Title: Der Liebe Lust und Leid der Frau zur Frau
Author: Emilie Knopf
Release date: September 7, 2025 [eBook #76833]
Language: German
Original publication: Stargard i. Pomm: Verlagsbureau für literarische Neuheiten, 1895
Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net, based on scans made available by the Staatsbibliothek zu Berlin. The digitized holdings of the Staatsbibliothek zu Berlin are available to all interested parties worldwide free of charge for non-commercial use.
* Aus dem Gerichtssaal. „Der Liebe Lust und Leid.“ Unter diesem Titel hat die Schriftstellerin Frau Emilie Knopf ein Buch verfaßt und in Verkehr gebracht, dessen Inhalt von der Staatsanwaltschaft beanstandet wurde. Die Verfasserin wurde im verflossenen Herbst wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften unter Anklage gestellt und zu 50 Mark Geldstrafe verurtheilt. Das „Werk“ verfiel der Beschlagnahme. Im Januar d. J. erschien nun die Wittwe Marie v. Czarwinski bei dem Ober-Bibliothekar Söchting und bot dem 68jährigen Herrn „Der Liebe Lust und Leid“ zum Kauf an, wobei sie sich als Freundin der Verfasserin vorstellte, die sich in großer Noth befinde. Der Oberbibliothekar durchflog den Inhalt und stieß auf Stellen, die sein Sittlichkeitsgefühl empörten. Er gab das Buch an die Staatsanwaltschaft weiter, worauf die beiden genannten Frauen sich gestern vor der vierten Strafkammer des Landgerichts I zu verantworten hatten. Die Angeklagte Knopf gab zu, sich vergangen zu haben, aber sie habe nicht die Mittel gehabt, ihren Hunger zu stillen. Die Mitangeklagte v. Czarwinski behauptete, daß sie den Inhalt des Buches, den der Vorsitzende als eine „Schweinerei“ bezeichnete, nicht gekannt habe, fand bei dem Gerichtshof aber keinen Glauben. Mit Rücksicht darauf, daß die Angeklagten sich thatsächlich in großer Noth befunden hatten, beließ es der Gerichtshof bei niedrigen Strafen, nämlich 20 M. gegen die Angeklagte Knopf und 5 M. gegen die Angeklagte v. Czarwinski.
Tägliche Rundschau, Berlin, 19. März 1898, S. 7.
Verlagsbureau
für literarische Neuheiten
Stargard i. Pomm.
In der Atmosphäre einer Millionenstadt treiben Ueberreizung und Genußsucht oft wunderliche Auswüchse. Diese Verirrungen, welche namentlich in denjenigen Kreisen an Ausdehnung zunehmen, welche sich zu den Besten zählen, sind wohl kaum durch irgend welches Vorgehen auszumerzen.
Scandalöse Vorgänge, welche selbst vor den Schranken des Gerichtes ihren abschreckenden Schluß fanden, spielten sich sogar in unserer Metropole ab, und oft, ja täglich so man Gelegenheit hat, mit zahlreichen Damen verkehren zu müssen, wird und kann es Einem, der aufmerksamen Blick dafür hat, nicht entgehen, daß die Frauenliebe sich in einer nahezu unglaublichen Weise unter den Damen eingewurzelt hat; man braucht nur in den Spalten unserer Tages-Journale gewisse Annoncen gelesen haben, welche an Styl und Inhalt sich fast immer gleich bleiben.
Und gerade in allerletzter Zeit, da sich ein sensationeller Prozeß abspielte, kann man leicht beobachten, daß eben jene ominösen Inserate von der Bildfläche gänzlich verschwunden sind.
Indessen kann man sich wohl überzeugt halten, daß die Anhängerinnen dieser Erotik anderweitig Mittel und Wege finden werden, diese ungewöhnlichen Freundschaften zu schließen.
– Wer Gelegenheit hatte, das berühmte Gemälde von Hector Le Roux zu sehen, welches die phänomenale Dichterin, die jugendlich schöne Sappho darstellt, wie sie, umgeben von ihren unzähligen Verehrerinnen und Verehrern unbeschreiblich anmuthig Vortrag haltend auf erhöhtem Postament, in der Linken die Leyer, den rechten Arm hocherhoben, – der würde sich von tiefer Bewunderung erfüllt fühlen.
Das von Locken umrahmte liebliche Gesicht von innerer Gluth überhaucht, übt einen wunderbaren Eindruck auf den Beschauer aus und man kann sich einer süßen Sehnsucht nach Sappho nicht verschließen.
Man kann wohl begreifen, daß sie es vermochte, die Schaar der liebreizenden Griechinnen, unter denen sich viele ausländische Frauen als Schülerinnen befanden – zur Begeisterung hinzureißen; man liest den Abglanz tiefer Bewunderung auf den Gesichtern der schönen Mädchen, welche gespannt den Liedern der vielgeliebten Sängerin lauschten.
Schade, ewig schade, daß es der Nachwelt nicht vorbehalten bleiben konnte, Sapphos Schriften studiren zu dürfen. Dieselben wurden ein Raub giftgeschwollener Mönche, welche den übernatürlichen Neid zu überwinden nicht im Stande waren, daß ihnen gerade ein solches Weib so sehr überlegen war und – daß dieses Weib die Liebe eines Mannes verschmähte und solche nur ihren Geschlechtsgenossinnen zugewandt hatte. – –
Es liegt keineswegs in meiner Absicht, etwas gut heißen zu wollen, wogegen sich gesunde Logik sträuben muß, allein ich habe es gut gemeint insofern, als da ich in meiner Schrift dargethan habe, wie so sehr oft gute Gesittung und sogar Glück und Ehre gefährdet und auf das Spiel gesetzt werden, wenn die Leidenschaft in der Freundschaft zweier Frauen eine Richtung annimmt, welche von der einen Seite gar oftmals als Mittel zum Zweck ausgebeutet wird und darum habe ich meinem Buche den Charakter einer Warnung vor Verirrungen in der Frauenliebe ertheilt.
Die Verfasserin.
O Du lachende, stolze süße
Du lichtäugige Blume vom Rhein
Dir bring’ ich viel tausendmal Grüße,
Dein Sänger will ich sein!
Es blühen und duften die Rosen am Wege
Und die Sterne vom Himmel sprüh’n,
Doch wißt Ihr, in welchem Gehege
Die schönsten Mädchen blühn?
Nicht war’s in den russischen Steppen
Daß ich sie sah,
Nicht auf den marmornen Treppen
Von Samos und Ithaka.
Nicht an den schottischen See’n,
Nicht an dem märkischen Sand,
Nicht da, wo nicken und weh’n,
Die Palmen von Samarkand.
Wohl sah ich Französin und Polin
Und sah, von Sclaven gewiegt,
Die stolze, todtblasse Kreolin
In Purpurseide geschmiegt.
... O, ihr klirrenden Kastagnetten!
Wie wird mir schwül zu Sinn
Gedenk’ ich der wilden brünetten
Andalusierin!
Gedenk ich der schwarzen Mantille
Und der Augen, so lustdurchsonnt
Und der Lippen, süß wie Vanille,
Die küssen und – – lügen gekonnt!
– Es nickten vom schwedischen Sunde
Die Frau’n mir, schön rothblond und bleich;
Es schlugen mir süße Wunde
Die Frauen von Oesterreich.
Es seien Pommerns Damen
Den Besten zugesellt,
Allein die „Grazien“ kamen
In „Pommern“ nicht zur Welt!
Es waltet, den Thee kredenzend,
– Ein Bild wahrhafter Ruh’ –
Behaglich, wie Vollmond glänzend,
Der Niederlande Youfrouw.
... Schön sind die Mädchen vom Tiber!
Und wären sie schöner noch,
So wär’ mir viel tausendmal lieber
Mein Lieb vom Rheine doch!
O Du lachende stolze, süße,
Du lichtäugige Blume vom Rhein,
Dir bring’ ich viel tausendmal Grüße,
Dein Sänger will ich sein.
– – Diese Worte kamen dereinst aus einem Dichterherzen, das voll und warm empfand und für schöne und edle Frauen schwärmte. Gar manches Jahr ist darüber vergangen, als ich diese Verse las. Wie gelabt habe ich mich an dem klingelnden Rhytmus, an der duftigen Poesie und der lieblichen Formenschönheit des Gedichtes aus der Feder eines edlen Sprossen, der das Weib in Anbetung liebte.
Wie oft sprach ich seine Verse und ach! wie oft sprach ich sie nach, jauchzenden Herzens, zu einem Weibe.
Das ist Frauenliebe!
Wie der Mann in heißer Leidenschaft sein Lebensglück in die Hand eines Weibes legt und wie das Weib, bewundernd, hingebend, zum Manne aufschaut, so kann es auch sein: ebenso bewundernd und anbetend, zwischen dem Weibe und dem Weibe!
Ein Männermund hat meinen Mund niemals geküßt.
Man hält mich weder für emanzipirt, noch für eine Männerfeindin; man kennt mich eben, wie ich bin: eine Freundin schöner Frauen! –
Meine Eltern gaben mir die sorgfältigste Erziehung. Meine Mutter starb, ehe ich noch confirmirt war.
Von Reichthum und Luxus umgeben, sind meine Sinne verwöhnt, mein ästhetisches Empfinden so fein, daß mich eine Frau ohne Geist, ohne Chic, ohne Grazie – abstößt! Eine lässige Haltung beleidigt mein Gefühl, so daß selbst das schönste Weib mein Blick achtlos streift.
Mit solchen Ansprüchen wurde ich in die große Welt eingeführt.
Instinctiv regte sich, als ich noch ein Kind war, in meinem jungen Herzen das Verlangen nach einer Freundin, die ich bewundern wollte und meine Erzieherin, eine liebreizende Lady, hatte sich oft genug meiner stürmischen Liebkosungen zu erwehren.
Die zahlreichen Freundschaften aus der Kinderzeit wurden, wie das fast immer der Fall ist, haltlos und verflogen wie Spreu im Winde ...
In dem Hause einer uns befreundeten Familie, welche im Winter Veranlassung hatte, in der Residenz zu repräsentiren, wurde bei Beginn der Saison ein geradezu feenhaftes Costüm-Fest arrangirt. Ein solches Fest zu beschreiben wäre überflüssig. Derartige Diners, Soupers und Bälle gleichen in der vornehmen Welt stets einander und an jenem Abend war mir im Allgemeinen der Tanz so gleichgiltig wie das Souper.
Ich hatte nur Augen für „sie“.
In dem duftigen, wallenden Gewande einer vornehmen Griechin bot sich meinem entzückten Auge eine Gestalt dar von so vollendeter Schönheit und stolzer Haltung und Grazie, daß ich, – in dem Costüm eines mit verschwenderischer Pracht geschmückten Orientalen, – sofort auf die königliche Erscheinung zueilte und ihr meine Huldigungen darbrachte.
Sie hatte natürlich sofort die „Dame“ in mir errathen und weidete sich sichtlich an dem Vergnügen, das ich empfand, sie zu recht lebhafter Unterhaltung anzuspornen; ich lauschte begeistert dem wunderbaren klangvollen Organ. Mich begeisterte ihr reicher, gleichsam funkensprühender Geist und ich berauschte mich an der wundersamen Anmuth, welche halb mädchenhaft lieblich, sich mit der vollendeten Würde einer Herrscherin vereinigte.
Unter den brausenden Klängen des Orchesters begann der Reigen.
Die Kapriolensprünge eines übermüthigen Clowns belustigten mich ebenso wenig, als mein Auge sich an den schmucken Ritter- und Pagengestalten erfreute.
Ich überließ mich ganz und gar der süßen Einbildung, daß diese geistreiche Frau mit dem göttlichen Körper auch ein junonisch schönes Antlitz haben müsse. Und ich erzitterte heimlich, wenn leise Zweifel mich beschlichen, daß es anders sein und mir ein unschönes, vielleicht häßliches Gesicht entgegenschauen könnte und ich, die ich jeglichen Vorzug an einer Frau hochschätze, kann nur ein – schönes, in jeder Hinsicht schönes Weib – lieben!
So sind wir Zwei denn fast ausschließlich beieinander geblieben und eine wonnige Hoffnung stahl sich in mein Herz, daß es erwachende Neigung für mich auch bei meiner Partnerin sein müsse, wenn sie, während des Tanzes, ausnahmslos sich mit einer Dame begnügte.
Da schmetterten die Fanfaren!
Da endlich nahte der Augenblick, da die seidene Maske fiel und ich, bebenden, klopfenden Herzens in ein Antlitz sah, so traumhaft schön, so unbeschreiblich schön, wie ich es zu hoffen nicht gewagt hätte ...
Voll jubelnden Entzückens flüsterte ich ihr heiße Worte ins Ohr; ihre strahlenden Augen tauchten sich tief in die meinen und es durchströmte mich ein unsagbares, niegekanntes Gefühl! – – Ich erschauerte im Innersten; an dem Drucke ihrer kleinen Hand empfand ich, daß wir Zwei uns verstanden hatten: sie war von genau ebensolcher Regung beseelt, als ich selber.
Meine Absicht, gemäß den Wünschen meines Vaters, welcher mich begleitet hatte, sogleich nach dem Souper zum Aufbruch zu rüsten, wußte sie durch eine liebenswürdige Ueberredungskunst, die sie auch vor ihm entfaltete, in den dringenden Wunsch umzuwandeln, bis zum Schluß des Festes zu verweilen. Da meine holde Tänzerin allein erschienen war, wurde es uns auch gern zugebilligt.
Jetzt brachen für mich wonnige Stunden an; unausgesprochen fühlten wir Beide unsere geistige Wahlverwandtschaft. Wir geizten nach jeder Minute, uns unterhalten zu können und für uns Beide war es eine gleiche Last, den Honneurs der Gastgeber zu begegnen.
Die Allüren der Damen von Welt gebieten nun freilich, daß man aus Anlaß eines Beisammenseins auf dem Parkett auch nicht einen einzigen anwesender Bekannter ignoriren darf und es trug bereits den Anflug eines Verstoßes an sich, daß ich so weitgehenden Anspruch erhob auf die Gesellschaft einer Dame, welche ich erst seit wenigen Stunden kennen gelernt hatte, wie es denn auch den Anschein des Seltsamen hatte, daß meine junge Schöne, welche gekommen war, um den Gastgebern einen Act gesellschaftlicher Höflichkeit zu erweisen, sich einer ihr bis dahin fremden Dame widmete.
Sie hatte die ihr zugegangene Einladung annehmen müssen, wiewohl sie nur allein lebte und sich auf die Gesellschaft einer alten Repräsentantin beschränken mußte.
Edita, so hieß sie, hatte mir Alles das zu sagen sich genöthigt gefühlt, um sich vor mir gleichsam zu rechtfertigen.
Titel und Name ihres Vaters waren meinem Vater bekannt. Dieser erinnerte sich auch des malerisch gelegenen Schlosses am Rhein, welches die junge Erbin bei entsprechender Jahreszeit bewohnte. Freudige Verwunderung! denn nun durften wir uns gewissermaßen als alte, gute Bekannte betrachten.
Die Stunde des Scheidens schlug; mein Vater hatte uns ohnehin ein Opfer gebracht, welches wir auch nur annahmen, um einige Stunden länger die ersten Gedanken auszutauschen. – Der heranrollende Wagen nahm uns auf und führte uns unserem Heim entgegen. Ich hatte mit Edita ein sehr baldiges Wiedersehen verabredet und traumverloren sah ich hinaus in die sternenfunkelnde Winternacht ...
Wortkarg hörte ich die Fragen meines Vaters an, der seiner Verwunderung Ausdruck gab, daß ich sowohl, als jene Dame gegenüber den Bemühungen der Tänzer uns ablehnend verhalten hatten.
Nun, er war ja an meine kleinen Caprizen gewöhnt und kam nicht wieder darauf zurück.
In meinem Gemache angelangt, begab ich mich zur Ruhe, doch fand ich den Schlaf nicht und ich mochte ihn auch nicht finden.
Ich gab mich glückseligen Träumereien hin, welche alle in der Hoffnung gipfelten, daß sie sich recht bald verwirklichen möchten.
... Das war eine Ballnacht! ...
So mag vielen Tausenden junger Mädchen zu Muthe sein, die nach einer durchschwärmten Ballnacht träumen von Glück und Zukunft und von – – ihm, doch nicht Begehr tragen nach Frauenherzen und Frauenliebe! ...
Da ich mich dann erhob und nun doch übernächtigt und matt, mir die Chokolade reichen ließ, da – o Entzücken! hatte ein Diener für mich einen Brief gebracht, einen langen, seltsamen – über dessen Inhalt ich in süße Verwirrung gerieth – von Edita! ...
Am Schlusse ihres Schreibens bat sie mich dringlichst, die Schranken der formellen vornehmen Sitte unserer Kreise zu durchbrechen und einen Verkehr mit ihr anzubahnen, welcher uns berechtigt, uns zu jeder Stunde zusammenzuführen. Natürlich entsprach das meinen heißen Wünschen und meine Zofe bestellte augenblicklich den Wagen.
Es war ein frohinniges Wiedersehen und frohinnig ist’s dann allzeit gewesen. So oft als es möglich war, sahen wir uns und dann stets so lange als möglich und – wir hatten uns Beide nicht getäuscht! Zwischen Edita und mir entspann sich eine so reine Freundschaft, wie sie feinsinniger wohl noch niemals bestanden haben mag.
Wir lasen uns unsere gegenseitigen Wünsche von den Augen ab und verzichteten gern auf die Gesellschaft jedes Dritten, da wir selbst uns immer genug waren. Eines Tages erhielt ich eine sehr eilige Meldung durch jemand von Editas Dienerschaft, daß Edita unpäßlich sei und heute vermuthlich nicht bei mir sein könne.
Ich beschloß sogleich zu ihr zu eilen, denn seit Beginn unserer Bekanntschaft war noch nicht ein Tag verflossen, an welchem wir uns nicht begrüßt hätten. Ich fand Edita in ihrem Boudoir auf einem Ruhebette liegend; lässig bedeckte ein kostbares weißhaariges Fell die lichtumflossene Gestalt. Durch die bunten Butzenscheiben brach goldenes Sonnenlicht herein, denn der Frühling war ins Land gezogen, und Veilchen und Maiglöckchen strömten ihre süßen Düfte aus, welche das lauschige Gemach erfüllten.
„O, Felicita, Sie Gute! Wie lieb von Ihnen, daß Sie gekommen sind, denn ich hatte unbeschreibliche Sehnsucht nach Ihnen um Ihnen in Ihr liebes Gesichtchen zu schauen!“
Sie küßte mir zärtlich Stirn und Augen und ich zog sie, mich besorgt nach ihrem Befinden erkundigend, sanft an mein Herz.
Lange engumschlungen saßen wir und sahen dem reizenden Spiele zahmer Vögelchen zu, welche, wenn nicht auch ich sie geliebt, entschieden meine Eifersucht erregt hätten, so sehr viel beschäftigte sich Edita mit ihnen. Dann öffnete ich im Nebenzimmer die Balconfenster, um die würzige, sonnendurchwärmte Frühlingsluft hereinströmen zu lassen.
Als ich wieder das Boudoir betrat, stand meine Patientin vor mir, schöner als ich sie je gesehen. Auf dem feinen Antlitz, welches von einem matten, rosigen Schein überhaucht war, prägte sich der Ausdruck großen innerlichen Glückes aus.
Ich stand in stummes Staunen versunken vor dem reizendsten aller Weiber und jauchzend schloß ich sie in meine Arme. Das lange lichtblonde Haar fluthete über den Nacken, welcher, von der duftigen Spitzenrobe fast unverhüllt, mir in blendendem Weiß entgegenleuchtete. Ich konnte ein heißes Begehren nicht unterdrücken und küßte sie, von den seidenen Haarwellen umrieselt, leise, mit heißen, zuckenden Lippen auf die warme Sammethaut und ... dann in stürmischem Jubel zog ich sie hinaus in all den Lenzesduft, der von dem blumengefüllten Balcon in das Zimmer wehte.
„Ich bin so glücklich, Felicita, und wie sehr liebe ich Sie! Welch’ ein köstlicher Frühling wird uns erblühen, da schon den Winter wir in Märchenlust durchträumten!“
„Gewiß,“ rief ich, „und welche Worte soll ich wählen, um meinen Empfindungen Ausdruck zu geben! Seien Sie versichert, ich will freudig Allem entsagen, was die Menschen ihr Glück auf Erden nennen, wenn ich Sie, meine Edita, habe!“
„Süße Felicita,“ erwiderte sie, „wie von ganzem Herzen danke ich Ihnen für all die reiche Liebe, mit welcher Sie die meinige vergelten. Sehen Sie,“ fuhr sie fort, „wie oft im Leben begegnen wir Frauen, welche einander Liebe und Freundschaft geloben und doch bedarf es nur eines einzigen Anstoßes von der Außenwelt her – sei es aus Materialismus, sei es aus Eifersucht, – genug, alle diese Versicherungen gegenseitiger Freundschaft zerrinnen und das Ganze erscheint wie ein Trugbild! Da habe ich denn, ehe wir uns auf jenem Costümfest kennen lernten, mir so oft die Frage vorgelegt, wie es möglich sein kann, daß eine Frau von reichem Gemüth um irgend eines Scrupels willen das Schönste aus dem Inhalt ihres Lebens grausam zerstört: Frauenliebe! Der Gedanke, daß ich Sie verlieren könnte, liegt meinem Herzen so fern, daß es mir absurd erscheint, einer derartigen Befürchtung Raum zu geben. Wie viele edle Frauen, welche aus irgend welchen tragischen oder anderen Gründen sich vereinsamt fühlen und unglücklich, fänden einen reichen Ersatz für alles Verlorene oder Entbehrte, wenn sie sich die Liebe einer Frau erwerben und eben diese Liebe pflegen würden.“
Ich hatte aufmerksam zugehört und entgegnete, als sie schloß, mit ernstem Kopfnicken:
„Wohl; es mag viel darüber gesprochen und geschrieben worden sein, daß der Beruf der Frau die Ehe ist; der Platz der Frau ist am häuslichen Heerd und ihre Sorgen um Gatten und Kind ihre Lebensaufgabe. Das ist schön gesagt, aber ich kenne manche Ehe, in der die Frau einzig dazu berufen zu sein scheint, ein Kreuz zu tragen.
Es soll keineswegs meine Aufgabe sein, etwa einem jungen Mädchen den Glauben zu benehmen, daß der ganze Weg durch die Ehe mit Rosen bestreut sei und ich würde mich nimmermehr zwischen zwei Menschen stellen, die vielleicht im Begriff sind, eine Thorheit zu begehen und wäre es selbst einer unseres Namens, um eine Mesalliance zu schließen.“
Edita hörte mich an und, beide Hände auf meine Achseln legend, sagte sie mit plötzlichem, fröhlichem Lachen:
„Ja, gut, aber Kleine, unter derartigen abhandelnden Gesprächen verrinnt uns der schöne Frühlingstag. Wir Zwei sind uns über unsere Ansichten ja längst schon einig und wir werden wohl auch kaum jemals anderen Sinnes werden. Ihre Anwesenheit, liebes Herz“, fuhr sie fort, „hat mich wieder gesund gemacht und da will ich Ihnen einen Vorschlag machen: Während ich bei der Toilette bin, ist der Wagen bereit und wir machen eine schöne Spazierfahrt!“ – – – –
Der kräftige Lenzeshauch hatte die Wangen meiner schönen Freundin geröthet und sie sah so blühend und hinreißend aus, daß ich mir Mühe geben mußte, den Blick von ihrem reizenden Exterieur loszureißen; sie erschien mir unsäglich begehrenswerth! ...
