres Heideland zum Betriebe des Krappbaues und nannte sein Gut „Neuhof“. Durch äußeres Mißgeschick und eigenes Ungeschick verunglückte sein Krappbau. Er verwandelte nunmehr (1775) den Neuhof in eine Erziehungsanstalt für verwaiste und hilflose Kinder. Er wollte dieselben der Bettelei entziehen, in ihnen die Arbeitslust wecken und sie fähig machen zu verschiedenartiger, lohnender Tätigkeit. Im Sommer wurden sie mit Feldarbeit, im Winter mit Spinnen und Handarbeiten beschäftigt und sollten so die Kosten ihrer einfachen Erziehung selbst bestreiten. Dabei unterrichtete er sie zugleich, indem er die im Verkehr mit seinem Söhnchen gewonnenen Erfahrungen zu verwerten suchte. Er selbst sagt über diese Zeit:

„Es war unbeschreibliche Wonne, Jünglinge und Mädchen, die elend waren, wachsen und blühen zu sehen, ihre Hände zum Fleiß zu bilden und ihr Herz zu ihrem Schöpfer zu erheben, Tränen der betenden Unschuld im Angesicht geliebter Kinder zu sehen und ferne Hoffnung von Tugendempfindung und Sitten im verworfenen, verlorenen Geschlechte.“

Nach fünfjährigem Bestehen (1780) mußte die Anstalt indes aufgelöst werden: Pestalozzi entbehrte des notwendigen technischen Geschicks. Dazu waren viele Kinder faul und verwöhnt und entliefen, sobald sie neue Kleider erhalten hatten. Die Freunde hielten Pestalozzi für einen verlorenen Mann. In der Tat folgten 18 Jahre bitterer Not für ihn.

[S. 121]

c) Stanz, 1798–1799. Die französische Revolution, welche der Schweiz eine republikanische Verfassung brachte, riß Pestalozzi wieder in die öffentliche Tätigkeit. Es wurden ihm einflußreiche Stellen im Staatsdienste angeboten. Er aber erklärte: „Ich will Schulmeister werden!“ Im Herbste 1798, wo der Kanton Unterwalden von den Franzosen verwüstet wurde und eine Menge vater- und mutterloser Waisen umherirrte, erhielt er den Auftrag, die verlassenen Kinder zu sammeln. An 80 entsetzlich verkommene Kinder brachte Pestalozzi zusammen und begann in dem verödeten Kloster der Ursulinerinnen zu Stanz die Riesenarbeit ihrer Erziehung.

Seine Erlebnisse in Stanz schildert Pestalozzi selbst in einem Briefe an einen Freund:

„Ich hatte nichts, ich hatte keine Haushaltung, keine Freunde, keine Dienste um mich, ich hatte nur meine Kinder. Waren sie gesund, ich stand in ihrer Mitte, waren sie krank, ich war an ihrer Seite. Ich schlief in ihrer Mitte. Ich war am Abend der letzte, der ins Bett ging, und am Morgen der erste, der aufstand. Ich betete und lehrte noch im Bett mit ihnen, bis sie einschliefen, sie wollten es so.“ „Ich ging darauf aus, das Lernen mit dem Arbeiten zu verbinden.“ „Meine Kinder freuten sich, das, was sie konnten, die anderen zu lehren; so hatte ich schnell unter meinen Kindern selbst Gehilfen und Mitarbeiter.“ „Ehe die Frühlingssonne den Schnee unserer Berge schmelzte, kannte man meine Kinder nicht mehr.“

Im Sommer 1799 kamen indes die Franzosen und verwandelten das Klostergebäude in ein Lazarett. Die armen Kinder mußten entlassen werden.

d) Burgdorf, 1800–1804. Hier wirkte Pestalozzi zunächst als Hilfslehrer in einer Kinderschule; sein Hauptlehrer war ein ungebildeter Schuhmacher. Im Jahre 1800 gründete er im Verein mit dem Lehrer Krüsi auf dem Schlosse in Burgdorf ein Knabeninstitut, welches bald [S. 122]Aufsehen erregte. In Krüsi, Tobler, Buß, sodann in Ramsauer, Niederer und Schmidt fand er tüchtige Gehilfen.

e) München-Buchsee, 1804–1805. Im Jahre 1804 räumten die Behörden für die Erziehungsanstalt Pestalozzis das Kloster München-Buchsee ein. Die äußere Direktion der Anstalt wurde indes dem Herrn von Fellenberg in dem benachbarten Hofwyl übertragen.

f) Iferten, 1805–1825. Im Jahre 1805 verlegte Pestalozzi seine Anstalt nach Iferten am Neuenburger See, wo das alte, prachtvoll gelegene Schloß bezogen wurde. Hier erstieg Pestalozzis Ruhm den höchsten Gipfel. Selbst aus England, Rußland und Amerika wurden ihm Zöglinge zugeschickt. Erwachsene gingen dorthin, um des Meisters „Methode“ zu studieren. In Neapel, Madrid, Petersburg wurden Pestalozzische Lehrer angestellt. Kaiser Alexander von Rußland und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen bezeugten Pestalozzi persönlich ihr Wohlwollen. Auf Veranlassung des Franziskanerpaters Girard wurde Pestalozzi der Dank des Vaterlandes ausgesprochen (1811). Bald aber brachen Zwistigkeiten unter den Lehrern aus, die sich zu den heftigsten Zänkereien zuspitzten. Pestalozzi verstand es nicht, sich über den Parteien zu halten und die Gegensätze auszugleichen. Die Anstalt ging daher mehr und mehr zurück, und als mit dem Tode der vortrefflichen Frau Pestalozzi (1815) das letzte vermittelnde Element geschwunden war, wurde dieselbe 1825 von ihrem Stifter aufgelöst.

g) Lebensende. Von Iferten zog Pestalozzi zu seinem Enkel auf Neuhof. Hier lebte er noch 2 Jahre, in welchen er seine „Lebensschicksale“ und den „Schwanengesang“ schrieb. Er starb am 17. Februar 1827 in Brugg (Aargau). „Suchet euer Glück im stillen, häuslichen [S. 123]Kreise“, war die letzte Mahnung an die Seinigen. Sein Grab befindet sich in Birr bei Brugg neben dem Schulhause.

Am 12. Januar 1846 setzte ihm der Kanton Aargau ein einfaches Denkmal mit der Inschrift: „Hier ruhet Heinrich Pestalozzi, Retter der Armen auf Neuhof, Prediger des Volkes in ‚Lienhard und Gertrud‘, zu Stanz Vater der Waisen, in Burgdorf und München-Buchsee Gründer der neuen Volksschule, in Iferten Erzieher der Menschheit, Mensch, Christi Bürger: alles für andere, für sich nichts. Segen seinem Namen!“

2. Schriften. Die wichtigsten sind:

a) „Die Abendstunde eines Einsiedlers“ (1780).

Diese Schrift ist eine Reihe abgerissener Sätze, Aphorismen, über das Elend des Volkes und dessen Ursachen, sowie über die Mittel zur wahren Volksbeglückung.

b) „Lienhard und Gertrud“ (1781).

Dies ist das Meisterwerk Pestalozzis, welches seine Lieblingsideen: die Wiedergeburt erst eines Hauses, dann einer Gemeinde, zuletzt eines ganzen Staates durch kräftige Erhebung einer Mutter an dem Faden einer Erzählung ausführt. Inhalt: Der Maurer Lienhard in dem Schweizerdorfe Bonnal ist zwar ein herzlich guter Mann, macht aber doch Weib und Kind unglücklich, weil er sich in den Händen des gewissenlosen Vogtes Hummel befindet, der in seinem Gasthause die Leute verführt und durch Borg in Not und Elend bringt. Gertrud, die fromme und entschlossene Frau des Maurers, klagt dem wohlwollenden Gutsherrn Arner ihre Sorge. Dieser verheißt, um zu helfen, dem Lienhard den Bau einer Kirchhofsmauer und stellt weitere wohltätige Änderungen in Aussicht. Der Vogt verschwört sich mit seinen Anhängern gegen die Pläne Arners, die einen neuen Geist in das verwahrloste Dorf einzuführen bezweckten, wird aber, als er dem Gutsherrn einen Grenzstein versetzen will, ertappt. Nunmehr kommt es auch an den Tag, daß er einer inzwischen verstorbenen Frau und ihrem Sohne Rudi eine grasreiche Bergwiese durch Meineid entrissen hat. Der Hauptverführer wird unschädlich gemacht, und von Stunde an gestaltet sich alles im Dorfe besser. Mit vereinten Kräften helfen dazu Arner, der Pfarrer, der Baumwollen-Meier, welcher neue volkswirtschaftliche Unternehmungen beginnt, und der [S. 124]Leutnant Glülphi. Letzterer übernimmt die Schule des Dorfes, welche bis dahin gewissenlos verwaltet worden war. Vorher tritt er aber in Gertruds Wohnstube, um von der vortrefflichen Erzieherin zu lernen. Er sieht, wie sie mit den Kindern am Morgen betet und die biblische Geschichte liest und erklärt, wie die Hauptworte des Gelesenen den Tag über im Herzen und Munde der Mutter und der Kinder bleiben; sieht, wie die Kinder unter der Vorarbeit und dem Auge der Mutter ihre Hände am Spinnrocken und im Garten regen. Der Offizier Glülphi arbeitet in der Schule treu und voll Einsicht. Die Frucht seiner Arbeit zeigt sich bald, und die Umgestaltung des Dorfes erregt in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit. Auch der Fürst hört davon, läßt die Sache prüfen und benutzt den Rat und die Tätigkeit der Männer, die in kleinem Kreise so Großes getan haben, für die Armen und Waisen des ganzen Landes.

c) „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ (1801).

Es bleibt diese Schrift sein Hauptwerk für die Didaktik. Man kann sie auch seine ‚Große Unterrichtslehre‘ nennen. Pestalozzi fordert darin vor allem, daß der Unterricht von der Anschauung ausgehe. „Der Anfang aller Kenntnisse ist die Anschauung und das letzte Ziel der deutliche Begriff.“

3. Pädagogik.

a) Zweck der Erziehung ist die Entwicklung des einzelnen Menschen zur wahren, edlen Menschlichkeit und die harmonische Ausbildung aller Kräfte und Fähigkeiten. Diese Entwicklung und Bildung muß aber naturgemäß sein, d. h. den Gesetzen der menschlichen Natur entsprechen. Daher ist vor allem das Geistesleben des Kindes von innen heraus zu entwickeln und das Kind zur Selbsttätigkeit zu erziehen. Sodann aber muß die eigentümliche Natur und Sinnesart eines jeden Schülers genau beachtet werden. Mit dieser Entwicklung der seelischen Anlagen und Kräfte (der sog. „formalen Bildung“ oder Kraftbildung) ist das eigentliche Ziel des Unterrichts gegeben. Er hat nicht die Aufgabe, dem Kinde bestimmte Kenntnisse beizubringen.

[S. 125]

b) Der naturgemäße Träger der Erziehung ist die Familie, der Hauptschauplatz die Wohnstube, der Hauptfaktor die Mutter. Das Verfahren einer verständigen Mutter ist das vollkommenste Muster einer naturgemäßen Erziehung. Der Lehrer muß an das Tun der Mutter, die Schule an das Treiben in der Wohnstube anknüpfen. Deshalb soll der Lehrer dem Kinde, ehe er dasselbe über seine Verpflichtungen belehrt, das Gute vorleben und in konkreten Erscheinungen zeigen. Er soll insbesondere aus dem Verhältnis des Kindes zur Mutter die Empfindungen der Dankbarkeit und Liebe gegen Gott anschaulich entwickeln.

c) Die Lehrmethode schließe sich streng an die Gesetze der Entwicklung der Kindesnatur an. Da diese sich immer gleich ist, so kann es auch nur eine gute Unterrichtsmethode geben, eine „objektive Methode“, mit deren Hilfe auch der ganz Ungebildete unterrichten kann. Die Grundlage aller Erkenntnis ist die Anschauung, und zwar tunlichst die der wirklichen Gegenstände. Wo die sinnliche Anschauung unmöglich ist, soll das Abstrakte wenigstens durch Beispiele und Erzählungen aus bekannten Gebieten versinnlicht werden. Stets werde vom Nahen zum Entfernten, vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Bekannten zum Unbekannten in lückenlosem Fortschritt übergegangen. Das Ziel aller Kenntnisse ist, die sinnlichen Anschauungen zu deutlichen Begriffen zu erheben.

d) Das Gebiet des Unterrichts umfaßt 1. die Zahl (Rechnen); 2. die Form (Meßkunst, Zeichnen, Schreiben); 3. die Sprache (Sprachlehre, Gesang). In der Praxis der Schule ist dem Sprachunterricht die erste Stelle einzuräumen. Die Sprache werde durch Sprechen gelehrt, von grammatischen Regeln ist möglichst abzusehen. Auch sollen die Sprechübungen immer zugleich Denkübungen sein. Bei dem [S. 126]Gesange ist auf solche Lieder Gewicht zu legen, die das Gemüt erheben und das Herz veredeln. In der Formenlehre knüpft Pestalozzi viele Übungen an das Vorzeigen und Zerlegen von Körpern. Für Schreib- und Zeichenübungen empfiehlt er Griffel und Schiefertafel, welche durch ihn allgemein geworden sind. In der Zahlenlehre oder Rechenkunst ist vor allem das Wesen der Zahlen aus und an sinnlich anschaubaren Dingen zu entwickeln (Finger, Erbsen, Stäbchen; Einer- und Bruchtabelle). Das bloße Zifferrechnen ist zu verwerfen, das Kopfrechnen zur Hauptsache zu machen.

Bezüglich der Disziplin war Pestalozzi anfangs der Ansicht, daß man „die Kinder nicht wie Hunde und Katzen“ durch Schläge zur Arbeit antreiben dürfe. Später aber erklärte er: „Wir haben unrecht, gegen den Reiz der sinnlichen Begierden von der Kraft leerer Worte alles Heil zu erwarten und zu glauben, den Willen des Kindes ohne Züchtigung durch bloße wörtliche Vorstellungen nach unserem Willen lenken zu können. Wir wähnen, unsere Humanität habe sich zu einer Zartheit erhoben, die uns in keinem Falle mehr erlaube, an das ‚rohe‘ Mittel des Schlagens auch nur zu denken. Aber es ist nicht die Zartheit unserer Humanität, es ist ihre Schwäche, die uns leitet. Unsere Liebe ist nicht kraftvoll, ist nicht rein. Wir kennen weder die Folgen der in Liebe züchtigenden Kraft, noch diejenigen der jede Züchtigung scheuenden Schwäche.“

4. Beurteilung. Verdienste:

a) Pestalozzi ist ein hohes Vorbild für jeden Lehrer durch seine unüberwindliche Liebe zu den Kindern und durch seinen freudigen Opfermut.

b) Er ist der Herold der Mutterliebe und Mutterweisheit.

c) Er ist der Urheber des erziehenden Unterrichts sowie der kraftbildenden Erziehung und hat durch seine Forderung, daß alle Unterweisung von der Anschauung [S. 127]ausgehen müsse, den europäischen Schulwagen umgekehrt und in ein anderes Geleise gebracht.

d) Er ist der Neubegründer des Volksschul-Rechenunterrichts, hat die Geometrie zu einem Elementarfach gemacht, Zeichnen und Gesang in den Lehrplan der Volksschule aufgenommen.

e) Er ist ein entschiedener Feind aller Viel- und Halbwisserei und dringt auf eine weise Beschränkung der Lehrgegenstände. (Volkmer.)

Mangelhaftes:

a) Die Erziehungslehre Pestalozzis steht nicht auf positiv-christlichem Boden.