Mit der Spitze ihres schmalen Lackstiefelchens klopfte sie auf meinen Fuß, welcher dicht an ihrem rechten stand und dazu lächelte sie verheißungsvoll, bis ich den Muth fand, ihr mit stummer Frage in ihr schönes Sternenpaar zu blicken und Edita nickte mit bedeutungsvollem Lächeln zurück ...
Der Nachmittag jenes Tages wird mir unvergeßlich bleiben. –
Wir saßen, einige Zeit nach dem Diner, da wir heimgekehrt waren, eng aneinandergeschmiegt, beim Dessert.
Ich hatte meiner Freundin Champagner angerathen und dieser perlte in den hohen Kelchgläsern, welche wir hell aneinanderklingen ließen.
„Edita“, rief ich, „schon längst wollte ich Dir einen Wunsch offenbaren, den ich schon lange im Herzen trage. Sieh, Schatz, Du weißt, welche Freude ich an meiner Kunst habe und jetzt male ich schon lange Zeit nicht mehr, weil mich ein einziges Bild verfolgt: die Venus von Milo! Komm, schöner Engel, folge mir und sei mein – – Modell! ...“
– – Edita sah mich nicht etwa sprachlos an, richtete nicht etwa eine Frage der Verwunderung an mich ... sie erhob sich ganz einfach, preßte meinen Kopf an ihre Brust und küßte mich minutenlang auf den Mund ...
Ich erwiderte leidenschaftlich ihre Küsse und hielt Edita fest umschlungen; mit einem tiefen Seufzer löste sie sich von mir und ergriff meine Hand, um mich in ein anderes Gemach zu geleiten.
Hier erfaßte sie ein Scizzenbuch, in welchem ich oft bei ihr gezeichnet, legte Zeichenmaterial zurecht, während ich langsam an sie herantrat und – wortlos, tief athmend, den Schmuck von ihrem Halse löste.
Und willenlos ließ sie es geschehen, ein bestrickendes Lächeln um den frischen, kleinen Mund.
Mit behutsamen Fingern löste ich Knopf um Knopf auf und nestelte sie ebenso behutsam aus ihrem Kostüm.
„Ist’s gut so, Schatz?“ fragte sie. Ich schüttelte, wie im Traum, den Kopf. Nach wenigen Minuten hatte ich sie herausgeschält aus den Hüllen von Seide und Spitzen und – – noch einen Augenblick! da stand sie vor mir, meine stolze Venus! ...
Ich war meiner Sinne kaum mehr mächtig; ich drängte das süße Weib auf die üppigen, weichen Sammetpolster und mein Auge weidete sich an den köstlichen Formen des blühenden Leibes ... doppelt schön, weil in seliger Erregung Edita’s bezaubernder Busen auf und nieder wogte und der heiße Athem mein Haupt streifte.
Endlich raffte ich mich auf – – ich mußte mein Wort halten und die Scizze anfertigen.
Ich nahm das feine, vornehme Profil und dann hielt ich mich eine Weile länger, als für eine Scizze erforderlich, bei ihren vollen Schultern und den zarten Händen auf; ich mußte das. Und ich mußte eine Pause machen, um mich zu sammeln. ... Von Neuem setzte ich den Griffel an ... Da konnte ich nicht mehr! In heißer Leidenschaft sank ich vor ihrem Polster nieder; ich preßte meinen Mund auf ihre blühenden Lippen, während meine Hand sich schüchtern auf ihren warmen, weißen Busen schlich. Edita’s Mund vermochte nicht, sich von meinen Lippen zu lösen – wir fühlten nur eines: unsere Liebe – – Frauenliebe! – –
Da war es über mich gekommen, das lockende Glück, welchem ich seit Jahr und Tag sehnsuchtsvoll entgegengeathmet hatte!
Edita umschlang mich unter halb schluchzenden Seufzern und immer mehr steigerte sich meine glühende Leidenschaft ...
Endlich öffnete ich meinen Mund und gab den ihrigen frei.
Da stammelte sie mit glühendheißem Athem bethörende Liebesworte, sinnverwirrend, aufregend, Worte, die ich niemals gehört hatte, deren Sinn mir jedoch klar war ...
Die Scizze der Venus von Milo war unfertig geblieben ...
„Ich bedarf einer neuen Sitzung,“ hauchte ich.
Mit brennenden Lippen schloß sie mir den Mund.
Ihre Augen erglänzten fieberisch ...
Nach meiner Rückkehr nach Hause durchlebte ich eine Nacht, ähnlich derjenigen, in welcher ich meine Edita fand und doch anders noch! Meine Träume hatten sich verwirklicht.
In den Armen eines angebeteten, schönen Weibes waren mir die Wunder berückender Erotik erschlossen worden.
Am nächsten Tage betrat ich mit zaghaften Schritten das Haus meines Lieblings und zaghaft auch kam Edita mir entgegen und begrüßte mich aber doch mit der gewohnten Herzlichkeit von ehemals, während ihre Stirn und Wangen wie in Gluth getaucht erschienen.
So saßen wir uns beide gegenüber, just so, als hätten wir eine Uebelthat vollzogen. – Vom Scizzenbuch war keine Rede und von der Venus vollends nicht! – Nur einen Moment noch – da zog mich Edita auf ihre Kniee, ich aber entschlüpfte ihr, als ob mein heißes Herz einer neuen Gefahr entrinnen wolle. Da erhob Edita neckisch drohend den Finger und rief lachend:
„Aber Titus, kleiner! Woher die Scheu? Du bist meine Liebe, sollst meine Liebe bleiben!“ Und dabei haschte sie nach meinen Händen, welche sie fest an sich preßte ... o Frauenliebe!
Da ich in der That nicht länger bleiben konnte, so verabschiedete ich mich bald. Ein baldigstes Wiedersehen verheißend, eilte ich heimwärts – –
Schüchterne Versuche, „sie“, die Andere, persönlich
kennen zu lernen, scheiterten immer
wieder an den Scrupeln, die ich mir machte, um vor
meiner Edita nicht treulos oder wankelmüthig zu
erscheinen und doch wurde ich jener Anderen bezauberndes
Bild nicht los.
Mit dem geübten Blick einer echten Kunstjüngerin habe ich sie gesehen. – Einmal auf einer Corsofahrt, da sie mir und meiner schönen Freundin Blumen in den Wagen warf und, ein anderes Mal, in dem Atelier eines Künstlers, meines Meisters, vor welchem zu einem Portrait zu sitzen, sie gekommen war. Ich hatte weder Anlaß noch fügliche Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.
Im Grunde meines Herzens war es mir gleichgiltig, ob sie mir ebenbürtig oder nicht – – mich gelüstete nur, ihre Schönheit zu genießen.
In meinem Benehmen zu Edita war ich doppelt aufmerksam und doppelt liebevoll, weil eben ich heimliche Wünsche hegte, deren Erfüllung meiner liebsten und einzigen Freundin wohl gleichen Kummer bereiten würde, als wie mir, wenn ich Zeugin eines Interesses ihrerseits für eine zweite schöne Frau werden sollte.
Vor mir selbst konnte ich bestehen, denn ich liebte meine Freundin und nichts würde diese Liebe jemals aus meinem Herzen reißen können, aber dennoch machte ich mir ob dieses Zwiespalts so viele Selbstvorwürfe, daß ich meines Lebens nicht froh werden konnte. Schon das Bewußtsein, daß ich Gedanken Raum gab, welche ich vor Edita verbergen mußte, war mir drückend und peinlich, aber das Verlangen in mir, jenes fremde Weib kennen zu lernen, war so mächtig, daß ich häufig, in Sinnen versunken, statt meiner lichtäugigen Blume vom Rhein – in die nachtdunklen Augen der Anderen zu blicken vermeinte.
So verging eine geraume Zeit. Die Saison hatte ihren Höhepunkt erreicht. Wir saßen frohgemuth beieinander, Edita und ich.
Sie löffelte träumerisch in ihrem Kaffee. Nachdenklich sah sie mir in’s Gesicht: „Du bist anders geworden, Felicita. Ich kenne Dich nicht mehr so, wie Du ehemals gewesen. Deine Stimmung ist wechselvoll und Deine frühere Emsigkeit in der Ausübung Deiner Kunst hat sich verringert. Warum das, Kind? Willst Du, daß wir fortgehen? Nicht an den Rhein; dorthin begeben wir uns nach beendigter Reise. Ich möchte mit Dir ohne Zwang, ohne dame d’honneur hinaus in die liebe Gotteswelt, sie und Dich zu genießen!“
Und, ihr die Antwort schuldig bleibend, schloß ich sie bei Ihren letzten Worten, wie electrisirt, in meine Arme ...
Ja, Altmeister Göthe, Du hast Recht: „Glücklich allein ist die Seele, die liebt!“ – –
Dann war’s geschehen.
Am Ziele unserer Vergnügungsreise sah ich „sie“ wieder: die Andere mit dem bestechenden Exterieur.
Wir, Edita und ich bewohnten eine, unweit des Strandes belegene Villa. Ein sorgsam gepflegter Garten dehnte sich vor der stattlichen Front des Landhauses aus.
Es war die Zeit der Rosen. Tausende von thautropfenfunkelnden Blüthen sandten ihre Düfte in die weitgeöffneten Fenster unseres Quartiers.
Und da schritt ich hinunter in das Eden von Morgenglanz und Duft und Licht und schmetternder Vogelkehlchen.
Ich raffte meine Schleppe hoch, um die Diamant-Tropfen der Gräser nicht zu streifen. Behutsam bog ich eine der schönsten Rosen am Stengel nieder. Sinnend ruhten meine Augen darauf, lange, lange ... und dann wandte mein Blick sich aufwärts empor nach den Fenstern zu Editas Gemächern.
Es überkam mich eine unabweisbare Sehnsucht, meiner Edita einen Morgengruß zu bringen, der in den wunderbar schönen Klängen eines künstlerischen Tonschöpfers ausklingt:
Leise, leise, mit immer vollerem, immer mehr anschwellendem Sopran erhob ich meine Stimme:
„Du rothe Rose auf grüner Haid,
Wer hieß Dich blüh’n?
Du heißes Herz in tiefem Leid,
Was will Dein Glüh’n? – –
Es braust der Sturm vom Berg herab.
Dich knickt er um.
Es gräbt die Lieb’ ein stilles Grab,
Du bist dann stumm.
Denk’ nicht an Tod, an Leben denk’
In Lieb’ und Lust!
Dich selber wirf’ als Dein Geschenk
An meine Brust!!
Ich weiß es ja, daß Du mich liebst
Im Ueberfluß.
O Seligkeit, wenn Du mir giebst
So heißen Kuß!
Geschrieben steht am Sternenzelt:
Du wärest mein;
Was fragt die Liebe nach der Welt
Und ihrem Schein?
Um meinen Nacken schling’ den Arm,
Preß’ Mund auf Mund,
Ruhst anders nicht so süß und warm
In weitem Rund!
Versink’ in Wonnerausch
Der Erde Zeit.
Gieb für den Augenblick in Tausch
Die Ewigkeit!
Komm, daß Du meine Sehnsucht stillst,
O Königin!
Und wenn Du meine Seele willst,
So nimm sie hin! ...“
* * *
... Ich hielt die Purpurblüthe in der unwillkürlich hocherhobenen Hand.
Da erscholl ein leiser Ruf über die dichte Taxushecke zu mir herüber:
„O mir die rothe Rose, o bitte, bitte!“
Erstaunt, halb bestürzt wandte ich den Kopf, denn eine überaus melodische Stimme in französischer Sprache klang an mein Ohr.
Da stand sie vor mir, jene interessante Schöne, deren Anblick ich herbeigesehnt und welcher mich nun doch mit seltsamer Bangigkeit erfüllte.
Es entging mir nicht, daß ich eine „Dame“ vor mir hatte.
Ihre Erscheinung hatte vielleicht einen Anflug von Emanzipation, aber das kleidete sie gut. Sie war zweifellos eine Dame vornehmer Stände. So konnte ich es getrost wagen, ihr die Rose zu schenken. Mit einer leichten Verbeugung – nahte ich mich ihr, ihr die Blume zu überreichen.
„Das soll die Revanche sein für die Blumen aus meinem Corsowagen“, sagte sie mit leisem Lachen und ich erwiderte lebhaft, daß es mir Freude bereite, Gelegenheit zu solcher Revanche gewonnen zu haben.
Freudestrahlend neigte sie dankend ihr Haupt und preßte leise an die geöffneten Lippen die flammende Rose.
In ihrer Begleitung befand sich ein altes exotisches Fräulein, in deren Gesellschaft sie alsbald grüßend weiterschritt, während ich, alle Rosen vergessend meiner Edita entgegenstrebte; mir war’s als hätte ich ein Unrecht begangen.
Mit gemischten Empfindungen betrat ich Editas Schlafgemach. Diese war bereits angekleidet und erhob drohend den weißen Finger:
„Schatz, wo steckst Du, allein, ohne mich? Und wem galt das herrliche Lied? Mir wohl? Ja, ja, ich weiß, mein Herzchen“, fuhr sie mit raschen Worten fort, da sie sah, wie ich schmollend den Kopf zurück bog. „Nur mir allein konnte Lessmann’s wunderschönstes Liebeslied gelten; Du weißt ja, wie so sehr gern ich Dich höre!“
Ich warf mich an ihre Brust und küßte sie lange und innig ... Der Fremden erwähnte ich nicht. In den nächsten Tagen richteten wir, bevor wir unseren gewohnten Spaziergang antraten, unsere Schritte nach der See.
Unsere Kammerfrau empfing uns bereits und im Nu tummelten wir uns nach Herzenslust in der blauen Fluth. Ich spähte suchenden Blickes über die leicht bewegte Wasserfläche. Mein Auge fahndete auf schöne Frauen-Gestalten. Forschenden Blickes betrachtete mich Edita. Ob sie wohl meine Gedanken errieth? Da – wir hatten gerade unsere Toilette beendet, drangen hastige, lebhafte Rufe an mein Ohr. Ich zog die Thür zurück und sah hinaus, nahm auch sofort wahr, daß einige Badefrauen offenbar um eine Ohnmächtige bemüht waren.
In wenigen Minuten hatte ich die betreffende Zelle erreicht und übersah mit einem einzigen Blicke die ganze Situation. Die leidende Dame hatte jedenfalls eine übermäßig lange Schwimmtour zurückgelegt und war nunmehr von einem Nervenzufall ergriffen worden.
Cölnisches Wasser und englisches Salz hatten die beabsichtigte Wirkung und nach wenigen Augenblicken hob ein zitternder Seufzer die Brust der jungen Pariserin, welche mir mit aufleuchtenden Augen dankte und mir alsbald ihren Namen und Rang nannte.
Wie mir ihre alte Begleiterin mit einer fabelhaften Beredsamkeit darthat, hatte die junge Dame, Comtesse Eugenie, bereits wiederholt einen derartigen Nervenzufall gehabt. Das erregte mein Mitgefühl und ich bat sie mit herzlicher Eindringlichkeit, einstweilen von dergleichen Schwimm-Uebungen abzusehen.
Da ich während der kurzen Unterhaltung auch meinen Namen nannte, flüsterte sie mir erfreut die Antwort entgegen, daß derselbe ihr lange bekannt sei und daß sie genau gewußt, „wem“ auf jenem Corsofest sie die Blumen gewidmet hätte.
Ferner berichtete sie mit schelmischem Lächeln, daß sie auch lediglich aus dem einzigen Grunde ihr Portrait bei meinem Lehrer bestellt hätte, weil sie bestimmt angenommen, mich, als dessen Schülerin, wie ihr zufällig bekannt war, dort sicher zu treffen.
Ich hatte allen anwesenden Frauen längst bedeutet, sich zu entfernen und während ich die Reisebegleiterin der Comtesse zu Edita sandte, daß sie meiner nicht länger harren, sondern mir entgegenkommen sollte, kleidete sich ... o süßer Schreck! – die üppige Französin in meiner Gegenwart an. Ich konnte der mir angeborenen Regung nicht widerstehen und, die Falten ihres Spitzenhemdes auseinanderschiebend, küßte ich die rosige Haut ihres schönen Busens!
Da brach die ganze sinnbethörende Leidenschaft sich Bahn und mit fliegendem Athem und fliegenden Worten entrollte Comtesse Eugenie mir das Bild ihrer Seele.
Geschmachtet hätte sie nach mir – lange, lange, denn sie liebe mich – – „parceque vous êtes si belle, mon coeur, alors je vous aime indisible, brûlant – passionnée!“ Und dann senkte sie ihren Mund und ihre zuckende Zunge drängte sich sanft zwischen meine Lippen ...
Wie betäubt ließ ich das schöne junge Weib aus meinen Armen; ich versprach ihr, sie in einigen Tagen hier wiederzusehen. Noch einmal drückte ich mein heißes Gesicht an ihren mir entgegenwogenden Busen und als ich dann mit brennenden Wangen hinaustrat, sah ich Edita auf- und abpromenirend, welche sich wortlos zu mir wandte, mich mit todternsten Blicken musterte und an meiner Seite dahin schritt, ohne sich, wie sonst an meinen Arm zu hängen.
Ich fühlte mich bewogen, eine Aufklärung dieses Zwischenfalls zu geben, aber es berührte mich unsagbar peinlich, als ich ihre Augen mit unendlich spöttischem Ausdruck auf mich gerichtet sah und spöttisch dünkte mich auch das Lächeln, welches vielsagend um den feinen Mund irrte.
Ich kann wohl sagen, daß mich selten ein so furchtbar unerquickliches Gefühl beschlich, als in diesem Momente. Trotzdem war ich fest entschlossen, die junge Pariserin wieder zu treffen. –
Ich fühlte, wie mich ein süßes Erschauern überrieselte, wenn ich an die Berührung der warmen, weichen Zungenspitze dachte! ...
So muß ein erotischer Kuß sein! ...
Ungewollt, war zwischen mir und Edita eine Spannung eingetreten, die sich mit jeder Minute steigerte und die ich doch durch nichts zu verhindern vermochte. Meine Vorliebe für schöne Frauen erheischt eben Opfer! ...
Mochte Edita meine Wünsche errathen haben, wollte sie mich prüfen oder war es Zufall, genug, sie verharrte dabei, in ihren Gemächern zu verbleiben, während ich, theils gewohnheitsmäßig, theils von gewisser Sehnsucht getrieben, dem Strande entgegenschritt.
Comtesse Eugenie kam mir bereits entgegen. Sie bestürmte mich so lange mit Bitten, bis ich nachgab, sie in ihr Hôtel zu begleiten. Dort angelangt, bat sie mich, einige Augenblicke zu verweilen, während sie ihr Ankleide-Cabinet betrat, um ihre Strandtoilette mit einem geradezu bezauberndem Kostüm zu vertauschen.
Ein halboffener, weißer Burnus aus indischem Cachemir umhüllte in weiten Falten die volle, schlanke Gestalt. Mit elastischen Schritten eilte sie auf mich zu und ich ließ es gern geschehen, daß sie meinen Mund mit heißen Küssen bedeckte und weiter ließ ich es geschehen, daß ihre weißen, feinen Zähne sich tief in die Haut meines Halses gruben. – –
Ein intensiver Goldlack-Duft entströmte ihren Kleidern und benahm mir fast den Athem. Da ich sie mit beiden Armen fest umschlang, mochte ich sie ermuthigt haben, denn sie setzte sich auf meinen Schooß!
... Immer heißer ihre Küsse, immer heißer der Athem und da endlich kannte ihre Leidenschaft keine Grenzen mehr; rasch streifte sie den Handschuh von meiner Hand und führte diese leise in die Falten ihres Peignoirs. Ein Zittern überflog mich, dann fühlte ich die zuckende Berührung ihrer Zunge und in einem heißen Kusse fanden sich unsere Lippen.
Jetzt folgten Augenblicke nie empfundener Erregung, so daß ich, halb ohnmächtig, die Augen schließen mußte ... Da plötzlich durchzuckte mich ein blitzähnlicher Schlag – – – der Gedanke an Edita! Heiße Blutwellen stiegen mir in’s Antlitz. Das war nicht mehr Erregtheit, das war – – Schamröthe!
Wie liebe ich meine Edita und wie vertraut sie mir und ich war schwach genug ihr untreu zu werden! Keine Andere – und wäre es der Schönen Schönste – sollte mich jemals besitzen und eine Liebe mit Edita theilen, die diese allein genießen wollte! ...
Es war das erste Mal an einer anderen Frau soweit mich zu vergessen und es sollte das letzte Mal sein!
Meine ganze Willenskraft zusammenraffend, widerstand ich mit Mühe den sinnlichen Ueberredungskünsten der schönen Französin, welche mir einen noch viel größeren Genuß verhieß, wenn ich mich auskleiden und bei ihr bleiben wolle ...
Einige Minuten später befand ich mich auf dem Heimwege; meine einzige Edita befand sich zweifellos im Hause. Als ich ihren Salon betrat, fühlte ich mich von starken Blumendüften umweht; die Vorhänge waren herabgelassen und wehrten dem Eindringen des strahlenden Sonnenlichts.
Erstaunt, beunruhigt, blickte ich spähend umher; ich durchsuchte alle Zimmer: Edita fand ich nicht.
Wie das leibhafte böse Gewissen eilte ich die Terrasse hinunter in den Garten. Dort saß sie in einer Rosenlaube unter Büchern und Journalen vergraben.
Und ich erschrak.
Edita hatte ja ohne mich speisen müssen!
Was nur mußte sie von meinem langen ungerechtfertigten Ausbleiben denken!
Flüchtigen Fußes eilte ich auf sie zu und als ich ihr ernstes, schönes Haupt an mich ziehen wollte, lehnte sie sich halb abwehrend zurück. Beklommen ließ ich mich an ihrer Seite nieder.
Edita betrachtete mich still mit langen Blicken. An meinem Halse blieben sie haften und in jäher Erinnerung gedachte ich der spitzigen Zähnchen, welche sich in die Haut gegraben und, wie ich nachher entdeckte, einen feuerrothen „Kußfleck“ hinterlassen hatten.
Nach einer Zeit peinvollen Schweigens ergriff meine Freundin das Wort:
„Ich sehe, Felicita, Du hast Langeweile, ich weiß in der That nicht, wie ich länger mich Dir gegenüber verhalten soll. Ist meine Liebe für Dich auch stets stark genug gewesen, Deiner Schwäche für fremde, interessante und schöne Frauen mit Nachsicht zu begegnen, so bin ich doch zu stolz, um ruhig zusehen zu können, wie Du einer Unbekannten vor mir ostentativ den Vorzug giebst. Ich weiß ebenso genau wie Du selber, daß es nur sinnliches Begehren ist, durch welches Du Dich in den Bann dieser Pariserin hast verstricken lassen. Nun wohl, überlege Dir’s, ob Deine Handlungsweise mir gegenüber wirklich lady like war. Ich halte es für gut, wenn wir einige Zeit räumlich getrennt sind; bleibe Du bei der Comtesse – – ich bin jedenfalls entschlossen, heute noch nach meiner Heimath abzureisen. Ich überlasse Dir die Wahl: Jene oder ich!“ ...
Ich starrte, nachdem Edita ausgeredet, eine Weile wie geistesabwesend vor mich nieder.
Das also sollte das Ende sein von meinem erträumten und in Wirklichkeit bestehenden Glück.