Schon in „Lienhard und Gertrud“ ist das christliche Element nur schwach betont, in den Pestalozzischen Erziehungsanstalten tritt das Christentum fast ganz zurück. Pestalozzi pflegt wie Rousseau und Basedow nur die Naturreligion. Auch ihm ist das Kind von Natur aus gut und wird nur in der bösen Welt verdorben. Doch war Pestalozzi selbst von aufrichtig religiösem Gefühl durchdrungen und trat nicht feindlich (wie Rousseau und dessen Apostel) gegen das Christentum auf.

b) Pestalozzi war Autodidakt und deshalb nicht frei von den beiden Fehlern aller Autodidakten: Nichtbeachtung anderer und Überschätzung eigener Leistungen. Rühmte er sich doch, in 30 Jahren kein Buch gelesen zu haben.

c) Er vernachlässigte die materielle Bildung, indem er die Geisteskräfte an wertlosen Gegenständen übte.

d) Die von ihm gesuchte „objektive“ Methode des Unterrichts, mit deren Hilfe auch der ganz Ungebildete unterrichten könne, ist ein unerreichbares Phantasiegebilde. Pestalozzi schlägt die Eigenart und Geschicklichkeit des Unterrichtenden nicht hoch genug an.

e) Er begrenzt durch die Gesichtspunkte „Zahl, Form, [S. 128]Sprache“ die Unterrichtsfächer einseitig und zu eng. Die Realien brachte er unter die Rubrik „Sprachlehre“, Religion paßt gar nicht in das Schema.

Außerordentlich vernachlässigte Pestalozzi sein Äußeres, Haar und Schuhwerk waren nicht selten in Unordnung. Um einen Stundenplan kümmerte er sich kaum, schulgerecht wurde bei ihm überhaupt nichts gelernt. Der Mangel an Zucht und Ordnung zeigte sich auch in der Leitung seiner Anstalten. Doch alle diese Mängel wurden weit übertroffen durch seinen eisernen Willen und die sieghafte Kraft seiner nie versagenden Liebe.

II. Schüler Pestalozzis.

1. Fellenberg (1774–1844).

1. Philipp Emanuel von Fellenberg aus Bern (kurze Zeit in München-Buchsee praktischer Leiter des Pestalozzischen Instituts) gründete nach Pestalozzis Plane 1804 auf Hofwyl eine Armenschule, die zugleich Arbeitsschule sein sollte. Fellenberg verfuhr durchaus praktisch. Das Unternehmen gedieh unter seiner umsichtigen Leitung vortrefflich. Bis 1832 erhielten 400 arme Kinder in Hofwyl unentgeltliche Ausbildung zu Handwerkern oder Landwirten. Fellenberg war gläubiger Christ und bildete auch seine Zöglinge in christlich-religiösem Sinne.

2. Ein unschätzbarer Gehilfe Fellenbergs verdient Johann Jakob Wehrli (1790–1855) genannt zu werden. Als Sohn eines armen Dorflehrers ernährte er sich anfangs mit Dachdecken und Schindelmachen und kam, 20 Jahre alt, nach Hofwyl zu F., wo er 23 Jahre unter harten Bedingungen aushielt. Er mußte Tag und Nacht bei den Kindern sein, sie unterweisen und dazu noch selbst taglöhnern. Die organische Verbindung des Unterrichts mit der Arbeit, wozu Pestalozzi die Idee, Fellenberg die Mittel gegeben hatte, führte Wehrli so weit als möglich durch. Der Ertrag der Arbeit deckte hier wirklich den größten Teil der Erziehungskosten. Der praktische Wehrli wurde später Seminardirektor und leitete 20 Jahre das Lehrerseminar [S. 129]zu Kreuzlingen am Bodensee. „Bete und arbeite!“ war sein Wahlspruch.

Nach dem Muster von Hofwyl wurden mehrfach Schulen errichtet (Wehrli-Schulen genannt), welche zum Teil recht segensreich wirkten.

2. Girard (1763–1850).

1. Der Franziskanerpater Gregor Girard (spr. Schirār), auf dessen Veranlassung Pestalozzi 1811 den „Dank des Vaterlandes“ erhielt, war Gymnasiallehrer, Professor der Philosophie und Schulinspektor der Stadt Freiburg (Schweiz). Später wurde er als erster katholischer Pfarrer nach Bern berufen. Er widmete seine besondere Aufmerksamkeit dem Volksschulwesen. Da es an geeigneten Lehrern fehlte, ging er nach Iferten zu Pestalozzi und führte bei seiner Rückkehr den Gedanken aus, welchen Pestalozzi in Stanz zu verwirklichen gesucht hatte: den wechselseitigen Unterricht. Die älteren und fortgeschrittenen Kinder wurden zur Unterweisung der jüngeren und schwächeren Schüler benutzt. So konnten mit wenigen Lehrern zahlreiche Kinderscharen unterrichtet werden.⁠[9]

2. Die Methode des wechselseitigen Unterrichts durch Helfer oder Monitoren heißt gewöhnlich das „Bell-Lancaster-System“. Zwei Engländer, Andreas Bell und Johann Lancaster, brachten nämlich dasselbe auf, unabhängig von, wenn auch fast gleichzeitig mit Pestalozzi. Bell machte seine ersten Versuche in Madras mit Soldatenknaben, Lancaster [S. 130]in Southwark (London). Die Bell-Lancaster-Methode erregte s. Z. großes Aufsehen. Sie wurde in England, Frankreich und Dänemark eingeführt. In Deutschland fand sie keinen Eingang, obschon der verdienstvolle Konsistorialrat Natorp († 1846 zu Münster) zu ihrer Empfehlung zwei Schriften verfaßte. (1. Ein einziger Schulmeister unter 1000 Kindern; 2. Andreas Bell und John Lancaster). Der Mechanismus dieses Notbehelfs konnte uns Deutschen nicht zusagen.

3. Fröbel (1782–1852).

1. Friedrich Fröbel aus Schwarzburg-Rudolstadt war der Sohn eines evangelischen Pfarrers. Er verlor früh seine Mutter und erfuhr von einer Stiefmutter eine harte und abstoßende Behandlung. Nach einer trüben Jugend und wechselvollen Studienzeit wurde er Volksschullehrer in Frankfurt a. M., dann Hauslehrer in einer Familie. 1808 siedelte er mit mehreren seiner Zöglinge nach Iferten über, um bei Pestalozzi „Schüler und Lehrer zugleich“ zu sein. In Iferten blieb Fröbel über 2 Jahre und verlebte „eine herrliche, für sein Leben entscheidende Zeit“. 1813 war er Freiwilliger im Lützowschen Korps. Später wurde er Direktor des Waisenhauses in Burgdorf (Schweiz). Hier erkannte Fröbel die Wichtigkeit der ersten Erziehung und die Notwendigkeit der Heranbildung tüchtiger Mütter. Er wendete seine Hauptsorge der ersten Kindheit zu und gründete Anstalten, die er selbst „Kindergärten“ nannte. In diesen Kindergärten wollte er die zarten Kinder wie die jungen Pflanzen im Garten heranziehen, dieselben in Aufsicht nehmen und ihnen eine entsprechende Tätigkeit geben.

2. Den ersten Kindergarten errichtete Fröbel in Blankenburg (Thüringen). Er gab Frauen und Mädchen Anleitung und bildete so Kindergärtnerinnen. Auch in Frankreich, Belgien, England und anderen Ländern haben die Kindergärten Eingang gefunden.

Die Idee Fröbels an sich ist eine gesunde und fruchtbare. Es bleibt nur zu tadeln, a) daß positiv-christliche Anklänge in den Fröbelschen Kindergärten fehlen; b) daß die Kinder „verspielt“, d. h. mit Spielen überhäuft werden und zu früh ihre kindliche Natürlichkeit verlieren.

[S. 131]

4. von Türk (1774–1846).

1. Dem Justizrat Karl Christian Wilhelm von Türk aus Meiningen wurde 1800 in Mecklenburg-Strelitz die Leitung des Landesschulwesens übertragen. v. Türk sah ein, „daß ein Jurist kein geborener Allwisser sei“, und ging deshalb zu Pestalozzi in die Schweiz. Nach einem abermaligen Besuche bei Altmeister Pestalozzi (1808) gründete er zu Vevey am Genfersee eine Erziehungsanstalt, der sogar Wilhelm von Humboldt seinen Sohn anvertraute. — 1815 wurde v. Türk Regierungs- und Schulrat in Frankfurt a. O. und 1817 in Potsdam Nachfolger Natorps.

2. Von Pestalozzi angeregt, machte v. Türk mehrere Waisenhausstiftungen in Potsdam. Durch seine „Briefe aus München-Buchsee“ trug er zur Würdigung der Verdienste seines Meisters wesentlich bei. Er war besonders Bahnbrecher für die Pestalozzische Rechenmethode in Preußen. Mit Wort und Tat suchte er die Seidenzucht in Deutschland zu verbreiten und bei den Lehrerseminarien einzuführen.

[9] Ein Monument in Lebensgröße wurde dem verdienten Pädagogen errichtet auf dem Marktplatze zu Freiburg. In der Inschrift wird er genannt: „Provinzial seines Ordens, Vorsitzender der Schweizer Gesellschaft der Naturwissenschaften, Ritter der Ehrenlegion, Mitglied der Religions- und Staatswissenschaften, Vater der Jugend, Wohltäter des Volkes und der Menschheit.“

III. Mittelbare Pestalozzianer.

A. Hervorragende katholische Pädagogen.
1. Overberg (1754–1826).

1. Seine Jugend. Der Pädagoge des Münsterlandes im eminenten Sinne ist Bernhard Heinrich Overberg, geb. als Sohn unbemittelter Krämerleute in der Bauerschaft Höckel (Osnabrück) am 1. Mai 1754. Gleich Pestalozzi war der kleine Bernhard ein an Körper und Geist schwächlicher Knabe, der erst in seinem 5. Jahre gehen lernte und 8 Fibeln verbrauchte, ehe er lesen konnte. Doch arbeitete er sich durch seinen Fleiß in der Bauerschaftsschule bis zum Helfer empor. — Früh faßte er den Entschluß, Geistlicher zu werden. Mit Hilfe der Mutter gelang es ihm, vom Vater die Einwilligung zum Studieren zu erhalten. Der Kaplan im Pfarrdorfe Voltlage unterrichtete ihn nun im Latein und Rechnen. Schon 17 Jahre alt, kam er auf das Franziskaner-Gymnasium in Rheine, wo er sich durch Fleiß, Ausdauer und musterhaftes Betragen auszeichnete. Gern hätte man ihn für den Orden gewonnen. Da es ihm indes an innerer Neigung für den Klosterberuf fehlte, hielt ihn seine verständige Mutter [S. 132]zurück. Seine theologischen Studien machte er mit auffallend günstigem Erfolge in Münster und wurde darauf Kaplan in Everswinkel, Kreis Warendorf, mit 90 Mk. Gehalt (neben freier Station). Hier bildete Overberg sein Talent für den Jugendunterricht aus. Er übernahm für den bejahrten Pfarrer den Religionsunterricht und gelangte zu einer seltenen Fertigkeit in der Katechese.

2. Overberg als Normallehrer. a) Minister und Generalvikar des Fürstbischofs von Münster war um diese Zeit der verdienstvolle Freiherr von Fürstenberg († 1810). Als Leiter des Erziehungswesens im Münsterlande lag ihm vornehmlich die Hebung der Volksschule am Herzen. Die Lehrer im Münsterlande waren damals verdorbene Handwerker, meistens Schneider und Taglöhner. Die Schullokale waren eng, niedrig, dumpf, oft nicht einmal bedielt. Der Schulbesuch beschränkte sich auf den Winter. Einzelunterricht und Abhören dessen, was mechanisch auswendig gelernt war, bildete die Regel. Schreiben und Rechnen lernten nur die Wohlhabenden gegen besondere Vergütung. Mit der Schulzucht war es noch trauriger bestellt. Sogar in Mädchenschulen fanden sich viele Stöcke, Eselsohren usw. Diesen trostlosen Zuständen konnte nur durch bessere Lehrer abgeholfen werden. Fürstenberg beschloß daher, eine Lehrerbildungsanstalt in Münster zu gründen. Es sollte eine „Normalschule“ sein, weil sie allen Elementarschulen im Lande zum Muster zu dienen bestimmt war. Overberg wurde 1783 zum ersten und einzigen Lehrer derselben durch v. Fürstenberg berufen (der sich persönlich in Everswinkel von der hervorragenden Lehrfähigkeit Overbergs überzeugt hatte).

b) Overberg begann damit, im Herbst 1783 für im Dienst stehende Lehrer einen Unterrichts- oder Normalkursus von 2½ Monaten abzuhalten. Es waren vielfach über 50 Jahre alte Männer, welche schon lange im Sommer [S. 133]auf dem Felde, im Winter in der Schule getaglöhnert hatten. Solche Normalschüler hatte Overberg nicht nur in der Methode, sondern auch in den Fächern selbst und in der Erziehungslehre zu unterweisen; dazu in so knapper Zeit und ganz allein. Eine Riesenaufgabe! Overberg hat sie gelöst. Die gewinnende Freundlichkeit Overbergs, seine unerschöpfliche Geduld, Berufstreue und Bescheidenheit, wie auch sein ausgezeichnetes Lehrgeschick öffneten ihm den Weg zu den Herzen seiner Schüler. Ergraute Männer, die anfangs nur gezwungen kamen, machten den Normalkursus noch vier-, einige zehnmal freiwillig durch. Es konnte später eine längere Dauer der Kurse eingeführt werden. Auch für Lehrerinnen hielt Overberg seit 1801 Normalkurse ab. Er hat das Institut der Lehrerinnen (welches im Münsterlande schon im 17. Jahrhundert bestand) zur Blüte gebracht. Overberg war für Trennung der Schulklassen nach dem Geschlechte und zog für Mädchenklassen Lehrerinnen vor.

c) Bei der Erziehung erörtert er mit Nachdruck die Wichtigkeit des guten Beispiels für die Willensbildung. Das gute Beispiel des Lehrers ist der Grundton seiner ganzen Erziehungslehre. Er zeigt die Würde des Lehrerberufes im Lichte der Religion. Das Amt eines Seelsorgers und Jugendlehrers sah er als das höchste auf Erden an. Die Kinder nannte er seine „Wonne“ und seine „Krone“!

d) Bezüglich der Ausbildung des kindlichen Geistes faßte er den Verstand und das Gedächtnis ins Auge. Der Verstand soll 1. zum Aufmerken und Nachdenken gewöhnt, 2. durch richtige, klare und deutliche Begriffe gebildet und 3. von der Wahrheit der Lehre überzeugt werden. Das Gedächtnis ist teils Wort-, teils Sachgedächtnis. Grundsätze: 1. das Wortgedächtnis soll nie ganz allein geübt [S. 134]werden; 2. das Sachgedächtnis genügt in vielen Fällen allein; 3. Wort- und Sachgedächtnis sind auf eine vorteilhafte Art zu üben.

e) Besonderes Gewicht legte Overberg auf den Religionsunterricht. In der Methodik huldigt er (im Gegensatze zu Pestalozzi) der katechetischen Unterrichtsweise, worin er eine außerordentliche Tüchtigkeit besaß. Er wollte verhindern, daß der Lehrer mit dem Prediger, der Katheder mit der Kanzel verwechselt werde. Darum spielt die Frage, sei sie heuristisch, repetierend oder examinierend, bei Overberg eine so wichtige Rolle, ebenso das Anführen von Beispielen.

f) So wirkte er unermüdlich jahraus jahrein; ein Kursus folgte dem anderen. Als er 1809 zum Regens des Priesterseminars und 1816 zum Regierungs- und Schulrat in Münster ernannt wurde, hielt er die Normalkurse weiter und blieb bis zu seinem Tode der fleißige und bescheidene „Lehrer der Normalschule“. Er erlebte noch (1825) die Freude, das Lehrerseminar in Büren eröffnet zu sehen. „Nun kann ich ruhig sterben,“ sagte er, „das Seminar ersetzt mich.“ Er starb am 9. November 1826.