Ja: o Liebe wie bist du so bitter,
o Liebe wie bist du so süß! – –
Ein minutenlanges Schweigen entstand. Ich schluckte die aufquellenden Thränen tapfer hinunter und war im Begriff, die Laube zu verlassen, da hielt Edita mich zurück; sie sah mich tiefernst an und deutete mit der Spitze ihres Fingers nach dem dunklen Fleck an meinem Halse.
Ich zuckte zusammen. Rasch entschlossen wollte ich ein Geständniß ablegen von dem Umfange meiner Verirrung, da hatte sie aber schon ihre knisternde Schleppe aufgenommen und in stummem Schmerze sah ich ihre hohe, edle Gestalt in dem Vestibule der Villa verschwinden.
Das Nächstliegende für mich nun war, meine gekränkte Freundin zu versöhnen und einen Brief für Comtesse Eugenie nach dem Hotel zu senden. In diesem Schreiben bat ich sie, sich meiner Sympathie versichert zu halten, die zwischen uns stattgehabte erotische Scene aber als ungeschehen zu betrachten. Ich könne und dürfe meine Freundin nicht beleidigen, denn meine Liebe gehöre ausschließlich dieser! Unter den üblichen formellen Redewendungen schloß ich. So gern ich sie ja wohl noch selbst gesprochen hätte, – meine sieghafte Liebe zu Edita ließ mich dieses Verlangen unterdrücken und überwinden – – – – – – –
– – – Der Pfiff der Locomotive mahnte zum Einsteigen und ich war glücklich, mich auf den Polstern eines Coupees an der Seite meiner angebeteten, stolzen Edita zu befinden. Ich drückte ihr nur immer wieder mit stummer Zärtlichkeit die Hand und ein namenlos frohseliges Gefühl erfüllte mich, als sie mir mit gleichem Händedruck meine Innigkeit erwiderte.
So gelangten wir durch lachende, freundliche Thäler und üppig grünende Auen, welche sich mit den vom hohen azurblauen Himmelsdom sich abzeichnenden, ehrwürdigen Gebirgshäupter malerisch abwechselten.
Wir waren wieder glücklich. Wir hatten uns ausgesprochen und uns wiedergefunden in unserer Liebe!
Endlich, nach interessanter Fahrt langten wir in Edita’s Schlosse an. Der würdige Kastellan und dessen treublickende Ehehälfte empfingen uns an der Spitze der gesammten Dienerschaft; Edita’s Repräsentantin war bereits lange vorausgeeilt und hatte mit ausgeprägtem Tact alles zum Empfange ihrer jugendlichen Gebieterin herrichten lassen.
Die Sonne versank soeben mit glührothem Schein in den glitzernden Fluthen des alten ehrwürdigen Rheins.
Unmittelbar an den Ufern desselben erhob sich, von stattlichen Höhenzügen umsäumt, ein würdevolles einfaches Schloß – eine Veste der Manen Edita’s, der letzten Trägerin ihres Namens.
Anmuthig grüßend, für Jeden ein leutseliges Wort und ein freundliches Händeschütteln dem greisen Verwalter und dessen Gefährtin, geleitete mich Edita in das von hohen Marmorsäulen getragene Portal.
Aus ihren seelenvollen Augen sprach meine stolze, süße, lichtäugige Blume vom Rhein mir einen Willkommensgruß; inniger, glückseliger, wie es Worte nicht inniger zum Ausdruck hätten bringen können. Und ich gelobte mir so recht aus tiefem Herzen heraus, ihr nie wieder eine kummervolle Stunde zu bereiten.
Ach war ich glücklich!
Ich hatte gute Nachrichten von meinem kränkelnden Vater und – am Herzen meinen versöhnten Liebling! –
Voll natürlichen Interesses hatte ich, nach beendigtem Diner mit Edita eine kurze Wanderung durch die Säle und Gemächer des Schlosses angetreten. In einem achteckigen Raum rastete sie, mich an ihre Seite ziehend, da sie auf einem in der Mitte des Gemaches sich erhebenden Rondel Platz genommen hatte.
Die Figuren und Arabesken der schweren Gobelins leuchteten in matten Lichtern durch die magische Tönung, welche eine antike Ampel von dem kostbar geschnitzten Plafond herab verbreitete.
Duftende, echt rheinische Wässer plätscherten aus zwei kleinen Fontainen auf exotisches Blättergewächs nieder; sonst war es traumhaft still.
Dicht umschlungen, saßen wir Beide, Kopf an Kopf geschmiegt, uns dem Zauber des Augenblicks überlassend. Mit einem Male schritt Edita über den Teppich bis in eine Ecke, über welcher sich eine in mattem Golde erglänzende Kuppel für künstliche Akustik wölbte. Dort stand ein entzückendes Instrument. Mit zarten, musikkundigen Händen entlockte sie demselben wundersame Präludien, die sie in süße Liebeslieder hinübergeleitete und in köstliche Accorde ausklingen ließ.
Ich hatte schon so oft den Schmelz ihres Soprans bewundert, heute aber, in dieser Stunde riß mich ihr herrlicher Gesang zu anbetungsvollem Staunen hin:
„Nun hüllt die Nacht, die lenzige Nacht
Die Welt in schweigende Wonne,
Ach sonst ergriff mein Herz noch mit Macht
Das letzte Verglühen der Sonne.
Nun geh’ ich allein, durch Fluren und Hain
Und ich denke in Liebe und Sehnsucht nur Dein:
Denn ich habe Dich einzig und ewig gern,
Du bist meine Wonne, Du bist mein Stern!
Der Frühling kommt, der Frühling vergeht,
Die süßen Lieder verklingen,
Und ob der Herbst die Blüthen verweht,
Mir soll er nicht Traurigkeit bringen;
Denn ich trage den Lenz, im Herzen die Ruh
Und das singet und klinget und blüht immerzu;
Denn ich habe Dich einzig und ewig gern,
Du bist meine Wonne, Du bist mein Stern!“
... Noch unter den Einflüssen der letzten Vorgänge in dem Strandhause leidend, war ich vor Glück und Wonne wie trunken ...
Ich ermannte mich und sprach in huldigenden Worten ein heißempfundenes Lob ihrer Kunst.
„Diese Kunst, meine Felicita“, erwiderte Edita lächelnd, „vermag wohl kaum mit der Deinigen zu wetteifern. Wohl habe ich meine ganze Seele in mein Spiel gelegt und –“ setzte sie, während wieder ein schelmisches Lächeln den süßen Mund umspielte, hinzu: „ich wollte Dich nur zu meiner Schuldnerin machen!“
„Durch die Kunst?“ fragte ich gespannt. Und, unter plötzlichem Errathen rief ich beglückt:
„Ah, ich verstehe, Du meine schöne stolze Venus von Milo!“ ...
In dieser Nacht schliefen wir Beide nicht. Das war ein seliges Wiederhaben!
Wir erriethen nicht mehr, wir fragten nicht! wir sagten uns in stillseliger Ueberzeugung, daß „wahre Frauenliebe“ des Glücks die Fülle in sich birgt.
... Wonnedurchzittert genossen wir dieses Glück! Stundenlang täglich, viele Wochen hindurch ... Erotische Liebe ist stets sinnlich; es kann anders auch nicht sein; aber diese Sinnlichkeit unter zwei schönen Frauen, die sich in aufrichtiger, tiefer Herzensneigung ergeben sind, ist so zart, so unvergleichlich beglückend, daß ich der Comtesse Eugenie gern Recht gab, als sie mir eines Tages schrieb, entgegen meiner Bitte, es zu unterlassen: „Wenn ich der süßen Augenblicke gedenke, welche ich mit Ihnen, ma belle reine, verlebt habe, so könnte ich jubeln und weinen. Jubeln darüber, daß ich das Glück mit Ihnen genossen habe und weinen, daß ich es, kaum gegrüßt, nun meiden muß.
Es ist nun einmal mein Ideal, mit einer Frau zu verkehren im innigsten, engsten Sinne. Ich bin nicht im Stande, einen Mann zu lieben, denn ich habe noch nie einen kennen gelernt, der mir jene Gefühle einzuflößen vermocht hätte, wie sie mich in der Frauenliebe beseligen. Ueber diese bin ich vor einigen Jahren von einer blendend schönen Frau unterrichtet und eingeweiht worden. Da wußte ich, da verstand ich, was schöne Erotik bedeutet, was Sinnlichkeit ist. Frauenliebe ist endlos und so beglückend, daß man sich von ihr nicht losreißen kann. Es ist ein fortwährendes Genießen! Mir ist von einer verheiratheten Freundin vor einigen Jahren versichert worden, daß sie erst dann sich glücklich nannte, als sie in die Mysterien der Frauenliebe eingeweiht worden war. Für die Zärtlichkeiten ihres Gatten war sie absolut unzugänglich; dieselben sind im Verhältniß zu denjenigen des Weibes so unzart und im Verhältnis viel weniger befriedigend ...“
Edita lächelte, als ich ihr dieses und noch vieles andere aus diesem Briefe vorlas. Wir wußten’s Beide besser, oder doch ebenso gut, als Comtesse Eugenie, nur fanden wir es unzart, dergleichen Episteln in die Welt zu senden.
– – – Noch einige ergänzende Pinselstriche und das Abbild meines königlichen Modelles war fertig. Ich habe unsagbar schöne Liebesstunden durchkostet, als ich Liebe und Kunst verbindend, in vollen Zügen genießen durfte. – Immer wärmer, immer leidenschaftlicher gestalteten sich unsere Herzensbeziehungen; unser Glück war maßlos!
Ich habe die Schönheit Edita’s nicht mehr bildlich zu idealisiren vermocht; um das zu können, müßte das Modell nicht von so vollkommener idealer Schönheit sein!
In diesem Gemälde hatten wir unserer Liebe ein Denkmal gesetzt!
Mit reichem Erntesegen belastet, kehrten Winzer und Winzerinnen von den Bergen heim. Goldene Sonnenlichter flammten auf dem rothschillernden Laube; der Schmuck des Parkes war erblichen und aufkeimende Wehmuth schlich sich mir in die Seele.
In rascher Aufeinanderfolge mahnten mich die Briefe meines bedenklich erkrankten Vaters an die Heimkehr.
Ohne einen Augenblick zu überlegen, rüstete ich zur Abreise. Edita wand mir mit eigenen Händen einen Abschiedsstrauß der letzten Astern und Reseden. Und nun redeten wir auch einmal noch von Liebe, wie einst im Mai! ...
Doch eine kleine poesievolle Rache konnte sie sich nicht versagen: eine in Purpurfarbe leuchtende Rose ließ sie sich im Treibhause für mich schneiden und, ein mir wohlbekanntes bedeutungsvolles Lächeln auf den Lippen, hielt sie mir die Blume entgegen. Als ich die Hand danach ausstreckte, sagte sie:
„Erst schön bitten! Bitte doch einmal, so wie an jenem Morgen an der Taxushecke Comtesse Eugenie bitten konnte!“ Und die Blumen hinter dem Rücken haltend, weidete sie sich an meinem Erstaunen.
„Das weißt Du auch, Schelm?“ fragte ich, hell auflachend. Aber doch konnte ich mich eines kleinen Unbehagens nicht erwehren. „Ich verbarg es vor Dir,“ fuhr ich fort, „und Dir von jener Begegnung später zu berichten, wurde mir immer peinlicher, weil eben ich es nicht sogleich gethan hatte. Und Du konntest es mir verhehlen, daß Du mich und sie beobachtetest an dem Morgen, da ich Dir Dein Lieblingslied emporsang?“ – – – Edita versprach mir, nach einiger Zeit mir nachzukommen, und unter dem fürsorglichen Geleit meiner Gesellschafterin, welche mich abzuholen gekommen war, steuerte ich der lieben Heimat entgegen.
„So lebe wohl, Du liebes Eden am Rhein! Auf Wiedersehen, Du stolze, süße, Du lichtäugige Blume vom Rhein!“ –
– – Der Zustand meines Vaters war besorgnißerregend; das Leiden steigerte sich und ich war sorgsam bemüht, ihm die letzten Tage seines hohen Alters zu verschönen.
Als er die müden Augen auf immer schloß, sanken die ersten Schneeflocken nieder auf den frischen Hügel, ihm ein weißes, stilles Leichentuch bereitend. – Wieder war es meine Edita, welche, selbst weinend, mir besorgt und theilnahmsvoll die Thränen von den Wimpern küßte. Ich dankte aufrichtig meinem Schicksal, welches mich dies treue Herz finden ließ. Sie auch war es, welche mir die Lasten aufregender Condolenzen abnahm und ihr ganzes Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, mich wieder in andere Bahnen zu lenken.
Wohl erwies sie meinem heimgegangenen Vater ebenso herzliche Pietät als ich ihm liebevolles Gedenken, aber dennoch fürchtete sie, daß mein junger Lebensmuth Schaden nehmen könne und sobald, als thunlich, strebten wir dem sonnigen Italien entgegen.
Mit Hinblick auf die traurigen Erlebnisse, war es meiner Freundin darum zu thun, daß ich mich in mein Studium vertiefen und um mit mir gleichen Schritt zu halten, war sie gesonnen, dem Studium der Musik ihre Zeit zu widmen.
In einem vornehmen Palazzo hatten wir durch die Vermittelung einer uns bekannten Familie ein ebenso standesgemäßes, als comfortables und anheimelndes Quartier gefunden und in der That gelang es uns sehr bald, unseren Wünschen und Absichten nahe zu kommen. Es bereitete mir immer herzliche Freude, wenn sie es so einzurichten wußte, mich persönlich abzuholen und wir verlebten manche idyllische Stunde in den geschmückten Gondeln auf der Laguna.
Allmälig war mein trüber Sinn einer Umstimmung gewichen. Mein Auge schwelgte in den Natur-Wundern des herrlichen Südens.
Dann kam es auch wieder über mich, leise, langsam, aber stetig: Das eigenartige, seltsame Verlangen in mir, den Anblick schöner Frauen zu genießen. –
Edita hatte mich in das richtige Fahrwasser gelenkt.
Gerade hier bot sich mir eine Quelle von Genüssen, welche ich in meiner nordischen Heimath verhältnißmäßig doch nur spärlich fand.
Doch noch wog die Liebe zu meiner Kunst das Begehren nach dem Besitze anderer Frauen in erotischem Sinne auf, denn Edita – bot mir ja Alles! –
Sie nahm und gab und wir waren vollkommen glücklich; nichtsdestoweniger erregte es fortdauernd mein Interesse, andere Frauen zu beobachten – die Frauen des high life des Südens, die – reich, unabhängig, zügellos der Erotik opfern mochten. – – Eines Tages lernten wir eine junge Aristokratin kennen, welche von der Lebewelt umschwärmt wurde, doch eine uns räthselhafte, und abweisende Zurückhaltung an den Tag legte.
In dem Hause der Marchesa lebte eine junge Deutsche von ungemein liebreizendem Wesen; diese war die Gesellschafterin, Freundin und Alles der Italienerin. Sie waren Rivalinnen ihrer beiderseitigen Schönheit; die blühende, rosige, Geist- und Lebensfreude athmende Deutsche war ebenso begehrenswerth, als die vornehme todtblasse Südländerin – fascinirend.
Diese Beiden zu beobachten, war mir, ohne eigentlich neugierig zu sein, gleichsam zur Aufgabe geworden.
Durch eine Reihe von günstigen Zufällen begleiteter Umstände traf es sich, daß durch Zuthun der jungen Deutschen, Anna v. B. sich gewissermaßen eine Réunion sehr bald bildete und gar oft war das Parquette der Marchesa der Sammelplatz eines ziemlich weit verzweigten Kreises der vornehmsten Damenwelt.
Der Verkehr unter uns gestaltete sich zu einem immer zutraulicheren.
Die genußsüchtige, in ihren Schwelgereien unersättliche, nach außen statuenhaft kalt wirkende Marchesa plante eine Soirée.
An die elegante Damenwelt, welche einer still-verschwiegenen Kategorie von „Lebefrauen“ angehörte, ergingen zahlreiche Einladungen.
Edita und mir sollte eine unglaubliche Ueberraschung vorbehalten sein.
Wir sollten einer Orgie mitbeiwohnen, wie sie auszumalen, oder sich vorzustellen, selbst die sinnlichste Phantasie nicht fähig ist.
Die Geladenen befanden sich in des Wortes eigentlichster Bedeutung „unter sich“; sie alle wußten bereits, welche Freuden ihrer harrten – pflegte doch die Marchesa von Zeit zu Zeit einen Damen-Abend zu veranstalten, an dem man einmal ungestört musiciren und plaudern kann: Das reine Lesekränzchen! ...
... Die Karossen kamen herangesaust; schmucke Gondoliere ruderten schleierverhüllte Frauen bis fast nahe an den Palazzo der Marchesa.
Diese selbst begrüßte ihre Gäste, umgeben von fürstlicher Pracht, in ihren Empfangsräumen. Die Toiletten der gesammten Damen wetteiferten an verschwenderischer Pracht und Chic miteinander.
Man war entzückt von der Liebenswürdigkeit der Gastgeberin, welche, einer Fürstin gleich, Huldigungen entgegennahm und austheilte.
Es war früher Abend geworden und in venezianischen Kronleuchtern sandten ungezählte strahlende Kerzen ihr gleißendes Licht durch Vestibül und Säle. Ein kunstvoller, überaus reichverzierter Treppenaufgang führte nach dem oberen Stockwerk.
Hier überbot ein Lichtmeer die strahlende Helle der unteren Etage.
In einer mäßig großen Bildergallerie waren die damastblinkenden Tafeln, strotzend von Silber- und anderem Geräth und Blumen, für das Souper hergerichtet. Es war ein üppiges Mahl!
Der Wein aller Gattungen erhitzte die Gemüther. Flammende Augen, glühende Wangen und eine übermüthige, mehr als lebhafte Conversation in italienischer und französischer Sprache durchschwirrte die parfümirte Luft.
Wir, Edita und ich, befanden uns zum ersten Male in dieser Gallerie. Interessirt ließ ich die Blicke über die Gemälde schweifen und entdeckte da Meisterwerke, wie man sie nur in werthvollen Sammlungen, oder in Museen findet. Auffällig nur erschienen mir unterhalb des Rahmens je ein leuchtender, silberblitzender Stern.
Nun, ich deutete mir diesen eigenthümlichen Schmuck als eine originelle Caprice der Marchesa; mir sollte der Zweck der funkelnden Sternchen bald klar werden. Ehe noch ich Edita darauf aufmerksam machen konnte, wurde die Tafel aufgehoben und ich machte von Zeit zu Zeit die Entdeckung, daß sich allmälig ein Theil der anwesenden Schönen zerstreut hatte.
Eine diesbezügliche Bemerkung meinerseits beantwortete die reizende Marchesa mit einer eigenthümlichen Geste.
„Sie sollten ja überrascht werden, Signorita“, sagte sie und ihre schneeweißen Zähne blitzten mich herausfordernd an. Dann fuhr sie fort:
„Prüde sind Sie nicht und auch nicht Ihr Liebchen! Daher sollen Sie vergnügt sein und so liebenswürdig, kleine pikante Extravaganzen hübsch verständnisvoll in den Kauf zu nehmen!“
Ich war einigermaßen verwirrt und mußte in diesem Moment unwillkürlich meiner Verführerin, der Comtesse Eugenie gedenken ...
Aus einem Pavillon, der sich in dem terrassenförmig sich abstufenden Garten befand, drang sphärenhafte liebliche Musik. –
Nach geraumer Zeit, während welcher wir, lebhaft plaudernd, die Rückkehr der Damen, die sich zurückgezogen hatten, abwarteten, lud uns die Marchesa, ihre rosige, blonde Annina, wie sie sie nannte, am Arm, mit ihrem übermüthigsten Lächeln ein, vor je einem der Gemälde Platz zu nehmen. Mittelst Druckes auf ein dort angebrachtes Sternchen machte dasselbe eine rotirende Drehung und wies nun Oeffnungen auf, welche zuvor von den ausstrahlenden Sternchen überdeckt waren.
Von natürlicher Neugier erfüllt, sah ich, gleich Edita und einigen anderen Damen, darunter die Marchesa und Annina durch die Oeffnung.
Vor meinen Blicken dehnte sich ein feenhaftes Gemach in halbkreisrunder Form aus. Es war tageshell erleuchtet. Ueppige orientalische Polster längs der Wände, in malerischer Unordnung bedeckt mit seidenen Decken, Kissen, Fächern u. s. w.
Kleine Roccocco-Tische waren überladen mit Früchten, Süßigkeiten, Wein etc.
Auf das Zeichen eines feinen Glockentones sank ein golddurchwirkter Vorhang in schweren Falten auf den Teppich nieder und mein Auge umfaßte ein mit großer künstlerischer Routine dargestelltes „lebendes Bild.“
Wie aus Marmor gehauen, standen vor uns vier schneeweiße, nackte Frauengestalten in wirkungsvoller Gruppirung graziös umschlungen, je in der einen hocherhobenen Hand einen blumengefüllten Korb haltend, und plötzlich kam Leben in diese üppigen, herrlich geformten Leiber. In langsamen, immer lebhafteren Drehungen wanden sie sich, gleich einem Kaleidoscop umeinander und von sehr hübscher Wirkung war es, als mittelst einer kunstvollen Vorrichtung ein andauernder, scheinbar nicht endenwollender Rosenregen sich über die verführerischen Sirenen ergoß.
Diese vier Statuen von angeborener und doch raffinirtester Grazie in ihrer nackten, blendenden Schönheit übten einen gewaltigen Eindruck auf uns aus.
Dieser Eindruck wurde sehr bald durch ein wahres Entsetzen verwischt, das sich meiner bemächtigte.
Während zwei in seidenen, vorn offene, langwallende Gewänder gehüllte Damen eintraten und die ersten vier Sirenen ebensolche anlegten, verschwanden die letzteren und die beiden zuletzt Gekommenen saßen in sehr vertraulichem tête à tête beieinander, als sich die Portieren theilten und zwei ritterlich gekleidete Männer eintraten. Ich sah athemlos fast nach ihnen hinüber. – – Männer! – – Schrecklich!
Der Eine von ihnen in echtem Rembrandtwamse, einen martialischen Schnurrbart in dem dunklen Antlitz, den Galanterie-Degen zur Seite, umschlang, ehe man sich dessen versah, eines der üppigen Weiber, sie auf seine Kniee ziehend. Wie es schien, ließ sich die Circe, liebeheischend, gern herbei, die Liebkosungen des Mannes zu erwidern. Den einen Arm um ihre Hüfte gelegt, in der anderen einen hohen schäumenden Pokal, – wandte er sein lachendes Gesicht nach jenem Anderen, der, ein untrüglicher „Hamlet“ vor seiner „Ophelia“ niederkniete.
Der lose Burnus war längst von ihren Knien geglitten und sein schöner, dunkler Lockenkopf drängte sich zwischen dieselben – – –
Unwillkürlich gedachte man des dritten Actes, 2. Scene, aus Shakespeares „Hamlet“: „Ein schöner Gedanke, im Schoße eines Mädchens zu liegen!“ ...
Aber diese Art Orgienfeier vor uns zu entrollen, war denn doch zu stark!
Edita stand bereits hinter meinem Sessel und als ich mich umwandte, sah ich ihr in das tieferröthete Gesicht, entrüstet über das Geschehene erhob ich mich, nicht anders vermeinend, als daß wir uns in dieser Umgebung nicht länger aufhalten durften, sondern uns sofort zurückziehen müßten.