Overberg wurde in Münster auf dem Überwasserkirchhofe begraben. Ein einfaches Kreuz mit der Inschrift: „Es ist kein anderer Name dem Menschen gegeben“, zeigt die Stelle. An seinem 150. Geburtstage (1. Mai 1904) sind seine Gebeine in die Überwasserkirche, dem Orte seiner reichgesegneten priesterlichen und pädagogischen Tätigkeit, feierlich übertragen worden. Ein größeres Denkmal (Obelisk) errichtete man ihm bald nach seinem Tode auf dem Hofe des Priesterseminars in Münster. Dieses trägt an der Ostseite die Inschrift: „Lehrer der Lehrer während 43 Jahre. So ward ihm vergönnt, der Wohltäter des ganzen Münsterlandes zu werden.“

Im Jahre 1889 wurde ihm vor dem Lehrerseminar in Warendorf aus Anlaß des 50jährigen Bestehens der Anstalt Langenhorst-Warendorf ein 2½ m hohes Standbild errichtet, dessen Kosten [S. 135]zum größten Teile von den katholischen Lehrern Westfalens aufgebracht sind. Die Figur hält in der linken Hand Overbergs Hauptschrift, die „Anweisung“. Auf drei Seiten des Sockels sind folgende Stellen aus seinen Werken angebracht: „Ich will keine Anstrengung scheuen, welche mir für das Beste der Schulkinder nötig oder nützlich scheint.“ „Der Lehrer soll seinen Schülern überall mit einem guten Beispiele vorgehen.“ „Tue und leide alles aus Liebe zu Gott nach Gottes Willen, zur Ehre Gottes!“ Im Jahre 1897 setzte ihm die Stadt Münster ein Marmordenkmal (lebensgroße Figur) auf dem Platze vor der Überwasserkirche.

3. Seine Schriften. Er verfaßte:

a) ein „ABC-Buch“ (1788), um eine bessere Methode des Leseunterrichts einzuführen;

b) „Anweisung zum zweckmäßigen Schulunterricht für die Schullehrer im Fürstentum Münster“ (1793);

Dieses Buch ist Overbergs Hauptschrift, durch v. Fürstenberg approbiert und mit nachdrücklicher Empfehlung versehen. Es ist in populärer Breite abgefaßt und durchaus praktisch gehalten. Eine streng systematische Gliederung fehlt. — Der Grundgedanke des ganzen Werkes, welches in zwei ungleiche Teile zerfällt, ist: Das vorbildliche Leben und die religiöse Gesinnung des Lehrers bleibt die Hauptbedingung einer segensreichen Wirksamkeit.

c) eine Bibl. Geschichte des Alten und Neuen Testaments (1799), die selbst in protest. Schulen Eingang fand;

d) einen größeren und einen kleineren Katechismus (1804); dazu ein Religionshandbuch Katecheten und Lehrer.

Fürstbischof Franz Egon von Paderborn und Hildesheim benutzte das „Handbuch“ zu seiner täglichen Erbauung.

4. Seine Verdienste. Overberg ist die anmutigste Persönlichkeit unter den Pädagogen des 19. Jahrhunderts. Was ihn uns so lieb und wert macht und ihn zum vollendeten Muster der Lehrer erhebt, ist:

a) die bis zum letzten Atemzuge dauernde opferfreudige Hingabe an die Volksschule;

[S. 136]

Was die Fürstin Gallitzin in ihren Aufzeichnungen sagt, „daß ein Charakter groß sei in dem Maße, als er fähig ist, Opfer zu bringen für das Wohl anderer,“ das gilt recht eigentlich von Overberg. Er suchte nicht seinen Vorteil, sein ganzes reiches Wirken ging nur hervor aus Liebe zu Gott und seinen Mitmenschen.

b) seine große Demut und Bescheidenheit;

Auch bei den glänzendsten Erfolgen seiner Lehrtätigkeit wußte er diese zu bewahren und legte sie oft in rührendster Weise an den Tag.

c) sein Streben nach eigener Vervollkommnung;

Vorbereitung vor dem Unterrichte und Gewissenserforschung nach demselben machte er sich zur strengen Pflicht. Auf die erstere verwandte er 1½ Stunde vor jedem Unterrichte. Von der Peinlichkeit und Strenge der letzteren legen viele Stellen seines Tagebuchs beredtes Zeugnis ab. So war Overberg mit eisernem Fleiße für seine eigene Vervollkommnung tätig, eingedenk der Wahrheit, daß der Lehrer, der an seiner persönlichen Fortbildung arbeitet, damit auch der Verbesserung seiner Schule dient.

d) seine große Meisterschaft in der katechetischen Lehrweise und die mustergültige Methode des Religionsunterrichts.

Overberg war ein Feind des mechanischen Unterrichts und eifert besonders gegen das verständnislose Auswendiglernen. Die biblische Geschichte behandelte er mit einer solchen Meisterschaft, daß man glaubte, die Handlung geschehe vor Augen; passende Beispiele und Gleichnisse boten sich wie von selbst dar, die eine Lehre floß aus der anderen.

2. Sailer (1751–1832).

1. Johann Michael von Sailer, Sohn eines unbemittelten Schuhmachers zu Aresing in Oberbayern, Professor der Theologie an der Universität Ingolstadt (später Landshut), wurde 1829 Bischof von Regensburg und starb allgemein betrauert 1832. Der berühmte Fürstbischof von Breslau, Melchior von Diepenbrock, war sein Zögling und innigster Verehrer.

2. Sailer hielt als Universitätslehrer sehr beliebte Vorlesungen über Pädagogik und flößte unzähligen jungen [S. 137]Leuten Begeisterung für die schwere Aufgabe der Menschenerziehung ein. Daraus entstand sein Werk: „Über Erziehung für Erzieher oder Pädagogik“ (1807), welches selbst von Protestanten geschätzt wird.

Diesterweg zeigte die 1830 erschienene 5. Auflage dieses Werkes in seinem „Wegweiser“ mit folgenden Worten an: „Ein Produkt hoher, reinster Begeisterung für Menschenwohlfahrt durch Erziehung. Ein edler Geist spricht den Leser fast aus jeder Zeile an und belebt ihn für höhere Dinge. Darum ein Buch für Jünglinge!“

3. Sein Hauptverdienst besteht darin, daß er den Geist des Rationalismus von seinem Lehrstuhle herab wie in seinen Schriften mit Erfolg bekämpfte. Er verlangt einen Religionsunterricht, der sich auf die Kindesnatur und den Glauben stützt.

Das zweite Verdienst Sailers ist dieses, daß er in der Zeit der Methodenhascherei die Wichtigkeit der Erziehung hervorkehrte. Deshalb legt er auch ein so großes Gewicht auf die Persönlichkeit des Lehrers und dessen Beispiel. „Sei selbst Mensch, um Menschen zu erziehen. Werdet selbst besser, so werden auch eure Schüler besser werden.“

4. Wie Pestalozzi (den er kannte und hochschätzte) legte er dem Einflusse einer guten Mutter hohen Wert bei. Im Gegensatz zu Pestalozzi war er ein großer Verehrer der sokratischen Methode. Er gibt vortreffliche Lehren über die körperliche Erziehung und Abhärtung des Leibes. Als Hauptsumme aller Lehrertugend stellt er Liebe und frohe Laune hin. (Die Worte des schweizerischen Pädagogen Büel: „Wenn ich so recht froh in die Schule komme, so sind meine Kinder Engel, und alles geht herrlich“ macht er zu seinen eigenen.) Er weist auch auf die Notwendigkeit von Lehrerbildungsanstalten hin und wünscht fakultative Fortbildungsschulen.

[S. 138]

Aus der genannten Schrift „Über Erziehung für Erzieher“ sind folgende Gedanken hervorzuheben:

1. „Die Haupttugend der Tochter ist die Unschuld, sie sei ihr so heilig als das Leben und noch heiliger als dieses.

Der gefährlichste Feind der Unschuld ist die Eitelkeit, die Begierde zu gefallen. Ist diese in der Tochter einmal erwacht, so sind zugleich unzählige Gefahren für die Unschuld miterwacht. Die unbeherrschte Begierde zu gefallen ist fast immer der erste Schritt zum Falle. Um dieser Gefahr zuvorzukommen, muß der Erzieher so auf die Tochter einwirken, daß sie nur den Beifall Gottes, nicht jenen der Menschen sucht. Der Trieb, Gott zu gefallen, sammelt die Jungfrau in sich selbst; der Wunsch, anderen zu gefallen, wirft sie in die Welt hinaus.

Die Jungfrau flieht jede Gefahr, die ihrer Unschuld Schaden bringen könnte, sorgsamer als die nächste Todesgefahr. In einer unvermeidlichen Gefahr kämpft sie wie ein Held: der Blick des Ernstes im Auge, das erschütternde Nein im Munde, die Entschlossenheit in der Gebärde werden auch den frechsten Knecht der Sünde vertreiben.

Die Tochter meidet jede Art von Müßiggang, keine Stunde trifft sie arbeitslos an. Die frühe Gewöhnung an Arbeit bildet die Tochter so recht für dieses Leben, das ein Leben der Arbeit ist, und, da die Arbeit vor tausend Reizen zur Sünde bewahrt, arbeitet sie dem höheren Leben in die Hände. Das Leben ist kein Spiel, und die Tugend ist es auch nicht. Je mehr das Kind der Arbeit entfremdet wird, um so schwerer ist die Erziehung.

Die Töchter sind für den Kreis des Hauses zu erziehen. Ein Weib außer dem Hause ist außer seinem Elemente, ist wie ein Fisch außer dem Wasser. Schon die gute Erziehung der Kinder erfordert tausend Arbeiten, die das Weib notwendig an das Haus fesseln. Dazu kommt die Pflicht, Ordnung und Reinlichkeit im Hause zu erhalten, das Hauswesen selbst zu führen, den Erwerb des Mannes durch Sparsamkeit und Arbeitsamkeit zu sichern und zu vermehren. Ein Weib, das außer dem Hause glänzen will, hat den Charakter des Weibes verleugnet.“

2. „Wer seinen Zögling zu einem guten Menschen erziehen will, der ruhe nicht, bis das Gute die Macht der Gewöhnung in ihm bekommen habe, bis es gleichsam Natur geworden ist.

Gleichsam Natur muß in ihm werden die Scheu vor allem [S. 139]Bösen. Kein unwahres Wort, keine schamlose Gebärde, keinen fremden Heller!

Gleichsam Natur muß in ihm werden die Ehrfurcht vor Gott, vor allem Heiligen und das Leichtaufschauen zu Gott. ‚Überall sieht mich Gottes Auge; auch Gedanken sieht sein Blick. Vor seinem Auge will ich wandeln. Seinen Geboten ziemt der erste Gehorsam. Ihm weihe ich mein ganzes Herz.‘

Gleichsam Natur muß in ihm werden das Gebet des Herzens zu Gott, ohne welches Religion und Tugend den Atemzug und den Pulsschlag — ihre Seele verloren haben. Dazu gehört wohl auch die frühe Gewöhnung der Kinder zum herzlichen Morgen-, Abend-, und Tischgebet. Nie ist die schöne Kindlichkeit schöner als im kindlichen Gebete, das kurz sein muß, um wahr bleiben zu können, und herzlich, um Gebet zu sein.

Gleichsam Natur muß in ihm werden die Achtung vor dem öffentlichen Gottesdienst und eine Gegenwart bei demselben, die Herz und Geist erbaut.

Wer seinen Zögling gut bilden will, der gewöhne ihn auch zu dem, was der Tugend vorarbeitet und ihre Übung erleichtert, zum Entbehren und Dulden. Entbehren und Dulden sind dem Menschen für die treue Erfüllung seiner Pflichten im Leben unentbehrlich. Darum muß das ‚abstine, sustine!‘ d. i. ‚lerne um des Guten willen Angenehmes missen und Unangenehmes dulden‘, der oberste Grundsatz der Erziehung sein; gewöhne das Kind an das Gute, so unangenehm dieses immer sein mag. Je mehr sich die Kinder in den Sinnengenuß hineingearbeitet haben, desto schwerer ist die Erziehung.“ (Vgl. John Locke und den Ausspruch Taulers: „Halte jeden Tag für verloren, an welchem du nicht aus Liebe zu Gott deinem Eigenwillen Widerstand geleistet hast.“)

3. Wittmann (1760–1833).

1. Georg Michael Wittmann war Regens des Priesterseminars zu Regensburg, wurde 1829 Weihbischof daselbst und 1832 am Grabe Sailers zu dessen Nachfolger ernannt. Er gilt als unübertroffenes Muster eines Religionslehrers und Kinderseelsorgers. Bis er Weihbischof wurde, gab er wöchentlich 37 Religionsstunden und hat mehr als 70000 Kinder in der Religion unterrichtet. Er setzte seinen Unterricht niemals aus, selbst nicht, als einst ein [S. 140]Minister ihm einen Besuch ansagte. Seinen Schlaf beschränkte er auf 4 Stunden.

2. Bischof Wittmann ist auch der Stifter der „Genossenschaft der Armen Schulschwestern“ (Mutterhaus in München). Im Jahre 1890 zählte die Stiftung 384 Häuser mit 3514 Schwestern, welche 120000 Kinder unterrichteten. Aus der Instruktion, die Wittmann gab, ist zu merken:

a) „Nicht eine äußere Bildung zum Glänzen, sondern zur lebendigen Gottesfurcht und zur Berufstreue ist Zweck der Schulerziehung.“

b) „Die kräftigste Predigt, die besonders bei Kindern einen unvertilgbaren Eindruck macht, ist das Beispiel. Der erste Same zur Gottesfurcht und Tugend kommt immer erst durch das Auge in die Seele, nicht durch das Ohr. In den Kindern regt und äußert sich vor allem der Nachahmungstrieb.“

c) „Was die Unterrichtsgegenstände betrifft, Ordnung, Zeit, Art und Weise des Unterrichts, sollen sich die Schwestern genau an die Verordnungen der Schulbehörde halten, welcher ihre Schule untergeordnet ist.“

d) „Die Mädchen sollen auch in standesmäßigen Handarbeiten Unterricht erhalten, so z. B. im Stricken, Spinnen, Wäsche- und Kleiderausbessern, Weißnähen, im Anfertigen der Kleider nach Stand- und Landestracht.“

4. Milde (1777–1853).

1. Der Fürsterzbischof von Wien Vincenz Eduard Milde war der Sohn eines ehrsamen Buchbindermeisters in Brünn. Schon mit 21 Jahren wurde er Katechet an den beiden Schulen zu Altlerchenfeld (Wien), 1804 Religionslehrer an der Realschule und an der Akademie der bildenden Künste, 1806 Universitätsprofessor der Pädagogik. Als Professor verfaßte er sein Aufsehen erregendes „Lehrbuch der allgemeinen Erziehungskunde“, in welchem er die Pädagogik auf reine Prinzipien der Psychologie gründet. Dieses Werk veranlaßte die Beförderung Mildes zum Bischof von Leitmeritz (1823) und Fürsterzbischof von Wien (1831).

[S. 141]

2. Seine Vorliebe für den Lehrerstand bewies Milde durch eine Stiftung zur Unterstützung bedürftiger Lehrer der Wiener Erzdiözese. 3 Jahre nach seinem Tode (1856) trat die Stiftung ins Leben, und es erhielten bereits in diesem Jahre 72 Lehrer und 90 Geistliche je 100 Gulden. Mildes Grabschrift im Stephansdom zu Wien lautet:

„Wohltaten, still und rein gegeben,
Sind Tote, die im Grabe leben,
Sind Blumen, die im Sturm bestehn,
Sind Sterne, die nicht untergehn!“
(M. Claudius.)

Bemerkenswerte Stellen aus dem Lehrbuche sind:

„Die intellektuelle Bildung ist eine zweifache: die formelle und materielle. Erstere beschäftigt sich mit bestimmten Anlagen des Geistes, letztere mit bestimmten Gegenständen; jene ist bei allen Menschen dieselbe, diese ist bei jedem Individuum verschieden. Beide sind gleich wichtig und allzeit in Harmonie zu betreiben.“

„Wenn wir nur das wüßten, was wir in den Schulen lernen, würden wir sicher arm an Kenntnissen sein. Das, was wir gelegentlich im täglichen Leben, in der Schule der Erfahrung und des Umgangs mit anderen gelernt haben, ist sicher weit mehr und oft weit nützlicher als das in der Form und Sprache des absichtlichen Unterrichts Vorgetragene.“

„Vorübergehende Stimmungen, einzelne Handlungen bewirken, ist leicht; Gesinnungen zu gründen, welche fortdauern, auch wenn die äußere Einwirkung aufhört, ist schwer — und doch ist dieses, nicht jenes Aufgabe für den Erzieher.“

5. Barthel (1802–1861).

Karl Barthel aus Breslau wirkte als geistlicher Seminardirektor in Paradies (Posen) und Breslau, als Regierungs- und Schulrat in Liegnitz und Breslau. In allen diesen Stellungen hat er sich die Liebe und das Vertrauen der Lehrer in seltenem Grade zu erwerben verstanden. Durch seine zahlreichen aus der Praxis entstandenen Schriften hat er sich ein bleibendes Verdienst, besonders um die katholischen [S. 142]Schulen des Landes, erworben. Die wichtigsten sind a. Handbuch zur Bibl. Geschichte (3 Bände), b. Schulpädagogik (neu bearbeitet von Wanjura).

In der letzteren gibt er beherzigenswerte Winke über die Pflege der Vaterlandsliebe in der Schule. Er sagt: „Wir sind Deutsche und sind insbesondere Preußen. 1. Als Deutsche haben wir selbst deutsche Gesinnung zu bewahren und bei den uns anvertrauten Schülern zu pflegen. Die deutsche Gesinnung aber äußert sich in der Innigkeit des Glaubens, in der Biederkeit und Einfachheit, in Offenheit und Wahrhaftigkeit, in Mut und Ausdauer unter Mühen und Arbeiten. Wer für den Anbau dieser Tugenden sorgt, der sorgt für die Pflege des deutschen Wesens. 2. Zum preußischen Staate gehören der Abstammung nach nicht bloß Deutsche, sondern auch andere Nationalitäten. Ihnen allen müssen blinde nationale Antipathien, wie sie die vorchristliche Zeit so schroff zeigt, fremd sein. Welcher Abkunft wir auch sein mögen, als Bürger des preußischen Staates sind wir alle durch ein Band umschlungen, das uns zu einem Volk von Brüdern macht, ob wir am Niemen oder am Rhein, an der Nord- oder Ostsee oder am Fuße der Karpathen wohnen. Dieses uns alle umschlingende Band ist die Treue gegen den von Gott uns gegebenen König, das ist die Anhänglichkeit an die von ihm und seinen Räten getroffenen vaterländischen Einrichtungen, das ist die Ehrfurcht vor dem Gesetze, vor welchem alle Staatsbürger gleich sind, das ist die Dankbarkeit für die liebevolle Sorge, mit welcher eine weise Regierung Gewerbe und Handel begünstigt, Kunst und Wissenschaft schirmt und besonders den Volksunterricht fördert. Diese Segnungen vor dem Geiste unserer Kleinen zu erhalten, das sei unser redliches Bemühen; denn ohne Kenntnis des Vaterlandes ist keine Teilnahme für dasselbe, ist also auch kein Bürgersinn möglich, der in unserem Zeitalter so sehr in Anspruch genommen wird.“

6. Graser (1766–1841).

1. Joh. Baptist Graser war 1804–1825 Regierungs- und Schulrat in Bamberg und Baireuth und lebte nach seiner Pensionierung in Baireuth. Nicht ohne Bedeutung sind seine pädagogischen Schriften:

[S. 143]

a) „Divinität oder das Prinzip der einzig wahren Menschenerziehung.“

b) „Das Verhältnis des Elementarunterrichts zur Politik der Zeit.“

2. Seine pädagogischen Grundsätze und Vorschläge sind:

a) Die Elementarschule ist ein wichtiger Faktor im Staatsleben und soll dieses unterstützen.

Vor allem muß der Jugend die Notwendigkeit der Obrigkeit nahegebracht und stufenweise entwickelt werden. Graser ging deshalb von dem Familienleben und der väterlichen Gewalt im Hause aus, knüpfte daran das Leben in der Gemeinde und schritt sodann zum geordneten Staatsleben weiter.

b) Nach dem Gesichtspunkte des Familien-, Gemeinde- und Staatswesens soll sich der ganze Unterrichtsstoff gliedern.

Die Geographie beginnt mit der Heimatskunde, die Naturgeschichte mit den Naturkörpern des Wohnorts, die Geschichte mit der Ortschronik, im Religionsunterrichte sollen zunächst nur kurze Denk- und Sittensprüche gegeben werden, welche die Pflichten gegen Eltern, Geschwister und Hausgenossen enthalten. (Diese Stoffverteilung ist unnatürlich, sie ist eine Übertragung des Unterrichtsganges, den Pestalozzi mit Recht für die Geographie verlangt, auf alle Fächer.)

c) Es muß ein naturgemäßer Übergang vom Elternhause zur Schultätigkeit gewonnen werden.

Nach Graser reihet sich der gewöhnliche Schulunterricht nicht natürlich an den vorigen der Natur und Familienstube an, und so ist der erste Schulunterricht auch die erste Kindesqual. Als geeigneten Übergangsunterricht empfiehlt Graser die Behandlung des Wohnhauses an einem Modelle. Dasselbe dient für den Anschauungsunterricht und wird auch als Grundlage gebraucht für die ersten Übungen im Zeichnen, in der Geometrie, im Rechnen und in der Geographie.

d) Das Schreiben darf beim Anfangsunterricht vom Lesen nicht getrennt werden.

[S. 144]

Er sagt: „Naturgemäß lernten die Menschen das Sprechen weit früher als das Schreiben; ebenso naturgemäß war aber und ist die Schrift früher als das Lesen, denn erst muß geschrieben sein, ehe gelesen werden kann.“ Dieser Schlußfolge entsprechend gab Graser die Lautzeichen zugleich mit den Lauten, und zwar in der Schreibschrift zum sofortigen Nachschreiben. So ist er der Begründer der Schreiblesemethode geworden, zu deren Verbreitung Wurst am meisten beigetragen hat.

7. Christoph v. Schmid.

Christoph von Schmid, † 1854 als Domkapitular zu Augsburg, ist der fruchtbarste und bis jetzt unübertroffene Vertreter der Jugendliteratur. Seine „Erzählungen für die Jugend“ drangen in die entferntesten Dörfer und sind noch heute eine beliebte Lektüre für jung und alt, und zwar bei allen Konfessionen. Wer kennt nicht den „Verfasser der Ostereier“?

Über seine Jugendschriftstellerei sagt er: „Ich ging zu den Kindern selbst in die Schule und lernte von ihnen. Gewöhnlich erzählte ich eine Geschichte den Kindern oder las sie ihnen vor und ließ sie dann dieselbe aus dem Gedächtnisse nachschreiben. Daraus ersah ich, was die Kinder am meisten angesprochen hatte und was nicht. Ich arbeitete dann die Erzählung um, indem ich mehr Handlung und kürzere Gespräche darin vorbrachte. So lernte ich von den Kindern und war immer darauf bedacht, ihre Sprache zu reden. Für Kinder kann nicht zu oft ein Punkt kommen. Ein gut gewähltes Eigenschaftswort macht eine längere Schilderung unnötig.“

Sehr schön äußert er sich über die biblischen Erzählungen: „Unter allen Geschichten sind die biblischen die vortrefflichsten. Da lebt alles, alles steht vor Augen, der Schauplatz der Geschichte ist immer bestimmt. Man ist überall in der wirklichen Welt, hat Berg und Tal, Baum, Felsen, Quellen und Gebirge um sich; jetzt ist es Morgen, jetzt Abend, jetzt heißer Mittag: bald ist es Erntezeit, bald Schafschur, bald Weinlese.“

Dem kindlich frommen Verfasser der „Ostereier“ wurde vorgeworfen, daß er 1. rationalistischen Tendenzen huldige, und 2. in seinen Geschichten den katholischen Bräuchen und Lehren nicht genug Rechnung trage. Beide Vorwürfe sind unbegründet.

[S. 145]

B. Hervorragende protestantische Pädagogen.
1. Niemeyer (1754–1828).

1. Der Urenkel Franckes war August Hermann Niemeyer, Professor der evang. Theologie, Inspektor des königl. Pädagogiums und Mitdirektor des Waisenhauses zu Halle. Er errichtete selbst ein pädagogisches Seminar an der Universität Halle. Von Pestalozzis Geist befruchtet, suchte er die Grundsätze Rousseaus, Basedows und Pestalozzis zu sichten, das Wahre vom Falschen zu trennen und ein logisches Gebäude der Erziehungs- und Unterrichtswissenschaft aufzubauen.

2. Seine pädagogischen Anschauungen legte er nieder in dem dreibändigen Werke: „Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts“ (1796), woran er 30 Jahre arbeitete, und welches noch jetzt eine Zierde der pädagogischen Literatur ist. Als Prinzip der Erziehung stellt Niemeyer die harmonische Ausbildung aller menschlichen Anlagen und Kräfte auf. In religiöser Beziehung neigte er zu den Philanthropen, doch bewahrte ihn der Ernst und die Tiefe seines Gemüts vor Angriffen auf das positive Christentum.

NiemeyersGrundsätze“ faßten zum erstenmal die Pädagogik in ein abgerundetes System zusammen und enthalten zugleich einen der frühesten Versuche einer Geschichte der Pädagogik.

2. Schwarz (1766–1837).

Friedr. Heinr. Christian Schwarz aus Gießen war protestantischer Theologie und Professor an der Hochschule in Heidelberg. Er leitete das dortige pädagogische Seminar und wurde später Kirchenrat.

Sein Hauptwerk ist die „Erziehungslehre“, welche nicht so systematisch, aber gemütvoller als Niemeyers Pädagogik gehalten ist. Er betrachtet als Ziel der Erziehung: die Heranbildung des Menschen zur Gottähnlichkeit. In religiöser Beziehung steht er ganz auf positiv-gläubigem Standpunkte.

[S. 146]

3. Denzel (1773–1838).

Bernhard Gottlieb Denzel aus Stuttgart war ebenfalls protestantischer Theologe und wurde 1811 von der württembergischen Regierung als „Inspektor“ des neuen Seminars nach Eßlingen berufen. Auf kurze Zeit unterbrach er seine Seminartätigkeit und reorganisierte das Volksschulwesen in Nassau, kehrte aber darauf in seine Stellung nach Eßlingen zurück, wo er mit Lust und Liebe bis an sein Ende wirkte.

Denzel steht als Praktiker der Volksschule besonders nahe. Den Anschauungsunterricht erhob er zum Stammunterricht für alle übrigen Unterrichtszweige und traf bezüglich des Stoffes hierin eine richtigere und angemessenere Disposition als Pestalozzi, indem er vom Schulzimmer und der Schule ausging. Für den ersten Zahlenunterricht benutzt er eine zehnsprossige Skala, die nach ihm benannte „Denzelsche Leiter“. Als Schriftsteller erwarb er sich einen Namen durch die beiden Werke: „Einleitung in die Erziehungs- und Unterrichtslehre“ und „Die Volksschule, ein methodologischer Lehrkursus“.

4. Harnisch (1787–1864).

1. Leben. Christian Wilhelm Harnisch aus Wilsnack im Rgbz. Potsdam studierte zuerst evangelische Theologie, entschied sich dann für das Lehrfach und kam an das Plamannsche Institut zu Berlin, um die Pestalozzische Methode kennen zu lernen. Hier wurde er bekannt mit Fichte, Schleiermacher und Jahn und nahm tätigen Anteil an den Bestrebungen für Erweckung der vaterländischen Gesinnung vor den Freiheitskriegen. Er zeigte ein so ungewöhnliches Geschick im Unterrichten, daß er zum Lehrer der Prinzessin Charlotte von Preußen, nachmaligen Kaiserin von Rußland, berufen wurde. 1812 wurde Harnisch erster Lehrer am Seminar in Weißenfels. Hier wirkte er 20 Jahre, zuletzt als Direktor, ungemein erfolgreich. Das Seminar in Weißenfels blühete und wuchs unter Harnisch zu einem Musterseminar. Die tüchtigen Seminarlehrer Hentschel, Stubba, Lüben und Prange, von Harnisch herangezogen, förderten das Gedeihen und den Ruf der Anstalt. „Um in einem stillen Kirchlein [S. 147]neben dem Altar sitzen und den Frieden verkünden zu können,“ legte Harnisch 1842 die Seminardirektion nieder und nahm die Landpfarre zu Elbei im Magdeburgischen an. Eine schwere Krankheit nötigte ihn 1861, in den Ruhestand zu treten; drei Jahre darauf starb er zu Berlin, nahezu 77 Jahre alt.

2. Schriften. Die bemerkenswertesten sind:

a) „Der Schulrat an der Oder.“ Eine Zeitschrift, herausgegeben in Gemeinschaft mit den beiden Katholiken Krüger und Rendschmidt.

b) „Handbuch für das deutsche Schulwesen.“ Sein bedeutendstes Werk.

c) „Die wichtigsten neueren Land- und Seereisen.“ Hierdurch hat er auf dem Gebiete der Jugendschriften anregend gewirkt.

d) „Mein Lebensmorgen,“ Selbstbiographie bis zum 35. Lebensjahre. (Nach seinem Tode erschienen.)

3. Pädagogische Wirksamkeit.

a) Er fordert nachdrücklich eine Erziehung auf dem Boden des positiven Christentums.

„Im vollen Sinne des Wortes gibt es keine andere Erziehung als eine christliche.“ „Die christliche Erziehung bedarf gleich jeder anderen des Verstandes, der Vernunft, des Willens und aller Anlagen und Kräfte; aber ihr Grundwesen ist nicht Verstand, sondern innige Liebe und demütiger Glaube.“ „Der christliche Erzieher weiß, daß nur durch Gottes Gnade sein Zögling gedeiht und nicht durch seine Kraft. Alle Erziehung, die sich auf ihre eigenen, besonderen Kräfte und Künste stützt, die wähnt, durch Klugheit und Geschick alles auszurichten, das ist keine christliche. Der christliche Erzieher achtet alle Kunst und alles Geschick; doch die größte Kunst ist ihm die, bei keinem Zöglinge die Liebe aufzugeben, die alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, alles duldet.“ Für seine Zöglinge stellt er als goldenes ABC auf: „a) Sei ein Christ! b) Besitze die gehörigen Kenntnisse des Christentums! c) Habe die gehörige Lehrfertigkeit!“

b) Über die Stellung und Beaufsichtigung der Schulen sagt er:

[S. 148]

„Die Schule kann drei Mütter haben, nämlich das Haus, die Kirche und den Staat. Jede dieser drei Gewalten hat das Recht, Schulen zu gründen; jede hat aber das Recht nur in ihrem Kreise. Jede Gewalt kann von der anderen verlangen, daß sie wenigstens das nicht beeinträchtige, was das Ihre ist; stehen aber die Gewalten im rechten Verhältnisse zueinander, so werden sie sich wechselweise in der Erreichung ihres Zweckes unterstützen.“

c) Einer Trennung der Kinder nach dem höheren und niedrigen Stande tritt Harnisch entgegen.

„Es ist höchst wichtig, daß in den Volksschulen Kinder von armen und reichen Eltern gemischt sind; sonst erzeugt schon das Schulleben einen unglücklichen Kastengeist.“ Vgl. Comenius, Gr. Unt. 12. Kap. und Pestalozzi, Wie Gertr. 1. Brief.

d) Er dringt auf eine bessere Ausbildung der Methode für die einzelnen Unterrichtsfächer.

Er behandelte nach Pestalozzis Grundsätzen methodisch den Unterricht im Deutschen, im Rechnen, in der Raumlehre, in den Realien („Weltkunde“) und im Turnen.

e) Er ist der erste, welcher die Wichtigkeit der Gesundheitspflege in den Seminarien betonte.

Er sagte: „Ich will meinem Vaterlande helfen feste Männer erziehen.“ — Botanisieren, Gartenarbeiten, Baden, Schwimmen, Schlittschuhlaufen und Turnübungen zielten darauf hin, den Zögling gesund und kräftig zu erhalten. Auch die Lehrer wies er auf die Sorge für ihre Gesundheit nachdrücklich hin und gab ihnen in der Schrift „Frisches und Firnes“ dafür treffliche Ratschläge.