... Im Gegentheil! Edita zog mich mit heißen Händen in eine Nische der Gallerie, drückte mich sanft in einen Sessel, küßte, da ich dekolettirt war, meinen Busen, schlich sich unter die knisternde Seide hindurch durch die Spitzenwogen ..., ihre Lippen erschlossen sich in glühendem Kusse ... Rembrandt (sein Liebchen auf dem Schoße) und Hamlet (vor Ophelia) waren zwei schöne Frauen, welche wohl wußten, daß aus den Sternen über ihren Häuptern schöne Frauenaugen liebestrunken auf sie herabblickten ...
Unsere Marchesa hatte also wieder einen neuen Triumph gefeiert, wie sie uns, das unverhüllte Sinnbild der Sinnlichkeit mittheilte. Sie war, wie sie ferner äußerte, unsagbar glücklich und selber aufgeregt darüber, daß ihre Orgien den gewünschten Zweck erreicht hatten.
„Ueber Alles: Hoch Frauenliebe!!“
Nach einigen Augenblicken befanden wir uns mitten unter allen Uebrigen, welche theils halbnackt, theils schleierverhüllt, oder in Salon-Toilette beisammen blieben, um in Scherz und Lust und Leidenschaft der Göttin Psyche zu opfern! „Diese Orgien führen auf abschüssige Bahn,“ fuhr es mir eine Secunde lang durch den Sinn, allein der nächste Augenblick bot soviel sinnbethörender Lust und sinnliche Freude, daß ich mich, gleichwie Edita, nichts mehr bedenkend, in den Strudel der Erotik stürzte ...
Diese gluthensprühenden Südländerinnen haben uns den Begriff eines italienischen Sommernachtfestes gründlich gelehrt!
Nun rauschte, von einer Kurbeldrehung durch die Marchesa und Annina selber bewerkstelligt, – (da an diesen Damen-Abenden niemals Domestiquen im oberen Stockwerk erscheinen durften,) – eine ungeheure Tapetenthür auseinander. Deckenhohe Spiegel, in denen sich die Wollust wiedersah, trauliche Nischen, ferne Musik, Diamanten, Blumen, Wein, Liebe! ... Eros hatte an dieser Stätte seine sämmtlichen Schätze verstreut! – – – –
In dem Gewoge aller dieser, jeder Phantasie durch die Wirklichkeit hohnsprechenden, raffinirten, übersinnlichen, dabei blumenhaft anmuthigen Darstellerinnen der Frauenliebe konnte man fast nicht mehr zur Besinnung kommen.
Ich trat, ein halbgefülltes Crystallglas in der Hand, in eine der Nischen und blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. Daß ich in eben dieser Nische ein Liebespärchen finden würde, wußte ich schon, aber – gerade diese Beiden?
Die größere von ihnen lag weit zurückgelehnt, in einem Divan. Der Spitzenschawl war ihr von den Schultern gesunken und ließ eine Büste sehen, zum Malen schön!
Die juwelenblitzende Rechte umfaßte mit leichtem Griff einen echten Römer ... Die Linke kraute in dem Nixenhaar ihrer dicht an sie geschmiegten Freundin Annina, welche mit ihrem Spiegelbilde koquettirte. Merkwürdigerweise hatte Annina einen kleinen Liebling: ein reizendes, goldiges Kätzchen, welches sie überall mit sich führte und auch jetzt strich ihre schneeige Hand leise, leise, wollüstig über das seidene Kätzchen in ihrem Schoß! Die Marchesa, welche dieses Gebahren sehr liebenswürdig finden mochte, neigte sich tief hernieder und küßte lange und zärtlich das Kätzchen. Nachdem die Marchesa ihrem guten Herzen ein beredtes Zeugniß ausgestellt, konnte ich nicht umhin, dem Lieblinge des Hauses gleichfalls das blonde Fellchen zu streicheln ...
Ein anderes Bild erregte, nachdem ich meine Edita herzlich abgeküßt hatte, meine theilnahmvolle Aufmerksamkeit.
Auf einem Divan, mit dem Gesicht nach unten liegend, sah man den üppigen Frauenleib einer derer, die wohl etwas unvorsichtig an den verschiedenen Honigkelchen nippte, aus denen sie süßen Rebensaft sog, die fleißige Biene!
Verwundert trat ich näher, um einer Operation Zeuge zu sein, wie ich sie in meinem Leben kaum vom Hörensagen kennen gelernt. Gefällige Frauenhände hatten nämlich einen merkwürdigen Apparat herbeigeholt, ein metallblitzendes Instrument, das, wie ich mir viel später erklären ließ, ein sogenannter Baunscheidt’scher Apparat, dazu diente, rheumatische Schmerzen zu beseitigen. Man handhabt denselben, indem man mittelst Ausziehens der eine spiralförmige Feder umschließenden Hülse die Feder spannt und durch plötzliches Loslassen des Auszugs die Feder schnellen läßt. Durch die Gewalt dieser Schnellung erscheint am Ende des Apparates ein Kopf mit zahlreichen haarscharfen Nadeln. Dieselben drücken sich in das vom Rheuma verunglimpfte Fleisch, und auf die verwundeten Stellen streicht man Baunscheidt’sches Oel und die ganze Heilungsprozedur ist damit, wie man sagt, mit großem Erfolg vollzogen. Vorsichtig, behutsam, mit ernsten Zügen auf dem pikanten Koboldgesichtchen schob sich eine der zarten Hände unter die seidene Decke, welche über der Circe Rücken gebreitet war. Behutsam und vorsichtig auch führte sie die Operation nach Baunscheidt aus ...
Mit jähem Ruck schnellte die schöne Dulderin empor; da sie jedoch eine angenehme Wohlthat empfand, verhielt sie sich dankbar und ruhig, nur das Gesicht hatte sie ein wenig aufgerichtet und betrachtete mit großem Interesse diesen Vorgang in dem Spiegel am Fußende ihrer Ottomane.
Ich glaubte zu träumen ...
Das sollte Edita auch sehen, doch war ich nicht mehr im Stande weiterzukommen; ein unbekämpfbares Lachen hatte mich ergriffen und ich mußte mich an einer Palme halten, um nicht umzusinken.
Edita?! Das ist ein Spuk meiner Phantasie! Edita – in den Armen eines Mannes?! Der Pseudo-Hamlet kniete vor ihr, sein Adonis-Haupt tief vergraben in den Falten ihres Kleides.
Lächelnd hatte sich Edita weit zurückgelehnt; ihre weißen Hände krauten in seinen kurzgeschnittenen Locken. Da richtete er sein freudestrahlendes Antlitz empor und flüsterte verführerische Worte. Edita’s übermüthiges silbernes Lachen erklang – sie neigte das schöne Haupt über ihn ... ihre Lippen berührten die seinen, während seine Arme ihre Gestalt umfingen und sie fest an sich zogen.
Das war zuviel für mich. Ich befand mich hinter einer Draperie und konnte so alles beobachten, ohne selbst gesehen zu werden; wohl war es meine Absicht, auf meinem Beobachtungsposten zu verharren, weil eben ich wahrnehmen wollte, wie eigentlich Edita’s Haltung gegenüber solchem stürmischen Liebeswerben sein würde.
So eifersüchtig, wie ich in diesem Momente war, konnte selbst ein Othello nicht sein!
Das war wirkliches Leid, welches ich in meinem Herzen empfand ...
Stimmung und Wein hatten das ihrige gethan und ich fühlte einen Zorn in mir auflodern, daß ich nicht länger an mich halten konnte und mit wenigen Schritten vor ihnen stand.
Wenn man hätte glauben sollen, daß Edita vor meinem Anblick erschrecken oder betreten sein würde, so hätte man sich eben getäuscht. Ihre Wimpern senkten sich auf die glühenden Wangen; thuend, als ob sie mich noch nicht bemerke, umfaßten ihre beiden Hände das Antlitz des schönen Verführers und Kuß um Kuß preßte sie auf Stirn und Mund und Augen ...
Ich war meiner wirklich kaum mehr mächtig; meine reizende Desdemona sündigte ja gegen unsere Liebe mit einer Routine, welche ich ihr wirklich nicht zugemuthet hätte.
Natürlich hatte die flammensprühende Italienerin – ein wahrer Don Juan – keine Ahnung von meiner Anwesenheit, da die Töne des fernen Orchesters das Geräusch meiner Schritte dämpften.
Und als ich nun sehen mußte, wie er, ermutigt durch die unerwartete Gunstbezeugung Edita’s – nicht mißzuverstehende Versuche machte, seiner Verliebtheit Ausdruck zu geben, wie vor Stunden bei seiner Ophelia, – da war ich im Nu hinter Edita getreten, umfaßte rasch ihre Taille und zog sie von ihrem Sitze empor, so daß Hamlet einen gelinden Ruck erhielt und rittlings auf den Teppich sank. Edita brach in laute Heiterkeit aus.
Ich sah ihr vorwurfsvoll in die Augen.
„O Edita!“
Sie aber umschlang meinen Hals und ... o wundersames Erinnern! ... sie biß ihre kleinen Zähne in die Haut desselben. Halb versöhnt, konnte ich dennoch nicht umhin, ihr den Kummer zu schildern, den sie mir soeben bereitet hatte. –
Während dessen hatte der Pseudoprinz sich in lustigster Stimmung von seinem umgewandelten Lager erhoben und da er unsere deutsche Unterhaltung nicht verstand, sondern nur sah, daß Edita mich liebkoste, so legte er ganz einfach seine beiden Hände auf je eine unserer Achseln und sich in schwingende Tanzbewegung setzend, erklang seine sanfte, einschmeichelnde Stimme:
„Vien, Edita, sii la mia,
Perchè fáre la spregiosa
Vien’ da me e pace sia;
Ti aspetto dolce rosa
Lascia Felicita parlare
E vien’ per givia e bacciare;
Non senti tu nel cuore
Che non conosco altro amore?“
Und wiederum war es der Einfluß unserer Stimmung, daß ich, sofort gänzlich versöhnt, den allerliebsten Prinzen umarmte und ihm, natürlich ohne Gegenwehr! – einen herzhaften Kuß gab.
Umso schneller war ich friedlich gesinnt, als da Edita mir noch erzählt hatte, daß sie mich absichtlich aufreizen wollte, um mir den Beweis zu liefern, wie wehe Eifersucht thut! Nun war ich glücklich, daß die ganze Liebesscene seitens Edita’s nur Schein war ...
... Heute aber denke ich noch mit ungeschmälerter Freude an dieses verlebte Fest zurück. ... Mochte es eine Orgie gewesen sein, mochte Uebertreibung und Uebersinnlichkeit mitgewirkt und die Flammengluthen der heißen Herzen noch glühender entfacht haben – – ich mache mir keinen Vorwurf daraus, daß wir dort gewesen! ...
Der Hauch des Uebersinnlichen hat den Schmelz von meiner schönen Blume vom Rhein nicht abzustreifen vermocht! und das ist mir die Hauptsache! und auch der Reinheit meiner Empfindungen Abbruch zu thun, waren die Erlebnisse jener italienischen Sommernacht nicht im Stande!
Ich habe es ja betont, daß ich eine Verehrerin der Frauenliebe bin und deshalb dürfte Niemand den Stab über mich brechen, wenn ich das Thun und Lassen der Vertreterinnen eben dieser Liebe, auf Grund meiner eigenen Neigungen entschuldige und in manchen Fällen sogar idealisire. Freilich hat sich auch hier und da unter dem Deckmantel der Freundschaft die Erotik eingeschlichen und doch lediglich aus Motiven, welche ebenso verwerflich als verächtlich sind und, wenn diese sich auf materielle Absichten stützen, geradezu abscheuerregend sind. – – – – – – –
* * *
– – So dampften wir denn nach feierlichem Abschied von allen denen, welche wir dort kennen gelernt und von denen uns so überaus viel Gastfreundschaft und Auszeichnung erwiesen worden war, der nordischen Heimath entgegen. Wir unterbrachen die Reise nur, um uns noch einen letzten langen Blick zu vergönnen auf Tyrols herbstesschönen Bergen.
Wir rasteten in einem zwischen großstädtischem Comfort und ländlicher Unzulänglichkeit schwankenden Gasthause. – Neben den südlichen Naturwundern weitete sich hier wieder der Blick, kräftigte sich die ganze unter den erlebten Aufregungen gelittene Constitution. Wie würzig, stärkend, wirkte die Luft droben auf den im Sonnengolde erglühenden Höhen!
Recht ermüdet kehrten wir Abends in das Hôtel zurück. In dem Speisezimmer, in welchem wir unsere Abendmahlzeit einzunehmen beschlossen hatten, nahmen wir an einer kleinen Tafel Platz. Außer uns befanden sich dort noch zwei andere Damen, Beide in ausgesucht einfachen, wohl aber eleganten Reisekostümen und Beide sahen zuerst unausgesetzt zu uns herüber. Das erregte schließlich unsere Aufmerksamkeit und ich konnte es mir nicht versagen, der einen von ihnen einen ermunternden Blick zuzuwerfen.
Es war eine Dame von etwa dreißig Jahren. Bewundernd sah ich in ausdrucksvolle, stahlblaue Augen, umsäumt von langen, tiefdunkeln Wimpern. Unter einer etwas gebogenen Nase wölbten sich rothe, Sinnlichkeit verrathende Lippen. Das reiche, aschblonde Haar war zu einem griechischen Knoten verschlungen. Eine hohe Gestalt, schlanke Formen und auffallend schöne, schmale Hände.
Ich hätte wohl wissen mögen, wer sie war! –
Lebhafte Gesticulationen und das brennende Carmin auf den Wangen verriethen mir eine erregte Unterhaltung mit ihrem behäbigen Gegenüber.
Die etwas übervolle Figur und das anscheinende Phlegma ließen nicht darauf schließen, daß hier in Leib und Seele Leidenschaften tobten, welche zu bändigen, die interessante Aschblonde offenbar berufen war.
Jedenfalls war mir die erheblich ältere Frau entschieden nicht angenehm!
Ihren Blick, in dem verhaltenes Feuer glomm, hielt sie entzückt auf ihr vis-à-vis gerichtet und wie mit Argus-Augen beobachtete sie jegliche Bewegung.
Edita verhielt sich, wie immer bei solchen Anlässen, in ihrer vornehmen Reserve, aus welcher sie Fremden gegenüber selten – und dann nur auf mein Zuthun heraustrat; sie bekundete ja überhaupt auch im Allgemeinen weit weniger Interesse für Frauen als ich. –
Auf meine Frage; ob es ihr nicht unangenehm wäre, wenn wir die Bekanntschaft der beiden Damen machten, entgegnete sie freundlich, daß wir immer noch ein Stündchen verweilen könnten.
Dem eintretenden Garçon, welcher mit devoter Verbeugung die Tischkarten vor uns niederlegte, gab ich sofort Befehl, mir möglichst unauffällig die Fremdenliste zu überbringen.
Bitzschnell, unter einem Journal verborgen, überreichte er sie mir. Die beiden Damen gehörten zwei ganz verschiedenen Kreisen an; die Aeltere von ihnen war die Gattin eines Großindustriellen; ihre Gefährtin eine, dem Namen nach uns bekannte Sängerin an einer Hofoper.
Beide hatten bereits seit geraumer Zeit Aufenthalt in Tyrol genommen.
So orientirt, beschloß ich augenblicklich, die Damen durch den Kellner bitten zu lassen, eventuell an unserem Tische das Abendessen mit uns einzunehmen, – wußte ich doch zu genau, daß die Jüngere derselben einen ebensolchen Wunsch hegte.
Alsbald erhoben sich die Damen und in rascher Verständigung, wie das bei dergleichen Gelegenheiten nur immer geschehen kann, ließen wir bald die Gläser an einander klingen.
Merkwürdig, wie doch das Traubenblut die Zungen löst! Menschen, die sonst im gesellschaftlichen Leben achtlos, gleichgültig aneinander vorübergehen, werden zutraulich und mittheilsam, sobald sie auf Reisen Landsleuten begegnen.
Wir unterhielten uns ganz vortrefflich.
Die stattliche Fabrikherrnfrau war ebenso drastisch und humorvoll, als die interessante Sängerin geistreich und prickelnd. Erstere schien also doch angenehmer zu sein, als ich beim ersten Eindrucke annahm.
Wir verabredeten, den nächsten Tag gemeinsam in den Bergen zu verleben; den darauffolgenden Tag hatten wir unsere Reise fortzusetzen beschlossen.
Als wir Abends von unserer Parthie heimgelangten, schritten wir und die beiden Damen die Treppen empor. Wir hatten in der oberen Etage unsere Zimmer inne, welche an die der beiden anderen Damen grenzten und nur durch eine einfache Thür von einander getrennt waren. Edita und ich hatten uns bereits zur Ruhe begeben, doch konnten wir Beide nicht einschlafen, da ein auffälliges Geräusch zu uns hereindrang: Wispern, Flüstern, Kosen, Seufzen, übermüthiges Lachen – laute Ausrufe – – zweifellos eine Liebes-Scene!
Ungeduldig nahte ich mich der Thür und lauschte.
Ich erkannte die Stimme der Sängerin und hörte unter Anderem deutlich den Ausruf:
„O Du unersättliche Liebe!
O Du lesbische Liebe!“
... Die beiden Frauen haben ohne Zweifel verbotenen Genüssen gehuldigt, welche ein ästhetisches Weib verschmähen würde, selbst wenn schon sie eine warme Fürsprecherin erotischer Liebe wäre.
– Nach diesem Erlebniß wäre es uns, Edita und mir nicht möglich gewesen, uns in irgend welche Extase zu versetzen!
Meines oftmals erwähnten Interesses für derartige Frauen läßt es natürlich erscheinen, daß ich, obschon Edita sich bereits zurückgezogen hatte, immer noch lauschend verharrte. Es ist mir nämlich zu meinem Schreck klar geworden, daß die Sängerin für ihre Liebesdienste goldene Aequivalente erhalten!
* * *
Es beschlich mich nun doch einigermaßen wehmutsvoll, als ich in meinem Heim, welches ich mit meinem guten Vater soviele Jahre getheilt hatte, eintrat.
Selbstverständlich war uns ein würdiger und freundlicher Empfang bereitet worden.
Jetzt war etwas wie Ernüchterung über uns gekommen. Edita war nun meine Hausgenossin geworden und wir widmeten uns mit einem gewissen Feuereifer der Kunst, deren Schätze wir uns an ihrem Altare gesammelt hatten.
Bild um Bild gedieh unter meinem Pinsel; mein Name als Künstlerin hatte bereits einen guten Klang.
Schülerinnen schaarten sich um mich; mir war es ein beglückendes Bewußtsein, im Stande zu sein, weiterzugeben, was ich empfangen hatte!
Einige wenige derselben erkor ich mir zu meinen Lieblingen. Eigenthümlicherweise waren meine jungen Kunstnovizen ausnahmslos schön. Merkwürdig ...
Es liegt ein Räthsel in meiner Seele verborgen ...
Ohne mir auch nur etwas dabei zu denken, würde ich selbst eine Zofe nicht um mich dulden, wenn sie nicht zierlich und hübsch wäre. – Daß meine heißgeliebte Edita sich ihrer göttlichen Musica zuwandte und während der ganzen Zeit, da ich meiner Malkunst oblag, mir fern blieb, darf sehr dafür sprechen, wie so sehr ernst wir Beide es mit unserer Kunst nahmen. Wir hatten Tags über nicht Zeit zum Tändeln ...
* * *
Eines Tages kam sie zu uns und in ihrer Begleitung Anna von B. Das war wirklich ein freudiges Wiedersehen!
Die Erinnerung an die märchenhafte Lagunenstadt war freilich gewissermaßen verblaßt, aber sie lebte dennoch in uns fort ...
Wie nur ist es möglich, daß ein Weib, allerdings noch in der Blüthe der Jahre, sich so überaus jung und schön zu erhalten vermag?
Annina und die Marchesa waren das Sinnbild von Jugend und Schönheit; an ihnen hinterließ die Zeit nicht die geringste Spur.
Es begann nun für uns wieder die Zeit der Jagd nach Vergnügungen. Unsere schöne Marchesa war in jeder Hinsicht schwer zufrieden zu stellen.
Annina bezeigte eine bewunderungswürdige Anhänglichkeit für dieselbe und erfreute es mich auch, wie sie stundenlang, ohne Unterbrechung, in deren Boudoir verweilen konnte ...
Frisch wie der junge Morgen, die Elasticität der Jugend bei jeder Bewegung, in froher Stimmung, wie von innerem Glücke getragen, kamen sie uns täglich in der Frühe entgegen, wenn Edita und ich von unserer Morgenpromenade zurückkamen.
Als ich eines Tages mit Annina allein im Salon war, wußte ich unserer Conversation eine Wendung zu geben, welche sich auf ihr blühendes Aussehen und auf dasjenige der Marchesa ebenso fascinirend, als ätherisch, – sich bezog.
Das sei ganz einfach, antwortete die Kleine.
„Sie wissen,“ meinte sie weiter, „daß wir ein sehr geräuschvolles Leben führen, daß unsere Vergnügungen eine Kette von Aufregungen nach sich ziehen und da sind wir beide doppelt um unsere Gesundheit und Frische besorgt. Sehr viel muß die Kosmetik aushelfen. Eine naturgemäße Diätetik, die Pflege des gesammten Verjüngungs-Prozesses des Organismus. Uns ist vor langer Zeit ein Werk von „Reclam“, das ich übersetzt habe, zugegangen. Es behandelt Pflege der Gesundheit und Schönheit des Weibes. Lassen Sie sich dieses Werk kommen, wenn Sie zu erfahren wünschen, „wie“ wir die Körperpflege handhaben.
Bäder, Douchen, Massage, namentlich das behutsame, aber regelmäßige Massiren des Gesichtes. Selbstverständlich ist die Cultur der Haut, Haare, Nägel und Zähne zu beobachten“. – –
„Sie verschmähen aber nicht“, wandte ich belustigt ein, auch noch andere, sogenannte kosmetische Mittel anzuwenden, nicht wahr?
„Nun ja“, gab Fräulein von B. zu, „wir benutzen alle diese Sachen und beziehen dieselben lediglich aus Paris, woselbst sie unbestreitbar auf der Höhe der Vollkommenheit stehen! Jedoch muß man diese Schönheitsmittel mit großer Vorsicht und in sehr geringen Mengen anwenden, da das Verfahren sonst leicht erkennbar ist und der Eindruck der Schönheit sofort verwischt ist.“ –
... Nun, wenigstens waren die Marchesa und ihre Annina doch keine Phänomen; sie machen es also um nichts anders, als die meisten Lebefrauen! – – – – – – – – – – – –
* * *
... Wie von einem Druck befreit, athmeten Edita und ich auf, da uns eines Tages nach langer Unentschiedenheit die Nachricht zuging, daß ein seit langer Zeit geplantes Fest, dessen Comitée und Mitglieder sich ausschließlich aus Damen – selbstverständlich Damen vornehmer Kreise – bestand, endlich stattfinden solle. Das war der Marchesa willkommen! – lechzte sie doch danach, ein derartiges Fest bei uns kennen zu lernen; wir haben natürlich beschlossen, der uns zugegangenen Einladung Folge zu geben und – was die Phantasie eines originellen Kleiderkünstlers zu leisten vermochte, waren wahre Meisterwerke!
Ich hatte ja so oft schon Gelegenheit gehabt, in unserer Sphäre allerlei großartigen und minder-großartigen Kostümfesten mitbeizuwohnen, allein ich war beinahe bestürzt von dem Glanz und der entfalteten Pracht! Fast an Uebermaß grenzend, waren alle Möglichkeiten erschöpft worden, um den Besucherinnen – es waren einige tausend Damen erschienen – ungeahnte Ueberraschungen zu bereiten, die Extravaganzen und überschwenglichsten Ansprüche zu übertreffen.