5. Stephani (1761–1850).

1. Der Predigerssohn Heinrich Stephani aus Gmünd in Oberfranken studierte protest. Theologie, war 10 Jahre Hofmeister und wurde dann bayrischer Schulrat, zunächst in Augsburg, darauf in Eichstätt, endlich in Ansbach. Wegen seiner irreligiösen, allem positiven Christentum feindlichen Richtung erfolgte seine Absetzung. Er starb zu Gorkau in Schlesien.

2. Er hat sich um die Volksschule verdient gemacht

a) dadurch, daß er der Lautiermethode den Weg in die Volksschule bahnte und hierdurch das Buchstabieren verdrängte. (Doch ist [S. 149]Stephani nicht der Erfinder der Lautiermethode. Schon 1537 hatte Valentin Ickelsamer dieselbe empfohlen.)

b) Er förderte auch den Rechenunterricht und suchte auf den höheren Schulen den deutschen Klassikern den verdienten Platz zu erobern.

c) Er war eifrig bemüht um die Verbesserung der Lehrerbildung und der Lehrergehälter.

3. Zu tadeln bleibt:

a) sein Kampf gegen das positive Christentum. Er hat die religiöse Aufklärung in den protestantischen Schulen Süddeutschlands merklich gefördert.

b) Seine abenteuerliche Schuldisziplin. Jede körperliche Züchtigung ist ihm eine Barbarei. Die Schulgesetze sind unter Aufsicht des Lehrers von den Kindern selbst zu beraten, die Strafen von ihnen selbst zu bestimmen.

c) Seine Selbstgefälligkeit und Ruhmsucht. Gleich Basedow wird auch er nicht müde, sich fortwährend selbst zu loben und seine Verdienste anderen gegenüber zu preisen.

6. Dinter (1760–1831).

1. Gustav Friedrich Dinter wurde zu Borna (Königr. Sachsen) geboren, wo sein Vater Advokat war. Er studierte evangelische Theologie und wurde Pfarrer. Schon als Student hatte er aus Campes Schriften den kindlichen Ton und die herablassende Sprechweise gelernt. Da die drei Lehrer seiner Pfarrei wenig leisteten, unterrichtete er selbst fleißig, und zwar nach dem Grundsatze: „Was der Lernende selbst finden kann, das soll man ihm nicht geben.“ Dabei bildete er talentvolle Jünglinge zu Lehrern heran.

2. 1797 wurde Dinter Seminardirektor in Dresden. Hier befolgte er die Regel, nie weiter zu gehen, als bis das obere Drittel der Klasse das Vorgetragene bestimmt, vollständig und in gutem Deutsch wiedergeben könnte. Auf diese Weise bekam er (wie er selbst bekennt) nicht die gelehrtesten Seminaristen, aber gute und gewandte Lehrer.

[S. 150]

3. Als er im Jahre 1816 auf Empfehlung des Oberpräsidenten v. Vincke an Stelle August Zellers als Schulrat nach Königsberg berufen wurde, erklärte er dem Minister v. Altenstein: „Ich will jedes Bauernkind in der Provinz Preußen für ein Wesen ansehen, das mich bei Gott verklagen kann, wenn ich ihm nicht die beste Menschen- und Christenbildung verschaffe, die ich ihm zu geben vermag.“ Dinter hat sich treulich bemüht, sein Versprechen zu halten. Die Verdienste, die er sich in dieser Stellung um die Schule erworben, sind insbesondere folgende:

a) Er legte großes Gewicht auf die katechetische Lehrform.

In seiner Schrift „Die vorzüglichsten Regeln der Katechetik“ heißt es: „Pestalozzi ist König der Unterklasse, Sokrates König der Oberklasse. In der Mittelklasse geht das Kind von Pestalozzi zu Sokrates über.“

b) Er wünschte eine möglichst humane Behandlung der Jugend.

„Von zehn Schlägen, die der Lehrer austeilt, gehören neun ihm.“

c) Er übte eine väterliche, aber auch scharfe Aufsicht über die Lehrer.

Lesenswert ist der Brief an einen Aspiranten über den Befund seiner Schule.

Zu bemängeln bleibt a) sein Rationalismus und seine Unduldsamkeit gegen andere Konfessionen; b) die übertriebene Betonung der Verstandesbildung vor der Gemütsbildung.

Aus seinen Schriften sind noch zwei Stellen bemerkenswert:

„Das Schulwesen gleicht einem Wagen, der auf vier Rädern rollt; sie heißen: Bildung, Besoldung, Aufsicht, Freiheit. Zertrümmere eines dieser Räder, so geht der Wagen nicht von der Stelle.“

[S. 151]

„Der Genius der Pädagogik bewahre uns vor Schulen, wo die Kinder die Winkel besser kennen als die Buchstaben und die Rhomben besser als Gott und seine Pflichten.“

7. Diesterweg (1790–1866).

1. Sein Leben. Der schroffste Gegner von Harnisch, hauptsächlich in religiöser Beziehung, war Adolf Wilhelm Diesterweg aus Siegen (Westfalen). Wie Rousseau verlor er früh seine Mutter und wurde deshalb von seinem Vater, der Justiz-Amtmann war, erzogen. Er studierte in Tübingen Mathematik, Philosophie und Geschichte, widmete sich anfangs dem technischen Berufe, wurde aber durch Wilberg (Elberfeld) für die Pädagogik gewonnen und mit den Ideen Rochows und Pestalozzis bekannt und vertraut. Er konnte Gymnasiallehrer werden, zog aber das Volksschulwesen vor und nahm 1820 die Stelle eines Seminar-Direktors in Mörs (Rheinland) an, wo er 3 Jahre den Seminarunterricht fast ganz allein erteilte. Bei seiner reichen Begabung und unermüdlichen Tätigkeit erwarb er sich bald den Namen des deutschen Pestalozzi. (Ein Gehilfe Diesterwegs in Mörs war Ludwig Erk, † 1883 in Berlin.) 1832 wurde er zum Direktor des neuen Lehrerseminars in Berlin ernannt, woselbst er besonders die Übungsschule zum Glanzpunkte der Anstalt machte. (Generalfeldmarschall Prinz Friedrich Karl von Preußen war Diesterwegs Schüler.) — Als unversöhnlicher Gegner des positiven Christentums wurde Diesterweg 1847 veranlaßt, sein Amt niederzulegen. Er wirkte schriftstellerisch weiter und bekämpfte als Abgeordneter von Berlin die Stiehlschen „Schulregulative“ (1854). † 1866 an der Cholera.

2. Seine Schriften. a) „Über Erziehung überhaupt und über Schulerziehung insbesondere.“ Er stellte darin den Unterricht als das Hauptmittel der Erziehung hin.

b) Der „Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer“. (1835.) Nicht nur allgemeine Grundsätze, sondern auch methodische Anweisungen für jedes einzelne Unterrichtsfach mit Stoffauswahl bietet der Wegweiser. Stellen:

„Das Wesen des Unterrichts besteht nicht in Mitteilung, sondern in der aktiven Bestimmung des Schülers zu Anschauungen.“ „Das [S. 152]Erlebte hat man gelernt für ewig.“ „Das Lebens- oder Erlebungsprinzip wird Unterrichtsprinzip.“

„Auch bei den besten Gaben gehört ein Leben voll Arbeit dazu, um ein tüchtiger Lehrer zu werden und zu bleiben.“ „Der Lehrer ist nur so lange fähig zu erziehen und zu bilden, als er selbst an seiner Erziehung und Bildung arbeitet.“ „Der Lehrer wird nie fertig.“

„Ich flehe zu Gott, daß er den Lehrern den Glauben an die Heiligkeit ihres Berufes erhalten, in ihnen mehren möge.“

c) Er verfaßte eine Reihe wertvoller Lehr- und Lernbücher für die Volksschule (Schullesebuch, Lehrbuch der mathematischen Geographie, methodisches Handbuch für den Rechenunterricht, praktische Rechenbücher, Geometrie usw.).

d) Endlich gab er zwei pädagogische Zeitschriften heraus: die „Rheinischen Blätter“ (seit 1827) und „Pädagogisches Jahrbuch“ (seit 1851).

3. Seine Pädagogik. a) Diesterweg stellt die Selbsttätigkeit der Schüler obenan. „Die Bestimmung des Menschen ist die Selbsttätigkeit im Dienste des Wahren, Guten und Schönen.“ Der Zweck der Erziehung besteht darin, alle Anlagen des Kindes harmonisch zu entwickeln, um dasselbe dadurch zur Selbsttätigkeit und Selbständigkeit heranzubilden. „Aller wahre Unterricht ist Anleitung zu bewußter Tätigkeit.“ Das Unterrichten soll nur ein Erregen sein, der Lehrer ist „Wecker der Volkskraft“.

b) Bei Auffassung der Unterrichtstheorie als Erregungstheorie tritt die formale Bildung in den Vordergrund. Doch auch die materiale wurde (im Gegensatz zu Pestalozzi) gebührend berücksichtigt, wenn auch die formale oder Kraftbildung die Hauptsache blieb. Die Ausbildung soll zugleich individuell sein, d. h. sich nach dem Maße der Kräfte bei dem einzelnen richten.

c) Als echter Pestalozzianer geht Diesterweg überall von der Anschauung aus, sowohl in der Erziehung als [S. 153]im Unterrichte. Die unterste Stufe der Erziehung ist die der Sinnlichkeit, die zweite die der Gewohnheit und die dritte und höchste die der freien Selbstbestimmung. Beim Unterricht in jedem Lehrgegenstande ist zuerst die Anschauung und das Gedächtnis, dann der Verstand und endlich die Vernunft in Anspruch zu nehmen.

d) Während Pestalozzi für die Methode im allgemeinen wirkte, indem er allen Unterricht auf die Anschauung gründete, bildete Diesterweg die Methodik der einzelnen Unterrichtsfächer aus. Er huldigte wie Dinter der heuristisch-entwickelnden Methode und unterscheidet sich hierdurch wesentlich von seinem Vorbilde Pestalozzi. Doch vermied er die Einseitigkeit der Heuristiker und scheute sich nicht, das Positive, Nichtzufindende den Schülern zu geben.

e) Im scharfen Gegensatze zu Pestalozzis „objektiver Methode“ verlangt Diesterweg tüchtige Lehrer. „Wie keiner einem anderen etwas geben kann, was er selbst nicht hat, so kann auch keiner entwickeln, erziehen, bilden, der nicht selbst entwickelt, erzogen, gebildet ist.“ Er fordert, daß jeder Lehrer ein Naturforscher sei, und wünscht, daß derselbe den Scharfsinn eines Lessing, das Gemüt eines Hebel, die Beredsamkeit eines Salzmann, die Weisheit eines Sokrates und die Liebe Jesu Christi besitze.

f) Die Bildung der Lehrer soll in Seminarien geschehen. Alles soll sich darin auf die Bildung zur bewußten Unterrichtspraxis beziehen. Die allgemeine Einführung von Seminar-Übungsschulen und ihre organische Verbindung mit den Seminarien ist vorzugsweise sein Werk. Er sagt: „Ein Seminar ist gerade so viel wert als die Schule, die es besitzt. Echte Seminarlehrer hüten sie daher wie ihren Augapfel.“

[S. 154]

g) Inbezug auf Diesterwegs religiösen Standpunkt ist eine doppelte Periode zu unterscheiden. Bis 1840 war er rationalistisch gefärbt, doch noch kein Gegner des positiven Christentums. Von da ab tritt er leider immer feindlicher gegen den positiven Offenbarungsglauben auf, neigt immer mehr zum Naturalismus und Materialismus hin. Daher auch sein Ausspruch: „Außer der Natur kein Heil!“ und darum empfiehlt er auch nicht die Religionslehre, sondern die Naturkunde als wichtigsten Unterrichtsgegenstand.

4. Seine Bedeutung. Die pädagogische Bedeutung Diesterwegs liegt nicht auf dem Gebiete der Erziehung (wo sein Einfluß ein geradezu verderblicher war), sondern auf dem Gebiete des Unterrichts. Seine Verdienste sind im wesentlichen folgende:

a) Er hat durch seine vorbildliche Lehrtätigkeit auf den Volksschullehrerstand mächtig eingewirkt.

b) Er hat vorzüglich zur besseren Ausgestaltung des Seminarwesens beigetragen, indem er einesteils auf eine gründlichere wissenschaftliche und andernteils auf eine praktische Durchbildung drang.

c) Er hat sich ein hohes Verdienst um die Methode verschiedener Unterrichtsfächer erworben, namentlich im Deutschen, im Rechnen, in der mathematischen Geographie und populären Himmelskunde und in der Raumlehre.

d) Er war literarisch unablässig bemüht, die Lehrer mit Begeisterung für ihren Beruf zu erfüllen, und weckte in ihnen das Streben nach Fortbildung und Vervollkommnung.

IV. Johann Friedrich Herbart (1775–1841).

1. Leben. J. F. Herbart wurde in Oldenburg als Sohn eines Justizrates geboren. Er besuchte mit Auszeichnung das Gymnasium[S. 155] seiner Vaterstadt und darauf die Universität Jena. Hier war er ein begeisterter Schüler Fichtes und kam auch mit Schiller in Berührung.

21 Jahre alt wurde Herbart Hauslehrer in Interlaken, bei dem Schweizer Landvogt von Steiger. Seine drei Zöglinge waren nach Anlagen und Temperament sehr verschieden; um so größer war sein Eifer, diese Eigentümlichkeiten zu erforschen und seine Erziehung danach einzurichten. Aus seinen Erziehungsberichten sehen wir, daß er schon damals wichtige Hauptpunkte seiner späteren Lehre gewonnen hatte, so die sittliche Persönlichkeit als Erziehungsziel, den Unterricht als Hauptmittel der Erziehung, die Mannigfaltigkeit des Interesses der Schüler als Hauptform ihrer geistigen Tätigkeit. Drei Jahre wirkte Herbart erfolgreich im Steigerschen Hause. Im Jahre 1799 lernte er auch Pestalozzi in Burgdorf kennen und verehren.

1802 wurde Herbart Universitätslehrer in Göttingen und 1809 Nachfolger Kants in Königsberg. Hier gründete er ein pädagogisches Seminar für Bewerber um das höhere Lehramt und übte als Schulrat und Direktor der wissenschaftlichen Prüfungskommission auch eine einflußreiche Verwaltungstätigkeit aus. 1833 kehrte Herbart nach Göttingen zurück. Der Andrang zu seinen Vorlesungen war außerordentlich groß und blieb es bis zu seinem Tode (1841).

2. Schriften. Das Hauptwerk Herbarts ist die „Allgemeine Pädagogik, aus dem Zwecke der Erziehung abgeleitet“ (1806). Dazu kam später noch „Umriß pädagogischer Vorlesungen“ (1835). Die Professoren Ziller in Leipzig und Stoy in Jena haben die von Herbart aufgestellten Theorien weiter entwickelt und in ihren „Pädagogischen Seminarschulen“ zu verwirklichen gesucht.

3. Pädagogisches System. Als Fundament seiner Pädagogik gilt für Herbart die Sitten- und Seelenlehre. Auf diesen Grundpfeilern ruhet sein Gebäude der wissenschaftlichen Pädagogik.

a) Die Sittenlehre.

Die Sittenlehre bilden folgende fünf Begriffe: 1. Der Begriff der inneren Freiheit. (Wollen, Einsicht und [S. 156]Handeln müssen übereinstimmen.) 2. Der Begriff der Vollkommenheit. (Das Wollen soll kräftig, vielseitig und gleichartig sein, verbunden mit Gewandtheit, Klarheit und Frische des Geistes.) 3. Der Begriff des Wohlwollens. (Dieser besteht in der selbstlosen Teilnahme an Freude und Leid der Mitmenschen.) 4. Der Begriff des Rechtes. (Man soll den Streit vermeiden, Gegensätze ausgleichen und den Frieden lieben.) 5. Der Begriff der Vergeltung. (Das absichtliche Eingreifen des einen Menschen in die Verhältnisse des anderen soll vergolten werden durch Lohn oder Strafe.) Diese auf unser Handeln sich beziehende Begriffe werden praktische Ideen genannt. Sie bilden zusammengenommen das höchste Ziel oder den Lebenszweck. Die Übereinstimmung des gesamten Wollens mit der Gesamtheit der praktischen Ideen ergibt den sittlichen Charakter.