Wer eine solche Festivität noch nicht mitgemacht hat, kann sich auch den Umfang einer solchen nur schwer veranschaulichen!
Das ist ein Glänzen, ein Wogen, ein Lichtmeer, ein Rauschen und Brausen, daß es Einem schwül werden kann. Und das Ganze getragen von Grazie und Anmuth, Kunst, Reichthum ... Welch’ ein Anblick!
Balltoiletten, Charakter- und Phantasie-Kostüme, oeillades fascinées, die unter den Sammet- und Seidenlarven hervorleuchten, haben etwas unsägliches Verführerisches an sich; sie bergen einen unendlichen Reiz in sich!
Die Frauen der Aristokratie, die berühmtesten Koriphäen der Kunst und jugendliche Novizen derselben – sie Alle waren herbeigekommen von fern und nah, um sich zu einer Feier zu vereinigen, die würdig war, in den Annalen der Göttin Terpsichore verzeichnet zu werden.
Künstlerische Aufführungen, wohleinstudirt, wechselten programmäßig ab mit Tanz und überaus ungezwungener Unterhaltung.
Es machte mir großes Vergnügen, die Marchesa und ihre allerliebste Annina zu beobachten. Erstere blickte mit ernsten bewundernden Augen aus der Loge herab auf das sprühende Leben und Treiben, das sich durch mehrere, unabsehbare Säle ergoß.
Sie mochte wohl eine größere Ungebundenheit erwartet haben, – nicht dieses harmlos-heitere, durch und durch vornehme Frohsein, welches sich im reinsten Sinne aufgebaut hatte: „Noblesse oblige!“ Ganz in des Wortes reinster Bedeutung!
– In begüterten Häusern und in fürstlichen Palästen kann eine ähnliche und auch ebensolche Fülle von Glanz und Pracht entfaltet werden, nimmermehr aber habe ich die Wahrnehmung gemacht, daß eine so liebenswürdige Einigkeit und edle Collegialität anderswo ebenso zum Ausdruck kommen kann, als hier an dieser Stätte.
Unwillkürlich mußte ich einer südlichen Ballfeier gedenken, die (freilich en miniature) auch den Stempel des höchsten Luxus aufwies – auch ein Fest ohne Herren. – Doch welche tolle Lust äußerte sich da – welches Feuer lohte empor aus den erhitzten Gemüthern – welches Uebertreiben.
Hier, das war eine echte, rechte, reine Heimstätte des Frohsinns Gleichgesinnter.
Ob Alles dies der Marchesa behagte, kann ich nicht ermessen – imponirt hat ihr das Fest auf jeden Fall.
Edita und ich tauschten ein Lächeln des Einverständnisses aus, als wir die Marchesa bei der Tafel mit der vollendeten Haltung einer Edelfrau dem Entgegenkommen begegnen sahen, welches man ihr und Fräulein v. B. erwies. Sie war wieder ganz die stolze unnahbare Marmorstatue.
Sie conversirte ebenso selbstbewußt mit den Vertreterinnen hoher Adelsgeschlechter, als in ruhiger Heiterkeit mit den Jüngerinnen der schönen Künste und des Wissens und manch’ lieblicher, phantastischer kleiner Engel lauschte entzückt der melodischen Stimme mit dem fremdländischen Accent.
Wie mir in einer Tanzpause die Marchesa versicherte, hätte sie sich nimmer zuvor Vorstellung davon machen können, daß ein wirkliches Ballfest dieser Art, absolut nur aus Damen bestehend, in dieser unvergleichlichen und wohl auch allein dastehenden Form in’s Leben gerufen und ausgeführt werden könne.
Was eigentlich sie erhofft hatte, errieth ich; ich entsann mich ihres ungläubigen Lächelns, als Edita ihr vorher über den Character des Costümfestes berichtete, denn sie meinte nicht anders, als daß wir ein Pendent für ihre Orgien in Bereitschaft hielten, um auch sie und Annina damit zu überraschen. Trotz unserer Versicherung, daß ein Ball dieser Art, nur aus Mitgliedern von Damen bestehend, eine durch und durch reine, über jeden Verdacht erhabene Veranstaltung sei, hatte sie sich dennoch eine ganz irrige Meinung gebildet. Die Marchesa verwechselte ein Fest dieser Richtung mit einer sogenannten Soirée, welche sich die Messalinen der Großstadt zu arrangiren pflegen.
Eine solche Soirée hier mitzuerleben, war ihr größter Wunsch.
Und wirklich, selbst heute nahm sie mir das Versprechen ab, ihr Gelegenheit zu verschaffen, die Priesterinnen der paphischen Haine genau zu beobachten.
Nur um dieser heiklen Wendung unserer Conversation zu entgehen, gab ich lachend zu. In dieser Umgebung mußte ein solches Gespräch vermieden werden. Um mein Incognito war es längst vor der Demascirung geschehen und da hatte es Edita und mir freudige Genugthuung gewährt, daß man der schönen Südländerin ein herzliches Willkommen bot, wenn auch nicht so überschwenglich, wie wir es dort erlebten, so doch reiner – feiner! –
Annina bemerkte, daß die Marchesa das Interesse eines reizenden, edlen Ritters erregt hatte, mit dem sie Arm in Arm lustwandelte – und nun wirbelte auch sie dahin durch die Reihen der Tanzenden, fortwährend von lieblichen Pagen oder spanischen Granden gern im Arm gehalten. Großes Vergnügen schien es ihr zu bereiten, als ihr von einem jugendlichen hübschen Türken, welcher ein ganzes Gefolge verschleierter Haremsdamen hinter sich hatte, der Antrag gemacht wurde, seine kleine „Favoritin“ zu werden; – – allerliebster Zufall! daß Annina von fast allen ihren Bekannten die „Favoritin“ der Marchesa genannt wurde.
Der sündige Muselmann hatte sich die Aufgabe gestellt, allen Koranssprüchen zu Trotz, sich und seinen kleinen Weibern Wein in Mengen einzuschenken. Unser schmucker Türke war eine Bildhauerin von Ruf, welche in Rom ihre Studienzeit verlebt hatte und da auch Annina seit einer Reihe von Jahren in Italien lebte, so fanden sich die Beiden um so schneller in lebhafter Unterhaltung.
In dieser Nacht war Annina thatsächlich die Favoritin des weitherzigen Türken geworden.
Aber auch die Marchesa konnte ihrem Gelüste nicht widerstehen, ihrem Ritter ohne Furcht und Tadel den hübschen Kopf zu verdrehen ...
Einigermaßen erstaunt zeigte sich die Marchesa, da sie immer und immer wieder bemerkte, wie so sehr viel man sie in „ihrer“ Landessprache anredete.
Selten hatte sie vernommen, daß ihre Standesgenossen einen Deutschen in dessen Muttersprache anzureden im Stande waren ... Die Marchesa ließ mich nicht frei und so habe ich es denn nach einiger Mühe wirklich ermöglicht, daß wir Zwei, die Marchesa und ich, unauffällig gegen den obligaten Obolus Einlaß erhielten, in den Saal eines der großartigsten Etablissements der Residenz – heute der Sammelpunkt einer stark gemischten Gesellschaft. Herren jeden Standes, jeden Alters, vom vornehmsten, blasirten Cavalier herab bis zum wagehalsigen Commis – waren in stattlicher Anzahl vertreten. Hagere, mühsam durch künstliche Nachhilfe einigermaßen normal gerundete, verlebte, megärenhafte Weiber mit unglaublichen Frisuren und noch mehr unglaublich geschminkten Gesichtern: die Repräsentantinnen der Choristen- und Statistenwelt, dazwischen niedliche, hübsche, oft sogar intelligente und schöne Mädchen. Doch nein, nicht schöne! Der Ausdruck des Gemeinen und der schlauen Berechnung und der Stempel ihrer Laster sind gar zu intensiv ausgeprägt; – ausnahmslos aber trugen sie Alle sehr geschmackvolle Kleider und ausnahmslos waren Alle so tief dekolettirt, als überhaupt nur der Stoff zugab. In mir erregten diese Hetären, welche sich berufen fühlen, als Priesterinnen der Schande in den Tempel der Demimonde der Astarte zu opfern – tiefen Abscheu.
„Bedauern? diese Geschöpfe, Marchesa?“ war eine erstaunte Gegenfrage, als diese ihrem Mitleid für dieselben Worte verliehen hatte. „Nein,“ fuhr ich fort, „diese öffentlichen Weiber verdienen kein Mitleid, denn sie sind unersättlich, gierig und roh und zumeist nur daraufhin geschult, nach Möglichkeit zu plündern und, wo sie ihre Opfer finden, zu berauben. Ihre Leiber sind giftdurchgohren, ihr Verstand arbeitet nur, um auszuklügeln, wie noch mehr schamlos sie reizender sein können und wie noch raffinirter es anzustellen sei, ihre Opfer zu umgarnen und dann, Vampyren gleich, sie auszusaugen, sie zu ruiniren – finanziell, geistig, körperlich. Doch jetzt nur keine philosophischen Erörterungen!“ brach ich jäh ab; – „sehen Sie, Marchesa, jene biegsame, volle Gestalt, dort drüben, auf dem Knie des blonden Riesen? Er ist entschieden ein Landjunker – und sie? Es ist noch garnicht lange her, da erhielt ich ein Anerbieten aus geübter Feder, daß eine Dame, die Tochter eines hohen verstorbenen Juristen, mir ihren schönen Kopf zum Modell zu überlassen geneigt sei. Sie war auch in der That erschienen, als ich ihr geantwortet. Sie ist, wie Sie sehen, von großer Schönheit; sie hat gute Schule genossen und man glaubt, eine wirkliche Dame vor sich zu haben und doch ist sie eine niedere Kreatur, die nicht werth ist, auch nur im Geringsten bedauert zu werden! Ich werde Ihnen später mehr von ihr erzählen.“
Die Marchesa, welche sich einer weißen Perücke bedient hatte, lehnte sich in ihren Sessel zurück und lognettirte eifrig nach jener schönen Blondine, welche, das Glas in der Hand, ihrem splendiden Cavalier unaufhörlich zutrank, während er nicht müde wurde, ihr augenblicklich den perlenden Sekt einzuschenken, sobald sie ihr Glas geleert. – –
Ich selbst steckte im schwarzen Herrenanzug, den ich mir für diesen Zweck eigens beschaffen ließ.
Unsere Loge war zwar in tiefes Dunkel gehüllt und die Thür verschlossen, so daß Niemand zu uns eintreten konnte und dennoch zitterte ich bei dem Gedanken, daß es entdeckt werden könne, daß ich hier, in diesem Baals-Tempel gewesen.
Edita hatte sich auf keinen Fall bewegen lassen, sich uns anzuschließen, ihr leistete Annina Gesellschaft und im Stillen grollte ich der Marchesa, daß sie mich zu veranlassen gewußt hatte, mit ihr zu gehen. Bedurfte diese denn wirklich solcher schrecklichen Reizmittel, um ihre Phantasie zu beschäftigen?!
Das Orchester ließ hüpfende Tanzweisen erklingen; die Paare drehten sich und ich konnte mir nicht verhehlen, daß die „Damen“ beim Tanz sich durch ungeahnte Anmuth und Grazie auszeichneten.
Dazwischen saßen Pärchen – selten zu Dreien – in Eckplätzchen, in Nischen und Logen und Scherz und Lachen ertönte wirr durcheinander. Sie wisperten und raunten frivole Worte einander zu und man gewann den Eindruck, als ob den „Männern der Hof“ gemacht würde.
Faunischlächelnde Glatzköpfe von ungeheurer Beleibtheit mit dicken Goldketten und fetten Fingern, erfreuten sich ebensolcher zärtlichen Anhänglichkeit der Hetären, als die vornehmen Sprossen des Adels und der oberen Zehntausend und dort jener greisenhafte Gigerl mit der noch bartlosen Oberlippe und der kahlen Stirn, mit den eingesunkenen Augen und den knöchernen Händen, genießt ob seiner gefüllten Börse, genau so hohes Ansehen, als wäre er ein Adonis! Er ist von vier, fünf Messalinen umringt. Sie schmeicheln ihm in einer empörenden Weise und er – – läßt sich’s gern gefallen. Der Wein auf seinem Tische fließt in Strömen und Veuve Cliquot’s Nectartrank genießt überreiche Anerkennung. Die schmale Brust des Gecken hebt und senkt sich mühsam unter der tadellosen, diamantengeschmückten Wäsche. In seinen Augen flackern fahle Lichter; er spricht nichts mehr. Flasche um Flasche schleppt der Kellner heran, reichlicher Trinkgelder gewiß. Die Heroinen des Bacchus leisten Wunder. Ihre Kehlen sind offenbar verdorrt, ihr Durst ist endlos! Immer wieder trinken sie ihrem todtbleichen Ritter zu; dieser stürzt, ein mattes Kopfnicken als „Prosit“ in nervöser Hast Glas um Glas hinunter ... Ob er es wohl wußte, daß er Freund Hein ein letztes „Schmollis“ zutrank. Sein Haupt sank schwer nach hinten zurück; er röchelte laut.
Ein Wink. Einige dienstbare Geister führten die armselige Karrikatur aus dem Saale ... ob dem Tode geweiht, oder nur eines Reagenzmittels bedürftig – wer weiß es? Die also in ihrem Bacchanal gestörten Hetären zerstreuten sich in alle vier Ecken, von Neuem Jagd machend ... Und das sind Frauen! Das die verkörperte Weiblichkeit ... unsere Geschlechtsgenossinnen! ...
Ich hatte es satt, mir noch mehrere dieser Bilder vorführen zu lassen.
Die Marchesa folgte mir nach einigem Zögern und ich athmete hoch auf, als ich endlich in einem geschlossenen Wagen mich geborgen fühlte ...
Am nächsten Morgen besuchte mich die Marchesa in meinem Atelier. Sie wußte, daß ich in meinen Arbeitsstunden nicht gern Besuch empfange; es mußte daher doch nur brennende Neugier sein, die sie zu mir und zu so ungewöhnlicher Stunde führte. Ihre erste Frage galt denn auch der schönen Messaline von heute Nacht. Wie sie heißt, wo sie wohne, ob allein u. s. w.
Ich blickte erstaunt von meiner Arbeit auf.
„Sie müssen nämlich wissen, Felicita,“ beeilte sich die Marchesa zu sagen, „daß ich ein tiefes Interesse für dieses Mädchen in mir fühle. Denken Sie doch, die Tochter eines hohen Beamten, gebildet, schön, von guter Erziehung und dann – hier im Begriff, schmachvoll unterzugehen in Schlamm und Sünden! Wenn wir Frauen,“ fuhr sie mit erhobener Stimme fort, „es nicht sind, die diesen armen Gefallenen die Hand reichen, sie aus dem Sumpfe zu ziehen – wer sonst würde es thun?“
Als sie schwieg, sagte ich ernst:
„An Ihrem guten Herzen und Willen zweifle ich nicht, wohl aber daran, daß Sie ein gutes Werk thun, vielmehr, daß es Ihnen gelingen dürfte. Meinen Sie, dieses Mädchen der Halbwelt würde es Ihnen danken, wenn Sie sie der Sünde entreißen? So wenig, als viele Tausende ihrer Schwestern. Diese alle haben ein krankhaftes Sichzurückziehen in die Sphäre des Wohllebens und des – Lasters. Ich habe gehört, daß mancher brave, edle Mann moralisch und physisch zu Grunde gegangen ist, weil er an sein Herz und an seinen häuslichen Heerd einen Engel nahm, aber einen – gefallenen Engel!
Eine Zeitlang mag es gehen, aber dann bricht der Charakter der Messaline sich Bahn, kein Hinderniß scheuend. Ist der Mann stark, dann löst er bald die Bande von seiner Phryne, doch zumeist sind es Schwächlinge, die zu feige sind, öffentliches Aergerniß zu erregen, oder sich von alten Gewohnheiten loszureißen. Eine solche Ehe ist entsetzlich. Der Mann verliert selber seine Gesittung und verfällt zuletzt irgend einem Laster, während die Hetäre in Saus und Braus lebt – zuweilen aber auch im Zucht-, Arbeits- oder Krankenhause endet. So. Im Uebrigen werde ich Ihnen ihre Adresse sagen; ich muß erst meine Listen durchsehen!“
„Aber“, wandte die Marchesa kleinlaut ein: „Sie versprachen mir doch, von dieser Person Näheres zu erzählen. Weshalb nannten Sie sie gestern denn eine niedere, unwürdige Kreatur?“
„Das ist schnell dargethan“, erwiderte ich kurz, denn es war mir unangenehm, daß die Marchesa ein so ungewöhnliches Interesse bekundete für eine Dirne, die sie aber „Studien halber“ für zweckentsprechend halten mochte.
„Corni, ja – so hieß sie; es fällt mir so eben ein, erschien mir allen Ernstes passend als Modell für die Darstellerin der „Danaë“. Es wurde mir alsbald klar, daß Corni von der gesellschaftlichen Stufe längst herabgesunken sei und sie kein Anrecht mehr auf die Achtung einer Dame unserer Kreise erheben durfte. Diese Person hat mir allerdings zweimal als Modell gedient; ein drittes Mal durfte sie nicht mehr kommen. Der Sachverhalt ist kurz folgender: Sie hatte, nachdem sie aus der Stunde entlassen war, der jungen Baronesse Lydia – sie kennen Sie ja auch, – im Treppenhause aufgelauert und die Baronesse zu bestimmen gewußt, sie mit in ihren Wagen zu nehmen, welcher vor dem Hause wartete. Hier hat sie die tollsten und häßlichsten Dinge über mich, über sie in ihrer Eigenschaft als mein Modell zur „Danaë“ und last not least – über ihr Messalinenthum erzählt. Sie hat es, da die junge Dame starr vor Verwirrung und Schreck, stumm zuhörte, sogar gewagt, sie zu küssen und sich an der keuschen Unschuld zu vergreifen und da Lydia außer sich vor Empörung und Scham, drohte, dem Kutscher ein Zeichen zum Halten zu geben, that Corni es an ihrer Stelle, um dann behende – und ohne des Lakaien Hilfe abzuwarten, auszusteigen und zu verschwinden.
Die Baroneß, welche sich in furchtbarer Aufregung befand, ließ sofort wenden und kam verstört zu mir zurück. Wie ein Kind schluchzend, theilte sie mir, das in tiefer Scham erglühende Gesichtchen verbergend, in abgerissenen Worten alles Erlebte mit. Meine Empörung war grenzenlos. Ich sandte sofort meine Kammerfrau mit einer Banknote und dem Befehl zu der ehrlosen Dirne, nie wieder meine Schwelle zu betreten.
So gut ich konnte, habe ich die Baronesse beruhigt und durch milde Worte den Stachel aus ihrem jungen, frommen Herzen zu entfernen gesucht. Das liebe, blumenhaft zarte Kind getroffen zu wissen von dem Gifthauch einer Messaline, war für mich ein unerträglicher Gedanke. Und den Gipfel der Schamlosigkeit bildete nun noch ihre Darstellung bezüglich meiner Handlungsweise ihr gegenüber als mein – Modell. Was Baroneß Lydia in Worte wiederzugeben nicht den Muth hatte, das errieth ich und da erfaßte ich ihre Hand und führte sie hierher an meine Staffelei.“
Die Marchesa hörte mir gespannt zu und um mich nun nach meiner Klarlegung gleichsam zu rehabilitiren, langte ich aus einem verschlossenen Schranke die Rolle mit der Skizze der Danaë. – Dem kunstverständigen Blick der Marchesa durfte ich schon ein Urtheil über meine reine, ästhetische Auffassung zumuthen.
Auf dem üppigen, arabeskendurchwebten Seidenpolster mit dem rechten Arm bis zum Ellenbogen aufgestützt, sah man in ein edelgeformtes Frauenantlitz; den Blick emporgerichtet. Ein kleiner üppiger Mund und eine geradlinige Nase harmonirte mit der hohen Stirn, welche von einer Fülle lockiger Haarwellen umkränzt war. Den entblößten linken Arm hocherhoben, beide Hände griffbereit, um Jupiter, ihren Geliebten, in Gestalt des Goldregens aufzufangen, sah man die wohlgeformte Büste einer Jungfrau. – Den übrigen Körper verhüllte eine in schweren Falten herabhängende Decke.
„Ich gestehe“, sagte die Marchesa, welche sehr aufmerksam den Vorwurf betrachtete, „daß ich an dem Bilde absolut nichts finde, was das Modell zu einer so unpassenden Schilderung veranlassen könnte. Es ist doch einleuchtend, daß die Künstlerin, welche nur Kopf und Büste malen will, nicht des ganzen Modelles bedarf! Nein, nein, Felicita, jene Corni hat die Baroneß nur reizen wollen, um sie dann besitzen zu können. Ich vermag sehr wohl mir vorzustellen, welche Motive sie bewogen, ein solches Gespräch zu führen ... Pauvre enfant, la petite baronesse!“ Noch einmal beugte die Marchesa das schöne Haupt auf das Bild nieder und betrachtete dieses mit einer etwas unerklärlichen Aufmerksamkeit, ohne aber zu kritisiren.
„Und doch“, rief sie, sich plötzlich emporrichtend, mit verschleierter Stimme: „Und doch könnte ich dieses Weib lieben! Mag sie eine Messaline sein! ... Ich kann nichts dafür, daß mein ganzes Herz mich zu ihr zieht!“ –
Ich sah sie zweifelnd an. War das Scherz? Oder die Sucht nach der Liebe zu einem Weibe so fanatisch in ihr, daß sie nicht zurückschreckte vor der Gewißheit, daß diese Hetäre von vielen Männern geküßt worden und daß sie sich ihnen ergeben, ohne nach Rang, Stand und Alter und Charakter zu fragen – – eine Hetäre, die Modell steht – gewiß nicht zum ersten Male in meinem Atelier! und gewiß nicht immer vor einer Künstlerin – einer Dame! ...
Meinen Einwand wies die Marchesa zurück. Ich solle sie nur gewähren lassen, sie nicht zurückhalten. Meine Einwendungen, meinte sie weiter, seien ja ganz berechtigt, allein ihr Verlangen, diese Corni kennen zu lernen, von ihr zu hören, sei doch gar zu stürmisch. Nur einmal vielleicht, aber sehen müsse sie sie, heute noch, jetzt gleich – nur um die Adresse bäte sie. Nach einigem Suchen nannte ich sie ihr. Ich sah ihr fest ins Auge:
„Was wird Annina dazu sagen?“ fragte ich.
Die brauche es nicht zu wissen und wenn sie es erführe, nun, so wäre es auch gleichgiltig. Annina sei ihr zu vielem Danke verpflichtet und da müsse sie schon eine Extravaganz mit in den Kauf nehmen.