Die Religion, Gottesglaube und Frömmigkeit umfassend, findet bei Herbart nur nebenbei eine Stelle als Stütze des Guten.

b) Die Seelenlehre.

Die Seelenlehre (Psychologie) zeigt die Mittel und Wege zum Erziehungsziele. Der Erzieher muß sie kennen, wie ein Arzt den menschlichen Körper und dessen Lebensgesetze. Es sind keine gesonderten Seelenvermögen (Erkenntnis-, Gefühls- und Willenskraft), sondern nur Vorstellungen vorhanden. Die Verbindung dieser Vorstellungen verläuft wie ein chemischer Prozeß. Das Lernen ist ein in der menschlichen Seele vor sich gehender Perzeptions- und Apperzeptionsprozeß. Perzeption ist die Aufnahme einer neuen Vorstellung, Apperzeption die Verschmelzung der neuen mit den bereits vorhandenen Vorstellungen.

Die Verbindung der Vorstellungen in Gruppen und Reihen (Assoziation) und ihre Wiederhervorziehung (Reproduktion) [S. 157]geschieht nach bestimmten Gesetzen. Aus den Vorstellungen entstehen, wiederum nach festen Gesetzen, die Gefühle und Begehrungen (Willensaktionen).

Hohen Wert bei dem Lernprozeß hat die Aufmerksamkeit. Ist einer der fünf Sinne ihr Träger, so haben wir die sinnliche, ist das Denken der Träger, die geistige Aufmerksamkeit. Merkt man von selbst auf, so ist vorhanden die unwillkürliche, merkt man mit Absicht auf, die willkürliche Aufmerksamkeit.

c) Die wissenschaftliche Pädagogik.

Herbart gliedert seine wissenschaftliche Pädagogik in drei Teile: 1. die Regierung, 2. den erziehenden Unterricht, 3. die Zucht.

1. Die Regierung. Unter „Regierung“ versteht Herbart die Leitung, Führung und Gewöhnung schon bei kleinen Kindern. Sobald Vernunft und Wille so weit gereift sind, daß der Zögling sich selbst regiert (d. h. von selbst das Rechte tut), wird sie überflüssig. Die „Regierung“ soll den Tätigkeitstrieb durch Spiel und Arbeit befriedigen, die nötige Aufsicht führen und durch Drohung und Strafe an Ordnung und Sitte gewöhnen. Strafmittel sollen möglichst durch Ansehen und Liebe entbehrlich gemacht werden. Der Strafvollzug geschieht rasch und kurz. Die Strafen treffen vorzugsweise das Ehrgefühl (der Schüler tritt aus der Bank, bleibt an der Türe stehen usw.).

2. Der erziehende Unterricht. Der erziehende Unterricht soll so auf den Geist des Schülers einwirken, daß Gefühl und Wille in sittlicher Beziehung sich ausgestalten und der ganze Mensch veredelt werde. Darum sind die Vorstellungen planmäßig zu erzeugen, bis sie in dem Zöglinge das vielseitige Interesse erwecken. Das Interesse (der Wissens- oder Vervollkommnungstrieb) ist ein Grundbegriff [S. 158]der wissenschaftlichen Pädagogik Herbarts. Interesse ist die innige Hingabe an die Gegenstände des Unterrichts, das andauernde Weiterarbeiten, die Liebe zum Wahren, Guten und Schönen. (Vgl. Plato, Diesterweg.)

Herbart unterscheidet zwei Arten von einfachen Interessen, nämlich a) die der Erkenntnis und b) die der Teilnahme.

a) Zu den Interessen der Erkenntnis gehört zunächst die Wißbegierde oder das Streben, sich Kenntnisse zu erwerben, daher auch Interesse der Erfahrung oder empirisches Interesse genannt. Das Nachdenken über den Zusammenhang der Dinge bildet das Interesse der Überlegung oder das spekulative Interesse. Dazu kommt noch das ästhetische Interesse, als Ausdruck des Urteils über Gefallen oder Mißfallen an Gegenständen und Handlungen.

b) Die Interessen der Teilnahme beziehen sich entweder auf eine einzelne Person oder auf eine menschliche Vereinigung oder endlich auf Gott. Hiernach ist zu unterscheiden das sympathetische, soziale und religiöse Interesse. (Ein Anhänger Herbarts, Kannegießer, fügt hierzu noch das praktische Interesse, d. i. die Betätigung des erwachenden geistigen Lebens des Kindes nach außen durch Helfen, Mitarbeiten usw.) Wenn nun alle diese genannten Interessen zugleich gepflegt werden, so entsteht das „gleichschwebende, vielseitige Interesse“.

Zum Zwecke der Interessenbildung soll der Lehrstoff für die einzelnen Fächer in kleine, in sich abgerundete Stundenpensen eingeteilt werden, in sogenannte methodische Einheiten.

Der Unterricht beginnt mit der Zielangabe. Die nun vorzunehmende eigentliche Unterrichtsarbeit vollzieht sich in fünf aufeinanderfolgenden Stufen, „formale Stufen“ genannt. 1. Stufe der Vorbereitung. (Die in Beziehung zu dem Neuen stehenden älteren Vorstellungen werden im Geiste des Schülers aufgesucht.) 2. Stufe der Darbietung. (Das Neue wird, entsprechend dem Alter des Schülers und der Art des Stoffes, dargeboten zur klaren Auffassung.) 3. Stufe der Verknüpfung. (Der neue [S. 159]Stoff wird mit dem Bekannten und Verwandten im Geiste zusammengestellt und verglichen.) 4. Stufe der Zusammenfassung. (Die gewonnene Lehre wird in einem kurzen Satze zum Ausdruck gebracht.) 5. Stufe der Anwendung. (Das Gelernte muß der Mensch auch verwenden und gebrauchen können. Die Regeln des Rechnens, die Gesetze der Sprache werden durch zahlreiche Aufgaben aus dem Leben zum unverlierbaren Eigentum gemacht.) Mit diesen fünf Stufen schließt die Lehrarbeit ab.

Zu erwähnen ist noch die Konzentration des Unterrichts, d. h. die Verbindung der verschiedenen Gedankenkreise oder die Hervorhebung der zwischen den einzelnen Stoffen vorhandenen Beziehungen. Wer z. B. zeigt, daß die Entdeckung Amerikas erst durch die Erfindung des Kompasses möglich wurde, der konzentriert Weltgeschichte und Naturlehre.

3. Die Zucht. Die Zucht ist eine Ergänzung des Unterrichts, sie begleitet ihn und hilft ihm die Vorstellungen in Taten umsetzen. Mittel: a) Verhütung der Gemütserregungen und Überwindung der Leidenschaften; Anleitung zur Ruhe und zu besonnenem Urteil. b) Erhaltung und Befestigung des Guten, welches als Keim von Natur im Zöglinge liegt. Zurückdrängung des Bösen beim Kinde, Pflege seiner Individualität. Das eigene, bessere Selbst des Schülers soll sich entfalten, sich seiner eigensten Natur gemäß entwickeln. c) Die Erziehungsstrafen sollen die natürlichen Folgen schlimmer Handlungen nachahmen. Die Strafen erscheinen als gutgemeinte Warnungen und dürfen nicht dauernden Widerwillen gegen den Erzieher erregen. Sittlich schwache und kranke Schüler werden weder belohnt noch bestraft.

Der Unterricht bildet den Gedankenkreis, die Erziehung den Charakter; das letzte ist nicht ohne das erste — darin besteht die Hauptsumme meiner Pädagogik.“ (Herbart.)

[S. 160]

Schüler Herbarts.
a. Ziller (1817–1882).

An Herbart haben sich zahlreiche Pädagogen angeschlossen, unter denen als die namhaftesten hervorzuheben sind: Waitz, Stoy, Ziller, Kern und Dörpfeld. Den größten Einfluß auf die Schulwelt gewann Ziller, Professor der Philosophie und Pädagogik in Leipzig.

1. Ziller hat zunächst den Herbartschen Konzentrationsgedanken weiter entwickelt und bis zu der Forderung verschärft, es müsse der „Gesinnungsunterricht“ (im 1. Schuljahre eine Anzahl Märchen, im 2. Schuljahre der ‚Robinson‘, in den folgenden Schuljahren die Bibl. Geschichte) als das beherrschende Zentrum den gesamten übrigen Unterricht durchdringen und nach sich bestimmen. Wenn also z. B. in dem Gesinnungsunterricht das Märchen „von dem Wolf und den sieben Geißlein“ behandelt wird, so soll in dem nebenlaufenden Sachunterricht Wolf und Ziege beschrieben, im Zeichenunterricht Wolf und Ziege gezeichnet, im Rechenunterricht mit der Zahl 8 (1 alte und 7 junge Ziegen) gerechnet werden. Bei der Behandlung des „Robinson“ bieten zahlreiche Gegenstände Stoffe für das Zeichnen, zu Robinsons Abschied gehört der Gesang: „Lieb Heimatland, Ade!“, zu Robinsons Genesung: „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank!“, für das Rechnen ergibt sich die Aufgabe: Wieviel Stunden sind es von hier nach Bremen, wo Robinsons Eltern wohnten? (Diese Konzentrationsidee Zillers nimmt den Unterrichtsfächern ihre selbständige Stellung und ihren besonderen Lehrgang, führt zur Zersplitterung und Künstelei; der Gesinnungs- oder Kernstoff selbst aber wird in die Breite gezogen und muß sein ursprüngliches Interesse bald verlieren.)

[S. 161]

2. Herbart hatte den Gedanken angedeutet, daß die geistigen Entwicklungsstufen des Kindes im großen und ganzen den Entwicklungs- und Kulturstufen der ganzen Menschheit entsprechen. Diesen Gedanken baute Ziller aus zu der Theorie von den kulturhistorischen Stufen des Unterrichts. Danach soll im 1. Schuljahr als Gesinnungsstoff das Märchen gewählt werden, entsprechend dem Anfangsstadium der Menschheit, wo der Mensch noch mit kindlicher Phantasie seine Umgebung auffaßte. Im 2. Schuljahr soll als Gesinnungsstoff Robinson behandelt werden, wie ja auf der folgenden Stufe der Menschheitsentwicklung der Mensch mit einiger Intelligenz die nächsten Naturhindernisse überwand. Unter ähnlicher Begründung soll im 3. Schuljahr die Geschichte der Patriarchen und die deutsche Heldenzeit, im 4. die Zeit der Richter und der deutschen Könige, im 5. die der jüdischen Könige, die Zeit der Kreuzzüge, Barbarossa und Rudolf von Habsburg, im 6. das Leben Jesu, im 7. die Geschichte der Apostel, im 8. die Reformation, die französische Revolution und die Gründung des Deutschen Reiches behandelt werden.

b. Beneke, Lotze, Willmann.

1. Friedrich Beneke (Professor in Berlin, † 1854) hält fest an der Auffassung Herbarts, daß die Erziehungslehre sich auf die Seelenlehre gründen müsse. Er weicht aber von Herbart darin ab, daß er die Seele nicht als ein einfaches Wesen ansieht, sondern als ein „System von Kräften oder sinnlichen Urvermögen“, die durch Reize und Eindrücke der Außenwelt sich fortbilden und als Gebilde (Vorstellungen, Gefühle usw.) fortleben.

2. Hermann Lotze (Professor in Berlin, † 1881) hält mit Herbart daran fest, daß die Seele eine einfache, immaterielle Substanz sei. Er unterscheidet sich von Herbart in folgenden Punkten: 1. Er erkennt der Seele verschiedene Anlagen zu. Vorstellungen, Gefühle, Begehrungen sind so grundverschiedener Art, daß die einen aus den anderen nicht abgeleitet werden können. 2. Er betont den Wert des Gefühls für das Seelenleben. Das Gefühl sei das Organ der Wertschätzung und damit die Quelle alles Interesses. 3. Er hält an der Wahlfreiheit fest. Die Entscheidung des Willens ist nicht durch die Macht der Motive bedingt; der Beweggrund, dem wir folgen, erhält erst durch die freie Zustimmung des Willens seine treibende Kraft.

[S. 162]

3. Otto Willmann wird als der bedeutendste Schüler Herbarts bezeichnet. Er ist geboren am 24. April 1839 zu Lissa, der Stadt des Comenius, als Sohn eines Kreisgerichtsdirektors. Als Universitätsprofessor in Prag schrieb er seine „Pädagogischen Vorträge“ und „Die Didaktik als Bildungslehre“. In letzterem Werke greift er auf die Aristotelische Dreiteilung der Seelenvermögen „Wahrnehmen, Denken und Wollen“ zurück und gesellt dem Herbartschen „Interesse (der Erkenntnis und der Teilnahme)“ den Drang nach Gestaltung und die Hingabe hinzu. Im Herbst 1906 erfolgte in Salzburg der Zusammenschluß seiner Anhänger zu einem Verein für christliche Erziehungswissenschaft unter dem Namen „Willmannbund“.

V. Die Entwicklung des preußischen Volksschulwesens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts.

1. Unter Friedrich Wilhelm III. (1797–1840).
A. Von 1797–1817.

1. Schon im Anfang seiner Regierung bekundete der König eine große Sorge für das Schulwesen seines Landes.

Bei der Huldigung in Königsberg i. J. 1797 setzte er 33000 Taler zur Verbesserung der Landschulen aus.

In der Kabinettsordre von 1798 ermahnt er die Behörden, für Erziehung und Unterricht der Bürger- und Bauernkinder zu sorgen.

Im Jahre 1801 erließ er das Schulreglement für die niederen katholischen Schulen in Schlesien. In diesem wurde das Reglement von 1765 erweitert. Insbesondere wurde den Geistlichen die Pflicht auferlegt, vor Eintritt in den geistlichen Stand sich ihre pädagogische Ausbildung durch den Besuch eines Lehrerseminars zu erwerben; sodann dem Fürstbischof von Breslau anheimgegeben, zu Schulinspektoren nicht nur Erzpriester zu nehmen, sondern auch andere Geistliche des Fürstbistums, „muntere, tätige, in der Pädagogik erfahrene Männer“.

2. Im weiteren Verlauf seiner Regierung mußte auch die Reform des Unterrichts und der Schulverwaltung ins Auge gefaßt werden.

[S. 163]

a) Der Minister v. Voß legte dem König einen Entwurf vor, wonach die Schule nach Pestalozzischem Muster eingerichtet werden könnte. Der König zögerte indes; er hielt es noch für zu früh, daß die Regierung selbst Schritte zur Einführung der Pestalozzischen Methode tun sollte. Doch genehmigte er, daß Plamann 1804 eine solche Erziehungsanstalt in Berlin gründete (welche 1821–1827 auch von Bismarck besucht wurde)⁠[10]. Als dann aber die Jahre schwerer Trübsal (1806 und 1807) hereinbrachen, da konnte man sich der Einsicht nicht mehr verschließen, daß eine Stärkung der Volkskraft durch Hebung der Volksbildung, eine Reform nach Pestalozzis Grundsätzen notwendig sei. Der König selbst erklärte: „Zwar haben wir an Flächenraum verloren, zwar ist der Staat an äußerer Macht und an äußerem Glanze gesunken, aber wir wollen und müssen dafür sorgen, daß wir an innerer Macht und an innerem Glanze gewinnen. Deshalb ist es mein fester Wille, daß dem Volksunterrichte die größte Aufmerksamkeit gewidmet werde.“ Es wurden nunmehr von der Regierung Schulmänner (Kawerau, Rendschmidt) zu Pestalozzi gesandt, damit sie dessen Methode kennen lernten; andere Männer (der Geograph Karl Ritter, der Pädagoge Georg v. Raumer) eilten aus eigenem Antriebe nach Iferten: alle aber kehrten voll Begeisterung für die „Erziehungsschule“ in ihre Heimat zurück und bildeten in Preußen eine selbständige Pestalozzische Schule, die Preußisch-Pestalozzische Schule. Sodann berief die Regierung bedeutende Pädagogen der Pestalozzischen Richtung in einflußreiche Stellungen (Natorp nach Potsdam, Harnisch nach Breslau, Dinter nach Königsberg), [S. 164]errichtete eine Anzahl neuer Lehrerseminare (so Braunsberg, Graudenz, Büren) und reorganisierte ältere Seminare (u. a. Breslau, Magdeburg, Weißenfels).

b) Aber auch die Reform der Schulverwaltung wurde durch die politischen Verhältnisse herbeigeführt. Nachdem 1808 die Gutsuntertänigkeit aufgehoben und die Städteordnung eingeführt war, wurden 1811 die städtischen Schuldeputationen und 1812 die Schulvorstände auf dem Lande errichtet. Dann traten 1808 an Stelle der früheren Kriegs- und Domänenkammern die Königlichen Regierungen als neue Behörde ins Leben, denen das gesamte niedere Schulwesen unterstellt wurde. In demselben Jahre wurde auch das Oberschulkollegium (seit 1787 bestehend) aufgehoben und die Verwaltung des Unterrichts dem Ministerium des Innern zugeteilt.

B. Das Ministerium Altenstein, 1817–1840.

Nachdem der Minister des Innern 9 Jahre lang die Unterrichtsverwaltung geführt, errichtete der König 1817 ein besonderes Fachministerium für dieselbe, das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. An die Spitze desselben berief er den Freiherrn v. Altenstein, das Dezernat für das Volksschulwesen und die Seminare führten unter ihm der Reihe nach: Süvern⁠[11], v. Beckedorf, Dreist und Kortüm.

Im Jahre 1822 wurde das „Akademische Institut für Kirchenmusik“ gegründet und die erste Königliche Blindenanstalt eröffnet. Auch wurde das Taubstummenwesen dadurch wesentlich gefördert, daß der König eine [S. 165]namhafte Summe aussetzte zur Ausbildung von Seminaristen in der Methode des Taubstummenunterrichts.

Um dem immer noch mangelhaften Schulbesuche⁠[12] und der übermäßig harten Zucht zu steuern, erließ der König die Kabinettsordre vom 14. Mai 1825 über „die Schulpflicht und Schulzucht“. Durch dieselbe wurden die bezüglichen Vorschriften des „Allgemeinen Landrechts“ auch auf diejenigen Landesteile ausgedehnt, in welchen dieses Gesetz bisher nicht eingeführt war.

§ 1. „Eltern oder deren gesetzliche Vertreter sollen erforderlichenfalls durch Zwangsmittel und Strafen angehalten werden, jedes Kind nach zurückgelegtem 5. Jahre zur Schule zu schicken.“

§ 4. „Die körperliche Züchtigung darf niemals bis zur Mißhandlung ausgedehnt werden, die der Gesundheit des Kindes auch nur auf entfernte Art schädlich werden kann.“

Am 31. Dezember 1825 erließ der König eine weitere Kabinettsordre, wodurch er die Konsistorien in den Provinzen von der Verwaltung des höheren Schulwesens entband und eine neue Behörde, die Provinzial-Schulkollegien, schuf. Diesen wurde die Aufsicht und Leitung der höheren Schulen und der Seminare einer Provinz übertragen, während die Verwaltung des niederen Schulwesens den Königlichen Regierungen für ihre Bezirke verblieb.

Am 1. Juli 1826 bestimmte der Minister, daß an allen Seminaren der Monarchie Entlassungsprüfungen zu halten seien. Der Entlassungsprüfung sollte nach 3 Jahren eine zweite Prüfung folgen behufs Erlangung der endgültigen Anstellung. Auch wurde die Fortbildung der Lehrer durch Informationsreisen und Teilnahme an Lehrkursen angeregt.

[S. 166]

So gelangte das Volksschulwesen unter Altensteins 23jähriger Verwaltung zu einer verhältnismäßig hohen Blüte, und der französische Minister Cousin, welcher 1835 Preußen bereiste und auch dessen Schulen kennen lernte, konnte an die französische Regierung berichten: „Preußen ist das klassische Land der Kasernen und der Schulen; der Schulen, um das Volk zu erziehen, der Kasernen, um es zu verteidigen. Schulpflicht und Dienstpflicht, diese beiden Worte bezeichnen das ganze Preußen, das ganze Geheimnis seiner Macht und die Bürgschaft seiner Zukunft.“ Bei Altensteins Tode hatte Preußen 38 Lehrerseminare und gegen 30000 Volksschulen.

2. Unter Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861).

Schon unter dem Ministerium Altenstein fehlte es nicht an Stimmen, welche mit der neuen Pestalozzischen Schule unzufrieden waren. Insbesondere tadelte man, daß sie 1. in dem Streben nach höheren Bildungszielen nur oberflächlicher Vielwisserei diene, und 2. dem religiösen Rationalismus huldige, wodurch die Grundlage der Frömmigkeit untergraben werde. Diese Pestalozzi feindliche Richtung erstarkte mehr und mehr und gewann unter Friedrich Wilhelm IV. die Oberhand. Die Volksschule sollte nunmehr auf ein Maß von Kenntnissen sich beschränken, das den wirklichen Bedürfnissen des Lebens angepaßt wäre, und in der Pflege echter Frömmigkeit und nationaler Gesinnung ihr Ziel haben. Zur Durchführung dieses Grundsatzes berief der König nach Altensteins Tode den Minister Dr. Eichhorn.

A. Das Ministerium Eichhorn, 1840–1848.

Der Minister Dr. Eichhorn bestimmte durch den Erlaß von 1841, daß in den Seminaren und in der Volksschule [S. 167]der Unterricht auf das praktisch notwendige Maß zu beschränken sei. In den Landschulen sollte die Sprachlehre an den Leseunterricht angeknüpft werden. Für Geschichte, Erdkunde und Naturkunde durften keine besonderen Stunden angesetzt werden; die Lehrer sollten sich auf die Lektüre und Erklärung dessen beschränken, was in dem Lesebuche mitgeteilt werde. Gestattet wurde 1842 in den Seminaren der Unterricht im Gartenbau, in der Volksschule der Unterricht im Turnen und in den weiblichen Handarbeiten. Auf Grund dieses Min.-Erl. entwarf nun der Ministerialrat Ferdinand Stiehl (1844–1872) im Jahre 1845 eine „Schulordnung für die Elementarschulen der Provinz Preußen“.

Diese Schulordnung handelt:

1. von dem Besuche der Schulen überhaupt (Schulpflicht, Dauer des Schulunterrichts, Schulversäumnisse und deren Bestrafung);

2. von der Berufung, dem Amte, der Besoldung und Entlassung der Lehrer;

3. von der Aufsicht über die Elementarschulen;

4. von der Unterhaltung der Elementarschulen.

(Die inneren Angelegenheiten der Schule, Lehrfächer, Lehrbücher, Methode, Stundenzahl, Ferien usw. werden nicht berührt. Auch wird der Zeitpunkt der Inkrafttretung der Bestimmungen nicht angegeben, daher sind dieselben erst 1848 gesetzlich eingeführt.)

Nach dem Muster dieser Schulordnung sollten auch für die sieben anderen Provinzen⁠[13], mit Berücksichtigung ihrer besonderen Verhältnisse, Schulordnungen erlassen werden. Sie waren bereits den einzelnen Landtagen vorgelegt, aber die Märzstürme des Jahres 1848 verhinderten deren Abschluß. Der Minister Eichhorn legte infolgedessen sein Amt nieder.

[S. 168]

Auf Eichhorn folgte Graf v. Schwerin (März bis Juni 1848). Derselbe berief die Kreis- und Provinzialkonferenzen der Lehrer zur Beratung der brennendsten Unterrichtsfragen. An diesen nahmen teil: Lehrer der Volksschulen, der Gymnasien und der Universitäten. Die Wünsche und Gutachten der Konferenzmitglieder gingen dann an das Ministerium, welches dieselben im Jahre 1849 in einer Konferenz von Seminardirektoren und Seminarlehrern (15. bis 29. Januar) beraten ließ. Stiehl führte den Vorsitz, die Eröffnungsrede hielt König Friedrich Wilhelm IV. Auf Schwerin folgte Rodbertus (9 Tage im Juni 1848) und dann v. Ladenberg.

B. Das Ministerium Ladenberg, 1848–1850.

Unter dem Minister v. Ladenberg kam die noch heute in Preußen geltende sogenannte revidierte Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 zustande, in welcher auch das Schulwesen berücksichtigt wird. Die das Schulwesen betreffenden Artikel der Verfassungsurkunde sind folgende:

Art. 20. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.

Art. 21. Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen genügend gesorgt werden. Eltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist.

Art. 22. Unterricht zu erteilen und Unterrichtsanstalten zu gründen und zu leiten steht jedem frei, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung den betreffenden Staatsbehörden nachgewiesen hat.

Art. 23. Alle öffentlichen und privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten stehen unter der Aufsicht vom Staate ernannter Behörden. Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte und Pflichten der Staatsdiener.

Art. 24. Bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen sind die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen. Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften. Die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volksschule steht der Gemeinde zu. Der Staat stellt, unter gesetzlich geordneter Beteiligung der Gemeinden, aus der Zahl der Befähigten die Lehrer der öffentlichen Volksschulen an.

[S. 169]

Art. 25. Die Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Erweiterung der öffentlichen Volksschule werden von den Gemeinden und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufgebracht. Die auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Verpflichtungen Dritter bleiben bestehen. Der Staat gewährleistet demnach den Volksschullehrern ein festes, den Lokalverhältnissen angemessenes Einkommen. In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht unentgeltlich erteilt.

Art. 26. Ein besonderes Gesetz regelt das ganze Unterrichtswesen.

Art. 112. Bis zum Erlaß des im Artikel 26 vorgesehenen Gesetzes bewendet es hinsichtlich des Schul- und Unterrichtswesens bei den jetzt geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

Der Minister v. Ladenberg wollte nun das in Artikel 26 verheißene Gesetz zustandebringen und ließ einen ausführlichen Entwurf, der das gesamte Schulwesen umfaßte, ausarbeiten. Er unterbreitete diesen Entwurf den Provinzial- und den kirchlichen Behörden zur Begutachtung. Doch bevor noch diese Gutachten alle eingegangen waren, legte er sein Amt nieder.

C. Das Ministerium Raumer, 1850–1858.

Der Minister Otto v. Raumer erklärte im Abgeordnetenhause, daß er nicht imstande sei, ein allgemeines Unterrichtsgesetz vorzulegen, und sich darauf beschränken müsse, auf dem Verwaltungswege das Seminar- und Volksschulwesen einheitlich zu regeln. Zu dem Zwecke erließ er die drei Regulative vom 1., 2. und 3. Oktober 1854 über die Einrichtung des evangelischen Seminar-, Präparanden- und Elementarunterrichts, die von dem Geheimen Ober-Regierungsrat Ferd. Stiehl ausgearbeitet waren.

Die Vorschriften über den Seminarunterricht schließen sich an die Beschlüsse, welche in der Konferenz der Seminardirektoren und Seminarlehrer i. J. 1849 gefaßt waren; die Bestimmungen über den Präparandenunterricht lehnen sich an die bestehenden Verhältnisse an, [S. 170]und die Verordnungen für die Volksschule nehmen (namentlich inbezug auf den Unterrichtsbetrieb, Lehrfächer, Methode usw.) die Bestimmungen des Generallandschulreglements v. J. 1763 wieder auf.

Die Regulative gaben der Volksschule und der Lehrerbildung ein bestimmtes, erreichbares Ziel, eine einheitliche Grundlage und Richtschnur. In erziehlicher und methodischer Hinsicht betonen sie: 1. die materielle Seite der Ausbildung, gegenüber der bloß formalen Bildung; 2. die Pflege des Gemütes, gegenüber der Verstandesbildung; 3. das positive Christentum und den konfessionellen Charakter der Volksschule, im Gegensatz zum Rationalismus; 4. die Beschränkung auf das praktisch Notwendige, gegenüber der Vielwisserei.

Im einzelnen sind folgende Vorzüge der Regulative hervorzuheben. a) Für die Seminare: Festlegung des dreijährigen Seminarkursus, die Scheidung zwischen theoretischer und Fachbildung, das Verbot des Hefteschreibens nach Diktat und die Durchführung der Verbindung einer Übungsschule mit dem Seminar. b) Für die Volksschule: Beschränkung der Schülerzahl der einklassigen Schule auf 80 Kinder, das Einrücken des Lesebuchs in den Mittelpunkt des Deutschunterrichts, das Verbot der Buchstabiermethode und die Bevorzugung des mündlichen Rechnens.

Dagegen tadelten die Gegner mit Recht an den Regulativen, daß sie 1. die Unterrichtsziele zu sehr herabminderten, namentlich die des Seminars durch Ausschließung der klassischen Literatur; 2. den Religionsunterricht durch die Fülle von Memorierstoffen veräußerlichten und seiner erziehlichen Wirkung beraubten; 3. auf die katholischen Seminare und Schulen keine Rücksicht nähmen.

Die Kämpfe für und gegen die Regulative erreichten ihren Höhepunkt unter dem folgenden Kultusminister v. Bethmann-Hollweg.

D. Das Ministerium Bethmann-Hollweg, 1858–1862.

Der Minister v. Bethmann-Hollweg sah sich genötigt, die schroffsten Seiten der Regulative durch Ferd. Stiehl selbst mildern zu lassen.

Die Verfügung vom 19. Nov. 1859 gestattet allgemein, daß im Oberkursus des Seminars die Verhältnisrechnung vorgenommen wird, [S. 171]ebenso das Rechnen mit Dezimalen und das Wurzelausziehen, während dies früher verboten war und nur ausnahmsweise von der Provinzialbehörde gestattet werden konnte.

Die Verfügung vom 16. Febr. 1861 läßt Werke wie „Hermann und Dorothea“, „Wilhelm Tell“ für den Seminarunterricht zu und schließt nur solche Dichtungen aus, die wie „Tasso“ und „Iphigenie“ klassische Studien erfordern. Auch wurde in den Lehrplan für den Oberkursus des Seminars je 1 Stunde Geographie, Naturbeschreibung und Zeichnen wieder aufgenommen.

3. Unter Wilhelm I. (1840–1861).

Unter seiner Regierung leitete das Schulwesen anfangs noch der Minister v. Bethmann-Hollweg. Derselbe legte aber 1862 sein Amt nieder, als der von ihm eingereichte Schulgesetzentwurf vom Abgeordnetenhause abgelehnt worden war.

A. Das Ministerium Mühler, 1862–1872.

Der Minister Heinrich v. Mühler hielt an den Regulativen fest und betonte besonders die Konfessionalität der Volksschule.

Unter den Lehrfächern wandte er seine besondere Aufmerksamkeit dem Turnunterricht zu, dessen obligatorische Einführung er 1862 anordnete und für den er 1868 einen Neuen Leitfaden vorschrieb.

Als das Volksschulwesen inzwischen über die Ziele der Regulative hinausgewachsen war und die Anforderungen an die Schule durch die Erwerbung von neuen Provinzen sich steigerten, versuchte der Minister die weitere Förderung der Schule auf dem Wege der Einzelgesetzgebung. Nachdem dieser Plan gescheitert, legte er 1869 dem Abgeordnetenhause ein allgemeines Unterrichtsgesetz vor, das aber das Schicksal der (3) früheren Entwürfe teilte und nicht zur Verabschiedung kam.

B. Das Ministerium Falk, 1872–1879.

1. Der Minister Dr. Adalbert Falk begann die Reform des Volksschulwesens damit, daß er das Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872 zustandebrachte. Dasselbe bestimmt in seinen einzelnen Paragraphen:

[S. 172]

§ 1. Unter Aufhebung aller in den einzelnen Landesteilen entgegenstehenden Bestimmungen steht die Aufsicht über alle öffentlichen und privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten dem Staate zu. Demgemäß handeln alle mit dieser Aufsicht betrauten Behörden und Beamten im Auftrage des Staates.