Das berührte mich unsagbar peinlich. Das also war die Liebe, Freundschaft zwischen der Marchesa und Fräulein von B.? Für erwiesene Wohlthaten dankbar sein und nicht murren dürfen – o Du Sphynx von einem Weiberherzen. Aber Du auch weißt nicht, wie wahre Eifersucht thut. Seltsam. Ich, die aufrichtige Bewunderin schöner Frauen, war wie mit einem Schlage aus meiner Bewunderung für die schöne Italienerin herausgerissen. Ich hatte noch niemals Gelegenheit gehabt, in den Spiegel dieser Frauenseele zu schauen. – Jetzt war ich total ernüchtert. „Genußsucht!“ Das war das Loosungswort dieser Lebefrau. Ich habe später manchmal darüber nachgedacht, wie ich mich so sehr habe täuschen lassen können; ich habe diese Marchesa ja nicht eigentlich geliebt, denn dazu war sie mir trotz ihrer Schönheit zu gleichgiltig, nein, aber ich habe sie stets bei guter Stimmung gesehen und dann immer in Annina’s Gesellschaft. Sie überhäufte diese mit Liebenswürdigkeiten und verschwendete eine Ueberfülle von Aufmerksamkeiten an Annina. Ich fand das nett, denn Edita und ich kennen ja auch das Glück der Frauenliebe. Ich hatte alle Ursache, enttäuscht und entrüstet zu sein. – –
Klingelingeling – –
Eine ältliche Frau in sehr sauberem Anzuge, mit einer abschreckenden Physiognomie öffnete und gab auf Befragen der Marchesa tief knixend, mit süßlicher Stimme Auskunft.
Ja Fräulein Corni sei zu Hause. Wen sie anmelden dürfe; sie sei die Wirthin.
„Mein Name thut nichts zur Sache. Ich will nur einige Fragen an die Dame richten,“ sagte die Marchesa, denn diese war es.
Die Frau musterte sie bei diesen Worten mit spöttischen Blicken: „Dame!“ Wußte denn diese, wie eine Fürstin auftretende Ausländerin, als welche sie an ihrem fremdländischen Accent leicht erkennbar war, wirklich nicht, daß ihr hoher Besuch einer gänzlich herabgekommenen Person galt?
Nach einigem Warten und wiederholtem Klopfen wurde von innen aufgeschlossen und die Marchesa stand vor der blonden Schönheit Corni’s.
Lächelnd, mit einer erstaunten Frage in den langbewimperten Augen, hörte sie die Begrüßung der fremden Dame an und mit tadelloser Verbeugung lud sie dieselbe ein, näher zu treten.
Es war ein großes, einfach möblirtes Zimmer, in welchem die Marchesa flüchtig Umschau hielt. Hohe Flügelthüren waren weit offen und gewährten einen Einblick in das daran stoßende Schlafzimmer, welches mit einer Pracht und Ueppigkeit ausgestattet war, wie man es in solcher Umgebung nur bei einer überschwenglichen, verwöhnten Courtisane erwarten darf.
Nachdem die Marchesa, in ihrer anscheinend kühlen Reserve verharrend, den Zweck ihres Besuches offen erklärt, bat sie die ihr Gegenübersitzende, ihr ihr Vertrauen zu schenken, und ihr ehrlich zu gestehen, wie sie auf eine solche abschüssige Bahn gelangt sei. Wider Erwarten überzog sich das Gesicht der schönen Hetäre mit tiefem Erröthen; betreten senkte sie den Blick und ihre weißen Zähne nagten in offenbarer Verlegenheit an der Lippe.
„Sprechen Sie ohne Scheu zu mir,“ ermuthigte die Marchesa, „ich interessire mich für Sie, denn ohne daß Sie es wußten, habe ich Gelegenheit gefunden, Sie zu beobachten. Ich weiß Alles, nur das Eine nicht, daß Sie, die Sie körperlich von der Natur so ausgezeichnet sind und eine gute Bildung und Erziehung genossen haben sollen, ein derartiges Gewerbe ergreifen konnten.“
„Gute Erziehung? Hahaha!“ Corni lachte bitter.
„O wenn Sie wüßten, gnädige Frau, wie bodenlos schlecht ich schon in frühester Jugend, ein Kind fast noch an Jahren, gewesen bin. Sehen Sie, ich habe es ja garnicht nöthig, einer fremden Dame aus meinem Leben Enthüllungen zu machen, die für mich durchaus nicht schmeichelhaft sind, allein ich finde ein gewisses Vergnügen an dieser Selbstpein und an Ihnen ist etwas, das, wenn ich so sagen darf, zur Beichte einladet. So hören Sie denn:
Ich bin früh verwaist und mein Vormund schickte mich in ein berühmtes Pensionat in der Schweiz. Von den Zinsen des ererbten, mäßigen Vermögens wurden die Kosten für mich bestritten, mir selbst fiel ein Taschengeld, das ich doch so heiß ersehnte, nicht ein einziges Mal zu. Mir kostspielige Näschereien und bunten Flitterkram zu kaufen, war mein sehnlichstes Wünschen. Auf einem Spaziergang, den ich in Gemeinschaft mit anderen Pensionärinnen machte, begegnete uns ein junger Student; ein knapper Schnürrock umschloß eine schlanke, kräftige Gestalt. Den dunkeln Lockenkopf schmückte keck ein silberbordirtes Cerevis; aus dem bildhübschen Jünglingsgesicht blitzten ein Paar prächtiger Augen zu mir herüber und ich gab mir die größte Mühe so kokett, als mir nur möglich war, seine feurigen Blicke zu erwidern. Ein anderes Mal begleitete seinen stummen Gruß ein verstohlener mir zugeworfener Kußfinger; wir sahen uns von da ab oft und einige Zeit später war ich die erklärte Braut des flotten Studiosus. Ich war von seltener, erfinderischer Schlauheit; trotzdem man mich scharf beobachtete und es mir streng verboten war, mich ohne Erlaubniß zu entfernen, so wußte ich es doch zu ermöglichen, mich ungesehen davonzuschleichen und fast jeden Tag feierten wir Beide ein heimliches Rendezvous. – Curt liebte mich, wie er sagte, schwärmerisch und es schmeichelte mir bedeutend, daß er eines Abends in der dunklen Laube vor mir auf seine Kniee sank und mir in glühenden Worten von seiner Liebe sprach. Ach, mir war wirklich so himmelhochjauchzend zu Muth, wie es sein mußte, wenn man einen Bräutigam hatte! Er verstand es trefflich, mir schlüpfrige Lektüre in die Hände zu spielen und dann sorgte er dafür, daß die erwünschten Confituren niemals ausgingen. – Eines Tages steckte er mir sogar einen kleinen Ring an den Finger und damit – verlobten wir uns. Das war für mich ein großes Ereigniß und ich bemühte mich, ein Mittel zu erfinden, mittelst dessen ich ihm den so oft bereits erbetenen Beweis meiner Liebe für ihn zu bringen vermöchte. Und diesen brachte ich. Meine Unschuld war der Preis und dafür meine Kindheit vergiftet und Alles das – das Opfer eines tollen Studentenstreiches. Mein braver Curt ließ sich bald darauf nicht mehr blicken. Ob ihm das Gewissen schlug oder ob ihn Furcht beschlich – genug, ich habe den feschen Schmeichler nie wieder gesehen. Später zog ich Erkundigungen über ihn ein und erfuhr dann, daß weder auf der Akademie, noch in dem von ihm bezeichneten Hause Jemand seines vorgeblichen Namens wohnte. Er hatte mich also absichtlich und mit voller Ueberlegung hintergangen, mich auf ehrloseste Art ganz vorsätzlich betrogen um mich dann meinem Schicksal zu überlassen. Mein Fehltritt war nicht verborgen geblieben und schimpfbeladen wurde ich aus dem Institut gewiesen. Von den spärlichen Revenuen, welche mir durch den Verwalter meines Vermögens zugingen, konnte ich unmöglich das genußreiche Leben führen, welches ich mir immer erträumte, so lange ich denken konnte. Aufs Gerathewohl kam ich hier an und miethete mir ein kleines Zimmer bei einer Stickerin. Stundenlang konnte ich sitzen und ihr zusehen, wie unermüdlich sie die Nadel führte ... ich selbst regte keinen Finger zur Arbeit. Zur Nähmamsell war ich denn doch zu schade!! Kopfschüttelnd sah die fleißige Stickerin zuweilen nach mir hin, wenn ich müßig und verdrossen dabei mit mir und meinem Geschicke haderte. Ich klagte, daß ich mit meinem Gelde nicht auskommen könne und daß ich keinen Geschmack an dem Leben fände, welches ich zu führen genöthigt sei. Ich wolle genießen – die Freuden des Lebens kosten! – Zuweilen betrachtete ich mich mit Aufmerksamkeit im Spiegel und dann schwoll mein Herz vor Freude bei der Wahrnehmung, daß ich zu einer begehrenswerthen Schönheit heranreifte. Lieben wollte ich mich lassen und dann mich rächen! Treu sein dem, der mir seine Liebe schenken würde? Nein! Nie! Keinem! Wo war bei mir Treu und Glauben geblieben?! Rachsucht, Genußsucht, das waren die beiden Faktoren, die den Dämon in mir zur Reife brachten! ...
An einem wundervollen Sommerabende promenirte ich in den Anlagen des Stadtparkes, wo ich von einem älteren Herrn höflich gegrüßt und angeredet wurde. Das war mir gerade recht; von dem vielen Alleinsein und Nachdenken war mir der Kopf schwer und ich ergriff gern die Gelegenheit, mit dem Herrn, welcher gar bald jovial seinen Arm unter den meinigen schob, interessant zu plaudern und mir dadurch die Grillen zu verscheuchen. Er schien an meiner Unterhaltung auch großes Gefallen zu finden und da er mir ein Compliment nach dem andern machte, so thaute ich vollends auf und schließlich nahm ich seine Einladung, mit ihm gemeinsam in einem Austern-Salon zu Abend zu speisen, vergnügt an. Der Wein war vortrefflich und das erlesene Souper mundete mir ungemein! So wünschte ich es: Weiche, elegante Sammtmöbel, eine Anzahl elektrischer Flammen, ein üppiges Mahl – ah, und seidene Roben und sprühende Diamanten! ... Das Alles kaufte mir der reiche Banquier Benno und viel mehr noch! Er miethete mir in einem vornehmen Villen-Viertel ein wunderschönes Quartier, stattete es geradezu fürstlich aus, hielt mir Dienerschaft und eine glänzende Equipage und ich lebte auf so großem Fuße, daß ich bald der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde. Benno miethete mir eine Prosceniumsloge, veranstaltete, um mir auch in meiner Häuslichkeit Vergnügen zu bereiten, großartige Soupers und bis zum frühen Morgen oft wurde musizirt, gezecht und nicht selten ein etwas riskantes Jeu arrangirt.
So lebte ich in süßestem dolce far niente; der Himmel hing mir voller Geigen und ich erquickte mich an dem grenzenlose Neide, den ich in den Gemüthern sämmtlicher Messalinen der Residenz erweckt hatte. Dann plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel nahm alle diese Herrlichkeit ein jähes Ende. Der arme Benno wurde eines Tages vom Tode ereilt, da er sich gerade auf dem Wege zu meiner Wohnung befand. Unglücklicherweise war Benno verheirathet und Vater einiger sehr energischer Söhne, die sehr gewissenhaft das Erbe desselben antraten, ohne jedoch meiner zu gedenken! Mein elegantes Tusculum, der gallonirte Diener und die Equipage machten mir keinen Spaß mehr, wenn ich nicht mit vollen Händen Gold verstreuen konnte. Doch nicht nach mir und meinen Launen ging es; ich hatte Schulden gemacht und war noch nicht majorenn; für den Erlös meiner luxuriösen Einrichtung konnten dieselben bezahlt werden! – Nachher hatte ich entschieden Malheur. Eine Liaison nach meinem goût konnte ich, trotz aller meiner Bemühungen nicht anknüpfen; es fand sich so leicht nicht wieder ein Crösus wie weiland Freund Benno es war. Dadurch gerieth ich in immer größere Verlegenheiten und um denselben zu entrinnen, scheute ich nicht zurück, mich immer tiefer zu erniedrigen. Ich besuchte Nachts Wiener Cafés, denn meine prächtigen Toiletten besaß ich noch und diese erweckten das Erstaunen aller meiner Gefährtinnen, welche sich an Garderobe und Geschmeide geradezu überboten. Das Treiben in diesen Cafés zu schildern, sei mir erlassen,“ bat Corni die Marchesa und sprach dann weiter: „Wer nicht selbst mit eigenen Ohren und Augen hört und sieht, kann sich auch keinen Begriff davon machen, welcher Ton dort herrscht und diesem müssen sie sich alle unterziehen, ob von guter Herkunft, ob von dunkler Geburt, ob aus dem Schlosse, oder dem Vagabundenthum entstammend, ob gebildet oder unwissend: sie Alle sind erklärte Verehrerinnen ihrer Urahne Astarte und sie Alle lassen es sich auch resignirt gefallen, von der Männerwelt in absolut nur frivoler oder geringschätziger Weise behandelt zu werden. Sehr viele unter den Damen der Halbwelt feuern allerdings auch noch ihre sogenannten Anbeter dazu an, möglichst sans gêne mit ihnen zu verkehren.
Inzwischen wurde mir mein Geld ausgezahlt und ich nahm mir vor, dasselbe zu irgend einem Unternehmen zu verwerthen. Ich lernte durch Zufall eine verheirathete Schauspielerin kennen, deren Gatte Direktor einer herumziehenden Truppe gewesen. Das Ehepaar machte einen guten Eindruck auf mich; der Mann besaß gediegene Schulbildung und war offenbar strebsam und unermüdlich besorgt, sich und seiner engagementslosen Frau eine gesicherte Existenz zu bereiten. Eine Theater-Agentur wollte er begründen; ihm seien glänzende, vielverheißende Offerten gemacht worden; er könne sein Glück finden, wenn er die Agentur übernähme. Seine Gattin, eine niedliche, noch ziemlich jugendliche Erscheinung, bestätigte ihres Mannes Angaben; sie bedürften nur einer mäßig großen Capital-Einlage und dann wären sie aller bisherigen Misère überhoben. Ich vertraute den Leuten auch thatsächlich meine ganze Habe an. Nach einem halben Jahre waren sie mein Geld, das zu meiner moralischen Rettung hatte dienen sollen, los; den mir versprochenen Reingewinn habe ich nie zu sehen bekommen. Ich bin von dem ehemaligen Komödianten einfach betrogen worden. Er und seine Frau ließen sich nicht wieder hier sehen und wiederum war ich um eine Erfahrung reicher und um den Rest meines Vertrauens zu den Menschen vollends gebracht. Meiner Leichtgläubigkeit war somit vollauf Rechnung getragen. Wenn ich nun von Stufe zu Stufe sank, mich in berüchtigten Ball-Lokalen zeigte und mir alle erdenkliche Mühe gab, auf dieser nun einmal betretenen Bahn goldene Früchte zu ernten, so geschah dies lediglich aus dem Grunde, weil mir kein Berather zur Seite stand, mein Herz an keinem Menschen hing! Hier und da war es vorgekommen, daß ich eine gewisse Neigung der Männer für mich wahrnahm, aber dann wich ich erbarmungslos von ihnen zurück; ich ließ die Unschuldigen mit den Schuldigen leiden und war treulos bis zur ...“
Mit einem leisen Stöhnen unterbrach sich die schöne Sünderin, während die Marchesa aufstand und mit theilnahmvollem Gesichtsausdruck das reiche Blondhaar streichelte.
„Dann“, setzte Corni ihre Rede fort, „kam es, wie es kommen mußte: ich gerieth in der That bis dicht an den Abgrund. – Die Behörde ist längst auf mich aufmerksam gemacht worden und ... ein leises Straucheln nur noch und ich bin der Verurtheilung derselben rettungslos anheimgegeben ... Angesichts dieser neuen Befürchtung tauchen qualvolle Gedanken in mir auf – Selbstmordgedanken! Ich finde keinen Ausweg mehr, ich bin der Sünde verfallen und sehe dem Ende meines verfehlten Lebens gefaßt genug entgegen. Ich habe versucht, mir als Modell für Künstler eine gewisse Einnahme zu verschaffen ... auch dies ist mir mißlungen.“
„Weshalb?“ fragte die Marchesa und ihr Auge ruhte mit neugierigem Ausdruck auf den Lippen der Sprecherin. Diese wandte in einem Anflug von Verlegenheit das Gesicht zur Seite, schlug mit den Fingern ein Schnippchen und rief ausweichend: „Ah, Madame, das war eine fatale Geschichte, in der That! Wenn ich“, fuhr sie, diese Unterbrechung ignorirend, fort, „wenn ich nicht noch einen unerwarteten Ausweg finde, dann bin ich eben an meinem Ziele angelangt! Mir ist vor einiger Zeit von einem Herrn beim Glase Wein in cynischer Weise der Vorschlag gemacht worden, als „Kellnerin“ mein Debut zu versuchen, da es ihm nicht entgangen war, daß ich fleißig dem Rebenblut zusprach, ohne davon in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein! Denken Sie, ich verübele dem Menschen den Rathschlag, vielleicht in einem fragwürdigen Lokal – „echtes – Bier und sauren Wein“ trinken zu müssen, lediglich nur, um die Gäste zu „animiren“, wie der technische Ausdruck hierfür bei den Heben der Wein- und Bierlokale heißt? In manchen Stunden kämpft dann wohl auch noch der gute mit dem bösen Engel in meiner Seele. Ich möchte die Sünde von mir abschütteln ... doch dann tritt wieder die bittere Nothwendigkeit an mich heran ... der Hang zum Müßiggang und Wohlleben trägt den Sieg davon und ach, wie oft, die Augen noch thränendunkel – stehe ich vor dem Trumeaux und schmücke mich zu irgend einer Orgie.“ ...
Als die Marchesa aufblickte, sah sie die Augen Cornis in Thränen schwimmend und an dem Beben ihrer Stimme verrieth sie, daß sich tiefer Schmerz in dem Herzen dieser Sünderin regen müsse und ein tiefes Erbarmen zog durch das Gemüth der Marchesa. Auch ihre Stimme vibrirte, als sie jetzt die Hand der schlauen Messaline ergriff, welche längst durchschaut hatte, daß sie sich hier im Vortheil befinde, und sich über das Gesicht der Letzteren beugend, sagte sie: „Nur guten Muth! Fassen Sie sich, seien Sie getrost und blicken Sie voll neuer Zuversicht in die Zukunft! Es hat mich mit aufrichtiger Freude erfüllt, daß Sie mir in so ehrlicher Wahrheitsliebe diese bösen, bösen Geständnisse gemacht haben. Mein Entschluß steht daher fest: ich werde Sie dieser Sphäre entreißen! Ich werde für Sie sorgen, schwesterlich oder doch freundschaftlich, jeden ihrer Wünsche erfüllen! In meiner Nähe sollen Sie fortan sein, ich will Sie täglich sehen und so viel als möglich um mich haben. Und alles dieses will ich thun in der Hoffnung, daß Sie mir in Liebe und Dankbarkeit ergeben sind. Indessen noch eine Bedingung knüpfe ich daran: Sie müssen dem Verkehr mit den Männern absolut entsagen, jeglichen Verkehr abbrechen, selbst, um den Anschein zu vermeiden, auch den allerharmlosesten! Augenblicklich aber würde ich Ihnen alsdann mein Interesse entziehen, wenn ich erführe, daß Sie auch nur ein einziges Mal gegen mein Verbot fehlten!“
Diese letzten Worte sprach die Marchesa mit erhobener Stimme, und mit innerer Befriedigung bemerkte sie, daß Cornis Züge sich erhellt hatten und als Letztere sich mit freudestrahlendem Lächeln über die Hand der Marchesa neigte, sprach diese gütig: „Wenn Sie sich demnach der Aufgabe, die ich Ihnen stelle, unterziehen wollen, so werden Sie an mir eine stets hilfsbereite Gönnerin finden! Ich hoffe, Sie werden mich nicht hintergehen und Sie wiederum können sich versichert halten, daß ich meine Versprechen einlösen werde. Lieb wäre es mir, wenn Sie sich entschlössen, recht bald mich nach meiner Heimath zu begleiten. Würde Ihnen eine Reise nach Italien und der Aufenthalt daselbst willkommen sein und erwünscht?“
Da glitt, sprachlos vor Freude die bisherige Allerweltsfreundin auf ihre Kniee und bedeckte Hände und Kleid der Marchesa mit leidenschaftlichen Küssen.
„O, wie gern!“ brach sie hervor, „Italien! Das Land meiner Träume unter der Gunst einer vornehmen Beschützerin! ... meine höchsten Wünsche gehen damit in Erfüllung! Nun will ich Muth fassen, mich aufrichten ... ja ich will wieder gut sein! ...“
Ja, unsere interessante Messaline hatte einen scharfen Verstand ... das ließ sich nicht bestreiten. Um so weniger war es daher Wunder zu nehmen, daß sich die Marchesa dupiren ließ, daß sie in blinder Sucht nach einem Weibe, – zu prüfen und zu überlegen – vergaß.
Die Marchesa empfahl sich mit herzlichen Abschiedsworten und mit dem Versprechen, in einigen Tagen wiederzukommen, um dann die Maßregeln, welche für die Reise zu treffen wären, mit ihr zu überlegen.
Beim Abschiede zitterte Corni’s Frage an der Marchesa Ohr: „Wer sind Sie, gütige Fee?“
Ein Kopfschütteln als Antwort. „Später, Fräulein Corni ... wenn wir reisen!“
Und der Tag der Abreise nahte. Es hatte eine Mißstimmung Platz gewonnen zwischen Felicita und der Marchesa, welche sich durch nichts ausgleichen lassen zu wollen schien. Auch Annina hatte keine Freude mehr an den Zerstreuungen, welche man ihr zu bieten sich bemühte. Zwischen den drei Damen fand eines Tages in der Marchesa Abwesenheit eine Unterhaltung statt, aus deren Quintessenz Fräulein von B. schloß, daß die Marchesa auf Abenteuer ausgehe und sogleich tauchte das schmerzliche Empfinden in ihrem Herzen auf, daß ihre Freundin ihr ein Weh zu bereiten fähig sein könne. Hatte sie nicht zuweilen erstaunen müssen über die Virtuosität, mit welcher dieselbe ganz verschiedene Gestalten annehmen konnte?! Die hochedle, adelsstolze Aristokratin in ihrer eiskalten Unnahbarkeit war allerdings nicht wiederzuerkennen, wenn sie, eine leidenschaftglühende Sappho, ihrer übersinnlichen Regung, an dem Herzen der geliebten, oder sich doch geliebt glaubenden Freundin lag. Enfin, nous verrons!
Inzwischen hatte die Marchesa mit Corni vereinbart, daß man sich auf dem Bahnhof „en passant“ treffen, alte Bekanntschaft erneuern wolle und – da Felicita zweifellos nicht mitkommen würde, so wäre man sicher in den neugeknüpften Beziehungen völlig unerkannt und keineswegs durchschaut zu werden von Annina und Edita und die prachtvolle Reise nach dem Süden gemeinsam unternehmen zu können, zumal da die „zufällig“ wiedergetroffene Mitreisende, welche unter einem hochtrabenden Namen Annina vorgestellt werden sollte, das Ziel ihrer Reise nannte, welches mit demjenigen der Dame Marchesa übereinstimmte.
Und so geschah es; nur schade, daß Fräulein Annina von B. einen viel zu sicheren Scharfblick besaß, als daß sie sich hier hätte täuschen lassen können, nur war sie eine viel zu wohlerzogene junge Dame, als daß sie es gezeigt hätte, daß die Marchesa und der Gegenstand ihres Abenteuers trotz aller Vorwände dennoch von ihr durchschaut sei.
In dem sonnigen Italien angelangt, verabschiedete sich Fräulein Corni von den beiden Damen unter der Zusicherung, daß sie nächster Tage ihren Antrittsbesuch zu machen sich gestatten wolle, sofern den beiden Damen derselbe nicht ungelegen komme. Alsdann würde sie ihre „Vergnügungsreise durch Italien“ fortsetzen.
Corni kam; Annina war zufällig nicht anwesend und so hatte die Marchesa vollauf freie Hand, ihren neuerworbenen Günstling ungeheißen nach Herzenslust in ihrem Palazzo sich umthun zu lassen.
Das deutsche Fräulein Corni machte hierin auch keinerlei Schwierigkeiten. Sie war durch die Aussichten auf das köstliche, poesie-durchduftete Leben, welches ihr sich bot, so glückdurchzittert, daß sie, zu einer wahren büßenden Magdalena sich emporgezogen fühlend, sich auf den weltbedeutenden Brettern zu befinden glaubte. Ja mehr noch: Sie wurde – später wenigstens – sogar naiv! Und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte der nächste Wunschzettel Fräulein Corni’s die Bitte um eine „Puppe“ enthalten ...
Die Marchesa war täglicher Gast in dem idyllischen pompösen Heime Corni’s. Diese, vielleicht um sich dankbar zu erzeigen, trieb fleißig Sprachstudien und fertigte auch einige Zeit später wohlgelungene Uebersetzungen an in Poesie und Prosa, womit sie ihrer gütigen Protectorin große Freude bereitete. Corni führte ein überaus zurückgezogenes Leben, kümmerte sich um Niemanden und schien nur glücklich zu sein, wenn die Marchesa zu ihr kam ...
Monate waren vergangen; ganz Italien erglühte zum zweiten Male in südlicher Pracht, seit Corni dort weilte ... für Annina’s Liebe war es Herbst – echter nordischer Herbst geworden! Die Beziehungen dieser Beiden (Marchesa und ihre bisherige Favoritin), gestalteten sich lau zu einander und über Annina’s erbleichende Wangen rollte ungesehen, manche heimliche Thräne. Sie ahnte das Richtige. Jeden Tag verlebte die Marchesa einige Stunden außerhalb ihres Heims und das mußte der jungen Dame doch auffallen. Aus Consequenz fragte sie nichts, litt aber um so schwerer darunter.
Ueber die Marchesa war inzwischen eine nicht zu hemmende Leidenschaft gekommen; sie liebte ihre Corni maßlos und diese nützte kluger Weise jeglichen Vortheil aus ... Wenn ihre Retterin und Beschützerin erschien, so wußte sie derselben jedesmal eine Ueberraschung zu bereiten. Entweder sang sie in weichen, sehnsuchtsvollen Tönen ein italienisches Liebeslied, oder sie las irgend etwas Neues, Angenehmes der Marchesa vor. Genug, diese war von Tag zu Tag mehr und immer mehr begeistert von der rührenden Dankbarkeit Corni’s – und jeder Händedruck, jedes Lächeln derselben erschien der Marchesa als ein ganz besonderer Ausdruck der Anerkennung für ihre diesem Mädchen erwiesene Großmuth. Oftmals saß die Marchesa neben Corni; doppelt beglückt, daß gerade sie es war, welche die Gefallene auf ein reines Niveau erhoben hatte. Dann nahm sie wohl das blonde Haupt in ihre Hände und küßte heiß den schönen entweihten Mund ... Das waren für die Marchesa selige Stunden. Sie, die die schönsten und reinsten Frauen besessen hatte, fand eine Quelle des höchsten Genusses darin, diese heuchlerische Hetäre in ihren Armen zu halten, leidenschaftliche Küsse von ihren Lippen zu trinken. – Mit Leib und Seele war die Marchesa ihr ergeben; sie liebte die ehemalige Messaline über Alles, denn diese war ihr ja treu, weil sie sich nur ihr ergab ... keinem Manne! Die Marchesa und Corni schwelgten in einem Meer von Wonne, umsomehr, als da Annina inzwischen einen Grund ausfindig machte, das Land der Citronen und die Marchesa zu verlassen. – Letztere machte sich keinen Kummer darüber; sie war eben blind und taub in sündiger Frauenliebe ... das war Verirrung! ...
* * *
Die schöne elastische Gestalt der Marchesa schwang sich behende von ihrem edlen Andalusier-Vollblut; ein schmucker Groom erfaßte dessen Zügel und hoheitsvoll und in siegesfrohem Vorgefühl ihrer Liebe, strahlend schön, mit vom Ritt ein wenig gerötheten Wangen stieg sie die Treppen empor und ... stand der, in tödtlicher Verlegenheit drein blickenden Zofe Corni’s gegenüber. Sie müsse erst nachsehen, ob Signorita Cornelia daheim sei. Ohne die Kammerkatze auch nur eines Blickes zu würdigen, schritt die Marchesa, Reitgerte und Sammtschleppe in der schmalen Hand, nach Corni’s Boudoir. Diese stieß einen Laut der Ueberraschung aus und versuchte in das nächstgelegene Ankleidezimmer zu entfliehen.
„Ja, Corni, Liebste, seit wann beeilst Du Dich, meinetwegen Toilette zu machen? Kind, genirt es Dich denn, daß ich Deine Alabasterschultern bewundere?“ Corni warf einen bösen Blick auf die Freundin und sagte laut, mit auffälliger Betonung und einer von der Marchesa an ihr noch niemals beobachteten Heftigkeit, daß sie es durchaus nicht wünsche, fortwährend und zu jeder beliebigen Stunde von der Marchesa Besuchen überrascht zu werden. Sie sei bei der Toilette und verbiete es Jedem, sie zu stören. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie gingen, es thäte sonst nimmermehr gut heute!“ rief sie in wüstem Jähzorn.
„Corni, welche Sprache? Bist Du krank?“ Die Marchesa rief es, ihren Ohren und Augen kaum trauend, erstaunt, entrüstet. „Ah,“ setzte sie mit halberstickter Stimme fort, „ich errathe! Du bist nicht allein ... Du betrügst mich!“
Sie stand vor Corni mit weit vorgestreckter Rechten und prallte entsetzt zurück, als Corni mit einem wahren Tigersprung sich auf sie stürzte und einer Furie gleich, der Marchesa einen wüthenden Schlag in das Gesicht versetzte ...
„Ja“, schrie Corni heisernen Tones, „ja, ich betrüge Dich und nicht seit heute erst! Meinst Du, ich hätte Lust allen Freuden zu entsagen, die ich in meiner Heimath im Ueberfluß genoß? Meinst Du, ich sei eine feige Duckmäuserin, die sich länger unter Deine Herrschaft stellen zu wollen gewillt sei? Du selbstsüchtige engherzige Creatur, die Du mich nur als Dein gefügiges Werkzeug Dir unterordnetest, Du Hochmuthsteufel, den es genirt, öffentlich mit mir aufzutreten; mich in Eure sogenannte große Welt einzuführen! Denkst Du etwa, daß ich mich nur Dir länger zu eigen geben wolle? Was für ein Entgelt habe ich dafür? Den mir mit erbärmlicher Breitspurigkeit zugeworfenen Mammon etwa, von dem Du überreichen Ueberfluß hast? Ich verspüre kein Verlangen danach, von Dir brutal verlassen und wie eine ausgepreßte Citrone achtlos bei Seite geworfen zu werden, sofern eines Tages Dein freches Gelüste auftaucht und nach frischen, jungen Mädchenleibern Ausblick hält? Ha, ich bin Dir schon längst nicht mehr treu, Du eitles falsches Weib Du, die Du die reizende Annina kalten Herzens von Dir gehen ließest, ohne auch nur einen Versuch zu machen, das herrliche Kind meines deutschen Vaterlandes zurückzuhalten! Monatelang schon ersehnte ich den Augenblick, Dir, Du Seelenverkäuferin, die schlimmer ist denn eine Prostituirte, das Alles zu sagen. Du reißest die Waare an Dich, wie sie Dir gefällt und zahlst nach Gutdünken einen Preis dafür! Wir haben aber keinen Sclavenhandel mehr! Wenn Du mir verboten hast, mit Männern zu leben, weshalb ließest Du nicht Frauen und Mädchen mit mir bekannt werden? Ohne Sorge! ich hätte Dir durch sie keine Eifersuchtsscene bereitet – ich verabscheue Eure sogenannte Frauenliebe, deren verrücktes Ideal in Euren überreizten Hirnen spukt. Ich sehnte mich so oft nach rauschenden Vergnügungen, nach Abwechselung, Tanz, nach übermüthiger Freude und nach meinen Orgien, die meine schönste Erinnerung sind. Ich bin nur mit Dir gegangen, um Dich zu verleiten, mich zu Deinem Opfer zu machen, nur um Vortheil daraus zu schlagen und um mich zu rächen! Noch wäre es nicht geschehen, wenn Du mir nicht in allerletzter Zeit die ersten, ausgesprochenen Wünsche, Dich mit mir an öffentlichen Plätzen zu zeigen, abgeschlagen hättest. Bah, Du vertröstetest mich auf eine Reise, Du einfältige Person. Es lag mir sogleich auf den Lippen, Dir die Worte zuzuschleudern: Das Weib gehört zum Mann. Wenn eine Frau es wagt, ihre Geschlechtsgenossin zu sündigen Orgien zu verleiten, so thut sie schlimmer des Uebels, als wenn ein Weib den Mann liebt und ihre Ehre ihm opfert. Ha, ich empfinde eine grenzenlose Wonne, Dir Alles dies zu sagen und Du, Du erbärmliche Tyrannin, sollst es jetzt erfahren, daß Du mich zwar zum ersten Male überraschtest, da ich meinen Geliebten hier empfangen, aber Du bist oft, sehr oft bereits hier gewesen, während er anwesend war und seine Liebesschwüre flüsterte er mir gar oft in’s Ohr, während Du, auf mich wartend, Dich hier aufhieltest. Ich verachte Dich, Du vornehme Marchesa, die Du es wagtest, mir eine Wohlthat anzubieten für den Preis, daß ich allen Lebensgenüssen entsagte. Du feierst in Deinem Palazzo opulente Festmähler, Du zerstreust Dich nach Willkür und mich lässest Du hier in der kostbaren Klause schmachten. Du sollst mir dafür büßen.“
* * *
Wenn je ein Mensch etwas Furchtbares, Grausiges, etwas Schreckliches erlebt hat, das ihn bis in das innerste Herz traf, so war es für diese Frau, für die Marchesa! Ottern- und Schlangengezüchte hatte sie um sich. O und der Schlag in ihr vornehmes, edles Antlitz! – –
So sendet die Hölle wirkliche Ausgeburten, wirkliche, leibhaftige Teufelinnen in die Welt!? Sind das die Frauen, welche „flechten und weben himmlische Rosen in’s irdische Leben?!“ O Frauenlob! –
Entgeistert starrten die Augen der Marchesa in verzweiflungsvollem Schreck zu der rasenden Sprecherin hinüber.
Sie war wie gelähmt. „Nur keinen Eclat!“ das war die letzte Regung ihres erstarrenden Denkens.
Einen Schlag ins Gesicht, dieser Marchesa!? Sie, die noch nie, so lange sie denken konnte, auch nur ein einziges Mal gezüchtigt worden war, auch nicht als Kind – und nun hier?! Sie lehnte sich an eine Wand, um nicht umzusinken. Hatte sich denn heute Alles gegen sie verschworen? Was sie hier erlebt – glich es nicht einem Complott?
War das Corni, ihre geläuterte, fromme, demüthige, dankbare Corni? Wer mochte soviel Gewalt über sie gewonnen haben, daß sie sich erkühnte, ihre Gönnerin, Wohlthäterin und Freundin, und, was am schlimmsten war, die Marchesa in ihr auf das Schmachvollste zu beleidigen?
O Entsetzen, daß diese freche Dirne es wagen durfte, einen solchen Ton anzuschlagen! Wie nun sollte man die verkommene, verlogene Hetäre züchtigen? Ah – unmöglich! Der Scandal, der unausbleibliche öffentliche! –
Todtenbleich wandte die Marchesa sich ab. „Verrätherin!“ ächzte sie und voll tiefer Verachtung sich umwendend, war sie im Begriff, den Salon zu verlassen. Blitzschnell vertrat Corni der Marchesa den Weg.
„Ha, so leichten Kaufes kommst Du mir nicht davon, hochedelste Marchesa.“
Sie ergriff die Hände der schutzlosen Dame und zog sie mit sich in das Badezimmer. Vor ihrem Galan blieb sie stehen und forderte diesen auf, der stolzen überlisteten Freundin Propositionen zu machen. Ohne sich zu erheben sagte der Mann cynisch:
„Meine Geliebte hat Ihnen große Ergebung bewiesen, sie folgte Ihnen, meine Gnädigste, hierher und hat viel dazu beigetragen, Ihnen großes Vergnügen zu bereiten. Erweisen Sie sich nun erkenntlich und die ganze Angelegenheit sei damit abgethan.“
Mit dem Ausdruck grenzenloser Verachtung maß die Marchesa den jungen Mann vom Scheitel bis zur Sohle:
„Wohlan“ erwiderte sie mit unbeschreiblichem Ekel, „ich bin nicht gewillt, mit dem Abschaum menschlicher Gesellschaft viele Worte zu wechseln. Ihr Wunsch sei Ihnen gewährt; ich werde Ihnen eine Anweisung an mein Bankhaus geben und dann will ich niemals wieder etwas mit Ihnen zu thun haben.“
Die Marchesa war halb todt zufolge der erlittenen Unbill und Aufregung und so schnell als es ihr möglich war, verließ sie, die spöttisch grinsende Freundin noch einmal aus zornfunkelnden Augen messend, das Haus, um so eilig als möglich in ihres Groom’s Begleitung von dannen zu reiten. An dieses widerwärtige Ereigniß reihte sich ein Aergerniß an das andere für die Marchesa. Sie wurde von der dreisten Hetäre und deren sauberem Patron auf das Gröblichste und Gemeinste ausgepreßt. Bei einer einmaligen Abfindungssumme blieb es nicht. Droh- und Schmähbriefe nahmen kein Ende. Wo die Marchesa es versuchte, sich mit ihrem Stolze zu wappnen, machte sie immer wieder von Neuem die üble Erfahrung, daß sie den Angriffen des durch und durch verkommenen Paares nicht gewachsen sei und, was für den Seelenzustand der Marchesa am schlimmsten war – sie war nicht im Stande, das Bild der verrätherischen Freundin aus dem Herzen zu reißen. Unter unsagbaren Qualen machte sie die Entdeckung, daß sich der Verrath an ihrer Freundin Annina bitter räche ... Jetzt war sie allein in der Welt, trotz zahlreicher sogenannter Freundinnen und Bekannten.
Als sie sich endlich weigerte, dem Moloch, Corni’s Habgier, fernere Opfer zu bringen, bedrohte der Mann sie mit einem Prozeß, den er aus Rache und auf Anrathen seiner „Braut“ gegen die Marchesa anstrengen werde. Dieselbe, welche bereits Unsummen dem Irrthum, den sie begangen, dargebracht hatte, war der Verzweiflung anheimgegehen; sie, die Trägerin eines stolzen Namens, den alle Welt kannte, sollte gebrandmarkt, an den öffentlichen Pranger gestellt werden. –
Wie hatte sie sich nur derart täuschen lassen können. Sie, die zu siegen und zu herrschen gewohnt war, mußte der ehrlosen Betrügerin weichen! – In schamlosester Weise hatte man sie hintergangen und ihr, der vornehmen Aristokratin, eine Falle gestellt, in welcher sie ihre Ehre preisgeben oder sich finanziell ruiniren mußte. Wenn sie daran dachte, daß die Drohungen eines Tages erfüllt würden und daß man sie vernichten könnte, dann kam es über sie wie wahnsinnige Verzweiflung.
Dann kam ihr eine neue Idee. Sie wollte an die Heuchlerin schreiben und an die früher so oft gerühmte Dankbarkeit appelliren ... konnte ein Weib so hart und erbarmungslos sein, das Herz einem solchen Mahnwort zu verschließen? ... O, Felicita, Du ahnst es, wie schnell Annina durch die Nemesis gerächt worden ist!! Die andauernden furchtbaren Aufregungen prägten sich bald auf dem schönen Antlitz der Marchesa aus. Die Augen blickten nicht mehr so feurig wie ehemals; die schlaflosen Nächte hinterließen ihre trüben Merkmale und sie vermied es, wo sie konnte, mit ihren Bekannten zusammenzutreffen. Wenn es dereinst ruchbar werden sollte, – – welche ungeheuerliche Sensation würde diese skandalöse Affaire hervorrufen ... sie, die hochgestellte Frau, vor welcher sich die Häupter der Großen dieser Erde neigten ... vor den Schranken des Tribunals! ... Nein, es war unerträglich! Also schrieb sie noch ein letztes Mal an Corni. O Du unergründliches Räthsel in der Verirrung weiblicher Liebe!
Und da Dein Mund mir Liebe log,
Und da ich selig einst in Deinen Küssen
Dir Deine Seele von den Lippen sog ...
Wo war da Dein Gewissen?
Und da Du wußtest, daß ich sterben muß,
Wenn Du von meinem Herzen mir gerissen,
Und Du doch schiedest ohne Gruß und Kuß
Wo war da Dein Gewissen?
Und da ich todeswund im Fieber lag,
Mit meinen Nägeln meine Brust zerrissen,
Mit blut’ger Lippe Deinen Namen sprach,
Wo war da Dein Gewissen?
Und wenn Dir einst der bleiche Engel naht,
Dem alle Erdenkinder folgen müssen,
Dann denke mein! und denk an den Verrath
Und frage Dein Gewissen ...
* * *
... Wenn die Schreiberin glaubte, daß die schändliche Lügnerin sich durch diese Worte von ihrem schamlosen Ausbeuten abhalten lassen würde, so hatte sie sich geirrt! Hohnlachend las Corni ihrem Ritter die Verse vor, welche die Marchesa unter bitteren Thränen niedergeschrieben hatte ...
„Ah, jetzt wird man rührselig, aber warte schöne Marquise, ich werde Dich nicht locker lassen, ich kenne jetzt die Stelle, wo Du sterblich bist. Das ganze Aufgebot von Stolz und Hochmuth, mit dem man sich panzerte, ist erschöpft – man zieht andere Saiten auf – doch ich bin nicht derjenige, der leicht nachgiebt und darum auf einen so seltenen Bissen verzichtet. Sie kann’s sich ja auch leisten – man hat es ja dazu!“ Und der ehrlose Bube lachte laut und roh zu seinen Worten.
„So ist es“, pflichtete ihm die halbnackte Hetäre zu, „und wir lassen den ganzen poetischen Erguß unbeantwortet und später machst Du ihr unter Deinem wirklichen werthen Namen, den sie glücklicherweise noch nicht gehört hat, eine formelle Visite! Dein stolzklingender Name wird Dir Einlaß verschaffen in den Salon der plötzlich sehr elegischen Marquise.“
„Siehst Du nun wohl“, fiel der herabgekommene Wicht triumphirend ein, „siehst Du nun wohl ein, mein schönes Kind, daß es nothwendig ist, in diesem jämmerlichen Erdenthal das Eisen zu schmieden, so lange es heiß ist!?“
Und statt aller Antwort erfaßte Corni seinen Arm und die Melodie eines Strauß’schen Walzers trällernd, tanzte sie seelenvergnügt mit ihm im Zimmer umher ...
Das Herz, ausgebrannt wie ein Krater, Ehrgefühl und Gewissen ertödtet in dem Sumpfe, der die Heimath der Messalinen ist – – so war dieses Weib, deren fauler Kern in einer glänzenden Hülle lag, dasselbe Weib, welches unwahr war durch und durch, das aber durch äußere Reize vermocht hatte, den Sinn der Marchesa zu bethören – ebenso – als die Herzen der Männer, deren mancher einer der falschen Sirene einen Fluch nachsandte ...
Tagelang wartete die Marchesa auf Antwort; es vergingen schließlich Wochen ... kein Brief, keine Mittheilung. Das saubere Paar, einander würdig, verstanden es vortrefflich, sie auf die Folter zu spannen.
Dann endlich hatte der lockere Galan Corni’s der Marchesa den geplanten Besuch gemacht.
Tief empört über diese unerwartete Dreistigkeit hatte die Marchesa den Mann, eine recht stattliche Erscheinung, aber mit einem wüsten Gesicht und verlebten Zügen, nothgedrungen empfangen müssen.
Ein der Marchesa bekannter, hoher Justiz-Beamter hatte sie inzwischen informirt, und ungefähr wußte sie, wie gegenüber den Erpressungen dieser Beiden sie sich zu verhalten habe. In der That trat der Mann auf wie ein Gentleman und er war nahe daran, sich zu erkühnen, der Marchesa die Sammthaut ihrer weißen Hand zu küssen ...
Mit todtkalter Ruhe, schnell gefaßt, wandte sie sich hoheitsvoll ab:
„Ich bin genau unterrichtet“, begann sie, „wie ich Ihnen und jener Corni“ – sie sprach unter spöttischem Zucken der Lippen den Namen mit unnachahmlicher Verachtung aus, – „fortan zu begegnen habe. Ihre Drohungen und Erpressungen, welche Ihre Briefe enthalten, sind meinem Advokaten bereits unterbreitet worden. Ich werde sofort entscheidende Maßregeln treffen, sofern Sie nicht einen Schein unterschreiben, laut dessen Sie und Ihre schätzbare Freundin sich als vollkommen abgefunden erklären. Ich biete Ihnen dieses Gold, ... hier, nehmen Sie es und unterschreiben Sie!“
Bei der Erwähnung des Advokaten lächelte der Mann sarkastisch, als er aber die Schatulle erblickte, überlegte er eine geraume Weile, dann schien seine Kalkulation zu Gunsten seiner Habgier auszufallen. Er überflog, nochmals prüfend, die blitzenden Goldrollen und sich tief verbeugend, sprach er: „Sie sollen wissen, Gnädigste, daß Sie es mit einem Kavalier zu thun haben! Ich will mich daher schnell entschließen und werde den Schein schreiben und unterzeichnen; ich könnte später vielleicht wieder anderen Sinnes werden!“ –
Was die gepeinigte Marchesa ihm da anbot, war ein Vermögen und wenn er dasselbe jetzt abgelehnt hätte, so wären ihm später im Rechtsstreit entschieden große Schwierigkeiten entstanden und vielleicht wären er und Corni gänzlich leer ausgegangen. So war nun denn diese Angelegenheit aus der Welt geschafft worden. Die Marchesa hat nie wieder ihr Augenmerk auf eine Halbweltdame gerichtet; ihre kostspielige Laune hatte ihr des Kummers die Fülle eingetragen und sie war noch froh, daß die peinliche Affaire in der großen Welt nicht bekannt geworden. Die Marchesa hatte ein Leid erfahren müssen, das ohne Grenzen war. Sie hatte in Corni aus der Hetäre eine Megäre gemacht, statt des geläuterten Engels, als welchen jene sich darzustellen gewußt hatte. Sie hatte die Liebe Annina’s verloren durch eben diese Verirrung und Annina eine bitterliche Kränkung zugefügt, indem diese sich von der Marchesa zurückgesetzt und vernachlässigt wußte ...
Sie hatte die Freundschaft Felicita’s – ja sogar deren Hochachtung verscherzt, weil sie den Rath derselben mißachtete und das fremde, gesunkene Mädchen an ihr Herz nahm, obgleich Felicita ernstlich davor gewarnt hatte ...
Dieses war das schlimmste und widerwärtigste Ereigniß, welches ich in dem Leben der Frauenliebe erfahren habe – – – – – –
* * *
Wie der Zufall gar oft spielt im menschlichen Leben, so war es auch hier Zufall, daß ich in Gemeinschaft Edita’s einer Soirée in befreundeter Familie beiwohnte, in welcher ich eine Dame wiedersah, welche ich durch Edita vor längerer Zeit kennen gelernt hatte.