§ 2. Die Ernennung der Lokal- und Kreis-Schulinspektoren und die Abgrenzung ihrer Aufsichtsbezirke gebührt dem Staate allein. Der vom Staate den Inspektoren der Volksschule erteilte Auftrag ist, sofern sie dies Amt als Neben- oder Ehrenamt verwalten, jederzeit widerruflich. Alle entgegenstehenden Bestimmungen sind aufgehoben.

§ 3. Unberührt durch dieses Gesetz bleibt die den Gemeinden und deren Organen zustehende Teilnahme an der Schulaufsicht, sowie der Artikel 24 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850.

Nach diesem Gesetze wird die Schulaufsicht im Auftrage des Staates durch Inspektoren teils im Neben-, teils im Hauptamt ausgeübt.

2. Einen weiteren Schritt zur Reform des Volksschulwesens unternahm der Minister durch Aufhebung der Regulative, an deren Stelle er die „Allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872“ setzte. Dieselben waren zuvor in einer Konferenz von namhaften Schulmännern (den Ministerialräten: Stiehl, Stieve und Wätzoldt, dem Regierungs- und Schulrat Kellner sowie den Seminardirektoren Fix und Schorn und dem Lehrer Dörpfeld) beraten und von dem Seminardirektor Dr. Schneider in Berlin verfaßt.

In den „Allg. Best.“ tritt den Regulativen gegenüber ein doppelter Fortschritt hervor: 1. äußerlich in ihrem Gang und Umfang, 2. innerlich in didaktisch-methodischer Hinsicht.

1. Äußerlich. a) Sie gehen nicht wie die Regulative vom Seminarwesen, sondern von der Volksschule aus, um eine sichere Grundlage für den weiteren Aufbau zu gewinnen; sie bauen also das Schulwesen in richtiger Weise von unten nach oben aus, und nicht umgekehrt. b) Sie setzen nicht nur für die evangelischen, sondern auch für die katholischen Schulen, also für die Volksschule in ihrer Gesamtheit[S. 173] die didaktischen Richtlinien fest und beziehen sich dabei nicht nur auf die einklassige Schule, sondern auf alle Einrichtungen der preußischen Volksschule.

2. Innerlich. a) Für die Volksschule erweitern sie den Lehrstoff durch die Realien und die Raumlehre, beschränken den religiösen Memorierstoff und vermehren die Zahl der Unterrichtsstunden. Auch geben sie für die einzelnen Unterrichtsfächer Lehrziele und Lehrverfahren klar und bestimmt an und betonen in erziehlicher Hinsicht mehr das nationale Moment. b) Die Präparandenbildung wird gefördert, insbesondere durch Schaffung eigener Anstalten. c) Die Lehrziele des Seminars werden durch Hinzunahme der Geschichte der Pädagogik und der Nationalliteratur erhöht. Dadurch wurde den Lehrern eine zeitgemäße, ihrem Stande entsprechendere Bildung ermöglicht. Ein reges Streben nach Weiterbildung wurde bei den Lehrern noch dadurch hervorgerufen, daß die neuen Prüfungsordnungen für Mittelschullehrer und Rektoren den Lehrern auch ein Anrecht auf die Schulleitung zugestehen.

Doch wurden auch einige Bedenken gegen die „Allg. Best.“ erhoben. Die für den Religionsunterricht angesetzte Stundenzahl sei zu gering; die große Stofffülle gefährde die erziehliche Aufgabe der Schule und das selbständige Können; die Forderung, daß in dem Schullokal Riegel für Kleider und Mützen angebracht sein müssen, schädige die Gesundheit. Nach dieser Richtung hin wurden die „Allg. Best.“ später durch andere Verfügungen ergänzt und berichtigt.

Der Verfasser der „Allg. Best.“ wurde vom Minister an Stelle des Geheimrats Stiehl ins Ministerium berufen. Fortan erfuhr das Volksschulwesen eine weitere kräftige Förderung: viele neue Schulen und Seminare wurden gegründet, die Lehrergehälter und Witwenpensionen aufgebessert, im Jahre 1874 erschien das Impfgesetz und wurde die Prüfungsordnung für Lehrerinnen und Schulvorsteherinnen erlassen. Der Entwurf eines allgemeinen Schulgesetzes ist indes dem Abgeordnetenhause nicht vorgelegt worden.

[S. 174]

C. Das Ministerium Puttkamer, 1879–1881.

Der Minister v. Puttkamer ließ im ganzen und großen die Anordnungen seines Vorgängers bestehen, betonte aber mehr den konfessionellen Charakter der Volksschule und beschränkte die Simultanschulen, deren Zahl unter Falk von 60 auf 442 gestiegen war.

Weiterhin ordnete er durch Erlaß vom 21. Januar 1880 einheitlich die Rechtschreibung für die Schulen und erließ eine Prüfungsordnung für Vorsteher an Taubstummenanstalten.

Seine Verordnung über die Lehrerkonferenzen an den Seminaren wurde unter dem Ministerium Bosse wieder aufgehoben.

D. Das Ministerium Goßler, 1881–1891.

Auch der Minister v. Goßler hielt fest an der Grundlage der „Allg. Best.“ von 1872 und sorgte für den weiteren Ausbau der Volksschule teils durch Verordnungen, teils durch Gesetze.

1. Die Verordnungen betrafen: a) Einzelne Lehrfächer. Jugend- und Turnspiele wurden warm empfohlen, der Zeichenunterricht in den Schulen mit 3 und mehr aufsteigenden Klassen eingeführt, dem Religions- und Geschichtsunterricht soziale Aufgaben zugewiesen. b) Die höhere Mädchenschule. Durch den Normallehrplan von 1886 hat der Minister diese Schule von den anderen zuerst abgegrenzt. c) Die Pflege der Gesundheit. Bei ansteckenden Krankheiten sollte unbedingt die Schließung der Schulen eintreten.

2. Die Gesetze, welche dem Minister zu verdanken sind, betreffen: a) Die Pensionierung der Lehrer. Die Pensionsansprüche [S. 175]steigen bei den Lehrern in derselben Weise wie bei den Staatsbeamten. b) Die Erleichterung der Volksschullasten. Das Schulgeld wird aufgehoben, der Staat zahlt den Gemeinden Beiträge von 500, 300, 150 und 100 Mark. c) Die Fürsorge für die Waisen der Lehrer. Die Vollwaisen erhalten 84 Mark, die Halbwaisen 50 Mark Staatsunterstützung pro Jahr.

4. Unter Friedrich III. (9. März–15. Juni 1888).

Schon als Kronprinz bekundete Kaiser Friedrich ein lebhaftes Interesse für alles, was die Schule betraf. Auf seinem Gute in Bornstedt bei Potsdam besuchte er häufig die Schule und errichtete dort ein Kinderheim, das in Bau und Einrichtung als Muster für solche Anstalten gelten kann.

Seine Gemahlin förderte in hervorragender Weise das deutsche Kunsthandwerk: kunstgewerbliche Schulen wurden errichtet, kunstgewerbliche Ausstellungen veranstaltet, ein Kunstgewerbemuseum erbaut. Sodann sorgte sie für eine bessere Ausbildung der weiblichen Personen: das Heimathaus für Töchter höherer Stände sowie der „Lette-Verein“ (der die Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechtes bezweckt) verdanken der Kaiserin Friedrich ihre Entstehung.

5. Unter Wilhelm II. seit 15. Juni 1888.

Kaiser Wilhelm II. hat es sich als Lebensaufgabe gesetzt, das ererbte Ansehen des Deutschen Reiches nach außen wie nach innen zu heben. Als ein Hauptmittel dazu sieht er eine möglichst zweckentsprechende, gesunde Volksbildung an. Daher hat er gleich in seinen ersten Regierungsmaßnahmen kräftige Anregung gegeben, das Schulwesen weiter auszugestalten.

In seinem Erlaß vom 1. Mai 1889 sagt er: „Schon längere Zeit hat mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren einzelnen [S. 176]Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande die Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesetzlichen Verhältnisse zu legen haben.“

In der Konferenz, die zur Beratung der neuen Ordnung im Dezember 1900 nach Berlin einberufen war, richtete er an die dort versammelten Schulmänner besondere pädagogische Ansprachen, in denen er seine Gedanken über Aufgabe und Ziel der höheren Schulen zum Ausdruck brachte. Aber auch dem niederen Schulwesen gegenüber bekundete der Kaiser sein hohes Interesse, so daß Volksschule und Lehrerbildung unter seiner Regierung manche Fortschritte zu verzeichnen haben.

A. Das Ministerium Zedlitz, 1891–1892.

Der Minister Graf von Zedlitz-Trützschler veröffentlichte durch Erlaß vom 6. Januar 1892 die neuen Lehrpläne und Prüfungsordnungen für die höheren Schulen (Gymnasien, Realgymnasien, Oberrealschulen; Progymnasien, Realprogymnasien, Realschulen, Reformschulen nach Frankfurter System), wodurch die bisherigen vom Jahre 1882 aufgehoben wurden.

Auch das Volksschulwesen wollte der Minister durch ein eigenes Gesetz grundsätzlich regeln, aber der Entwurf zu diesem Gesetze mußte noch während der Beratung im Abgeordnetenhause zurückgezogen werden. Dieser Umstand veranlaßte ihn, sein Amt im März 1892 niederzulegen.

(Vgl. die Entwürfe von Süvern, Ladenberg, Bethmann-Hollweg, Mühler, Falk und Goßler.)

B. Das Ministerium Bosse, 1892–1899.

Der Minister Dr. Bosse wandte seine Fürsorge sowohl der Entwicklung des inneren Lebens der Schule zu, als auch der Förderung der äußeren Lage der Lehrer.

[S. 177]

1. Im Jahre 1894 erschienen mehrere Bestimmungen, welche das Mädchenschulwesen betreffen. (So wird u. a. angeordnet, daß der Unterricht in den weiblichen Handarbeiten auf die Arbeiten beschränkt werden soll, die für das häusliche Leben unentbehrlich sind. Der Handfertigkeits- und Haushaltungsunterricht wird anerkannt, doch darf die Volksschule durch solche Bestrebungen in ihren Bildungszielen keine Einbuße erleiden.) Im Jahre 1895 ließ der Minister einen neuen Turnleitfaden erscheinen und betonte die Jugend- und Volksspiele. Im Jahre 1896 richtete er in Berlin wissenschaftliche Fortbildungskurse für Lehrer ein, welche pädagogische, geschichtliche, wirtschaftliche und hygienische Vorträge umfassen.

2. Durch den Min.-Erl. von 1896 wurde den staatlichen Seminaren das Recht zuerkannt, Zeugnisse über die wissenschaftliche Befähigung für den einjährig-freiwilligen Militärdienst auszustellen. Im Jahre 1897 erschien das Lehrerbesoldungsgesetz. Als Grundgehalt wird festgesetzt für Lehrer 900 Mk., für Lehrerinnen 700 Mk., das neben freier Dienstwohnung oder Mietsentschädigung durch 9 Alterszulagen von je 100 Mk. für Lehrer und 80 Mk. für Lehrerinnen vom achten Dienstjahre an steigend bis zum 31. Dienstjahre sich verdoppelt. In dem Erlaß vom Jahre 1898 erklärt der Minister es für erwünscht, daß in den Schulvorstand auch ein Lehrer gewählt werde.

C. Das Ministerium Studt, seit 1899.

Der Minister Dr. v. Studt hat die Reform der höheren Schulen weitergeführt, indem er die drei höheren Lehranstalten grundsätzlich als gleichwertig anerkannte. Dann aber hat er auch die Entwicklung des Volksschulwesens in mannigfaltiger Weise gefördert.

[S. 178]

1. Er wandte zunächst der Förderung einzelner Lehrfächer seine besondere Aufmerksamkeit zu.

Er bestimmt im Erlaß vom 6. Mai 1901, daß im Religionsunterricht größere Rücksicht auf den Standpunkt Andersgläubiger genommen werde, auch bei den Unterscheidungslehren; überhaupt müsse mehr betont werden, was die Konfessionen eint als was sie trennt. Im Erlaß vom 28. Februar 1903 wird den Regierungen eine eingehende Prüfung der Lesebücher vorgeschrieben, und von Ostern 1903 an wurde eine neue Rechtschreibung für die Schulen und den amtlichen Verkehr eingeführt. Für den Zeichenunterricht wurde ein neuer Lehrplan vorgeschrieben und der Pensenplan der Volksschule in bemerkenswerter Weise ergänzt. („Auch auf die Bekämpfung der Trunksucht, Gesundheitspflege, Nahrungsmittellehre, Tierschutz, Rechnungen des kaufmännischen Verkehrs und dazu gehörige Formulare, Einrichtung des Staates, Reichsversicherungswesen, Heer, Flotte, Kolonien u. dgl. ist gebührend Rücksicht zu nehmen“.)

2. Weiterhin betont er die Pflege der Gesundheit und die Sorge für die sittlich gefährdeten Kinder, sowie für die Hinterbliebenen der Lehrer.

Der Minister weist hin auf die hohe hygienische Bedeutung der Jugend- und Volksspiele, fordert Badeeinrichtungen bei Neubauten von Schulhäusern und ordnet die Beaufsichtigung der Schulen durch Kreisärzte an (1901). Das Züchtigungsrecht wird weiter geregelt durch Einführung eines Strafverzeichnisses, in welches jede vollzogene Züchtigung nebst einer kurzen Begründung der Notwendigkeit sofort nach der Unterrichtsstunde einzutragen ist (1900). Das Gesetz über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger trat am 2. Juli 1900, das Reliktengesetz am 1. April 1900 in Kraft. Die Ausbildung der Seminaristen und der Lehrer zur freiwilligen Krankenpflege im Kriege (sog. „Samariterkurse“) werden durch Erlaß von 1901 empfohlen.

3. Auch das Prüfungswesen ist unter ihm in mannigfacher Weise ausgebildet.

Durch Min.-Erl. vom 15. Juni 1900 wurde „die Wissenschaftliche Prüfung der Lehrerinnen“ (Oberlehrerinnenprüfung) eingeführt und eine ausführliche Ordnung für dieselbe erlassen. Am 11. Januar 1902 erschien eine Prüfungsordnung für Lehrerinnen der [S. 179]Hauswirtschaftskunde, am 31. Januar 1902 die neue Prüfungsordnung für Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen. Am 1. Juli 1901 veröffentlichte der Minister neue Bestimmungen, betreffend das Präparanden- und Seminarwesen, sowie die Prüfungen der Volksschullehrer, der Lehrer an Mittelschulen und der Rektoren. Dieselben stellen einen bemerkenswerten Fortschritt in der Entwicklung des Lehrerbildungswesens dar. Im Aufbau auf die Volksschule werden die Lehraufgaben der Präparandenanstalt einheitlich festgesetzt, und der Lehrplan des Seminars ist wiederum mit dem der Präparandenanstalt in organischen Zusammenhang gebracht. Außerdem sind die Ziele der Lehrerbildung erhöht, der fremdsprachliche Unterricht ist für beide Anstalten obligatorisch gemacht und eine Trennung der allgemeinen von der Berufsbildung in den Seminaren herbeigeführt.

Sechs Minister vor ihm hatten sich vergebens bemüht, ein allgemeines Schulgesetz zustandezubringen. Minister Dr. v. Studt hat dieses Ziel wenigstens zum Teil erreicht: am 28. Juli 1906 wurde seine Vorlage betreffend „die Schulunterhaltungspflicht“ zum Gesetz erhoben.

[10] Bedeutende Lehrer an dieser Anstalt waren u. a. Jahn, Friesen und Harnisch.

[11] Staatsrat Süvern verfaßte 1817 einen Entwurf zu einem allgemeinen Schulgesetze, der sich aber als nicht durchführbar erwies.

[12] Im Regierungsbezirk Aachen besuchten im Jahre 1824 von 66000 schulpflichtigen Kindern 38000 gar keine Schule.

[13] Mit Ausnahme von Pommern; dort hatte schon Altenstein 1831 ähnliche Bestimmungen erlassen.

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