Das blonde Lockengeringel krönte ein hochedles Haupt; ein feiner, etwas schmaler Mund ließ tadellose Zahnreihen sehen und über der geraden, schmalen Nase blickten zwei blaue, kluge Augen ausdrucksvoll in die Welt. Volle, üppige Linien umschloß die schillernde Seidenrobe und mein Blick blieb voll aufrichtigen Entzückens an den selten schönen, schneeweißen Armen hängen, die bis zu den Ellenbogen von dänischen Handschuhen bedeckt waren.
In einem unbelauschten Augenblicke konnte ich es mir nicht versagen, auf den mir verführerisch entgegenleuchtenden Nacken einen ungesehenen Kuß zu drücken und Elisabeth – so war ihr Name – erwiderte diese Huldigung durch zahllose Flammenblicke, die sie mir während des ganzen Abends zuwarf. In der Garderobe bat sie mich, ihr eine Schleife an einem ihrer knappen Atlasstiefelchen zu knüpfen und während sie den Fuß kokett auf ein Tabourett setzte, hatte ich Gelegenheit, ein köstlich geformtes Bein und einen ganzen Reichthum Brüsseler Spitzen zu bewundern.
Bevor wir uns trennten, verabredeten wir ein baldigstes Wiedersehen in unserem Hause. Elisabeth brachte noch eine ihr engbefreundete Dame, die Gattin eines stattbekannten Professors mit und wir verlebten einen herrlichen, genußreichen Abend.
Diese Besuche wiederholten sich häufig und wir fanden großes Gefallen an einander, ja es kam vor, daß Frau Stephani mich ebenso heiß und bezaubernd küßte, als Elisabeth meine Edita!
Stephani war durchaus keine hervorragende Schönheit, doch von berückender Liebenswürdigkeit und eleganten Umgangsformen. Sie hatte eine eigene Art zu küssen: Den warmen, etwas vollen Mund halb offen, legte sie leise, zaudernd, ihre Lippen an die meinen und sog gleichsam meinen Athem ein. Ich hatte sie sehr lieb, mehr aber noch Elisabeth und ich fürchtete bereits wieder, Gefahr zu laufen, meinem Herzenslieblinge neuerdings untreu zu werden. Elisabeth kam eines Abends in Edita’s Abwesenheit zu mir. Sie trug eine grüne Sammtrobe – chic, originell, eigenthümlich! Die lange Schleppe rieselte in weichen Falten über den Teppich; ein miederartiges, reich mit kostbaren Spitzen garnirtes Jabot umhüllte die üppige Büste; das Jabot war ärmellos und an den weißen Handgelenken blitzten kostbare Steine, deren Strahlen sich in den zahlreichen Flammen der Kandelaber brachen. Diese nackten weichen Arme übten eine bethörende Wirkung auf mich aus und ich erinnere mich genau, daß ich mir ungemein große Mühe geben mußte, an mich zu halten, denn nachdem ich heiße Küsse mit ihr gewechselt, hauchte sie mir mit warmem Athem die Worte in’s Ohr: Haben Sie mich doch auch lieb, Felicita, so wie ich Sie liebe ... machen Sie mit mir was Sie wollen! ...
Ein süßer Schreck durchfuhr mich und ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn unser tête à tête nicht durch Edita’s Eintreten unterbrochen worden wäre. So kam ich auch schnell zur Besinnung und noch desselben Abends schrieb ich an Elisabeth, daß es für meinen Frieden und für die Liebe zwischen Edita und mir richtiger wäre, wenn wir uns nicht mehr zu Zweien wiedersähen u. s. w.
Am nächsten Tage erschien wider Erwarten – Elisabeth! –
„Im Gegentheil, Felicita,“ rief sie mir beim ersten Begrüßen entgegen, „im Gegentheil, wir wollen uns recht oft und viel sehen!“
„Ja gern,“ antwortete ich hastig, „allein ich darf meine Neigung auf andere Damen nicht mehr erstrecken, denn darunter würde Edita leiden und das würde auch mein Glück zerstören, oder,“ setzte ich leise, ihre Hand ergreifend, hinzu: „kennen Sie nicht Frauenliebe? Dieselbe ist mächtig wie der Tod und in ihrem Eifer schaurig wie das Grab ... ihre Gluthen sind Feuergluthen!!“
„Wohl weiß ich das“ entgegnete Elisabeth, während ihre Wangen sich höher färbten „und es ist stets mein heißester Wunsch gewesen, von einer geliebten Freundin ganz und voll wiedergeliebt zu werden! Ich bin kürzlich erst darauf aufmerksam gemacht worden; zuvor hatte ich keine Ahnung von der Frauenliebe – – ich hatte mein ganzes Herz einem Manne zu eigen gegeben und seit dem ich die zwischen demselben und mir bestehenden Beziehungen gelöst, sehne ich mich nach einer Dame, die mit mir sympathisirt und mich liebt. Ich liebe Sie Beide; Edita jedoch nicht so feurig als Sie, denn Sie haben eine unglaubliche Macht über mich gewonnen; Sie haben mir ein Flammenmeer in die Seele gegossen ... Haben Sie Vertrauen zu mir! Wenn ich Sie meiner Liebe versichere, dann können Sie Alles von mir erreichen, Alles, nur seien Sie lieb gegen mich!“ Und ich – erlag auch der Versuchung.
Wir sahen uns fast täglich und ich hatte stürmische Auseinandersetzungen mit Edita, welcher ich nicht genug versichern konnte, daß der Verkehr zwischen Elisabeth und mir ein absolut harmloser sei ...
* * *
Später einmal wechselte Elisabeth ihr Quartier und ich, um sie in demselben zu begrüßen, brachte ihr einen duftigen, großen Strauß. Edita, welche mich begleiten und dann aussteigen wollte, bat mich, die Blumen nicht mitzunehmen; von mir hätte sie sehr lange schon keine erhalten und es thue ihr weh, daß ich Elisabeth auszeichne. Ich sah, wie es in ihren Augen feucht schimmerte und um sie zu beruhigen, legte ich die Blumen auf den Wagensitz, ihr versprechend, daß ich sie für sie wieder zurückbringen wolle. Da Edita mir glaubte, so verabschiedete sie sich an einer Straßenecke und ich befahl dem Kutscher bald darauf, vor einem Blumengeschäft zu warten; ich kaufte ein anderes Bouquet, welches ich nun doch für Elisabeth mitnahm. In dem Blumenladen traf ich mit Stephani zusammen, welche mich in ihrer gewinnenden Manier begrüßte und mir unter Anderem erzählte, daß sie nach ihrer Heimath zurückkehren wolle, da ihr Gatte sie vor die Alternative gestellt habe, sich ohne Aufsehen von ihm zu entfernen, oder einen scandalösen Ehescheidungsprozeß über sich ergehen zu lassen. „Aber weshalb denn, um’s Himmelswillen?“ fragte ich flüsternd, auf’s Tiefste erschrocken. „Den Grund theile ich Ihnen mit, wenn ich zu Ihnen komme; vielleicht heute noch!“ entgegnete Stephani.
„Weiß Elisabeth davon?“ fragte ich, ihr die Hand zum Abschiede reichend.
„Jawohl, die weiß Alles,“ gab Stephani bedeutungsvoll zurück, „doch sprechen Sie, bitte, keine Silbe zu ihr davon.“
Das geschah natürlich auch.
Eine Stunde später sagte ich dann unter ungezählten heißen Küssen Elisabeth Adieu und fuhr nachdenklich nach Hause. Dort traf ich zu meiner großen Ueberraschung Stephani an, welche früher, als beabsichtigt, ihre Schritte nach unserem Hause gelenkt hatte.
Ohne etwas zu bedenken, hatte ich den ominösen Blumenstrauß vor Edita’s Venus von Milo aufgestellt, was ich ihr sogleich mittheilte.
„Habe Dank, Felicita! Nun weiß ich doch, daß Du mich lieber hast, als Elisabeth, oder – sage mir einmal, Schelm, Du hast doch nicht etwa andere Blumen für sie unterwegs gekauft?“
„Bewahre, Kind, wo denkst Du hin!“ log ich entschieden, aber als ich dann Stephani’s ansichtig wurde, schämte ich mich unaussprechlich. Ich errieth sogleich, daß Stephani natürlicherweise von unserem Treffen in der Blumenhandlung gesprochen haben würde, denn auf mein Befragen, ob sie soeben erst angekommen sei, erwiderte sie harmlos: „Nein, ich begab mich sogleich auf den Weg hierher, als wir uns im Blumengeschäft verabschiedet hatten.“ – – –
Ich hatte aber auch entschiedenes Unglück. Wenn jemals ich etwas vor Edita verbergen wollte, so entdeckte sie es ganz bestimmt – und wenn jemals ich mich um des Friedens willen zu einer Unwahrheit flüchtete, so wurde ich sicher von meiner Freundin dabei ertappt. Dieselbe war indessen viel zu tactvoll, um mir in Gegenwart einer anderen Dame eine Verlegenheit zu bereiten. Erspart ist es mir freilich nicht geblieben, Vorwürfe anzuhören, die mich tief beschämten ... „Der Grund, weshalb der Professor sich von mir lossagen will? So hören Sie denn, meine Damen:“
Stephani hielt einen Augenblick inne und begann dann:
„Da ich die feste Ueberzeugung habe, daß ich bei Ihnen Beiden auf Verständnißinnigkeit rechnen darf, so überlasse ich Ihnen gern die Beurtheilung meiner Handlungsweise. Ich habe mich meinem Manne nicht aus Liebe vermählt. Es war eine Convenienzheirath. Sein reiches Wissen, seine soziale Stellung und vor Allem sein alter, vornehmer Name wog das Vermögen meines Vaters, des reichen Handelsherrn auf und ich vertröstete mich darauf, daß eine Neigung zwischen uns mit der Zeit entstehen und wachsen würde. Ich hatte mich jedoch getäuscht; seine Wissenschaft ist seine Geliebte: mir war er nichts. Er ließ mir schrankenlose Freiheit und ich habe diese nach Willkür genossen. Ich interessirte mich für die Frauenliebe und jahrelang schon huldige ich ihr. Für ein einziges Weib interessire ich mich. Diese aber liebe ich mit der ganzen Kraft meines Temperaments und ich weiß, daß ich ihre Gegenliebe besaß und daß sie mir bedingungslos treu war und ist. Nie hatte sie, so lange ich sie kenne, einem Manne angehört, aber auch niemals tiefere Gefühle für eine andere Frau bekundet. Unsere Liebe machte unser ganzes Glück aus; es war unser süßes Geheimniß, das wir Beide sorgsam hüteten, weil ich in erster Reihe auf meinen Gatten Rücksicht zu nehmen hatte. Doch der Verräther schläft nicht. Vor ganz kurzer Zeit hat mein Mann Alles entdeckt und die vollgiltigsten Beweise meiner Verirrung erhalten. Ein Prozeß würde mich tödtlich kompromittiren. Es bleibt mir nun nichts anderes übrig, als daß ich, ohne Zeit zu verlieren, mich von ihm trenne, ohne daß er nöthig hat, den Rechtsweg zu beschreiten. Mit unsäglicher Wehmuth aber denke ich an die Stunde des Scheidens von dem Liebsten, was ich besitze meine ... geliebte Freundin.“ – –
Als Stephani schwieg, sagte Edita, welche, gleich mir, der Darstellung gespannt gelauscht hatte:
„Was Sie uns da mitgetheilt haben, ist schlimm genug. Man kann Ihnen nur den Rath ertheilen, leisten Sie dem Professor Abbitte und versprechen Sie ihm, nie wieder die betretene Bahn einzuschlagen. Wenn derselbe auch sich nicht immerfort mit ihnen beschäftigte, so hatten Sie doch zu bedenken, daß er sich unsagbar gekränkt fühlen müsse, wenn er davon erführe, daß Sie die Freundschaft einer Dame ihm vorziehen. Wenn Sie dann nach geraumer Zeit, während welcher er sich beruhigt hat und über die ganze Sache Gras gewachsen ist, werden Sie, wenn Sie zurückgekehrt sind, wieder an seiner Seite weiterleben. Sie sind Ihrem Hausnamen, Ihrer Ehre und derjenigen Ihrer ganzen Familie schuldig, das Decorum nach jeder Richtung hin zu bewahren.“
Ich pflichtete meiner Freundin mit voller Ueberzeugung bei und betheuerte, daß ich sehr wohl begreife, wie schwer die Aufgabe sei, die sie zu lösen hätte, allein sie müsse sich derselben unterziehen. Später könne noch alles wieder gut werden.
„Wie kann es gut werden?“ rief Stephani, „wenn ich der Liebe zu meiner Freundin zu entsagen gezwungen werde. Und darum sage ich Ihnen ja auch Alles, weil ich rathlos bin. Einige Zeit will ich mich, wenn es nicht anders sein kann, fortbegeben, doch für immer, – nur aus Rücksicht auf das Decorum meines Namens meine Liebe aufgeben!? das – das kann ich nicht!“
„So machtvoll wäre diese Frauenliebe, daß sie Ueberlegung und Vernunft zu rauben vermöchte? Seltsam, seltsam!“ murmelte Edita gedankenvoll.
Doch ehe sie fortfahren konnte, mehr zu sagen, unterbrach sie Stephani:
„Sie, gerade Sie, finden das seltsam? Würden Sie denn Ihrer Felicita entsagen um eines Mannes willen und die bewunderungswürdig reiche Liebe, mit der sie die Ihre vergilt, eintauschen gegen ein Eheleben ohne jedwede Neigung? Könnten Sie das?“
„Nein“, entgegnete Edita: „Das könnte ich freilich nicht und das würde auch Felicita nicht thun, aber –“ und hier lächelte Edita glückselig: „wir haben ja auch Beide keinen Mann und wir danken ja auch Beide für das Glück der Ehe – wir halten Beide treu zusammen – bis zum Tode! Gelt, Felicita?“
Statt aller Antwort drückte ich ihr nur mit ernsten Blicken ihre Hand.
„Wer“ meinte Edita weiter, „nun aber eine Ehe eingeht, hat auch die heilige Pflicht, alle Rechte zu achten, welche dem anderen Theile zustehen. Ich, beispielsweise, würde mich nimmermehr verheirathen, weil ich eine mir unzweifelhaft angeborene Antipathie gegen die Ehe habe und darum, weil ich einem Manne, den ich im Uebrigen nach Verdienst und Charakter hochschätze, ein unglückliches Leben an meiner Seite nicht bereiten möchte, so verzichte ich einfach.“
„Es geht mir genau ebenso!“ schloß ich mich den Worten Edita’s an. „Ich würde auf keinen Fall eine Ehe eingehen, so lange ich mein Herz von der Liebe zu einer Frau erfüllt weiß. Und mehr noch: ich würde keinesfalls eine Frau lieben können, von welcher ich weiß, daß sie ein faible hat für die Herren der Schöpfung.“
Bei den letzten Worten lachte Stephani hell auf, während Edita mir blitzschnell ihre Hand auf den Mund legte.
„Nun ja, Sie haben Beide recht und ich denke im Grunde genommen genau so wie Sie; aber – nun sagen Sie mir, Felicita, wie soll ich denn diesen gordischen Knoten lösen? Ich befinde mich in einem Labyrinth: zwischen legaler Ehe und einer Verirrung – Frauenliebe!“
„Zunächst würde ich an Ihrer Stelle doch prüfen, ob Ihre Freundin Ihnen auch Alles das ist, was Sie vermeinen. Sagen Sie mir vor Allem, wenn Sie mögen, wer ist diese Freundin?“ fragte ich.
„Offen gestanden, liebste Felicita“, antwortete Stephani, „hat es mich schon lange gewundert, daß Sie dieser Frage noch nicht Ausdruck gegeben. Wissen Sie es denn nicht, daß ich überhaupt nur eine einzige Freundin besitze?“
Ein jäher Schreck drang mir durch’s Herz und ich konnte einen leisen Ausruf der Ueberraschung nicht unterdrücken, während Edita, fast ebenso erstaunt ausrief:
„Doch nicht etwa Elisabeth?“
Stephani neigte bestätigend das erglühte Haupt: „Gewiß, Elisabeth! Wer sonst könnte wohl diese Liebe besitzen?!“
Ich konnte mich von meinem Erstaunen nicht erholen. Hatte mir Elisabeth nicht gesagt, daß sie von den Mysterien der Frauenliebe erst vor einiger Zeit erfahren? Hatte sie mir nicht bekannt, daß sie wohl einem einzigen Mann angehört, doch niemals vor mir einer Frau und ferner, daß dieser Mann sie überhaupt nicht besessen!? Träumte ich denn? Elisabeth hat mit mir Gaukelspiel getrieben in der ganzen Zeit, da ich ihren Bitten Gehör gab, mit ihr zu verkehren. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen, daß sie mich oftmals getäuscht haben mochte. Sie wußte, oder mußte doch wissen, daß Stephani sie über Alles liebte und doch buhlte sie um meine Zuneigung, obwohl sie wußte, daß ich ein Unrecht beging, wenn ich hinter dem Rücken Edita’s ein „Verhältniß“, wie sie selber es bezeichnete, unterhielt. –
Als sich Stephani verabschiedet hatte, sandte ich sogleich einen Boten zu ihr mit einem Billet, in welchem ich ihr, ohne direkt eine Indiskretion zu begehen, reinen Wein einschenkte. Ich ermahnte sie auf Grund der Thatsache, daß ich sie persönlich werthschätze, den Verkehr mit ihrer Freundin allmälig abzubrechen. Da ich wußte, daß die so überaus liebenswürdige, jugendliche Professorin absolut ehrenhaften Charakters war, so theilte ich ihr von meiner Zuneigung für Elisabeth mit. Daß Stephani mich an Edita nicht verrathen würde, davon war ich überzeugt.
Wie ich alsbald erfuhr, hatte Stephani vor ihrer Abreise einen langen, ausführlichen Brief geschrieben und folgende vielsagende Antwort von Elisabeth erhalten:
„Durch Gräfin Anna Pongrácz sende ich Dir, Stephani, einen Abschiedsgruß. Lebe wohl!
Elisabeth.“
„Dich liebt’ ich nicht!
Ob Dir die Lippe auch von Liebe sprach,
„Dich liebt’ ich nicht!
Ob aus dem Auge auch Begeist’rung brach,
„Dich liebt’ ich nicht!
Ob ich’s auch einst im Traume selbst geglaubt,
„Dich liebt’ ich nicht!
Ob Du auch meinen Frieden mir geraubt,
„Dich liebt’ ich nicht!
„Den ich geliebt –
Das war ein vielmals Höherer als Du,
„Den ich geliebt,
Der strebt mit mir den höchsten Höhen zu;
„Der war mir gleich,
War ebenbürtig mir,
„War mein Genoß’ –
Ein Denken schied
„Ein Fühlen trennte uns vom großen Troß.
„Dich liebt’ ich nicht!
„Dir gilt die Thräne nicht,
Die heut’ ich wein’,
„Dem hehren Traum, der mir versunken ist,
„Gilt sie allein!
Ich weiß es heut:
„Aus meiner Seele nahm ich all’ den Glanz
„Den ich Dir lieh;
„Welk fällt von Deinem Haupt der fremde Kranz:
„Dich liebt ich nie!
„Geliebt hab’ ich mit meines Herzens Allgewalt
– – Das eig’ne Werk!
– – Ein Wahngebild – – nur eine Truggestalt! ...“
* * *
Stephani eilte sofort nach Empfang dieser Zeilen zu uns und stand, vielleicht noch rathloser, als zuvor, uns gegenüber.
Das war allerdings mehr, als man schlimmsten Falles erwarten durfte. –
Stephani war in großer Aufregung und ich? ... So war ich also auch hintergangen! Ich hatte dieses Weib, diese Elisabeth, wirklich gern gehabt; sie war mir immer sehr, sehr angenehm gewesen.
Einen Rath, eine Aufklärung vermochte ich nicht zu geben.
So wußten wir es dann schließlich auch zu ergründen, daß mich Elisabeth in mehr als einem Falle betrogen! Während sie sagte, daß sie ihr Herz dereinst „einem“ Mann geschenkt, mit welchem sie ihre Beziehungen gelöst, erfuhr ich jetzt, daß die schöne hochmüthige Salondame nicht nur ihre verbotene Liebe jenem erwähnten „Einen“ schenkte, sondern auch anderen Cavalieren gegenüber nicht mit ihrer Gunst kargte.
Gleichgiltig war mir diese Entdeckung freilich nicht ... ich war ihr ja so über Alles gewogen gewesen und glücklich, daß ich es vermochte, ihr die erbetene Liebe und Zuneigung zu widmen. – Natürlich war ich fest entschlossen, jeglichen Verkehr mit ihr abzubrechen; doch einmal noch sollte sie an mich erinnert werden und vielleicht würde es ihr wehe thun, daß sie mich in so unverantwortlicher Weise hintergangen hatte:
Ich schrieb ihr:
Ich habe geträumt so wundersüß
Ich habe geträumt vom Paradies
Ich habe geträumt von Lieb und Lust
Vom Glück in frommer Menschenbrust.
Ich habe geträumt Du wärst mir treu.
... Nun ist der schöne Traum vorbei!
Eh’ ich’s gedacht bin ich erwacht.
Den Traum umhüllt die Nacht.
Nur Eines weiß ich und fühle es klar,
Daß meine Liebe ein Traum nur war!
Was ich in meinen Armen hielt,
War nur ein nichtig Traumgebild. –
Zerflossen ist’s in leeren Schaum ...
Mir bleibt Enttäuschung nach dem Traum.
* * *
So war der gordische Knoten gelöst. Elisabeth sandte an Stephani Bücher, Briefe, Bilder und die im Laufe der Jahre erhaltenen Geschenke an diese zurück; sie sah sich erkannt und zog nun vor, einstweilen von der Oberfläche zu verschwinden und weit lieber in Begleitung ihres Cavaliers, einer hochgestellten Persönlichkeit die halbe Welt zu bereisen ...
Ich aber zog aus dieser neuesten Erfahrung eine Warnung für mein ganzes Leben; mein Vertrauen zu den Frauen hatte ebenso sehr gelitten, als mein Interesse für dieselben erstickt worden war. Nie wieder begeisterte ich mich für die Schönheit einer Dame – – ich hatte erkennen gelernt, daß die Neigung der Frau zur Frau in Wirklichkeit nur eine geistige Verirrung ist! Ich mißtraute von nun an allen Frauen, welche von ihrer Frauenliebe entzückt waren; ich konnte spöttisch lächeln, wenn ich später bemerken mußte, daß hier und da eine schöngeistige Mitschwester sich um meine Gunst bewarb. Ich lebte nur noch meiner stolzen reinen Edita und über unserer Liebe lag der Weihrauch eines unantastbaren Idealismus!
Es werden Viele, welche des vorgeblichen Glückes der Frauenliebe theilhaftig geworden sind, ebenso wie ich und meine süße Blume vom Rhein, zurückkehren in die vorgeschriebenen Wege, welche das Weib von Gottes- und Rechtswegen zu wandeln hat – – alles Andere ist Verirrung –
Druck von A. Winser, Berlin SW.
Anmerkungen zur Transkription
Die Zeitungsnotiz, die am Anfang des Buches wiedergegeben ist, stammt aus einer separaten Publikation (Tägliche Rundschau, Berlin, 19. März 1898, S. 7). Da diese Notiz sowohl die Verfasserin identifiziert und die Entstehungsgeschichte des Buches beleuchtet, als auch in dieses einzige bekannte Exemplar fest eingeklebt war, reproduzieren wir sie hier unverändert.
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):